Das Gericht der Neuen Schöpfung
Jehova ist der große Richter des Weltalls. – Alle Segnungen, Vergünstigungen usw. sind von Jehova, durch den Sohn. – Die Neue Schöpfung zukünftige Genossin und Miterbin Jesu Christi. – „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ – Des Vaters Urteil über die Menschen ist schon gefällt. – Das Gericht während des Millenniums ist ein solches der Gnade und des Beistandes. – Das schließlich endgültige Gericht wird Gerechtigkeit sein ohne Gnade. – Die Beurteilung der Neuen Schöpfung während des Evangeliums-Zeitalters. – Die Neue Schöpfung nach Maßgabe des vollkommenen Gesetzes der Liebe beurteilt. – Das herrliche Haupt beaufsichtigt die ganze Körperschaft. – „Mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden.“ – Das richtige Selbstgericht. – „Der mich richtet, ist der Herr.“ – Die Kirche hat gelegentlich ein Urteil zu fällen. – „Wenn dein Bruder an dir sündigt.“ – „Vergib siebenzig mal siebenmal.“ – Verfehlungen gegen die Herauswahl. – „Wir müssen alle vor dem Richterstuhl Gottes geoffenbart werden.“
Wir haben in Band 1, Kap. 7, ausgeführt, wie die ganze Menschheit des ewigen Lebens unwürdig erklärt wurde durch den obersten Gerichtsherrn, Jehova, als ihr Stammvater Adam in der Prüfung nicht bestand. „Durch einen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen und durch die (infolge der) Sünde (das Strafurteil) der Tod, und also ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, weil sie alle gesündigt haben.“ (Röm. 5:12) Der Fall und die Verurteilung Adams besiegelten den Fall und die Verurteilung aller seiner Nachkommen. Sein Schade, seine Sünde, seine Schuld vererbten sich auf natürliche Weise auf seine Nachkommen und nahmen immer mehr zu an Wucht und Umfang. Das Urteil über die Menschheit war ein absolut gerechtes und ist darum unwiderruflich. Der große Richter des Weltalls konnte nicht, nachdem er den Menschen von Rechts wegen ewigen Lebens unwürdig erklärt hatte, sein eigenes Urteil aufheben, Unrecht für Recht und Unwürdige würdig erklären, ewig zu leben. Aber er hatte Mitleid mit uns, und in seinem gnadenvollen Plane, den er vor Grundlegung der Welt entworfen, hatte er eine Erlösung (einen Rückkauf) des ganzen Geschlechtes in Aussicht genommen und vorbereitet (Band 5), damit ein jeder einzelne für sich auf die Probe gestellt werden könne. Dabei war seinem geliebten Sohne, dessen Erlösungswerk die Aussöhnung des Menschen mit Gott ermöglichte, die Rolle des Mittlers in dieser Vorkehrung für die Segnung und Wiederherstellung unseres Geschlechtes zugedacht. Als die Zeit, da diese Segnung und Wiederherstellung der Gehorsamen stattfinden soll, haben wir seinerzeit das Tausendjahr-Zeitalter erkannt. Dasselbe ist der Tag, an welchem die Welt gerichtet wird, an welchem einem jeden Gelegenheit gegeben wird, nicht nur den Herrn zu erkennen und sich mit ihm auszusöhnen, sondern auch durch aufrichtigen Gehorsam sich ewigen Lebens würdig zu erweisen. Wie geschrieben steht: „Gott hat einen Tag gesetzt, an welchem er den Erdkreis richten wird in Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat allen den Beweis davon gegeben indem er ihn auferweckt hat aus den Toten. (Band 1, Studie/Kap. 8) – Apg. 17:31
Ohne alle Frage ist Jehova selbst der oberste Herrscher und Richter und sein Gesetz die höchste Richtschnur, mit welcher alle Entscheidungen betreffs ewigen Lebens übereinstimmen müssen. So redet der Apostel von „Gott, dem Richter aller“, und dass damit der Vater gemeint ist, geht daraus hervor, dass er im gleichen Satze auf Jesum als den Mittler Bezug nimmt. (Hebr. 12:23, 24) Wiederum lesen wir: „Jehova wird sein Volk richten“, und: „Mein ist die Rache, ich will vergelten, spricht der Herr.“ (Röm. 12:19; Hebr. 10:30) In diesen (aus Psalm 50:4 und 5. Mose 32:35, 36) zitierten Versen ist von Jehova die Rede; gleicherweise in Röm. 2:16 und 3:6, wo es heißt: „Gott wird das Verborgene der Menschen richten durch Jesum Christum.“ Jehova war der Gesetzgeber und Richter von jeher und wird in dieser Stellung seiner ganzen Schöpfung gegenüber verbleiben. Er wird seine Ehre keinem anderen geben. (Jes. 42:8) Gleicherweise zeigt er uns durch die Schrift, dass er der Hirte seines Volkes ist.
„Jehova ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ (Psalm 23:1) Anderswo bezeichnet er sich selbst als den Erlöser seines Volkes: „Alles Fleisch wird erkennen, dass ich, Jehova, dein Heiland bin.“ (Jes. 49:26) Im höchsten Sinne des Wortes ist Jehova selbst der Mittelpunkt seines ganzen Heilsplanes und aller seiner Teile. Jede andere Ansicht von Gott ist mangelhaft.
Dennoch gefiel es dem Vater wohl, alle Dinge durch den Sohn zu erschaffen (Joh. 1:1), den er zu seinem höchsten Werkzeuge machte. Aller Segen, alle Gewalt, alle Gunst kommt zwar vom Vater, aber durch den Sohn (zu uns), und da die Neue Schöpfung Miterbin des Sohnes werden soll, wird auch sie teilhaben an dieser ihm übertragenen Macht, zu richten, zu strafen und zu segnen. – Offb. 20:4
So vollständig ruht der himmlische Vater von „all seinem Werk“ und braucht den Sohn als seinen hochgeehrten Vertreter, dass unser teurer Erlöser seinerseits sagen konnte: „Der Vater richtet niemand, sondern das ganze Gericht hat er dem Sohne gegeben.“ (Joh. 5:22) Unser Herr tat diese Äußerung, schon bevor er das Werk, das sein Vater ihm zu tun aufgegeben, auf Golgatha vollendet hatte. Er stellte sich dabei auf den Standpunkt des bereits vollendeten Werkes; das konnte er, weil er von seiner Taufe an auf Probe stand, und weil er seine Befähigung zum Richter durch Bestehen dieser Probe bis in den Tod erweisen musste. Durch seinen Opfertod bewies er dann einerseits seine Fähigkeit zu einem Hohepriester voller Treue und Barmherzigkeit; andererseits verbürgte er durch sein Blut einen Neuen Bund für die Menschheit und eröffnete den neuen Weg zum Leben und erhielt „die Schlüssel des Todes und des Hades“, das Recht, zu den Gefangenen im großen Gefängnis des Todes zu sagen: „Kommet hervor!“, zu segnen und wiederherzustellen, wer immer auf seine Stimme hören wird. Genau genommen war dem Sohne alles Gericht erst seit seiner Auferstehung übergeben; von da an war ihm gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden (Matth. 28:18), und seine erste Regierungstat war die Bestellung der Apostel als seine Stellvertreter, mit dem Auftrage, das Werk der Sammlung der Glieder der Brautklasse, der Kirche, der Herauswahl, der Glieder der Neuen Schöpfung, zu beginnen.
