Die Organisation der Neuen Schöpfung

Die „lebendigen Steine“ für den geistigen Tempel. – Die angebliche und wirkliche Neue Schöpfung. – Das „Geheimnis Gottes“ und das „Geheimnis der Bosheit.“ – Die Organisation des Antichristen. – Die Schrift ist zuverlässig. – Freiheit der Welt und der Namenchristenheit. – Ordnung in die Verwirrung. – „Alles zu seiner Zeit.“ – Die Enden der Zeitalter. – Der vom Vater gepflanzte Weinstock. – Die „zwölf Apostel des Lammes.“ – Paulus, der Nachfolger Judas. – Die Beschränkung auf zwölf Apostel. – Der den Aposteln gegebene Auftrag. – Die Charakterstärke der Apostel. – Paulus den Elfen gleichgestellt. – Die Inspiration der Zwölf. – Die göttliche Überwaltung ihrer Schriften. – „Auf diesen Felsen will ich meine Versammlung bauen.“ – Übereinstimmung der Evangelien. – Die Schlüssel der Autorität. – Die Unfehlbarkeit der Apostel. – „Einer ist euer Meister.“ – Die wahre Kirche und die „Herde Gottes.“ – Apostel, Propheten, Evangelisten, Lehrer. – Die Vollständigkeit der vom Herrn der Herauswahl gegebenen Organisation. – Er ist selbst ihr Oberhaupt. – Das Aufhören der Gaben des Geistes, als sie nicht mehr notwendig waren. – Einheit des „einst den Heiligen überlieferten Glaubens.“ – Einheit der Macht des Antichristen. – Bischöfe, Älteste, Diakone (Diener). – Was bedeutet „Prophet“? – Die Notwendigkeit der Demut bei den Ältesten. – Andere Anforderungen an sie. – Die Diener. – Die Lehrer in der Herauswahl. – Viele sollen fähig sein zu lehren. – „Seid nicht viele Lehrer, meine Brüder.“ – „Ihr bedürfet nicht, dass euch jemand belehre.“ – Der Lernende und der Lehrer. – Die Frau in der Versammlung. – Ihr Mitwirken. – „Lass sie sich bedecken.“

Wie die Neue Schöpfung ihre Vollkommenheit oder Vollendung nicht vor der ersten Auferstehung erreichen wird, so wird auch ihre Organisation erst dann vollkommen sein. Das Tempelvorbild stellt dies dar, wie der Apostel erklärt (1. Petr. 2:5): Wir kommen zu Jesu, der, als des Vaters Stellvertreter, uns für unsere Plätze in dem herrlichen Tempel der Zukunft behaut, bemeißelt, zubereitet und poliert, wo selbst Gott und die Welt einander wieder werden begegnen können. Wie bei dem vorbildlichen Tempel, der von Salomo erbaut wurde, jeder Stein schon im Steinbruch am Hermon für seinen Platz im Tempelbau fertig zu behauen wurde, so wird auch im Gegenbild das Behauen allein im gegenwärtigen Leben besorgt. Wie im Vorbild jeder Stein an seinen Platz kam, ohne dass ein Hammerschlag ertönte, so werden sich im Gegenbild die lebendigen Steine, die sich jetzt freudig der Zubereitung durch den Herrn fügen, alle unter ihm als dem Eckstein in bester Ordnung zusammenfinden, wenn sie durch den Vorhang gegangen sind, ohne weiterer Zubereitung zu bedürfen.

Dennoch erkennt die Schrift eine Einheit, bestimmte Beziehungen dieser lebendigen Bausteine während der Periode ihrer Zubereitung, an. Ja, sie geht noch einen Schritt weiter und erkennt eine vorübergehende Organisation an, die jedem voraussichtlichen Glied des Königreiches die Möglichkeit verschafft, mit dem großen Lehrer und Baumeister an dessen Vorbereitungswerk Anteil zu haben, indem wir „einander auferbauen in unserem allerheiligsten Glauben“, einander in der Ausbildung des Charakters nach dem Vorbild unseres Herrn Jesu helfen.

Wenn wir an eine Untersuchung der göttlichen Anordnungen für die gegenwärtige Zeit herantreten, so dürfte es manchen verwundern zu entdecken, wie viel Freiheit der Herr jedem einzelnen Glied der Neuen Schöpfung gelassen hat; wenn wir uns aber daran erinnern, dass er freiwillige Anbeter, freiwillige Opferer sucht, die durch ihre Liebe zum Herrn und seiner Gerechtigkeit getrieben werden, ihr Leben in den Dienst der Brüder zu stellen, seine Mitarbeiter zu werden, dann wird klar, dass die Methode Gottes, die die größte Freiheit lässt, die beste ist, dass sie die Aufrichtigkeit unserer Liebe und Treue am sichersten prüft, den Charakter am völligsten entwickelt und unsere Bereitwilligkeit, gegenseitig Liebe zu üben und jeder dem anderen das zu tun, was er von ihm erfahren möchte, am sichersten erweist.

Solche Freiheit ist dem vom Herrn in dieser Zeit verfolgten Zweck, eine kleine Herde auszuwählen, ihren Charakter auszubilden, durchaus angepasst. Dagegen wäre die Methode total verkehrt und unzureichend, wenn sie, wie allgemein angenommen wird, die Bekehrung der Welt bezweckte. Gerade weil fast allgemein angenommen wird, Gott habe die Kirche mit der Eroberung der Welt und Unterwerfung aller Dinge unter sich in diesem Zeitalter beauftragt, haben sich viele sonst ganz vernünftige, urteilsfähige Leute über die Einfachheit der vom Herrn und den Aposteln geschaffenen kirchlichen Organisation gewundert. In der durchaus richtigen Erkenntnis, dass mit einer solchen Organisation die Welt nicht bekehrt werden könne, sind die Organisationen geschaffen worden, die in den verschiedenen Namenkirchen der Christenheit in Erscheinung treten. Die vollendetste und machtvollste unter diesen Organisationen ist die Papstkirche. Auch die bischöfliche Methodistenkirche ist eine meisterhafte Organisation und steht auf höherer Stufe; sie beherrscht eine andere Klasse von Menschen. Die Vervollkommnung ihrer Organisation hat diesen beiden Kirchen ihren großen Erfolg und ihre große Macht in der „christlichen Welt“ verschafft. Wir werden im Laufe unserer Untersuchung sehen, dass diese, wie alle menschlichen „Kirchen“, ganz anders organisiert sind als die vom Herrn eingesetzte Herauswahl. Ihre Wege sind so wenig seine Wege, wie ihre Absichten seine Absichten sind, denn soviel höher der Himmel ist als die Erde, soviel höher sind auch des Herrn Wege und Absichten als die der Menschen. (Jes. 55:8, 9) Binnen kurzem werden die Aufrichtigen unter ihnen erkennen, wie weit sie abgeirrt sind, als sie die Einfachheit Christi verließen und versuchten, in der Ausführung seines Werkes weiter zu sein als Gott. Das Ergebnis wird zeigen, dass der Mensch unweise und Gott weise war.

Die angebliche und die wirkliche Neue Schöpfung

Wie im Vorbild alle Nachkommen Jakobs Israeliten waren, aber wenige nur „wahre Israeliten“, so dürfen wir uns auch nicht verwundern, im Gegenbild neben der wahren eine angebliche Kirche oder Neue Schöpfung zu finden. Von dem Augenblick an, wo das „Christentum“ volkstümlich wurde, drang der Scheinweizen in das Weizenfeld und gab sich für Weizen aus. Wie schwer es auch für den Menschen, der die Herzen nicht kennt, sein mag, das Wahre vom Falschen, den Weizen vom Scheinweizen zu unterscheiden, so versichert uns doch der Herr, dass er die Herzen, dass er die Seinen kennt. Von uns erwartet er freilich, dass wir wahre Schafe von Wölfen in Schafskleidern, wahre fruchttragende Reben von Dornen und Disteln, die sich für Reben ausgeben mögen, unterscheiden können. Aber weiterzugehen als diese Unterscheidung des zutage tretenden Charakters gestattet der Herr den Seinen nicht; er ermahnt sie vielmehr: „Richtet nicht etwas vor der Zeit.“ Wir sollten nicht zu bestimmen versuchen, wie viel Zeit der oder jener, in dem wir eine wahre Rebe am wahren Weinstocke erkennen, bis zum Hervorbringen reifer Früchte brauchen werde. Wir müssen dies dem Vater, dem Weingärtner überlassen, der jede Rebe reinigt und schließlich die wegschneidet, die keine Frucht bringen. Lassen wir also den Herrn die Zurechtweisung aller wahrhaft geweihten Glieder der Herauswahl, und wenn nötig, den Ausschluss des einen oder anderen besorgen, indem wir erkennen, dass er es ist, der gepflanzt und bewässert und die Reben am wahren Weinstock zum Sprossen gebracht hat. Der Geist des Weinstockes muss in jeder Rebe erkennbar sein, und jede Rebe sollte in ihrem Wachstum gefördert und ermutigt werden. Dies geschieht, wenn Liebe die Beziehungen unter den einzelnen Reben regelt. Nur soweit ein Wort Gottes besteht, kein Strichlein weiter, hat eine Rebe das Recht, eine andere Rebe zu beurteilen, zu tadeln, zu reinigen oder irgendwie zu maßregeln. Der Geist der Liebe sollte uns vielmehr zu Erbarmen, Gütigkeit, Langmut und Geduld antreiben, und zwar bis an die Grenzlinien, die vom himmlischen Vater recht weit gezogen sind, damit eine jede Rebe Raum habe, sich recht zu entwickeln.

Je weiter sich nun menschliche Organisationen von diesem einfachen Merkmal entfernt haben, um so mehr sind sie auch von der wahren Kirche verschieden. Sie haben willkürliche Regeln aufgestellt, nach denen die Glieder oder Reben am Weinstock erkannt und als Glieder anerkannt werden sollen. Sie haben Steuern auferlegt und verschiedene Vorschriften erlassen, von denen die Schrift nichts weiß. Sie haben Glaubensbekenntnisse verfasst, wie sie in der Schrift nicht zu finden sind. Sie haben Strafen auf Abweichungen von diesen Bekenntnissen gesetzt, von denen die Schrift nichts sagt. Sie haben den Ausschluss von Mitgliedern in einer Weise geregelt, die zu dem, was der wahren Kirche, dem Leib Christi, dem wahren Weinstock, der Neuen Schöpfung, gestattet ist, im schärfsten Gegensatz steht.

Wir haben schon (Band 1, Kapitel 5) darauf hingewiesen, dass die Herauswahl Christi in der Schrift das „Geheimnis Gottes“ genannt wird, weil, im Gegensatz zu der allgemeinen Erwartung, die Herauswahl die messianische Körperschaft sein wird, die unter Jesu, ihrem Haupt, die Welt beherrschen und segnen soll. Dieses jetzt den Heiligen enthüllte Geheimnis ist in den vergangenen Zeitaltern und Welten verborgen gehalten worden (Eph. 3:3-6) und liegt, wenn es jetzt in kurzem vollendet sein wird, in der Vollendung der Neuen Schöpfung am Ende des Evangeliums-Zeitalters. Wir haben ferner darauf aufmerksam gemacht, dass die Schrift „Babylon“ als Täuschungssystem bezeichnet (Babylon – Mutter und Töchter, deren einige nicht ganz so verderbt sind wie das Muttersystem) und es das „Geheimnis der Bosheit“ nennt. Wir dürfen die Sache nicht so verstehen, dass die Gründer dieser Systeme bezweckten, das Volk Gottes zu verleiten, sondern müssen uns daran erinnern, dass die Schrift Satan selbst als den Betrüger der ganzen Welt bezeichnet, indem er gut als böse, böse als gut, Licht als Dunkel, Dunkel als Licht darstellte. Satan „wirkt jetzt in den Söhnen des Ungehorsams“ (Jes. 5:20; Eph. 2:2), wie er Jesu seine Mitwirkung anbot. Es ist seine Lust, in allen Nachfolgern Christi, die er davon abbringen kann, in den Fußstapfen des Meisters zu wandeln, zu wirken. Wie er unseren Herrn zu überzeugen suchte, es gebe bessere Wege – Wege, die weniger Selbstverleugnung erfordern als die des Vaters, um alle Geschlechter auf Erden zu segnen, so ging er auch das ganze Evangeliums-Zeitalter hindurch darauf aus, die Gottgeweihten zu überreden, es mit seinen Methoden zu versuchen, statt genau auf des Vaters Plan und Methoden zu achten. Er möchte die Kinder Gottes dazu verleiten, weiser von sich zu denken, damit sie meinen, dem Herrn auf anderen als den in der Schrift angegebenen Wegen besser dienen zu können. Er möchte sie mit Eifer für ihre menschlichen Systeme, die Werke, die sie tun, und die von ihnen ins Leben gerufenen Organisationen erfüllen und sie stolz darauf machen. Bei dem Meister hatte der Widersacher keinen Erfolg, stets erhielt er die Antwort: „Es steht geschrieben.“ Anders ist es bei seinen Nachfolgern. Viele, viele gehen achtlos an dem vorbei, was geschrieben steht, an des Meisters Vorbild und Wort, an den Worten und dem Beispiele der Apostel, willens, für Gott einen Plan durchzuführen, von dem sie hoffen und glauben, er werde Gottes Wohlgefallen finden und zu seinem Lob und Preis ausschlagen.

Wie erstaunt über ihren Irrtum werden sie sein, wenn sie einmal das Reich so aufgerichtet sehen, wie Gott es von Anfang an beabsichtigte, und wenn sie erkennen werden, dass er die ganze Zeit hindurch nach seiner Weise an der Durchführung seines Planes gearbeitet hat! Alsdann werden sie entdecken, wie viel besser es ist, auf das acht zu haben, was Gott uns lehren will, als zu versuchen, den Herrn zu belehren, es sei besser, sein Werk doch nach einer Methode zu betreiben, die er nicht anerkennt. Aber der Erfolg, den solche menschlichen Methoden wie das Papsttum, der Methodismus u.a. haben, hilft dazu, „kräftige Irrtümer“ aus ihnen zu machen.

Der Herr hat dem Wachstum des Scheinweizens auf dem Weizenfeld während des Evangeliums-Zeitalters keine Hindernisse in den Weg gelegt. Er hat vielmehr sein Volk angewiesen zu erwarten, dass beides zusammen bis zur „Ernte“ am Ende des Zeitalters wachsen werde, wo er selbst gegenwärtig sein und die Trennung überwachen werde, den Weizen in seine Scheune (die verherrlichte Stellung) sammeln, und den Scheinweizen in Bündel binden lassen werde für die Zeit der großen Drangsal am Ende des Zeitalters, die die Bündel ihrer Scheinweizennatur, oder Scheines, als seien sie Neue Schöpfungen, berauben wird, ohne darum die einzelnen Menschen, die sie bilden, auf ewig zu vernichten. Viele von der Scheinweizen-Klasse sind in der Tat ehrenwerte, brave, wie die Welt zu sagen pflegt, „gute Leute.“ Auch unter den Heiden gibt es gute Menschen, wenn sie vielleicht dort auch weniger häufig anzutreffen sind als unter den Namenchristen, die von ihrer Berührung mit wahren Christen und der teilweisen Erkenntnis der göttlichen Gesinnung darin einen großen Segen und Vorteil vor den Heiden voraus haben.

Das „Geheimnis der Bosheit“ („Babylon“, Verwirrung, Namenchristentum) reicht nach des Apostels Erklärung mit seinen Anfängen in die Zeit des Apostel Paulus zurück; aber offenbar wirkte es nur schwach, solange die Apostel lebten und die Gläubigen vor falschen Lehrern, die der Widersacher im Geheimen benutzte, mittels verwerflicher Irrlehren den Glauben zu untergraben und die Gläubigen von den Hoffnungen, den Verheißungen und der Einfalt des Evangeliums abzubringen, warnen konnten. (2. Petr. 2:1) Der Apostel Paulus nennt unter denen, die die Werke der Ungerechtigkeit begannen, Hymenäus, Philetus und andere, die von der Wahrheit abgeirrt seien und den Glauben einiger zerstört hätten. (2. Tim. 2:17, 18) Von diesen Irrlehrern und ihren Irrtümern redete Paulus ferner zu den Ältesten in Ephesus, besonders betonend, dass nach seinem Tode „grimmige Wölfe, die der Herde nicht schonen“, aufkommen werden. (Apg. 20:29) Dies letztere stimmt besonders gut mit den Voraussagen des Herrn im Gleichnis (Matth. 13:25,39) überein. Unser Herr gibt deutlich zu verstehen, dass Irrlehrer und Irrlehren Mittel in der Hand des Widersachers sind, der den Scheinweizen unter den vom Herrn und seinen Aposteln gesäten Weizen streut. Seine Worte sind: „Während aber die Menschen (die besonderen Diener, die Apostel) schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut.“

Sicherlich dauerte es nicht lange, nachdem die Apostel entschlafen waren, bis der Geist des Ehrgeizes unter der Leitung des Widersachers Schritt für Schritt zu der Organisation führte, die schließlich in einem großen antichristlichen System – im Papsttum – gipfelte. Es entstand, wie in Band 2, Kapitel 9, gezeigt worden ist, nicht plötzlich, sondern sehr allmählich, schon vom 4. Jahrhundert an. Es gewann solche Macht, dass alle Berichte aus jener Zeit bis zur Reformation niemand als Christ gelten ließen, der sich nicht zu ihm bekannte. „Kirchen“ konnten neben der „alleinseligmachenden“ gar nicht existieren, oder höchstens im Geheimen; und wenn es bekannt geworden wäre, hätte sie der Bann getroffen. Hat es je Berichte über solche gegeben, so sind sie offenbar vernichtet worden. Es ist aber viel wahrscheinlicher, dass es solche Berichte nicht gab; denn wie es heute noch ist, wird es wohl auch zu jener Zeit gewesen sein, dass die im Lichte der Wahrheit Wandelnden so wenig zahlreich und so unbedeutend hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Stellung waren, dass niemand sie der Erwähnung wert erachtete neben dem großmächtigen System, dem sie zu entrinnen suchten, und das so rasch dem Gipfelpunkt seiner weltlichen und geistlichen Macht zusteuerte.

Seit der Reformation hat der Widersacher wiederum seine Schlauheit dadurch erwiesen, dass er jeden neuen Anlauf, zur Wahrheit zu gelangen, so zu lenken wusste, dass ein neuer Antichrist daraus entstand. So haben wir heute neben der ursprünglichen „Mutter der Huren“ auch zahlreiche „Töchter“. (Band 3)

Angesichts dieser Tatsachen wollen wir nach Berichten über die wahre Kirche nirgends anders forschen, als im Neuen Testament, wo sie uns sichtlich sehr rein erhalten worden sind. Wir wollen hier einige Beweisführungen anbringen, aus denen nicht nur die wirkliche Reinheit der neutestamentlichen Berichte, sondern auch die Tatsache hervorgeht, dass die vielen Systeme, die sich als vom Herrn und den Aposteln gegründet ausgeben, gänzlich verschieden sind von der Kirche, die diese tatsächlich gegründet haben, und über die uns im Neuen Testament Berichte erhalten sind.

1. Wenn die erste Kirche nach Art der päpstlichen oder heutigen Systeme organisiert worden wäre, so müssten die Berichte darüber ganz anders lauten, als die uns erhaltenen. Sie würden erzählen, wie unser Herr im Ornate dagesessen hätte wie ein Papst und die Apostel im Ornate vor ihm erschienen wären, wie die Kardinäle vor dem Papst. Wir würden strenge Weisungen hinsichtlich der Feier des Freitags durch Enthaltung von Fleischspeisen finden. Es würde uns erzählt werden, wie der Herr die Apostel oder diese die Volksmenge mit Weihwasser besprengten, oder wie sie das Kreuz schlugen. Maria, die Mutter unseres Herrn, wäre sicherlich nicht vergessen worden. Ein Bericht über ihre unbefleckte Empfängnis müsste vorhanden sein; sie wäre als „Mutter Gottes“ bezeichnet worden, und Jesus hätte sie in eine hervorragende Stellung eingesetzt, die Apostel angewiesen, sich ihrer bei ihrem Verkehr mit ihm als Mittelsperson zu bedienen. Wir fänden Anweisungen über Zeit, Art und Weise des Gebrauchs heiliger Kerzen, über Anrufung der Heiligen, über Feier der Messe; über die Anerkennung des Apostels Petrus als Papst seitens der übrigen Apostel, über deren Verbeugungen vor ihm, über die Messen des Apostels Petrus zugunsten der anderen Apostel; wir fänden einen Hinweis auf die Fähigkeit des Apostel Petrus, Jesu Leib in der Form von Brot und Wein neu zu erschaffen und für die persönlichen Sünden neu zu opfern. Wir fänden einen Bericht über das Begräbnis Stephanus, aus dem sich entnehmen ließe, wie Petrus oder die anderen Apostel ein Grab für ihn weihten, damit er in geweihter Erde ruhen möchte, wie sie ihm eine heilige Kerze in die Hand legten und über ihm bestimmte Formeln beteten. Wir fänden weiterhin Vorschriften über die verschiedenen Klassen der Geistlichkeit, zu der die Laien nicht im Verhältnis der Brüderschaft, sondern der Unterwürfigkeit zu stehen hätten. Wir fänden für die verschiedenen Geistlichen Rangstufen angedeutet: Titel wie Ehrwürden, Hochwürden, Bischof, Erzbischof, Kardinal, Papst wären gegeben; es wäre gesagt, wie man von Stufe zu Stufe steigen könne, indem man Ehre voneinander nehme, und wer der Größte sein werde.