Des Vaters Urteil war längst gefällt; es lautete auf Tod gegen alle Angehörigen des gefallenen Geschlechtes, und anders kann dieses Urteil nicht lauten, da alle gesündigt haben und des Ruhmes ermangeln, den sie vor Gott haben sollten. „Da ist kein Gerechter, auch nicht einer“, und vor Gott kann nur bestehen, was durchaus gerecht und vollkommen ist. Nach Gottes Plan und Vorkehrung wurde unser Herr Jesus der Mittler, der Bürge, welcher die Schuld des gefallenen Geschlechtes bezahlte, den Forderungen, welche die Gerechtigkeit an dasselbe stellte, genügte, und dadurch der Sachwalter desselben vor Gott wurde. Dies wird er bleiben, bis er seine Aufgabe als Mittler zu Ende geführt, bis er alle diejenigen mit Gott wieder ausgesöhnt hat, welche, nachdem sie zu einer völligen Erkenntnis des Schöpfers und seiner gerechten Gesetze gebracht worden sind, mit denselben völlig in Übereinstimmung zu stehen und ihnen entsprechen zu können wünschen. Ja noch mehr: Das „ganze Gericht“, das ihm übergeben, umfasst auch die Vollstreckung des Urteils gegen diejenigen, „welche die Erde [menschliche Gesellschaft] verderben“, die böswilligen Sünder; alle, welche auf seine Stimme, seine Befehle, seine Belehrungen nicht hören werden, wird er hinwegraffen aus der Mitte des Volkes, wenn er alle Sünde und Widersetzlichkeit, alle Feinde, den letzten (den Tod) inbegriffen, unterdrücken wird. – Apg. 3:23; 1. Kor. 15:25-28; Offb. 11:18; 2. Thess. 2:8; Hebr. 2:14
Die Amtsgewalt des Herrn wird während des Tausendjahr-Zeitalters zunächst die eines Mittlers sein. Er wird in dieser Eigenschaft den Schwachheiten der Menschen Rechnung tragen, strafen oder belohnen zum Zweck der Besserung, und sodann an Jehovas Statt, als dessen Stellvertreter, am Schlusse des tausendjährigen Reiches den Würdigbefundenen ewiges Leben als Lohn und den Unwürdigen ewige Vernichtung (den zweiten Tod) als Strafe erteilen. Dieses letzte Gericht wird nach den Richtlinien absoluter Gerechtigkeit ohne alle Nachsicht stattfinden. Was früher die Nachsicht bezweckte, wird die tausendjährige Herrschaft Christi erreicht haben, unter welcher jedem Gliede des gefallenen Geschlechtes von seinem Erlöser Gnade und Hilfe angeboten wird.
Der Leib Christi (d.h. die Körperschaft des Christus), die Herauswahl, wird Anteil haben an all den verschiedenen Aufgaben des Hauptes, am Helfen und Bessern, Segnen und Strafen, Richten und Regieren während des tausendjährigen Reiches der Gnade und Hilfe und möglicherweise auch an der Zuerkennung und Vollstreckung des ewigen Lohnes und der ewigen Strafe.
Bevor wir nun an die nähere Betrachtung des Gerichtes an der Neuen Schöpfung während des dem Tausendjahrreiche vorangehenden Evangeliums-Zeitalters herantreten, müssen wir uns gründlich einprägen, dass alle Maßnahmen des Millenniums vom Vater stammen und durch den Sohn und die Herauswahl vollstreckt werden. Darum besteht kein Widerspruch zwischen der Erklärung, dass, wie Gott unseren Herrn Jesus auferweckte durch seine eigene Macht, er auch uns auferwecken werde, und den Aussagen Jesu: „Ich will ihn auferwecken am letzten (siebenten) Tage (im siebenten Jahrtausend)“; – „Ich werde wiederkommen und euch zu mir nehmen“; – „Ich bin die Auferstehung und das Leben“. – 1. Kor. 6:14; Joh. 6:39; 14:3; 11:25
Das Gericht an der Neuen Schöpfung (die Erprobung derselben) muss stattfinden, bevor das Tausendjahrreich in Macht aufgerichtet ist, weil die Neue Schöpfung, Haupt und Leib, die Regierungsherrschaft im Tausendjahrreich ausüben wird. Das Gericht an der Herauswahl findet somit im Evangeliums-Zeitalter statt. Darum sagt der Herr, dass sie nicht ins Gericht komme (mit der Welt, dass der tausendjährige Gerichtstag der Welt nicht auch ihr Gerichtstag sein werde), sondern (schon) aus dem Tode in das Leben hindurchgedrungen sei (vor der Welt), da sie aus Glauben und durch Gehorsam gerechtfertigt worden sei. (Joh. 5:24) So ist denn die gegenwärtige Zeit, das jetzige Leben, eines jeden Geweihten Gerichtstag, an welchem er geprüft wird, ob er sich unter den Bedingungen seiner Berufung und Weihung auch ewigen Lebens würdig zeige, wie der Apostel sagt: „Das Gericht (griech.: „krima“, Entscheidung) muss anfangen (zuerst stattfinden) beim Hause Gottes.“ (1. Petr. 4:17) Es gibt der Neuen Schöpfung einen höheren Begriff von den Anforderungen Gottes, von den Bedingungen, an welche ewiges Leben geknüpft ist, wenn sie bedenkt, dass diejenigen, welche der Sünde den Rücken gekehrt und sich in ihren Herzen der Erkenntnis und der Befolgung des göttlichen Willens zugewandt haben, durch eine Prüfungszeit hindurchgehen müssen, damit sie erprobt werden, damit sie einen Charakter heranbilden können, an welchem der Herr Wohlgefallen finden kann.
Wer richtet die Neue Schöpfung, und nach welchem Gesetze oder Maßstabe wird sie gerichtet?
Wir antworten: Unser himmlischer Vater selbst richtet uns gemäß dem vollkommenen Gesetz der Liebe – wir sind durch ihn gerecht gemacht („Gott ist es, welcher rechtfertigt“); unser Weihegelübde wurde an ihn gerichtet; und alle Neuen Schöpfungen, das Haupt sowohl als auch die Glieder, sind dem Vater als dem Richter verantwortlich. Allein, das ändert nichts an der Tatsache, dass, wenn er mit uns verkehrt und uns erlaubt, vor den Thron der himmlischen Gnade zu treten, dies nur deshalb der Fall ist, weil er uns annehmbar gemacht hat in dem Geliebten, unserem Herrn und Haupte, mit dessen Gerechtigkeit allein angetan wir Zutritt und Gnade beim Vater finden können. Alle Gewalt und Macht ist dem Sohne gegeben; er ist des Vaters Werkzeug oder Vertreter; und obgleich wir direkt mit dem Vater verkehren, wird uns der Zutritt zu ihm nur durch unseren Fürsprecher (1. Joh. 2:1) gewährt – etwa wie einem Angeklagten durch seinen Verteidiger bei einem menschlichen Gerichtshofe. Die Welt wird im Tausendjahr-Zeitalter weder Zutritt, noch direkten Verkehr mit dem Vater haben durch einen Fürsprecher, sondern sie wird im Gegenteil direkt mit dem Christus zu tun haben, bis dieser, am Ende seines Reiches, die Wiederhergestellten oder Vollkommengemachten dem Vater darstellen wird.
Die Neuen Schöpfungen sind alle vom Vater gezeugt, sie sind seine, nicht Christi Kinder, und der Vater ist es, der einen jeglichen Sohn züchtigt, den er annimmt. Auch werden wir angewiesen, zum Vater zu beten, nachdem uns Jesus, unser Erlöser (Rückkäufer), den Weg zu seinem Thron eröffnet hat. Darum bleiben die Worte unseres Erlösers doch durchaus wahr: „Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.“ Das Verhältnis des Herrn Jesus zu der Herauswahl ist gleich dem des Hauptes zum Leibe: Das Haupt kennt, beurteilt und bestimmt alle Bedürfnisse des Leibes, es leitet ihn, schafft Schwierigkeiten aus dem Wege, gewährt Erleichterung, Hilfe und Trost, stützt und stärkt ein jegliches Glied und benutzt oft andere Glieder des Leibes zu solchen Hilfeleistungen. Dennoch darf dieses ganze Werk, da es doch in des Vaters Namen und auf seine Weisung hin geschieht, angesehen werden als vom Vater und durch den Sohn. – 1. Kor. 8:6
So lesen wir denn auch in 1. Petr. 1:17: „Wenn ihr den als Vater anrufet, der ohne Ansehen der Person richtet“ – und (Joh. 15:1, 2): „Mein Vater ist der Weingärtner. Jede Rebe in mir, die nicht Frucht bringt, die nimmt er weg; und jede, die Frucht bringt, die reinigt er, auf dass sie mehr Frucht bringe.“ Dabei wird aber voll anerkannt, dass alle diese Züchtigungen, Reinigungen usw. durch das Haupt an uns vollzogen werden; denn der Apostel sagt wiederum: „Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.“ Damit belehrt er uns, dass wir nicht direkt in den Händen des lebendigen Gottes sind, nicht unmittelbar mit seinem unbeugsamen Gesetze in Berührung stehen. Wir sind vielmehr in Christo Jesu, gekleidet in sein Verdienst, behandelt als Glieder seines Leibes, unter den gnädigen Vorkehrungen des abrahamischen Bundes, auf uns anwendbar gemacht durch sein Blut.