Dass hiervon auch nicht eine Spur in der Schrift vorhanden ist, beweist augenscheinlich, dass die Systeme, die die Kirche derart organisierten, keineswegs von den Aposteln oder unter deren Leitung geschaffen wurden, noch von dem Herrn, der die zwölf Apostel bestellt und ihr Tun gutgeheißen hatte. – Joh. 15:16; Apg. 1:2; Offb. 21:14

2. Das völlige Fehlen aller dieser Anweisungen in der Schrift beweist, dass sie nicht von diesen weisen Organisatoren verfasst oder aufgestellt worden sind, sonst hätten sie sicherlich alle die darin vermissten Weisungen hinein verflochten.

3. Nachdem wir dadurch Gewissheit erlangt haben, dass weder das „Mutter“ – System, noch die zahlreichen „Tochter“ -Systeme unserer Zeit vom Herrn und seinen Aposteln eingesetzt wurden, sondern aus der Verdrehung der einfachen Lehren der letzteren hervorgegangen und mithin nur menschlichen Ursprungs sind, Versuche von Menschen, weiser zu sein als Gott und besser zu verstehen als er, was zu tun sei – lasst uns um so festeres Vertrauen zum Worte Gottes fassen und um so genauer auch auf die kleinsten Winke acht geben, sowohl auf diesem als auch auf anderem Gebiet.

Sechstausend Jahre lang hat Gott die Menschheit auf eigene Rechnung versuchen lassen, die verschiedenen Lebensfragen zu beantworten oder zu lösen. Der natürliche Mensch wurde mit geistigen Eigenschaften erschaffen, die ihn dazu anspornen sollen, seinen Schöpfer zu ehren und anzubeten. Diese Eigenschaften sind durch den Fall nicht gänzlich verloren gegangen; „gänzliche Verdorbenheit“ ist sicherlich nicht der Fall des Geschlechtes überhaupt. Wie Gott den Menschen gestattete, ihre geistigen Fähigkeiten nach eigenem Gutdünken zu verwenden, so ließ er auch ihren sittlichen Eigenschaften oder Mängeln einfach freien Lauf. Außer dem natürlichen und dem geistlichen Israel und deren Einflusskreisen hat Gott die Welt sich selbst überlassen und sie ihr Möglichstes zur Selbstentwicklung tun lassen. Aber in seiner Unwissenheit und Blindheit fiel der Mensch in mancher Hinsicht den Täuschungen Satans und der gefallenen Engel zum Opfer, die die Massen durch manchen Aberglauben, durch falsche Religionen, Zauberkünste und dergl., weit von der Wahrheit ablenkten. Der Apostel erklärt dies und sagt, dies sei geschehen, weil, als sie Gott noch kannten, die Menschen ihm nicht die gebührende Ehre und den geziemenden Dank gaben; sie verfielen in ihren Überlegungen in Torheit und ihr unverständiges Herz wurde verfinstert, und Gott überließ sie sich selbst, damit sie die Folgen ihrer Erniedrigung zu kosten bekämen und daraus Belehrung schöpfen möchten, und damit ihrer Verkommenheit beweise, wie außerordentlich sündhaft die Sünde und wie unweise es sei, irgendeinem anderen Berater als dem Schöpfer Gehör zu schenken.

Wie wir schon gesehen haben, beabsichtigt der Herr gar nicht, die Menschen in diesem gefallenen und schwachen Zustand zu lassen; vielmehr wird zu der von ihm zuvor bestimmten Zeit die Erkenntnis des Herrn durch Vermittlung der Neuen Schöpfung jedes Glied der menschlichen Familie erreichen, so dass jedermann Gelegenheit haben wird, die Wahrheit kennen zu lernen und aller Segnungen teilhaftig zu werden, die durch das Lösegeld den Menschen gesichert sind.

Wie seinerzeit die Heidenvölker, so hat Gott auch die sogenannte Christenheit ihre eigenen Wege gehen lassen. Er gestattet solchen Menschen, die einen Teil des Lichtes göttlicher Offenbarung empfangen haben, von ihm nach Gutdünken Gebrauch zu machen; er lässt sie versuchen, am Plan Gottes herumzubessern, er lässt sie zu diesem Zweck Systeme (Kirchen und Sekten) gründen usw. Dies alles bedeutet aber keineswegs, dass er nicht die Macht hätte einzuschreiten, oder dass er gar die verschiedenen, untereinander sich widersprechenden, mehr oder weniger schädlichen Erfindungen und Einrichtungen der Menschheit und der Namenkirche gutheißen würde. Diese Versuche sind nur eine weitere Belehrung, die mit der Zeit die Menschen davon überzeugen werden, dass sie sich geirrt haben; sie werden alsdann die herrliche Hinausführung des Planes Gottes erkennen und sehen, wie Gott sich stets an seinen Plan hielt und ihn durchführte, dabei an den Methoden und Erfindungen der Menschen vorübergehend, ja, sie zuweilen als Mittel zur Durchführung seiner eigenen Zwecke anstatt der von den Menschen ins Auge gefassten benutzend. So handelte er z.B. am Ende des jüdischen Zeitalters, wo er seine Absichten durch seine Feinde, die Jesum kreuzigten und die Apostel verfolgten, ausführen ließ, und wie damals unter diesen seinen Feinden sich „wahre Israeliten“ befanden, die später mit Erkenntnis gesegnet, zum Licht geführt und der Leiden des Christus teilhaftig gemacht wurden, auf dass, wenn die Zeit gekommen ist, auch sie seine Herrlichkeit ererben möchten, so gibt es auch jetzt wahrscheinlich „wahre Israeliten“, die einst, wie Paulus, den Verwirrungen, in die der Widersacher sie hineinführte, entrinnen werden.

Noch eines: Der Herr hat eine bestimmte Zeit, seine Herrschaft anzutreten, eine bestimmte Zeit mithin, innerhalb der seine auserwählte Neue Schöpfung zur vollen Entwicklung gebracht und für ihre Aufgabe völlig ausgerüstet werden soll. Nun scheint es ein Teil seines Planes zu bilden, dass zu Beginn und am Ende dieser Vorbereitungszeit besonders helles Licht leuchten sollte. Das scheint der Apostel sagen zu wollen, wenn er in 1. Kor. 10:11 schreibt: „Alle diese Dinge … sind geschrieben worden zu unserer Ermahnung, auf welche die Enden der Zeitalter gekommen sind.“ Es geschah beim Ablauf des jüdischen und Beginn des Evangeliums-Zeitalters, dass der Weg, die Wahrheit und das Leben offenbar gemacht wurden; dann folgten dunkle Jahrhunderte; jetzt aber, am Ende des Evangeliums-Zeitalters und Beginn des Millenniums leuchtet das Licht wie nie zuvor auf „Neues und Altes.“ Wenn wir auch annehmen dürfen, dass am Anfang des Zeitalters der Herr die Seinen mit besonderem Licht segnete, und dass auch jetzt, am Ende des Zeitalters, solche das Licht gegenwärtiger Wahrheit empfangen werden, damit sie dadurch geheiligt werden, so glauben wir doch nicht, dass in den vergangenen Jahrhunderten, von denen einige das „finstere Mittelalter“ genannt werden, zur Heiligung so viel Licht nötig war wie jetzt. Und doch war der Herr nie ohne Zeugen, wenn auch kein Blatt der Geschichte von ihnen zu berichten weis. Dies hat seinen Grund wohl darin, dass jene Zeugen in den Augen der Welt keine hervorragenden Leute waren und zu den großen antichristlichen Systemen nicht in freundschaftlicher Beziehung standen, selbst dann nicht, wenn sie selbst dazu gehörten. Der jetzt geltende Ruf des Herrn zeigt deutlich, dass wir erwarten sollen, noch viele vom Volk des Herrn in Babylon, verwirrt durch dessen widersprechende Lehren, anzutreffen: „Gefallen, gefallen ist Babylon, die große … Gehet aus ihr hinaus, mein Volk, auf dass ihr nicht ihrer Sünden mitteilhaftig werdet, und auf dass ihr nicht empfanget von ihren Plagen.“ – Offb. 18:2, 4

Nach diesem flüchtigen Überblick über die Geschichte der Herauswahl lasst uns nun die Einrichtungen des Herrn in ihr genauer ins Auge fassen. Wie es nur einen Geist des Herrn gibt, den alle besitzen müssen, die des Herrn sein wollen, so gibt es auch nur ein Haupt, nur einen Mittelpunkt der Herauswahl, Jesum Christum. Dabei müssen wir uns doch daran erinnern, dass er bei allem, was er tat, dem Vater die Ehre gab, sein Werk als in des Vaters Namen und Auftrag getan bezeichnete. „Jede Pflanze, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, wird ausgerottet werden.“ (Matth. 15:13) „Die wahre Kirche“, die Neue Schöpfung, ist vom Vater gepflanzt. „Ich bin der wahre Weinstock … ihr seid die Reben … und mein Vater ist der Weingärtner.“ Im Gegensatz hierzu wird der „Weinstock der Erde“ (eine Namenkirche) erwähnt, der nicht vom Vater gepflanzt ist und daher ausgerottet werden wird. Die Frucht am wahren Weinstock ist Liebe, dem Vater angenehm; die Frucht des Weinstockes der Erde aber ist Selbstsucht in verschiedenen Erscheinungsformen und wird schließlich in der großen Drangsal, mit der das gegenwärtige Zeitalter schließen wird, gesammelt werden. – Joh. 15:1-6; Offb. 14:19

Jeder Bibelforscher hat sicher bemerkt, dass unser Herr und seine Apostel keine Trennung innerhalb der Herauswahl anerkannten, weder dem Namen nach noch tatsächlich. Für sie war die Herauswahl eins und unteilbar, wie es auch nur „einen Glauben, einen Herrn und eine Taufe“ gibt. Darum spricht die Schrift auch nur von der Versammlung Gottes, der Versammlung des lebendigen Gottes, der Versammlung der Herauswahl Christi, der Versammlung der Erstgeborenen, von „Brüdern“, „Jüngern“, „Christen.“ Mit allen diesen Bezeichnungen wird stets nur die wahre Kirche als Ganzes oder eine kleine Versammlung von zweien oder dreien oder einzelne in Jerusalem, in Antiochien oder sonst wo bezeichnet. Dass die Bezeichnungen wechseln, beweist, dass keine von ihnen als Eigenname gelten sollte, sie zeugen alle von der großen Tatsache, auf die unser Herr und seine Apostel immer hinwiesen, dass die Versammlung (Gesamtheit) der Nachfolger des Herrn seine Herauswahl ist, erwählt, jetzt an seinem Kreuz teilzuhaben, zu lernen, was notwendig ist, um mit der Zeit Teilhaber seiner Herrlichkeit zu werden.