Die Oberaufsicht des herrlichen Hauptes über den Leib
Wir können an der Liebe und Fürsorge unseres herrlich gemachten Hauptes zu seiner Kirche – dem Leibe, der Braut -, nicht zweifeln, auch wenn uns in diesem Stücke keine ausdrückliche Erklärung gegeben worden wäre. Trotzdem gibt es eine solche Erklärung in seiner letzten Botschaft an seine Getreuen; er zeigt ihnen, dass er es ist, der die gegenbildlichen Leviten einschließlich der königlichen Priesterschaft reinigt und läutert. Vernimm seine Worte zu den sieben Versammlungen in Kleinasien, den Stellvertretern der sieben Perioden in den Erfahrungen der einen Kirche:
„Gedenke nun, wovon du gefallen bist, und tue Buße; wenn aber nicht, so komme ich dir und werde deinen Leuchter aus seiner Stelle wegrücken … Sei getreu bis zum Tode, und ich werde dir die Krone des Lebens geben … Ich habe ein weniges wider dich … tue nun Buße, wenn aber nicht, so komme ich dir bald und werde Krieg mit ihnen führen mit dem Schwerte meines Mundes. Dem, der überwindet, dem werde ich von dem verborgenen Manna geben … Aber ich habe wider dich, dass du das Weib Jesabel duldest; ich gab ihr Zeit, auf dass sie Buße täte, … ich werfe dich in große Drangsal … und ihre Kinder werde ich mit Tod töten, und alle Versammlungen werden erkennen, dass ich es bin, der Nieren und Herzen erforscht; und ich werde euch einem jeden nach euren Werken geben … Wer überwindet und meine Werke bewahrt bis ans Ende, dem werde ich Gewalt über die Nationen geben … Ich habe deine Werke nicht völlig (vollkommen, vollgewichtig, d. Übers.) erfunden vor meinem Gott Wer überwindet … dessen Namen werde ich nicht auslöschen aus dem Buche des Lebens … Dieses sagt, der den Schlüssel des David hat, der da öffnet, und niemand wird schließen, und schließt, und niemand wird öffnen … Siehe ich werde machen, dass die aus der Synagoge Satans kommen werden und sich niederwerfen vor deinen Füßen und erkennen, dass ich dich geliebt habe. Weil du das Wort meines Ausharrens bewahrt hast, werde auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird … Wer überwindet, den werde ich zu einer Säule machen in dem Tempel meines Gottes … Weil du lau bist und weder kalt noch warm, so werde ich dich ausspeien aus meinem Munde … Ich rate dir, Gold von mir zu kaufen, geläutert im Feuer, auf dass du reich werdest … Ich überführe und züchtige, so viele ich liebe; sei nun eifrig und tue Buße!“ – Offb. 2 und 3
Wir erinnern uns ferner an die beiden Gleichnisse von den anvertrauten Pfunden und Talenten, in welchen der Herr zeigt, dass er bei seiner Rückkehr seine Getreuen belohnen und denen ewiges Leben geben wird, welche durch geduldiges Ausharren im Gutestun Herrlichkeit, Ehre und Unsterblichkeit gesucht haben. Die anderen erwartet Zorn am Tage des Zornes. Aus dem Gleichnis von den anvertrauten Pfunden ist zu schließen, dass der Lohn je nach dem Grade der Treue verschieden sein wird; mit den Feinden wird abgerechnet, nachdem die Treuen belohnt worden sind. Wenn der Apostel beides, das Belohnen und Strafen, dem Vater zuschreibt, so liegt hierin insofern kein Widerspruch, als eben der Vater und der Sohn „eins“ sind und in voller Übereinstimmung wirken.
„Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet; denn mit welchem Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden“
– Matth. 7:1, 2 –
Die allein zuständigen Richter der Herauswahl sind der Vater und der Sohn, der letztere in seiner Eigenschaft als des Vaters Vertreter, dem alles Gericht übergeben ist. (Joh. 5:22, 27) Die Neuen Schöpfungen sind nicht zuständige Richter, die fähig wären, eine über die andere zu richten, und zwar aus zwei Gründen: 1. weil nur wenige das göttliche Gesetz der Liebe, das alles regiert, völlig erfassen und beherrschen; 2. weil nur wenige auch ihr eigenes Herz gründlich kennen. Manche beurteilen dasselbe zu mild, andere beurteilen es zu streng; sie sollten daher in aller Bescheidenheit ablehnen, über die Herzen anderer zu Gericht zu sitzen, deren Beweggründe sie möglicherweise gar nicht kennen. Wegen dieser unserer Unfähigkeit zu richten, verbietet der Herr unter seinen Nachfolgern alles Einzelrichten. Später, ja, wenn sie durch die erste Auferstehung dazu befähigt worden sind, wird das Richten eine ihrer Aufgaben im Königreiche sein. Wenn sie aber jetzt einander zu richten fortfahren, droht ihnen der Herr, dass sie nicht mehr Barmherzigkeit und Milde zu erwarten hätten, als sie selber an den Tag legten. (Matth. 7:2; Luk. 6:38) Derselbe Gedanke findet einen sehr kräftigen Ausdruck in der fünften Bitte des Vaterunsers: „Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben.“ – Matth. 6:12
Damit ist nicht gesagt, dass uns der Herr nach bloßer Willkür, ungerecht, herzlos beurteilen wird, wie wir es anderen gegenüber getan haben. Im Gegenteil: Gott handelt gerecht. Wir sind „von Natur Kinder des Zornes“, „Gefäße, zubereitet zum Verderben“; und wenn auch der Herr in seiner großen Gnade und Barmherzigkeit beabsichtigt, uns zu segnen, von unseren Sünden und Schwachheiten zu befreien, ja uns vollkommen (Matth. 5:48) zu machen durch unseren Erlöser, so tut er dies alles nur unter der bestimmten Bedingung und Voraussetzung, dass wir das Gesetz der Liebe als unser Gesetz anerkennen und von Herzen mit demselben einverstanden sind. Gott beabsichtigt und wünscht keineswegs, nicht Wiedergeborene, „Kinder des Zornes“, in seine Familie aufzunehmen. Wer eine der Wohnungen (Daseinsformen) in des Vaters Hause (Joh. 14:2) beziehen will, der muss zuerst aufgehört haben, ein Kind des Zornes zu sein und muss ein Kind der Liebe werden; er muss von Herrlichkeit zu Herrlichkeit verwandelt werden durch die Gesinnung unseres Herrn, den Geist der Liebe. Wer denselben weiter zu entwickeln ablehnt, wer im Widerspruch dazu fortfährt, Mitjünger lieblos zu beurteilen, der beweist eben dadurch, dass er nicht zunimmt an Erkenntnis und Gnade, dass er nicht von Herrlichkeit zu Herrlichkeit verwandelt wird bis zur Ähnlichkeit mit dem Herrn, dass er nicht ein wahrer Nachfolger des Herrn ist. Ein solcher kann nicht erwarten, dass ihm mehr Erbarmen zuteil werde, als er selber zeigte bei seinem Versuche, des Herrn Nachahmer zu sein. Der Grad seiner Ähnlichkeit mit dem Herrn kann beobachtet werden an seiner Liebe, seinem Erbarmen für seine Mitjünger, an seinem Edelsinn, wie er in Gedanken (Urteilen), Worten und Werken zutage tritt.