So hätte es nun stets gehalten werden sollen. Doch in den Jahrhunderten, da Dunkel die Völker bedeckte, wurde es anders. Der Irrtum gewann die Oberhand und mit ihm hielt der Sektengeist seinen Einzug, und infolgedessen kamen die verschiedenen Namen auf, wie: Römische Kirche, Baptistenkirche, Lutherische Kirche, Englische Hochkirche, Katholische Kirche usw. Dies war, nach des Apostels Zeugnis (1. Kor. 3:3, 4), ein Zeichen der fleischlichen Gesinnung dieser Christen, und in dem Maße, wie die Neue Schöpfung aus der Finsternis, die so lange das Erdreich bedeckt hat, herauskommt, geht ihr auch in diesem speziellen Punkt ein Licht auf, so dass sie den Irrtum und bösen Schein erkennt und nicht nur das Sektenwesen vermeidet, sondern sich auch weigert, mit einem solchen Sektennamen bezeichnet zu werden, dabei aber fest zur Bibel steht.

Wir treten nun an die Einzelbetrachtungen der vom Herrn gelegten Grundlagen der einen und unteilbaren Kirche heran.

Die zwölf Apostel des Lammes

Der Apostel erklärt, dass kein Mensch einen anderen Grund legen kann als der gelegt ist: Jesus Christus. (1. Kor. 3:11) Auf diesen Grund begann unser Herr, als des Vaters Stellvertreter, die Kirche zu bauen. Er begann mit der Berufung von zwölf Aposteln. Diese Zahl ist ebenso wenig zufällig wie die Zwölfzahl der Stämme Israels; beides geschah nach der Anordnung des göttlichen Planes. Der Herr beschränkte sich nicht darauf, zwölf und nicht mehr Apostel zu erwählen, sondern er erteilte auch niemandem den Auftrag, weitere zu erwählen. Ein Beweis dafür ist, dass, nachdem Judas Iskarioth sich der Apostelwürde unwert gezeigt hatte, er vom Herrn selbst durch Paulus ersetzt wurde.

Wir bemerken, mit wie großer Sorgfalt der Herr über die Apostel wachte. Er betete für Petrus in der Stunde seiner Versuchung; er legte ihm danach dringend seine Schafe und Lämmlein ans Herz, er willfahrte Thomas, damit dieser doch ja von seiner Auferstehung sich überzeugen möchte. Von den Zwölfen verlor er keinen außer dem Sohn des Verderbens; dass einer der Zwölfe abfallen würde, war dem Herrn aus der Weissagung bekannt. Wir können die in der Apostelgeschichte erzählte Erwählung des Matthias durch die Jünger nicht als des Herrn Wahl anerkennen. Er war sicherlich ein frommer Mann; aber zu seiner Wahl hatten die Elfe keinen Auftrag. Sie hatten den Befehl empfangen, in Jerusalem zu bleiben und auf die Kraft von oben zu warten, die ihnen die Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingsten bringen sollte. In diese Zeit des Wartens, vor ihrer Ausrüstung mit der Kraft von oben, fällt ihre Erwählung des Matthias durch das Los; sie war sicher eine Verirrung. Der Herr strafte sie nicht für ihre unberufene Einmischung in seine Angelegenheiten, sondern er beschränkte sich darauf, ihre Wahl als nicht geschehen zu betrachten und berief dann, als die Zeit erfüllt war, den Apostel Paulus zu seinem „auserwählten Rüstzeug.“ Der Apostel selbst erklärt, er sei von seiner Mutter Leibe an zu einem besonderen Diener abgesondert worden, und er stehe in nichts den ausgezeichneten Aposteln nach. – Gal. 1:15; 2. Kor. 11:5

Aus dem eben Gesagten wird klar, dass wir im schärfsten Gegensatz stehen zu den Ansichten der Papstkirche, der protestantisch-bischöflichen Kirche, der neu-apostolischen Kirche und der Mormonen, die alle behaupten, die Zahl der Apostel sei nicht auf zwölf beschränkt, und die Apostel hätten seither bis in die jetzige Zeit Nachfolger gehabt, die mit gleicher Autorität wie die zwölf geredet und geschrieben hätten. Wir stellen dies in Abrede und führen zum Beweis an, dass der Herr gerade die Zwölf auserwählte, und erinnern daran, dass die Zwölfzahl in heiligen Dingen öfter vorkommt, besonders bei der Herauswahl; am meisten hervortretend ist dies in der in Offenbarung 21 gebotenen bildlichen Beschreibung der verherrlichten Kirche. Dort wird das neue Jerusalem – das Bild für die Regierung des Tausendjahrreiches, bestehend aus Christo und seiner Braut – ausführlich beschrieben und besonders hervorgehoben, dass die zwölf Grundlagen der Mauer kostbar seien, und dass auf ihnen die Namen der „zwölf Apostel des Lammes“ geschrieben sind – nicht mehr und nicht weniger. Bedürfen wir sonach noch weiterer Beweise dafür, dass es nicht mehr als zwölf Apostel gegeben hat, und dass alle, die sich als solche ausgaben, „falsche Apostel“ waren, vor denen Paulus warnte? – 2. Kor. 11:13

Auch wüssten wir nicht, wozu wir weitere Apostel bedürften. Die Zwölf sind in ihren schriftlichen Zeugnissen und der Frucht ihrer Bemühungen heute noch bei uns. In dieser Beziehung haben wir sogar einen Vorzug vor ihren Zeitgenossen. Die Schrift erzählt uns von ihren Diensten, gibt uns ihre Berichte über des Herrn Worte, Wunderwerke usw. Ihre Auseinandersetzungen über die verschiedenen Punkte christlicher Lehre sind uns in ihren Briefen in denkbar befriedigendster Gestalt erhalten. Diese Dinge sind „hinreichend“, wie der Apostel erklärt, dass der Mensch Gottes vollkommen sei. (2. Tim. 3:17) In Apg. 20:27 erklärt er: „Ich habe nicht zurückgehalten, euch den ganzen Ratschluss Gottes zu verkündigen.“ – Was braucht es mehr?

Unmittelbar nach seinem vierzigtägigen Aufenthalt in der Wüste und seiner Versuchung durch den Widersacher ging unser Herr, seiner Methode nun sicher, daran, die Verkündigung vom kommenden Reich zu verbreiten und Jünger zu berufen. Aus der Zahl dieser Jünger erwählte er dann später die zwölf Apostel. (Luk. 6:13-16) Sie stammten alle, wie wir sagen würden, aus den unteren Schichten der Gesellschaft, von denen, natürlich nicht im Sinne eines Tadels, in Apg. 4:13 bemerkt ist, dass sie „ungelehrte Leute“ waren. Einige von ihnen waren Fischer. Die Zwölf hatten sich nur durch öffentliches Zeugnis zum Herrn und seiner Sache bekannt, zunächst, wie alle Jünger, ohne ihre Beschäftigung zu verlassen. Als sie aber aufgefordert wurden, Teilhaber am Dienst des Evangeliums zu werden, verließen sie alles, um ihm zu folgen. (Matth. 4:17-22; Mark. 1:16-20; 3:13-19; Luk. 5:9-11) Die später einmal als Prediger ausgesandten Siebzig wurden nie als Apostel anerkannt. Lukas gibt uns einen besonderen Bericht über die Auswahl der zwölf Apostel, indem er uns unterrichtet, dass diese getroffen wurde, nachdem sich der Herr zuvor auf einen Berg zurückgezogen hatte, um zu beten, sicherlich um die Hilfe des Vaters zu erflehen. Er brachte die ganze Nacht im Gebet zu, und am Morgen versammelte er seine Jünger (das hier gebrauchte griechische Wort „Mathetes“ bedeutet: „Schüler“) um sich, und aus ihnen erwählte er nun die zwölf Apostel (d.h. Gesandte). Auf diese Weise zeichnete er die Zwölf vor seinen übrigen Jüngern aus. – Luk. 6:12, 13, 17

Die anderen, nicht zu Aposteln berufenen Jünger liebte der Herr auch, und ohne Zweifel billigten sie voll und ganz die vom Herrn getroffene Wahl der Zwölfe, weil sie erkannten, dass sie im Interesse ihrer Sache lag. Der Bericht sagt nicht, worauf der Herr seine Wahl gründete, aber in seinem hohepriesterlichen Gebet sagt er: „Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben“, und wiederum: „Keiner von ihnen ist verloren, als nur der Sohn des Verderbens“. (Judas). In welchem Sinne und bis zu welchem Grade der Vater die Wahl der Zwölf getroffen hatte, ist für uns ohne Bedeutung. Jedenfalls war eine ihrer Eigenschaften Demut, und ohne Zweifel hatte Gott ihre bescheidenen Lebensstellungen und ihre früheren Erfahrungen benutzt, dass sie nicht nur demütig, sondern auch festen Charakters, entschlossen und beharrlich wurden in einem Maße, wie es andere, leichtere Lebensstellungen nicht in gleicher Weise bewirkt hätten. Wir erfahren, dass die Erwählung der Zwölf damals, statt erst zu Pfingsten (dem Tag der Zeugung der Kirche), stattfand, damit sie Augen- und Ohrenzeugen der Taten und Reden des Herrn und so in die Lage versetzt würden, zur gegebenen Zeit, uns mit allen Kindern Gottes aus erster Hand die Wunderwerke Gottes und die wunderbaren Worte des durch Jesum geoffenbarten Lebens zu bezeugen. – Luk. 24:44-48; Apg. 10:39-42

Der den Aposteln gegebene Auftrag

Nirgends findet sich auch nur die leiseste Andeutung dafür, dass die Apostel Herrscher über das Erbe des Herrn werden sollten, dass sie berechtigt gewesen wären, sich als etwas Besseres als die übrigen Gläubigen zu betrachten, als befreit vom Gesetz Gottes, als besonders begünstigt oder sicher, ihr ewiges Erbe anzutreten. Sie sollten sich im Gegenteil jederzeit daran erinnern, dass sie alle Brüder und einer ihr Meister sei, nämlich Christus. Sie sollten stets dessen eingedenk sein, dass sie ihre Berufung und Erwählung fest machen müssen, dass sie, wenn sie nicht dem Gebot der Liebe gehorsam und demütig wie Kinder seien, nicht „in das Reich eingehen“ könnten. Sie erhielten keinen besonderen Titel, sie wurden nicht angewiesen, sich in besonderer Weise zu kleiden, besonders zu benehmen, sondern nur, in allen Stücken der Herde mit gutem Beispiel voranzugehen, damit andere ihre guten Werke sehen und den Vater im Himmel preisen möchten; damit andere, die in ihre Fußstapfen treten würden, auch in des Führers Fußstapfen wandeln und schließlich mit ihnen Herrlichkeit, Ehre und Unsterblichkeit ererben möchten, ihren Anteil an der göttlichen Natur, ihre Gliedschaft in der Neuen Schöpfung.

Der den Apostel gegebene Auftrag war zu dienen – sie sollten einander und dem Herrn dienen und ihr Leben im Dienst der Brüder niederlegen, besonders in Verbindung mit der Verkündigung des Evangeliums. Sie waren Teilhaber jener Salbung, die schon über ihren Meister gekommen war, die über alle Neuen Schöpfungen, alle königlichen Priester, kommt und vom Propheten wie folgt dargestellt ist: „Der Geist des Herrn, Jehovas, ist auf mir, weil Jehova mich gesalbt hat, um den Sanftmütigen frohe Botschaft zu bringen … Freiheit auszurufen den Gefangenen.“ – Jes. 61:1, 2; Luk. 4:17-21; Matth. 10:5-8; Mark. 3:14, 15; Luk. 10:1-7

Obwohl diese Salbung erst zu Pfingsten über sie kam, so hatten sie doch vorher schon einen Vorgeschmack davon, indem der Herr einen Teil seiner vom Heiligen Geist stammenden Macht auf sie übertrug, als er sie zum Predigen aussandte. Aber selbst in diesem Stück nahm ihnen der Herr irgendwelche Ursache für Selbstgefälligkeit und Hochmut, indem er später einmal siebenzig aussandte und ihnen denselben Auftrag, die gleiche Macht, in seinem Namen Wunder zu tun, verlieh. Das den Aposteln ausschließlich vorbehaltene Werk begann also erst zu Pfingsten, als sie mit dem Heiligen Geist ausgerüstet wurden. Damals kam eine besondere Kundgebung der göttlichen Macht über sie, nicht nur der Heilige Geist und dessen Gaben, sondern auch die Macht, diese Gaben an andere weiterzugeben. Von jetzt an waren sie durch diese Macht vor allen anderen Erwählten ausgezeichnet. Andere Glaubende wurden wohl als Glieder des gesalbten Leibes Christi gerechnet, wurden Teilhaber seines Geistes und von jenem Geist zur Neuheit des Lebens gezeugt, aber keiner empfing eine der besonderen Gaben des Geistes, es sei denn durch die Apostel. Aber diese Wundergaben, dieses Reden und Auslegen fremder Sprachen, nahm nicht etwa, das mögen wir nicht vergessen, die Stelle der Früchte des Geistes ein. Jene müssen bei jedem Gläubigen durch Gehorsam den göttlichen Anweisungen gegenüber zur Entwicklung und Reife gebracht werden, je nachdem jemand in Gnade, Erkenntnis und Liebe wächst. Die Fähigkeit, diese Gaben, die jemand empfangen und dabei doch ein tönendes Erz bleiben konnte, zu übertragen, zeichnete dennoch die Apostel als besondere Diener und Vertreter des Herrn aus, die den Auftrag hatten, die Kirche zu gründen. – 1. Kor. 12:7-10; 13:1-3

Durch die Erwählung und Belehrung der Apostel beabsichtigte der Herr die Segnung und Belehrung aller seiner Nachfolger bis an das Ende des Zeitalters. Das geht klar aus seinem Gebet am Ende seiner Dienstzeit hervor, wo er zu den Aposteln redend sagte: „Ich habe deinen Namen geoffenbart den Menschen, die du mir aus der Welt gegeben hast (d.h. den Aposteln). Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. Jetzt haben sie erkannt, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir ist; denn die Worte (Lehren), die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen … Ich bitte für sie; nicht bitte ich für die Welt, sondern für die, welche du mir gegeben hast, denn sie sind dein … Aber nicht für diese allein bitte ich, sondern auch für die, welche durch ihr Wort an mich glauben (die ganze Herauswahl); auf dass sie alle eins seien (in Absicht, in Liebe), gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir, auf dass auch sie in uns eins seien.“ – Und nun mit Bezug auf den Zweck der Erwählung der Zwölf und der ganzen Neuen Schöpfung sagt er weiter: „Auf dass die Welt glaube (die von Gott schon in ihrer Sünde geliebt und durch Jesu teures Blut erkauft wurde), dass du mich gesandt hast“ – nämlich sie zu erkaufen und wiederherzustellen. – Joh. 17:6-9, 20, 21

Die Apostel hatten, wenn sie auch ungelehrte Leute waren, doch einen starken Charakter, und durch des Herrn Schulung wurde ihnen reichlicher Ersatz dafür, was ihnen an Weisheit und Bildung dieser Welt abging, indem sie dafür „den Geist des gesunden Sinnes“ empfingen. Darum ist auch nichts Auffallendes dabei, dass diese Männer der ersten Kirche als unbestrittene Leiter auf dem Wege des Herrn erschienen, als besonders bestellte Lehrer, als „Pfeiler der Kirche“, an Autorität dem Herrn zunächst stehend. Der Herr bereitete sie in mannigfacher Hinsicht auf diese Stellung vor. Sie waren stets um ihn und konnten somit Zeugen aller Einzelheiten seines Dienstes auf Erden sein, Zeugen seiner Lehren, seiner Wunder, seiner Gebete, seines Mitleids, seiner Heiligkeit, seiner Selbsthingabe bis in den Tod, und schließlich seiner Auferstehung. Nicht nur die erste Kirche bedurfte aller dieser Zeugnisse, sondern alle, die der Herr seitdem zur Neuen Schöpfung berufen hat, die die Berufung angenommen, die ihre Zuflucht zu der herrlichen Hoffnung genommen haben, die in seinem Charakter, seinem Opfertod, seiner Erhöhung, im Plan Gottes, den er hinausführen soll, verankert ist. Alle, die ihre Zuversicht auf diese Dinge setzten, bedurften solch persönlicher Zeugnisse, damit ihr Glaube und ihr Trost stark werde.

Das Werk der siebzig Jünger, die der Herr einmal aussandte, um seine Gegenwart und die Ernte des jüdischen Zeitalters zu verkündigen, war in mancher Hinsicht von dem Werk der Zwölf verschieden. In jeder Weise sonderte der Herr seine Apostel so aus, dass wir mit der ganzen Herauswahl ihnen vollstes Vertrauen entgegenbringen können. Sie allein waren bei ihm am letzten Passahmahl bei der Einsetzung des neuen Gedächtnismahles; sie allein waren Zeugen seiner Gefangennahme in Gethsemane; sie allein empfingen noch nach seiner Auferstehung manche eindrückliche Belehrung aus seinem Munde, ihrer allein bediente er sich als Mundstücke des Heiligen Geistes am Pfingsttag. Die Elf waren „Männer aus Galiläa“, wie denn auch einige ihrer Hörer bemerkten: „Sind diese nicht alle Galiläer?“ – Apg. 2:7; Luk. 24:48-51; Matth. 28:16-19

Wenn sich auch der Herr nach seiner Auferstehung einmal 500 Brüdern auf einmal offenbarte, so verkehrte der Auferstandene doch nur mit den Aposteln noch in besonderer Weise, und nur sie waren die bestellten Zeugen alles dessen, was er sowohl im Land der Juden als auch in Jerusalem getan hat; „den sie auch umgebracht haben, indem sie ihn an ein Holz hängten. Diesen hat Gott am dritten Tage auferweckt … und er hat uns befohlen, dem Volk zu predigen“ usw. – Apg 10:39-45; 13:31; 1. Kor. 15:3-8

Der Apostel Paulus war zwar nicht wie die Elf ein direkter Augen- und Ohrenzeuge, aber er wurde doch zu einem Zeugen der Auferstehung Jesu gemacht, indem ihm ein Blick in die jetzige Herrlichkeit des Herrn gegeben wurde, wie er selbst sagt (1. Kor. 15:8, 9): „Am letzten aber von allen, gleichsam der unzeitigen Geburt, erschien er auch mir.“ Der Apostel Paulus hatte keinen Anspruch darauf, die Herrlichkeit des Herrn früher zu schauen als die übrigen Auserwählten bei seiner zweiten Gegenwart, wo alle Getreuen verwandelt und ihm gleich gemacht sein und ihn sehen werden, wie er ist. Aber damit er ein Zeuge werden könne, wurde ihm dieser Blick und noch weitere Gesichte und Offenbarungen gewährt, mehr als allen anderen. Dies dürfte als reichlicher Ersatz gelten dafür, dass er vorher mit dem Meister keinen Umgang gehabt hat. Seine besonderen Erfahrungen kamen aber nicht ihm allein zugute, sondern vor allem der Herauswahl.