O, möchten doch alle Geistgezeugten, alle „Neuen Schöpfungen“ sich gegenwärtig halten, dass dieser Geist des Richtens, der, ach, so verbreitet, ja, die dem Volke Gottes am hartnäckigsten anklebende Sünde ist, einen Mangel an Liebe, an der Gesinnung Christi, bedeutet, und deren vollständiges Fehlen verrät, wer nicht zu ihm gehört. (Röm. 8:9) Wir sind überzeugt, dass, je rascher dies verstanden wird, um so rascher auch die Verwandlung „von Herrlichkeit zu Herrlichkeit“ fortschreitet, ohne welche wir schließlich nicht Glieder der Neuen Schöpfung werden können.
Allein nur wenige von des Herrn Volk sind sich bewusst, wie viel sie richten, und das mit einer Schärfe, die sie vom Königreich ausschließen würde, wenn der Herr ihnen in entsprechendem Maße vergelten würde. Wir hätten, da doch der Herr verheißen, dass, mit welcherlei Gericht wir andere richten, wir selbst gerichtet werden sollen, fürchten können, dass wir zu gütig, zu barmherzig urteilen und den Grundsatz: „Denkt nichts Böses“ bis in ein unbegrenztes Extrem befolgen würden. Davon ist leider das Gegenteil der Fall. Die Neigungen unserer gefallenen Natur gehen sämtlich nach entgegengesetzter Richtung. Mehr als 18 Jahrhunderte sind es her, seit der Herr uns den gütigen Vorschlag machte, uns zu messen, mit welcherlei Maß wir andere messen würden; aber wie wenige sind es, die, gestützt auf diese Verheißung, auf viel Erbarmen Anspruch haben. Es wird nutzbringend sein, uns selbst auf unsere Geneigtheit zum Richten hin zu prüfen. Lasst es uns im Gebet tun.
Die gefallene oder fleischliche Gesinnung ist selbstsüchtig, und je mehr sie sich selbst sucht, um so weniger sucht sie, was für des anderen Wohl ist. Darum ist sie auch stets bereit, uns selbst zu billigen und zu entschuldigen und andere zu missbilligen und zu verdammen. Das ist uns so natürlich wie das Atmen, und je gebildeter einer ist, um so mehr neigt er dazu. Er anerkennt höhere Ideale, einen höheren Maßstab, vergleicht einen jeden damit und gewahrt dann natürlich, dass es bei allen in einigen Stücken fehlt. Es ist ihm ein Genuss, die Verirrungen und Schwachheiten der anderen aufzudecken, wobei er seine eigenen Fehler übersieht. Ja, es kommt vor, dass ein solcher heuchlerischerweise die Schwachheiten eines anderen zu dem Zweck aufdeckt, um die Aufmerksamkeit von seinen eigenen Mängeln abzulenken und den Eindruck zu machen, in dem Stücke sei er denn doch ein besserer Mensch. Das ist, ohne Umschweife gesagt, die verächtlichste Neigung der alten gefallenen Natur. Die neue, vom Geiste des Herrn, vom Heiligen Geiste der Liebe, gezeugte Gesinnung liegt vom ersten Augenblick an im Kampf mit dieser alten selbstsüchtigen Gesinnung; das Wort des Herrn, das neue Gesetz der Liebe, die Goldene Regel, führt sie dazu, und je mehr wir zunehmen an Erkenntnis und Gnade bei Gott, um so rücksichtsloser wird der Kampf gegen die Selbstsucht. Anfangs sind alle „Neuen Schöpfungen“ nur Kindlein in Christo, welche nur nebelhafte Begriffe von dem neuen Gesetze haben; wächst aber die „Neue Schöpfung“ nicht, und würdigt sie nicht mehr und mehr das Gesetz der Liebe, so kann sie sicher sein, den großen Preis zu verlieren.
Das Gesetz der Liebe sagt: Es ist schändlich, die Schwachheiten und Unzulänglichkeiten von Brüdern oder anderen vor der Welt aufzudecken; es ist schändlich, dass Mitleid und Erbarmen nicht sofort ein Wort zu ihren Gunsten äußern, wenn es schon zu spät ist, sie durch den Mantel der Liebe gänzlich zuzudecken. Unser edler, liebevoller Meister hat uns in diesem Stücke eine gute Anleitung hinterlassen, indem er auf die Aufforderung, eine Sünderin zu verurteilen, antwortete: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“ Wer selbst fehlerfrei ist, wäre am Ende zu entschuldigen, wenn er auch ohne vorheriges Geheiß des Herrn Übeltäter strafen oder brandmarken würde. Aber der einzige fehlerfreie Mensch, den es je gab, unser Meister, hat ein Herz so voller Liebe, dass er lieber übersah und verzieh, als strafte, tadelte und an den Pranger stellte. So wird es auch zweifellos mit allen Geistgezeugten sein: je ähnlicher sie ihm werden, um so weniger werden sie um die göttliche Rache bitten, um so weniger werden sie strafen mit der Zunge oder sonst wie, bis es sie der große Richter ausdrücklich tun heißt. Für jetzt gilt vielmehr das Wort: „Richtet nichts vor der Zeit“, und: „Mein ist die Rache, spricht der Herr.“
Schön hat der Apostel den Geist der Liebe beschrieben, wenn er sagt: „Die Liebe ist langmütig, ist gütig (dem Beleidiger gegenüber); die Liebe neidet nicht (den Erfolg anderer, sucht nicht denselben zu schmälern oder in den Augen anderer herabzusetzen]; die Liebe tut nicht groß, sie bläht sich nicht auf (und trachtet daher niemals, den Glanz anderer zu mindern, damit der eigene Glanz um so heller erscheine); sie gebärdet sich nicht unanständig (hat keine maßlosen selbstsüchtigen Wünsche und wendet keine rücksichtslosen Mittel an, um etwas zu erreichen); sie sucht nicht das Ihrige (d.h. sie begehrt nicht die Ehre oder den Reichtum oder die Berühmtheit anderer, sondern freut sich, dass sie damit gesegnet sind, und würde diesen Segen lieber mehren als vermindern), sie lässt sich nicht erbittern (ist nicht rachsüchtig, sondern voller Erbarmen in dem Gedanken an den großen Schaden, den das ganze Geschlecht vom Falle Adams davongetragen), sie denkt nichts Böses (nicht nur erfindet und erdenkt sie nichts Böses, sondern in jedem Zweifelsfalle ist ihr die mildere Annahme natürlich, und böse Vermutungen liegen ihr fern) (vergl. 1. Tim. 6:4), sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit, sondern sie freut sich mit der Wahrheit (ob dem, was richtig, recht ist; darum freut es sie, edle Aussagen und Taten bekannt zugeben, und vermeidet sie, unedle Worte und Werke aufzudecken); sie deckt alles zu (mit dem Mantel des Mitgefühls, weil niemand und nichts vollkommen ist und ein rücksichtsloses Nachschauen erträgt. Da geht die Liebe voraus und hält ihren Mantel stets bereit), sie glaubt alles (sie zieht die guten Absichten der anderen nicht in Zweifel), sie hofft alles (indem sie dem Gedanken, dass jemand ganz schlecht sei, nach Kräften und solange wie möglich wehrt), sie erduldet alles (sodass es nicht möglich ist, ihrem Vergeben dem Reuigen gegenüber eine Grenze zu stecken). Die Liebe vergeht nimmer (andere Gnadengaben mögen ihre Zwecke erfüllen und alsdann vergehen, Liebe dauert ewig, darum ist sie größer als Glaube und Hoffnung).“ – 1. Kor. 13:4-13
Wenn es nun schon gegen das Gesetz der Liebe, gegen die Goldene Regel verstößt, Ungünstiges über jemanden herumzubieten, sofern es wahr ist, was sollen wir erst von der schlechten, lieblosen, verbrecherischen Gewohnheit von Weltleuten, Namenchristen, und sogar von wahren Christen sagen, üble Nachrede zu üben, selbst wo man etwas Ungünstiges nicht einmal sicher weiß. O, welche Schande, dass einige von Gottes Volk des Herrn Ermahnung: „Redet Böses von niemandem“ so missachten können, und dass solche, die nicht mehr Neulinge im Gesetze der Liebe und kleine Kindlein in Christo sind, seine Belehrung so sehr missverstehen können, dass, selbst ohne unzweifelhafte Zeugnisse aus dem Munde von zwei oder drei Zeugen, und auch dann nur mit Widerstreben, Böses von einem Bruder oder Nachbarn geglaubt, ja sogar herumgeboten wird, dass üble Nachrede auf bloße Vermutung oder auf Hörensagen hin geübt wird! – Titus 2:3
Wir sollten uns selbst richten
Wenn wir uns selbst beurteilten, so würden wir nicht gerichtet
1. Korinther 11:31
(vom Herrn bestraft oder zurechtgewiesen)
Die Befolgung der Goldenen Regel würde allem „Schwatzen“ über andere und ihre Verhältnisse ein Ende machen. Welcher Verleumder wünscht, dass er verleumdet wird? Wo ist der Schwätzer, der wünscht, dass öffentlich oder im Vertrauen über seine Angelegenheiten, Schwierigkeiten oder Schwachheiten gesprochen würde? Die Welt hat nicht viel anderes zu besprechen als das; aber die Neuen Schöpfungen tun besser, stumm zu bleiben, bis die Liebe und die Kenntnis des Planes Gottes ihr den großen Besprechungsgegenstand nahe gebracht, von dem die Engel sangen: „Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und an den Menschen ein Wohlgefallen.“ Dann werden die Worte ihres Mundes und die Überlegungen ihres Herzens dem Herrn wohlannehmlich und für alle diejenigen ein Segen sein, mit denen sie in Berührung kommen.