Sicher steht fest, dass die besonderen Erfahrungen, Traumbilder und Offenbarungen, die dem Apostel gewährt wurden, der den Platz Judas einnahm, viel hilfreicher als die der anderen Apostel gewesen sind.

Seine Erfahrungen gestatteten ihm, nicht nur die „Tiefen Gottes“ zu erkennen und zu würdigen – darunter sogar Dinge, die er nicht sagen durfte (2. Kor. 12:4), sondern das Licht, das sie dem Geist des Apostels verschafften, strahlte auch durch seine Schriften zurück auf die ganze Herauswahl von seinen Tagen bis auf unsere Zeit.

Dank der ihm zuteil gewordenen Gesichte und Offenbarungen vermochte Paulus die durch Bezahlung des Lösegeldes geschaffene Lage, das neue Zeitalter, die Länge, Breite, Höhe und Tiefe des Charakters und Planes Gottes in so vollem Maße zu erfassen und zu würdigen. Und weil er sie selbst so klar erkannte, konnte er diese Dinge in seinen Reden und Briefen auch so klar zur Darstellung bringen, dass der ganze Haushalt des Glaubens bis herab auf unsere Tage seinen Segen davon empfing. Tatsächlich würde es für die Herauswahl unserer Tage einen geringeren Schaden bedeuten, die Schriften und Zeugnisse aller anderen Apostel zu verlieren als die des Paulus. Dennoch sind wir froh, dass das ganze Zeugnis auf uns gekommen ist, froh, dass wir es in seinem ganzen Umfang würdigen und die edle Denkungsart aller Zwölf so hoch schätzen können.

Die Stellen, die die Apostelstellung des Paulus bezeugen, sind: Zuerst die Worte des Herrn: „Dieser ist mir ein auserwähltes Gefäß, meinen Namen zu tragen, sowohl vor Nationen als Könige und Söhne Israels.“ (Apg. 9:15) Dann Paulus eigene Aussagen: „Ich tue euch aber kund, Brüder, dass das Evangelium, welches von mir verkündigt wurde, nicht nach dem Menschen ist. Denn ich habe es weder von einem Menschen empfangen noch erlernt, sondern durch Offenbarung Jesu Christi.“ (Gal. 1:11, 12) „Der, welcher in Petrus für das Apostelamt der Beschneidung gewirkt hat, hat auch in mir in bezug auf die Nationen gewirkt.“ (Gal. 2:8) Nicht nur bezeugt sein Eifer für den Herrn und die Brüder, seine Bereitwilligkeit, sein Leben im Dienst der Brüder niederzulegen, um seine Zeit und Kraft zu ihrem Besten zu verwenden, dass er Anspruch hat, mit den übrigen Aposteln als gleichberechtigt zu gelten, sondern wenn jemand seine Apostelstellung innerhalb der Herauswahl in Zweifel zog, so wies er selbst mit großer Freimütigkeit auf die Beweise hin, die er selbst gegeben, sowie auf die Auszeichnungen, deren der Herr ihn für würdig gehalten hatte, damit beweisend, dass er den Aposteln in nichts nachstehe. – 1. Kor. 9:1; 2. Kor. 11:5, 23; 12:1-7, 12; Gal. 2:8; 3:5

Des Herrn Absicht war nicht, dass das Werk der Apostel auf die Juden beschränkt bleibe, er belehrte im Gegenteil die Elf, dass sein Werk und ihre Botschaft einmal für die ganze Menschheit gelten werde. In Jerusalem sollten sie nur auf ihre Ausrüstung mit Kraft von oben warten; dort sollten sie auch ihr Werk beginnen: „Ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist; und ihr werdet meine Zeugen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde.“ (Apg. 1:8) Dieses Zeugnisablegen dauerte nicht nur, solange die Apostel lebten, es dauert auch heute noch fort. Sie reden heute noch zu uns, sie belehren heute noch die Glaubenden; sie ermutigen, ermahnen und tadeln; ihr Abscheiden machte ihrem Dienst kein Ende. Noch reden sie, noch zeugen sie, noch sind sie die Mundstücke des Herrn für die Glaubenden.

Die Inspiration der Apostel

Es ist wichtig für uns, das Vertrauen zu haben, dass die Apostel wahrhaftige Zeugen, wahrheitsgetreue Geschichtsschreiber sind. Ihre Schriften tragen in der Tat den Stempel der Wahrhaftigkeit; denn sie suchten weder zeitlichen Gewinn, noch Ehre bei Menschen, sondern ließen in ihrem Eifer für den auferstandenen und herrlich gemachten Meister alle Rücksicht auf irdische Vorteile fahren. Wenn schon ihr Zeugnis nur deshalb ins Gewicht fiele, so wäre es ganz unschätzbar. Aber die Schrift selbst gibt den Aposteln noch das Zeugnis, dass der Herr sich ihrer als inspirierter Werkzeuge bediente; dass er sie besonders leitete und bei dem Zeugnis, das sie in der Herauswahl ablegen, bei den Lehren, die sie verbreiten, bei den Gebräuchen, die sie festsetzen würden, überwachte. Sie bezeugten nicht nur Dinge, die sie gehört und gesehen hatten, sondern auch solche, die sie durch den Heiligen Geist gelernt hatten. Darin erwiesen sie sich als treue Haushalter: „Dafür halte man uns: für Diener Christi und Verwalter der Geheimnisse Gottes.“ (1. Kor. 4:1) Denselben Gedanken hatte der Herr, als er den Zwölfen sagte: „Ich will euch zu Menschenfischern machen“, oder: „Weidet meine Schafe! Weidet meine Lämmlein!“ Der Apostel bezeugt ferner: „Das Geheimnis (die tiefen Wahrheiten des Evangeliums über die hohe Berufung der Neuen Schöpfung, des Christus), welches in anderen Geschlechtern den Söhnen der Menschen nicht kundgetan worden, ist jetzt geoffenbart worden seinen heiligen Aposteln und Propheten im Geiste, … und alle zu erleuchten, welches die Verwaltung des Geheimnisses (welches die Bedingung zum Teilhaben an der Neuen Schöpfung) sei, das von den Zeitaltern her verborgen war in Gott.“ (Eph. 3:3-11) Und hinsichtlich der Auferbauung der Herauswahl auf den Eckstein Jesum Christum sagt der Apostel: „Deshalb bin ich, Paulus, der Gefangene Christi Jesu für euch, die Nationen.“ – Eph. 2:20, 22; 3:1

Der „Tröster“ war den Aposteln verheißen; er sollte sie alles lehren, sie an alles erinnern, was der Herr zu ihnen gesagt hatte; er sollte ihnen auch das Kommende verkündigen. (Joh. 14:26; 16:13) Bis zu einem gewissen Grade gilt dies zweifellos für die ganze Herauswahl, insbesondere aber gilt es den Aposteln, und durch deren Vermittlung wirkt es auf die übrigen Auserwählten, indem sie aus den Worten der Apostel alte und neue Dinge lernen. Die Inspiration der Apostel dürfen wir daher als eine dreifache bezeichnen: 1. wurde ihre Erinnerung aufgefrischt, so dass sie des Herrn eigene Lehren aus dem Gedächtnis wiederzugeben vermochten; 2. wurden sie angeleitet, die Wahrheit über den göttlichen Plan der Zeitalter zu erkennen; 3. wurden ihnen besondere Offenbarungen über zukünftige Dinge zuteil, solche Dinge betreffend, von denen ihnen der Herr gesagt hatte (Joh. 16:12): „Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen.“

Nun dürfen wir nicht denken, dass die Auffrischung des Gedächtnisses der Apostel soweit ging, dass sie sich auf alle Redewendungen und Reihenfolge der Reden Jesu erstreckt hätte. Die Schriften der Apostel verraten kein solches Diktat durch den Heiligen Geist. Dennoch ist die Verheißung unseres Herrn eine Garantie dafür, dass die Schriften der Apostel die Dinge richtig wiedergeben. Jedes der vier Evangelien bietet eine Geschichte des Lebens und Dienstes Jesu; aber jedes Evangelium trägt den Stempel der Individualität seines Verfassers. Jedes erzählt in seinem eigenen Stil solche Einzelheiten, die dem Verfasser am wichtigsten schienen, und der Herr überwaltete diese Arbeiten so, dass ihre verschiedenen Berichte zusammengenommen eine so vollständige Geschichte ausmachen, wie sie für die Begründung des Glaubens der Herauswahl daran, dass Jesus der Messias ist, an die Erfüllung der messianischen Weissagungen, an die Tatsachen seines Lebens und seiner Lehre notwendig waren. Wäre die Inspiration der Apostel eine verbale gewesen, wären ihre Schriften Wort für Wort eingegeben worden, so wäre es nicht notwendig gewesen, dass mehrere Menschen dieselbe Geschichte erzählten. Bei aller Freiheit aber, die den verschiedenen Verfassern in der Wahl des Ausdrucks oder der Auswahl der Begebenheiten, die sie erzählen wollten, gelassen wurde, hat der Herr die ganze Angelegenheit so überwaltet, dass nichts Wichtiges unerwähnt blieb, dass alles Notwendige wahrheitsgemäß berichtet ist, „auf dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu jedem guten Werk völlig geschickt.“ (2. Tim. 3:17) Besonders ergänzt der Bericht des Johannes die Berichte der drei anderen, und er behandelt vorab wichtige Umstände und Vorfälle, die die anderen übergangen haben.

Des Herrn Vorsatz, die Apostel durch den Heiligen Geist und durch die Apostel die ganze Neue Schöpfung in alle Wahrheit zu leiten, setzt voraus, dass diese Anleitung einen allgemeinen Charakter hatte und nicht eine spezielle Anleitung jedes einzelnen sein sollte. Die Ereignisse haben dies auch bewiesen. Obwohl die Apostel, ausgenommen Paulus, ungebildete, ungelehrte Männer waren, so ist doch ihre Schriftauslegung sehr bemerkenswert. Sie waren imstande, die Weisheit der weisen Theologen ihrer Zeit und der späteren Jahrhunderte zunichte zu machen. Wie groß auch die Beredsamkeit des Irrtums sein mag, er vermag nichts gegen die Logik ihrer Folgerungen aus dem Gesetz, den Propheten und den Lehren des Herrn. Die jüdischen Schriftgelehrten merkten das und erkannten, dass die Apostel mit Jesu gewesen waren. – Apg. 4:5, 6, 13

Die Briefe der Apostel bestehen also aus logischen Beweisführungen mittelst der inspirierten Schriften des Alten Testamentes und der Worte des Herrn; und alle, die das Evangeliums-Zeitalter hindurch an demselben Geist teilhatten, indem sie den Erörterungen derer folgten, die der Herr als seine Mundstücke gebraucht hatte, kamen auf diesem Wege so sehr zu den gleichen wahrheitsgemäßen Schlüssen, dass unser Glaube nicht auf Menschenweisheit, sondern auf Gotteskraft beruht. (1. Kor. 2:4, 5) Trotzdem haben wir in den Briefen ebenso wenig wie in den Evangelien den Eindruck einer Verbal-Inspiration in dem Sinne, als wären die Verfasser nur die schreibende Hand Jehovas, wie es die Propheten des alten Bundes gewesen sind. (2. Petr. 1:21) Die klaren Begriffe der Apostel rührten vielmehr von einer allgemeinen und dauernden Erleuchtung ihre Geistes her, die sie befähigte, die Absichten Gottes deutlich zu sehen, richtig zu würdigen und daher auch klar in verständliche Worte zu fassen. Auf diese edle Weise vermochten seither alle vom Volke Gottes in der Gnade, Erkenntnis und Liebe zu wachsen und so allmählich mit allen Heiligen zu erfassen, „welches sei die Breite und Länge und Tiefe und Höhe, und die Liebe des Christus zu erkennen, die alle (menschliche) Erkenntnis übersteigt.“ – Eph. 3:18, 19

Dennoch halten wir uns für vollberechtigt zu der Annahme, dass alle Schriften der Apostel so vom Herrn überwacht wurden, dass unpassende Ausdrücke vermieden sind und die Wahrheit in solcher Form wiedergegeben ist, dass sie für den Haushalt des Glaubens seit ihrer Zeit bis auf den heutigen Tag „Speise zur rechten Zeit“ war. Diese göttliche Überwaltung ist in den Worten des Herrn angedeutet: „Was irgend ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein, und was irgend ihr auf der Erde lösen werdet, wird im Himmel gelöst sein.“ (Matth. 18:18) Wir verstehen das nicht so, dass der Herr auf seinen Vorrang verzichten und sich den Entscheidungen der Apostel unterwerfen wollte, sondern dass die Apostel durch den Heiligen Geist in der Weise bewahrt und geführt werden würden, dass ihre Entscheidungen in der Herauswahl richtig sein würden, sei es, dass sie etwas als Verpflichtung, sei es, dass sie etwas Anderes als dem freien Ermessen des einzelnen Gläubigen anheim gestellt fordern würden. Es war wichtig, dass die Herauswahl im allgemeinen wusste, dass die Dinge so geordnet seien, dass die Entscheidung der Apostel stets so fallen würde, als wäre sie vom Herrn selbst getroffen.

Auf diesen Felsen will ich meine Versammlung bauen

Damit stimmen voll und ganz die Worte des Herrn überein, die er, nachdem der Apostel Petrus seinen Glauben daran, dass Jesus der Messias sei, bezeugt hatte, sprach: „Glückselig bist du, Simon, Sohn Jonas, denn Fleisch und Blut haben es dir nicht geoffenbart, sondern mein Vater, der in dem Himmel ist. Aber auch ich sage dir, dass du bist Petrus (ein Stein, ein Fels); und auf diesen Felsen (petra – Felsmasse; diesen Grundstein der Wahrheit, den du eben geäußert) will ich meine Versammlung bauen.“ Der Herr selbst ist der Erbauer, wie er auch selbst als der Grundstein bezeichnet wird: „Einen anderen Grund kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ (1. Kor. 3:11) Er ist der große Felsen und seine Anerkennung als solcher durch Petrus ist ein felsenfestes, wahrhaftiges Zeugnis, eine Anerkennung der Grundlage des Planes Gottes. Der Apostel Petrus hat es selbst so verstanden; davon zeugen seine Worte. (1. Petr. 2:5, 6) Er erklärt, dass alle wahrhaft geweihten Gläubigen „lebendige Steine“ sind, die zu dem großen Grundfelsen des göttlichen Planes, Jesu Christo, hinzukommen, um auferbaut zu werden als ein heiliger Tempel Gottes durch die Verbindung mit ihm, dem Grundstein. Petrus also lehnte – wie es auch recht war – ab, selbst der Grundstein zu sein, und zählte sich zu den „lebendigen Steinen“ der Kirche, wiewohl ein „Fels“ größer ist als ein gewöhnlicher Baustein und alle Apostel als „Grundlagen“ (Offb. 21:14) im Plane Gottes von größerer Wichtigkeit sind als ihre Brüder.

Die Schlüssel der Autorität

In ähnlichem Zusammenhang sagt der Herr zu Petrus: „Ich werde dir die Schlüssel des Reiches der Himmel geben; und was irgend du auf der Erde binden wirst, wird in den Himmeln gebunden sein“ usw. Dieselbe Autorität also, die den Aposteln im allgemeinen verliehen wurde, wurde dem Apostel Petrus besonders angekündigt, und er wurde dadurch besonders geehrt, dass ihm die Schlüssel, d.h. das Recht zu öffnen, verliehen wurden. Wir erinnern uns daran, wie Petrus die Eingänge zum neuen Zeitalter öffnete, erst für die Juden zu Pfingsten, und dann für die Heiden im Haus des Kornelius. Vom Pfingsttag, da der Heilige Geist ausgegossen wurde, lesen wir: „Petrus stand auf mit den Elfen.“ Er ging also zuerst vor; er öffnete und die anderen folgten, und nun erging die hohe Berufung des Evangeliums-Zeitalters an die Juden. Im Fall des Kornelius sandte der Herr Boten zu Petrus und bereitete ihn durch ein Gesicht noch in besonderer Weise vor, so dass er der Einladung des Kornelius folgte und in dessen Haus die zweite Tür der Begnadigung und Befreiung, durch die von nun an die Nationen eingehen und ihren Lauf nach dem hohen herrlichen Ziel der Teilnahme an der Neuen Schöpfung beginnen konnten, aufschloss. Dies ist in voller Übereinstimmung mit den Absichten, die den Herrn bei der Auswahl der Zwölf geleitet hatten. Und je klarer des Herrn Volk erkennt, dass diese Zwölf die besonderen Kanäle zur Vermittlung der Wahrheit über die Neue Schöpfung sind, um so bereitwilliger wird es auch sein, ihre Worte anzunehmen, um so weniger wird es sein Ohr den Lehren solcher leihen, die sich mit den Lehren der Apostel in Widerspruch setzen. „Wenn sie nicht nach diesem Worte sprechen, so gibt es für sie keine Morgenröte.“ – Jes. 8:20

Der letzte Satz der hier besprochenen Verheißung unseres Herrn heißt: „Er (des Vaters Heiliger Geist) wird euch das Zukünftige verkündigen.“ Das setzt eine besondere Inspiration der Apostel voraus (und indirekt eine Segnung und Erleuchtung aller vom Volk des Herrn bis ans Ende des Zeitalters, sofern sie die Lehren der Apostel annehmen). Sie sollten also nicht nur heilige Apostel sein, sondern auch Propheten und Seher, die der Herauswahl zukünftige Dinge mitteilen. Es ist nicht notwendig anzunehmen, dass alle Apostel im gleichen Grade auf allen Teilen des ihnen zugewiesenen Wirkungsgebietes verwendet wurden. Die Schrift zeigt vielmehr, dass einige unter ihnen besonders ausgezeichnet wurden, sowohl in ihrer Eigenschaft als Apostel als auch in ihrer Eigenschaft als Seher. Der Apostel Paulus z.B. verkündete den großen Abfall, das Offenbarwerden des Menschen der Sünde, das Geheimnis über die zweite Gegenwart des Herrn, die Herrlichmachung der Heiligen der letzten Generation im Augenblick des Abbruches der irdischen Hütte, das in den vergangenen Zeiten und Zeitaltern verborgene Geheimnis von der Miterbschaft der Herauswahl, einschließlich derer aus den Nationen, an den dem Samen Abrahams geltenden Verheißungen, von der Segnung aller Geschlechter der Erde durch diesen Samen usw. Paulus verkündigte ferner, dass am Ende des Zeitalters schwierige Verhältnisse innerhalb der Herauswahl vorherrschen, dass die Menschen das Vergnügen mehr lieben würden als Gott, dass viele eine Form der Gottseligkeit haben, aber deren Kraft verleugnen werden, dass es in der Herauswahl solche geben werde, die ihren Bund (ihr Weihegelübde) brechen, dass verderbliche Wölfe („höhere Kritiker“) der Herde des Herrn nicht schonen werden. Alle Schriften des Paulus sind hell durchleuchtet von den ihm als Seher zukünftiger und zu seiner Zeit noch nicht fälliger Dinge (2. Kor. 12:4) zuteil gewordenen Gesichten und Offenbarungen. Einige dieser Dinge, von denen Paulus noch nicht reden durfte, sind jetzt den Heiligen durch die Vorbilder und Weissagungen des Alten Testamentes, die im Licht der Worte des Apostels verständlich wurden, offenbar geworden, weil die rechte Zeit hierfür gekommen ist.

Der Apostel Petrus seinerseits verkündigte das Auftreten von Irrlehrern in der Herauswahl, die im Geheimen, ohne dass es beachtet würde, schädliche Lehren einführen, ja, sogar die Lehre des Lösegeldes leugnen würden. Mit Bezug auf unsere heutige Zeit sagt er: „In den letzten Tagen werden Spötter mit Spötterei kommen … und sagen: Wo ist die Verheißung seiner (Christi) Gegenwart? (Parusia nicht Ankunft, sondern Gegenwart).“ Er weissagte ferner, dass der Tag des Herrn kommen werde wie ein Dieb in der Nacht usw.

Jakobus weissagte hinsichtlich des Endes des Zeitalters: „Wohlan nun, ihr Reichen, weinet und heulet über euer Elend, das über euch kommt! … ihr habt Schätze gesammelt in den letzten Tagen.“

Der vornehmste Seher und Prophet unter den Aposteln ist jedoch Johannes; seine uns in der Offenbarung erhaltenen Gesichte skizzieren in ganz hervorragender Weise die zukünftigen Dinge.