Der Apostel zeigt, wie groß der Einfluss der Zunge ist. Sie kann freundliche Worte verbreiten, die niemals vergehen, vielen Lebenden und durch deren Vermittlung noch vielen Ungeborenen zum Segen gereichen. Oder aber, „voll tödlichen Giftes“, kann sie den Samen giftiger Gedanken ausstreuen, welche den einen das Leben verbittern, den anderen es erschweren und mühseliger machen. „Mit ihr preisen wir den Herrn und den Vater, und mit ihr fluchen (schaden) wir den Menschen … Aus demselben Munde geht Preis und Fluch hervor. Dies, meine Brüder, sollte nicht also sein. Die Quelle sprudelt doch nicht aus derselben Öffnung das Süße und das Bittere?“ – Jak. 3:8-11
„Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.“ Wenn wir also über andere und ihre Angelegenheiten schwatzen, so beweist das, dass ein großer Teil (wenn nicht mehr) unserer Herzen nicht voll der Liebe und Güte Gottes ist. Dieser Gedanke sollte uns sofort vor den Thron der Gnade treten lassen und uns veranlassen, unsere Herzen an dem Born seines Wortes von seinem Geiste zu füllen; denn, wer hungert und dürstet nach seiner Gerechtigkeit, der wird satt werden; der wird bekommen, wessen er bedarf. Wenn wir gar, was noch schlimmer ist als bloß gedankenloses Schwatzen, üble Nachreden gerne hören oder üben, dann steht es mit unseren Herzen noch schlecht; dann fließt es über von Bitterkeit, Eifersucht, Bosheit, Hass und Hader – Eigenschaften, von denen der Apostel sagt, sie seien Werke des Fleisches und des Teufels. (Gal. 5:19-21) Wie gerne würden wir die „Neue Schöpfung“ in diesem Stücke aufrütteln und gründlich wach machen; denn, wer jenes tut, wird sicherlich fallen und nicht in das ewige Königreich unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi eingehen können.
Unsere Zubereitung für sie Königswürde führt uns gerade nach der entgegengesetzten Richtung, wie der Apostel Petrus sagt. „Füget zu eurem Glauben das Ausharren, die Bruderliebe, die Liebe, wenn ihr diese Dinge tut, so werdet ihr niemals straucheln, aber reichlich wird euch dargereicht werden der Eingang in das ewige Königreich.“ (2. Petr. 1:5-10) Und der Apostel Jakobus sagt: „Wenn ihr aber bittern Neid und Streitsucht in eurem Herzen habt, so rühmet euch nicht und lüget nicht wider die Wahrheit. Dies ist nicht die Weisheit, die von oben herabkommt, sondern eine irdische, sinnliche, teuflische.“ (Jak. 3:14, 15) Wer eine so bittere, an übler Nachrede sich erfreuende Gesinnung hat, der hat gerade das Gegenteil von der Gesinnung Christi, von der heiligen Gesinnung, von dem Geiste der Liebe: möge er weder sich selbst noch andere täuschen; möge er nicht Finsternis für Licht, nicht den Geist Satans für den Geist Christi ausgeben.
Im Anschluss an obige Worte erklärt Jakobus, warum des Herrn Volk zu allen Zeiten in Verwirrung und Unruhe geraten ist; dies kam her von den unreinen, den nur teilweise geheiligten Herzen: „Wo Neid und Streitsucht ist, da ist Zerrüttung und jede schlechte Tat.“ (Jak. 3:16) Wenn dieses Unkraut der alten gefallenen Natur ungehindert wuchern kann, wird es nicht nur schädlich sein, sondern schließlich alle lieblichen, schönen Blüten und Gaben des Geistes verdrängen und ersticken.
Richtiges Selbstgericht
Von unserem moralischen Wachstume als Neue Schöpfungen und von der richtigen Beurteilung unserer selbst sprechend, schreibt der Apostel Paulus: „Da wir nun diese Verheißungen haben, Geliebte, so lasst uns uns selbst reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes, indem wir die Heiligkeit vollenden in der Furcht Gottes.“ (2. Kor. 7:1) – „Lasset einen Menschen sich selber prüfen“ – lasset ihn die Schwachheiten und Fehler seiner gefallenen fleischlichen Natur merken und versuchen, zu abzutun, die Werke des alten Menschen abzulegen, um erneuert zu werden, verwandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, zu immer größerer Ähnlichkeit mit Gottes geliebtem Sohne, der sowohl unser Vorbild als auch unser Herr und Erlöser ist. Doch ermahnt der Apostel, dass wir nicht nur unser Fleisch, soweit dies möglich, sondern auch unseren Geist, d.h. unsere Gesinnung, reinigen sollen, dass der Heilige Geist dieselbe völlig beherrsche und der Wille Gottes, wie er uns durch unseren Herrn Jesus kundgemacht und vorgelebt wurde, einen jeglichen unserer Gedanken gefangen nehme.
Der Versuch, unser Fleisch zu reinigen und unsere Zunge zu zügeln, wird fruchtlos bleiben, wenn wir nicht acht haben auf unser Herz, unsere Gesinnung, unseren Geist, wo unsere Gedanken entstehen, von denen Worte und Handlungen nur die wahrnehmbaren Kundgebungen sind. Diese zur Teilnahme am Königreiche notwendige Reinigung kann nur durch Gebet und Ausharren gelingen; die Heiligkeit wird in der Furcht des Herrn vollendet. (2. Kor. 7:1) Nicht dass wir hoffen könnten, eine vollständige Reinigung unseres Fleisches zu erzielen. Das verlangt der Herr auch nicht, sondern er fordert eine völlige Reinigung des Willens, des Herzens, des Geistes, mit welcher eine möglichst vollständige Reinigung des Fleisches und der Zunge verbunden ist. Wo er ein reines Herz gewahrt, das ihm und seinem Gesetz der Liebe treu ergeben ist, da wird er, wenn die Zeit gekommen ist, den dazu gehörigen Leib verleihen. „Glückselig, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“ – Matth. 5:8; 1. Joh. 3:2
Wie zutreffend sind hier die Worte des Apostels (2. Thess. 3:5): „Der Herr aber richte eure Herzen zu der Liebe Gottes“ – zu der Liebe, die da ist freundlich, milde, geduldig; die alles erträgt, nicht mehr das Ihrige sucht; nicht aufgebläht, noch neidisch ist, die nicht Böses redet oder denkt, sondern auf Gott vertraut und gemäß der Goldenen Regel gütig und besonnen ist. Es ist nötig, dass unsere Herzen zu dieser Liebe gerichtet werden; denn als Neue Schöpfungen wandeln wir auf einem neuen Wege, nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste. Und der Herr allein ist unser Führer und Leiter, wenn er auch verschiedene seiner Glieder als seine Mundstücke gebrauchen mag. „Deine Ohren werden eine Stimme hinter dir her hören (d.h. aus der Vergangenheit, sagend): Dies ist der Weg, wandelt darauf!“ – Jes. 30:21
„Ich beurteile mich aber auch selbst nicht. Der mich aber beurteilt, ist der Herr“
Es gibt einige wenige in der Neuen Schöpfung, wenn auch sehr wenige, die sich selbst unbarmherzig zu richten geneigt sind. Ganz recht haben solche, wenn sie einen jeglichen Fehler, eine jede Schwachheit an sich tadeln und den Wunsch haben, davon befreit zu werden; aber unrecht haben sie, wenn sie vergessen, dass uns der Herr nicht nach dem Fleische kennt und beurteilt, sondern nach dem Geiste, nach der Absicht, dem Willen, dem Wunsche, der Bemühung. Sie achten zu sehr auf des Pharisäers Worte: „Ich danke dir, dass ich nicht bin wie andere Menschen“, und zu wenig auf die Worte des Herrn, der uns erklärt, auf welchem Grunde wir angenommen werden können, und dass uns das Verdienst des kostbaren Blutes Jesu von aller Sünde reinigt. Sie vergessen, dass, wenn sie vollkommen wären oder vollkommen handeln könnten, sie eines Retters, eines Fürsprechers nicht bedürften; sie vergessen, dass sie durch Gnade errettet sind, nicht durch Werke des Fleisches.
Solche sollten auf sich selbst die Worte des Apostels anwenden: „Mir aber ist es das Geringste, dass ich von euch oder von einem menschlichen Tage (d.h. Gerichtshofe) beurteilt werde; ich beurteile mich aber auch selbst nicht. Denn ich bin mir selbst nichts bewusst, aber dadurch bin ich nicht gerechtfertigt. Der mich aber beurteilt, ist der Herr. So richtet nicht etwas vor der Zeit, bis der Herr kommt, welcher auch das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Ratschläge (Überlegungen, Absichten) der Herzen offenbaren wird.“ – 1. Kor. 4:3-5
So setzen wir denn unser Vertrauen auf den Herrn und nicht auf unser schwaches gefallenes Fleisch. Wir haben von der Gnade und Barmherzigkeit Gottes gehört gegen alle, die auf ihn trauen und nach dem Geiste der Liebe zu wandeln suchen, wenn sie auch nicht imstande sind, den vollkommenen Anforderungen desselben völlig nachzukommen. Unsere Hoffnung geht also nicht dahin, dem Fleische nach vollkommen zu werden, sondern der Gesinnung, der Absicht nach. Wir hoffen, dass unser Glaube und unser Eifer durch das Verdienst unseres Erlösers den Mangel unseres Fleisches erstatten, den wir bedauern, und wogegen wir täglich ankämpfen. Jedoch, liebt Gott uns auch, die wir von Natur Kinder des Zornes sind, wie die anderen? Ist er für uns? Hilft er uns? Schreibt er uns jede Bemühung und jede gute Absicht zugute, auch dann noch, wenn unsere Bemühung teilweise oder gänzlich fehlschlägt? Ja, „der Vater selbst liebt euch“ und: Wenn Gott uns so liebte, als wir noch Sünder waren, dass er seinen eingeborenen Sohn zu unserer Erlösung hingab, „wird er uns mit ihm nicht alles schenken“, wessen wir in unserem Laufe nach dem Preise bedürfen, den uns sein Wort verheißt? Wenn er uns liebte, da wir noch Sünder waren, so liebt er uns gewiss jetzt noch mehr und zärtlicher, seit er uns in seine Familie aufgenommen hat und in unseren Herzen den ernstlichen Wunsch sieht, seinen Willen zu tun. So lasst uns denn voller Zuversicht sein und mit Freimut hintreten vor den Thron der himmlischen Gnade, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe. – Hebr. 4:16
Hier muss aber einer Warnung Raum gegeben werden. Wir alle haben Verhältnisse gekannt, in welchen an die Stelle der Demut, des Mangels an Vertrauen, der Furcht und des Zweifels an der Gnade Gottes, Selbstvertrauen, völlige Blindheit für die eigenen Fehler und pharisäischer Dank dafür, dass wir besser seien als anderen, trat. Das ist ein höchst bedauerlicher, und wenn er andauert, hoffnungsloser Zustand. Glaube ist unentbehrlich; aber nicht der Glaube an sich selbst, sondern der Glaube an Gott. Solche Abweichung vom rechten Wege rührt meist von der Außerachtlassung des Gesetzes der Liebe, der Goldenen Regel, her. Das Gegenteil der Liebe zu Gott, zu seinem Heilsplane, zu den Brüdern der Neuen Schöpfung, das Gegenteil des Erbarmens mit der Welt ist Selbstliebe, hohe Meinung von sich selbst, Selbstverherrlichung. Lasst uns aber vor diesem Seitenpfade uns in acht nehmen, der vom Herrn, seinem Geiste und seinem Königreiche hinwegführt. Führer und Geführte laufen diese Gefahr. Es gibt solche, denen jede Befähigung zum Belehren abgeht, die dabei gar „aufgeblasen werden in ihrer fleischlichen Gesinnung“, hochmütig bei aller Unkenntnis; solche sind „krank an Streitfragen und Wortgezanken, aus welchen entsteht: Neid, Hader, Lästerungen, böse Verdächtigungen … von solchen ziehe dich zurück. Die Gottseligkeit aber mit Genügsamkeit ist ein großer Gewinn.“ – 1. Tim. 6:4-6; 1. Joh. 3:9, 10
Die Versammlung soll gelegentlich richten und urteilen
Wenn wir auch als Einzelwesen uns vor dem Richten oder Verurteilen hüten und warten sollen, bis der Augenblick des Herrn gekommen sein wird, um sein Urteil über ein jegliches Glied seines Leibes kund zu machen, so gibt es doch Fälle, in welchen die Versammlung als Körperschaft ein Urteil abzugeben verpflichtet ist. Der Apostel erwähnt in 1. Kor. 5:1 einen besonders schweren Fall, der von dem Schuldigen eingestanden und der ganzen Versammlung bekannt war, und macht der letzteren einen ernstlichen Vorwurf daraus, dass sie mit dem Schuldigen noch die Gemeinschaft aufrecht erhielt. In Ausübung seines Apostelamtes schloss er ihn von der Versammlung aus, überlieferte ihn, bildlich gesprochen, dem Satan zur Züchtigung, zum Verderben des Fleisches (zum Ausbrennen der fleischlichen Gesinnung), auf dass der Geist (die Neue Schöpfung) errettet werde am Tage des Herrn Jesu, am Tage der Abrechnung am Ende des Zeitalters. – 1. Kor. 5:5
Einzig der Herr oder einer der zwölf Apostel (deren letzterwählter Paulus, an Stelle von Judas Iskariot war), hatten das Recht, an dem Schuldigen so zu handeln, wie auch nur das Apostelamt Petrus das Recht gab, über Ananias und Sapphira das Urteil zu fällen. (Apg. 5:1-11) Der Apostel erläutert dann seinen Standpunkt eingehender, wenn er schreibt (1. Kor. 5:9): Ich habe euch in dem Briefe geschrieben, nicht mit Hurern Umgang zu haben; nicht durchaus mit (von) den Hurern dieser Welt (rede ich) oder den Habsüchtigen und Räubern und Götzendienern, sonst müsstet ihr ja aus der Welt hinausgehen, (sondern) wenn jemand, der Bruder genannt wird, ein Hurer ist, oder ein Habsüchtiger oder ein Götzendiener … mit einem solchen (ist, erachte ich) selbst nicht (an einem Tische) zu essen. Der Apostel wollte, dass die Korinther einen Unterschied zu machen vermöchten zwischen äußerlichen Beziehungen zu Ungeweihten und Anerkennung solcher als Mitglieder der Neuen Schöpfung. Die Herabsetzung der sittlichen Forderungen wäre dem Übertreter von keinem Nutzen; es würde ihm viel eher zurecht helfen, zu sehen, dass seine Unreinheit ihn vom Umgange mit des Herrn Volk ausschließt; und wenn er tatsächlich vom Geiste Gottes gezeugt ist, wird er um so schneller erkennen, wie es um ihn steht, sich die erhaltene Lehre zunutze machen und von seinem bösen Wege umkehren. Im Falle des als Beispiel angeführten Korinthers hatte sich die Versammlung einer sträflichen Nachsicht schuldig gemacht und dadurch eine sittliche Schädigung ihrer Glieder überhaupt riskiert, welche auf andere Versammlungen hätte ansteckend wirken können, die von den in Korinth herrschenden Anschauungen gehört hätten. Was außerhalb der Herauswahl geschehe, habe Paulus nicht zu richten, daselbst sei Gott Richter, aber eine jede Versammlung solle sich die ansehen, die sie als Brüder aufnehme. So sehr es Gottes Vorrecht sei, die Draußenstehenden zu richten, so sei es Pflicht der Versammlung, offenbar verdorbene Personen aus ihrer Mitte auszuschließen. – 1. Kor. 5
Diesen Gedanken, dass sich die Versammlung in ihrem Urteile über die Welt und in ihren Beziehungen zu den Brüdern ganz entschieden verhalten müsse, führt der Apostel im 6. Kap. des 1. Korintherbriefes weiter. Dort tadelt er es, dass die Neigung bestehe, Zwistigkeiten zwischen Brüdern vor die weltlichen Gerichte zu ziehen, anstatt das Unrecht, wenn erträglich, geduldig zu ertragen, wenn nicht erträglich, der Versammlung vorzulegen. Der Apostel ist der Ansicht, dass, wenn Gott die Herauswahl dazu bestimmt habe, die Richter der Welt zu werden, ihre Angehörigen jetzt schon ebenso gerecht und ebenso fähig sein sollten, Recht zu finden, wie die weltlichen Gerichte. In diesem Stücke sollte man auch dem Allergeringsten in der Versammlung trauen dürfen. Ist denn in der Versammlung in Korinth wirklich keiner, auf dessen Einsicht und Reinheit alle trauen und dessen Entscheidung streitende Parteien anrufen könnten? „Warum lasset ihr euch nicht viel lieber Unrecht tun?“ Warum ertragt ihr es nicht lieber geduldig, wenn ihr glaubt, dass euch Unrecht widerfahren ist? Warum tröstet ihr euch nicht lieber über erlittenen Schaden, anstatt den Streit weiterzuziehen und euch vor den weltlichen Gerichten gegenseitig zu verklagen? Ja, ich gewahre, dass ihr euch nicht nur sträubt, um des Friedens in der Versammlung willen Unrecht zu erdulden, sondern dass sogar einige unter euch sind, die selbst Unrecht tun und übervorteilen, und das Brüder! Sucht ihr denn nicht als des Herrn Herauswahl zum Eingange in das Königreich hinzugelangen oder vergesset ihr, dass Ungerechte das Königreich nicht ererben werden? Irret euch nicht! weder Hurer, noch Götzendiener, noch Ehebrecher, noch Weichlinge, noch Knabenschänder, noch Diebe, noch Habsüchtige, noch Trunkenbolde, noch Lästerer, noch Räuber, werden das Königreich Gottes ererben. „Und solches sind euer etliche gewesen; aber ihr seid abgewaschen, aber ihr seid geheiligt, aber ihr seid gerechtfertigt worden in dem Namen des Herrn Jesu und durch den Geist unseres Gottes.“ – 1. Kor. 6:1-11
Diese Aufzählung von Verfehlungen, welche vom Königreiche Gottes ausschließen, ist gegeben, damit die Versammlung wisse, wen sie in ihrer Mitte nicht dulden solle. Auf alle solche Fälle ist der Befehl anwendbar: „Tut den Bösen von euch selbst hinaus“, wer es auch sein mag, der sich solcher Dinge schuldig macht.
„Wenn dein Bruder an dir sündigt“
Steht nun dies aber nicht im Widerspruch mit dem Gebote des Herrn: „Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet?“ Müssen wir nicht zuerst den Übeltäter als solchen erkennen und richten, und alsdann seine Übeltaten verkündigen, Böses von ihm reden, damit die Versammlung als Ganzes den Übeltäter als solchen erkennen und aus ihrer Mitte hinwegtun könne?
Durchaus nicht! Gottes Anordnungen widersprechen sich nicht, sondern stehen vielmehr in schönster Übereinstimmung, sobald sie richtig verstanden werden. Wenn zwei etwas wider einander haben, und der erste hält sich für übervorteilt, so darf er den zweiten nicht richten im Sinne von verdammen, sondern zu sich selber sagen: „Ich glaube fest, recht zu haben, aber der andere kann auch fest glauben, dass er recht hat, und dass mir nicht Unrecht geschehen ist.“ Abbruch der Beziehungen wäre in diesem Falle einem Verdammen gleich zuachten. Der erste mag etwa zu sich selbst sagen: „Die Sache ist unter Brüdern belanglos; ich will sie fallen lassen und annehmen, der Bruder habe mir nicht absichtlich unrecht tun wollen, und vielleicht steht nicht er, sondern ich auf einem falschen Standpunkte.“
Kann er die Sache nicht so ansehen, so darf er aber darum noch nicht richten. Er muss zum anderen gehen und ihm erklären, wie ihm die Sache vorkommt, damit, wenn immer möglich, eine freundliche, brüderliche Übereinkunft zustande kommt, etwa durch gegenseitiges Nachgeben. Geht das nicht, so soll er zwei oder drei Brüder unter den verständigsten Gliedern der Versammlung, die sein und des anderen volles Vertrauen genießen und rechtfertigen, mit sich nehmen und ihnen die Angelegenheit in Gegenwart des anderen vorlegen, mit dem Vorsatze, ihren Rat anzunehmen. Dieses Verfahren sollte unter Brüdern, die alle den Geist der Liebe haben und gerecht miteinander zu handeln wünschen, zu einem befriedigenden Ergebnis führen, wie es sich unter Gliedern der gesalbten Körperschaft gehört. Kommt aber die gesuchte Verständigung auch jetzt noch nicht zustande, so soll noch kein Urteil gefällt werden; denn nicht zwei oder drei, sondern einzig die Versammlung soll „richten“.
Wenn nun die mitgebrachten Brüder dem anderen recht und dem, der sie gerufen hat, unrecht geben, so sollte es dabei sein Bewenden haben. Er kann unter solchen Umständen die Angelegenheit nicht vor die Versammlung ziehen; das wäre starrsinnig und eigenmächtig gehandelt. Hingegen sehen wir nicht, was ihn davon abhalten sollte (wenn er sich nicht dabei beruhigen kann), drei andere verständige und nicht voreingenommene Brüder zu seinem Gegner zu nehmen, um ihren Rat und ihre Meinung zu hören.
Geben aber die ersten Zeugen dem recht, der sie gerufen hat, und weigert sich der andere, das geschehende Unrecht gutzumachen und die Sache ins Reine zu bringen, dann mag der Geschädigte nach Ablauf einer billig bemessenen Wartezeit, in Übereinstimmung mit seinen Zeugen, die Einberufung einer Versammlung fordern. Vor derselben haben alsdann beide ihre Gesichtspunkte darzulegen; denn es muss auch jetzt noch vorausgesetzt werden, dass sich der Beleidigte zur Versammlung hält und bereit ist, ihren Rat oder ihre Entscheidung anzunehmen. Bei einer solchen Versammlung haben natürlich nur die Gerechtfertigten und Geweihten Zutritt und Stimme, die sich dessen voll bewusst sind, dass sie den Rechtsspruch ihres Herrn und Hauptes finden und fällen sollen. Eine solche Sitzung darf nicht der Ausgangspunkt von Parteiungen sein, sondern hat vielmehr den Zweck, die Einheit der Versammlung im Bande des Friedens zu erhalten. Die streitenden Parteien haben natürlich dabei nicht abzustimmen; ferner sollte sich der Stimmabgabe enthalten, wer einen anderen Wunsch in seinem Herzen fühlt, als den, des Herrn Urteilsspruch zu finden. Die Entscheidung sollte womöglich mit Einstimmigkeit erfolgen, wenn das auch eine Beschneidung der Wünsche auf der einen oder anderen Seite notwendig machen sollte. Lasst die Gerechtigkeit stets mit Barmherzigkeit vermischt sein, „indem du auf dich selbst siehst, dass nicht auch du versucht werdest.“ – Gal. 6:1
Die Entscheidung der Versammlung sollte von allen als endgültig angesehen werden, und wer sich derselben nicht fügen und unterwerfen kann (in Fragen des Wandels, nicht des Gewissens), mit dem mögen es die anderen wie mit einem Heiden oder Zöllner halten, bis er aufhört, der Versammlung zu trotzen. Wenn letzteres der Fall ist, dann soll ihm ohne weiteres vergeben und der Umgang mit ihm in früherer Weise wieder aufgenommen werden. Der Zweck des Ausschlusses ist nicht, den Schuldigen zu verstoßen; die Entziehung der Brudergunst soll seinem Unrecht, nicht ihm selbst, gelten und ihm zur Rückkehr behilflich sein. Es mit einem Bruder wie mit einem Heiden oder einem Zöllner zu halten, heißt nicht, ihn nach seinem Ausschlusse zu verleumden und schlecht zu machen. Kinder Gottes sollen unter keinen Umständen böse Nachreden üben; „redet Böses von niemandem“, hat auch hier seine Geltung. Wir sollen von Sündern und Zöllnern nichts Böses aussagen, sie nicht scheel ansehen, uns nicht weigern, mit ihnen geschäftliche Beziehungen zu haben; nur in das besondere Verhältnis, in welchem Brüder der Neuen Schöpfung, die den Heiligen Geist und dessen Liebe, Freude und Frieden besitzen, zueinander stehen, sollen wir sie nicht treten lassen.
Einen von der Versammlung schuldig Erklärten, der nicht sofort sein Unrecht zugegeben, sondern erst den Kopf aufgesetzt hat und erst nachher reuig geworden ist, sollte man nicht zum Ältesten wählen, es sei denn, er habe zuvor Anzeichen einer gründlichen Besserung gezeigt. Denn, dass er sich so hatte gehen lassen, lässt befürchten, dass er bei aller Gewissenhaftigkeit da, wo seine persönlichen Interessen in Frage ständen, keinen sicheren Blick für das Rechte hätte. Den Rat dreier Brüder missachtet und die Einberufung der Versammlung zur Entscheidung der Sache notwendig gemacht zu haben, ist keine Empfehlung, auch dann noch nicht, wenn er sich endlich gefügt und das Unrecht nach Kräften gut gemacht hat.
Vergib siebenzig mal sieben mal
Wenn aber der Beleidiger sein Unrecht schon beim ersten Besuche des Beleidigten oder doch beim zweiten (vor Zeugen) einsieht und gut zu machen sucht, dann sollte der Beleidigte vergeben, und zwar von Herzen, ohne ihm erst noch eine Strafe aufzuerlegen – eingedenk der Worte: „Mein ist die Rache, ich will vergelten, spricht der Herr.“ Aber wie oft sollen wir dem Reuigen vergeben? Ist es genug sieben mal? fragt Petrus. Der Herr antwortet auf diese Frage hier: „Siebzig mal sieben!“ (Matth. 18:22) Wir sollen die Fehler der anderen so oft vergeben, wie wir wollen, dass uns der Vater vergebe. Wenn wir eine Neigung fühlen, einen Bruder wegen seiner Schwachheiten zu verachten, lasst uns unserer eigenen Schwachheiten und daran gedenken, dass, wer nicht Barmherzigkeit übt, auch nicht Barmherzigkeit erlangen wird. – Jak. 2:13
Vergehungen gegen die Versammlung
Wir haben oben (und ausführlicher im 6. Kap.) davon gesprochen, wie es gehalten werden soll, wenn sich einer gegen den anderen verfehlt. In dem in 1. Kor. 5:1 erwähnten Falle liegt nun keine Beleidigung gegen einen Bruder, sondern ein Verstoß gegen das vor, was die ganze Versammlung hochhält. Was soll in solchen Fällen geschehen?
Ist der Verstoß nicht allgemein bekannt, so raten wir zum gleichen Verfahren wie bei persönlichen Beleidigungen. Ist der Verstoß aber allgemein bekannt, so sollten es die Ältesten für ihre Pflicht halten, den Schuldigen ohne vorausgegangene Besuche vor die Versammlung zu laden, weil die Sache schon öffentlich und mithin ein Verfahren nicht am Platze ist, welches verhüten soll, dass Ungünstiges bekannt werde. Gleicherweise sollte es im Falle von übler Nachrede wider Älteste gehalten werden, weil der Schuldige die beiden Gelegenheiten des Besuches beim Ältesten, erst allein, dann mit zwei oder drei Zeugen, verscherzt und die Sache selbst öffentlich gemacht hat, sodass ein vertrauliches Gutmachen nicht mehr möglich ist. Der angegriffene Älteste sollte in diesem Falle seine Mitältesten zusammenberufen, vor ihnen das ihm nachgesagte Böse in Abrede stellen und verlangen, dass sich der Schuldige vor der Versammlung wegen böser Nachrede und falschen Zeugnisses verantworte, weil er gegen die vom Haupte gegebenen Verhaltungsmaßregeln verstoßen und die Versammlung als Ganzes beleidigt habe, die den betreffenden Ältesten dieser seiner Stellung würdig erachtet hat. Der Verleumder sollte schuldig gesprochen, vor der Versammlung getadelt und aufgefordert werden, sein Unrecht anzuerkennen. Sobald aber dies geschehen ist, würde er ein Recht haben, gegen den Ältesten, den er im Irrtum glaubt, in der Weise vorzugehen, wie er es zuerst hätte tun sollen.
Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi
– 2. Korinther 5:10 –
Mit dem „Wir“ dieses Verses ist zweifellos die Herauswahl (Neue Schöpfung) gemeint. Dieses Offenbarwerden ist also nicht zu verwechseln mit dem in Matth. 25:31-46 vorausgesagten Versammeltwerden aller Nationen vor dem Sohne des Menschen, wenn er wiederkommen wird in seiner Herrlichkeit und inmitten seiner heiligen Engel. Wenn einmal der Sohn des Menschen auf dem Throne seiner Herrlichkeit sitzen wird, werden seine Getreuen (die Ekklesia, die Braut) mit ihm Anteil haben an seinem Throne und seiner Herrlichkeit und an dem tausendjährigen Gerichte der Nationen, auch derer, „die (noch) in den Gräbern sind.“
Von dem Gericht der Herauswahl handeln Matth. 25:14-30 und Luk. 19:12-26. Es findet am Ende des Zeitalters statt und ist das erste Werk des zurückgekehrten Königs. Er rechnet zuerst mit seinen Knechten ab, welchen er verschiedene Güter (Vermögen, Einfluss, geistige Gaben, gute Gelegenheiten zum Wirken) anvertraut, und die in der Verwertung derselben mehr oder weniger treu, ausdauernd und hingebend gewesen sind. Mit diesen muss abgerechnet werden, damit jeder den richtigen Lohn empfange, gesetzt werde über zwei oder fünf oder zehn Städte, – „eingehe zu seines Herrn Freude.“ Der Lohn wird nicht für alle gleich herrlich und gleich groß sein. Wie ein Stern sich von einem anderen Stern durch seine Herrlichkeit unterscheidet, so wird es auch der Fall sein bei denen, welche teilhaben werden an der ersten Auferstehung zu Herrlichkeit, Ehre und Unsterblichkeit. – 1. Kor. 15:41
Treue, Liebe und Eifer werden bei der Prüfung maßgebend sein. Wer Gaben hatte und sie in die Erde vergrub (zu zeitlichem Gewinn oder Vermögen, für Verwandte, oder aus Trägheit gar nicht anwandte), hat dadurch bewiesen, dass es ihm an der Liebe gebrach, dass er gebotene Gelegenheiten nicht zu verwenden wusste. Ein solcher ist der Königswürde nicht wert und wird nicht eingehen in seines Herrn Freude, noch mit dem Herrn die Welt regieren und segnen dürfen.