Die Unfehlbarkeit der Apostel

Aus dem Vorhergehenden glauben wir mit Recht schließen zu dürfen, dass die Apostel vom Herrn durch den Heiligen Geist so geführt wurden, dass alle ihre öffentlichen Äußerungen von Gott zur Ermahnung der Herauswahl eingegeben und nicht weniger maßgebend waren als die Äußerungen der Propheten des Alten Bundes. Aber während wir der Wahrhaftigkeit ihres Zeugnisses und dessen, dass alle ihre Äußerungen an die Kirche göttliche Billigung haben, gewiss sind, tun wir doch wohl, sorgfältig fünf verschiedene im Neuen Testament erwähnte Umstände zu beachten, die mit der Annahme, die Apostel hätten sich in ihren Lehren nicht geirrt, als im Widerspruch stehend betrachtet zu werden pflegen.

1. Die Verleugnung des Herrn durch Petrus. Es ist nicht zu bestreiten, dass Petrus sich da einen sehr schweren Fehltritt zuschulden kommen ließ, den er später aufrichtig bereute. Aber wir sollten nicht vergessen, dass dieser Fehltritt, zwar nach seiner Berufung zum Apostel, aber vor seiner Salbung mit dem Heiligen Geist, die erst zu Pfingsten erfolgte und seine völlige Ernennung als Apostel besiegelte, stattfand. Außerdem beschränken wir die Unfehlbarkeit der Apostel auf ihre „öffentlichen“ Lehren und Schriften; wir dachten dabei keineswegs an eine Unfehlbarkeit in allen Kleinigkeiten und sonstigen Vorfällen des Lebens. In dieser Hinsicht hatten sie ohne Frage teil am Fall Adams, wie alle anderen Menschen; ihre „irdenen Gefäße“ waren eben auch schadhaft. Des Apostels Worte: „Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen“ gelten sowohl ihm selbst und den anderen Aposteln als auch allen sonstigen Auserwählten, Gefäßen des Heiligen Geistes. Unser Anteil als Einzelwesen an dem großen Versöhnungswerk unseres Meisters deckt diese Schwächen des Fleisches zu, die den Wünschen der Neuen Schöpfung widerstreben.

Der Dienst der Apostel für den Herrn und seine Herauswahl stand mit den Schwachheiten des Fleisches in keinem Zusammenhang. Er wurde ihnen anvertraut, nicht weil sie vollkommene Menschen waren, sondern „obwohl sie Menschen von gleichen Empfindungen“ wie wir selbst waren. (Apg. 14:15) Ihr Dienst brachte ihnen nicht Wiederherstellung – Vollkommenheit im Fleisch – sondern nur eine neue Gesinnung und den Heiligen Geist, der sie leitete. Er machte ihre Gedanken und Handlungen nicht vollkommen, sondern überwaltete sie nur in der Weise, dass die „öffentlichen Lehren“ der Zwölf das Wort des Herrn – d.h. unfehlbar sind. Dieser Art ist auch die vom Papst beanspruchte Unfehlbarkeit, dass er nämlich, wenn er ex cathedra oder von Amtes wegen redet, derart von Gott geleitet werde, dass er nicht irren könne. Diese Unfehlbarkeit wird für die Päpste beansprucht, weil sie angeblich auch Apostel seien. Aber die diesen Anspruch erheben, übersehen, dass die Schrift bezeugt, es gebe nur „zwölf Apostel des Lammes“.

2. Von Petrus wird ein Fall erwähnt, wo er heuchelte, sich zweideutig benahm. (Gal. 2:11-14) Darauf wird wiederum verwiesen, um zu zeigen, dass die Apostel in ihrem Wandel nicht unfehlbar waren. Wir geben dies ohne weiteres zu, da die Apostel es übrigens selbst anerkannten (Apg. 14:15), und wir nur der Ansicht Ausdruck verliehen haben, dass nicht zugelassen worden sei, dass diese Schwachheiten des Fleisches ihr Werk oder ihre Brauchbarkeit als Apostel beeinträchtigten, die „die gute Botschaft verkündigten mit dem vom Himmel gesandten Heiligen Geist“ (1. Petr. 1:12; Gal. 1:11, 12), nicht mit Menschenweisheit, sondern mit Weisheit von oben. (1. Kor. 2:5-16) Aus dieser Verirrung brachte Gott Petrus rasch wieder durch den Apostel Paulus zurecht, der ihm freundlich, aber mit Festigkeit ins Angesicht widerstand, weil er zu tadeln war. Petrus nahm die Belehrung an und überwand rasch seine Schwachheit, seine Vorliebe für die Juden, völlig. Das ist aus seinen beiden Briefen klar ersichtlich, in denen sich keine Spur von Schwanken in diesem Punkt oder eines Mangels am Festhalten der Anerkennung des Herrn findet.

3. Es wird behauptet, die Apostel hätten des Herrn Wiederkunft sehr bald, ja, schon zu ihren Lebzeiten erwartet; hierin hätten sie sich eines Lehrfehlers schuldig gemacht, der das Vertrauen in ihre Lehre überhaupt erschüttern müsse. Darauf antworten wir, dass der Herr die Apostel hinsichtlich der Zeit seiner Wiederkunft und der Aufrichtung seines Reiches in Ungewissheit ließ, und ihnen wie allen anderen nur befahl zu wachen, damit, wenn der Augenblick gekommen sei, sie es erkennen und nicht wie die Welt im Dunkeln sein möchten. Als sie ihn nach seiner Auferstehung danach fragten, erhielten sie den Bescheid: „Es ist nicht eure Sache, Zeiten oder Zeitpunkte zu wissen, die der Vater in seine eigene Gewalt gesetzt hat.“ Können wir nun daraus den Aposteln einen Vorwurf machen, dass sie etwas nicht wussten, das Gott noch für einige Zeit als Geheimnis erklärte? Sicherlich nicht! Um so weniger, als wir bemerken, dass die Führung des Heiligen Geistes bei den Aposteln, wenn sie von den zukünftigen „Dingen“ redeten, besonders an der Wahl der Ausdrücke bemerkbar ist. Ihre Worte nötigen nicht zur Annahme, dass das Ereignis in ihren Tagen stattfinden müsse, um sich als Erfüllung ihrer Weissagung auszuweisen, sondern das Gegenteil.

Petrus sagt z.B. ausdrücklich, dass er seine Briefe zu dem Zweck geschrieben habe, damit sein Zeugnis auch nach seinem Tod der Herauswahl verbleibe. (2. Petr. 1:15) Dies beweist klar, dass er nicht bis zur Aufrichtung des Reiches zu leben erwartete. Paulus erklärt freilich, die Zeit sei nahe, aber er sagt nicht wie nahe. Von Gottes Standpunkt aus, da sieben Tausendjahrtage eine Woche ausmachen, deren siebter Tag das Königreich bringen würde, war zur Zeit der Abfassung der Briefe des Paulus mehr als zwei Drittel der Zeit des Wartens schon vorbei. Genauso sagen wir am Donnerstag, die Woche sei bald um. Paulus redet ferner von der Zeit seines Abscheidens, von seiner Bereitwilligkeit, sein Leben zu lassen, von seinem Wunsch, es möchte ein Ende nehmen. Er betont, dass der Tag des Herrn wie ein Dieb in der Nacht kommen werde. Einigen unrichtigen Auffassungen tritt er mit den Worten entgegen: „Lasset euch nicht schnell erschüttern in der Gesinnung, noch erschrecken, weder durch Geist, noch durch Wort, noch durch Brief als durch uns, als ob der Tag des Herrn da wäre. Lasst euch von niemandem auf irgendeine Weise verführen, denn dieser Tag kommt nicht, es sei denn, dass zuerst der Abfall komme und geoffenbart worden sei der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens … Erinnert ihr euch nicht, dass ich dies zu euch sagte, als ich noch bei euch war? Und jetzt wisset ihr, was zurückhält, dass er zu seiner Zeit geoffenbart werde.“ – 2. Thess. 2:2, 3, 5, 6

4. Es wird geltend gemacht, Paulus habe sich einer Abweichung von seiner Anschauung schuldig gemacht, als er den Timotheus veranlasste, sich beschneiden zu lassen (Apg. 16:3), da er doch selbst schreibe: „Ich, Paulus, sage euch, dass, wenn ihr beschnitten werdet, Christus euch nichts nützen wird.“ (Gal. 5:2) Ob er sich denn da nicht einer Irrlehre schuldig gemacht habe, der er selber zuwider gehandelt habe, fragt man uns? Keineswegs. Timotheus war als Sohn eines jüdischen Weibes an den Brauch der Juden, sich beschneiden zu lassen, der älter als das Gesetz Moses war, gebunden. Dieser Brauch erhielt sich auch nachher fort, nachdem „Christus dem Gesetz(-esbund) ein Ende gemacht hatte, indem er es ans Kreuz nagelte.“ Die Beschneidung wurde Abraham als Bundeszeichen gegeben für ihn und seinen Samen, 430 Jahre bevor Israel als Nation am Sinai sein Gesetz erhielt. Petrus war als Apostel der Beschneidung bestimmt, d.h. für die Juden, Paulus als Apostel bei der Vorhaut, d.h. bei den Nationen. (Gal. 2:7, 8) Sein Ausspruch in Gal. 5:2 war nicht an die Juden gerichtet, sondern an die Nationen, und bei diesen konnte der Wunsch, sich beschneiden zu lassen, keinen anderen Ursprung haben, als den, dass gewisse Irrlehrer sie verwirrt und sie glauben gemacht hatten, sie müssten, nachdem sie Christum angenommen hätten, sich diesem jüdischen Brauch unterwerfen. Damit verleiteten jene Irrlehrer sie, den Gnadenbund zu übersehen. Der Apostel zeigt in der angeführten Stelle, dass, wenn sie sich wegen solcher Irrlehren beschneiden ließen, dies für sie bedeute, dass sie den Gnadenbund ablehnen und mithin das ganze Werk Christi verwerfen. Bei den Juden hingegen hatte er nichts gegen das Festhalten an ihrem Brauch einzuwenden; das geht nicht nur aus seinem Verhalten gegenüber Timotheus, sondern auch aus 1. Kor. 7:18, 19 hervor. Nicht etwa, dass es für Timotheus oder irgendeinen anderen Juden notwendig gewesen wäre, sich beschneiden zu lassen. Aber da Timotheus vielfach mit Juden zu tun haben sollte, war es nicht unpassend, dass er sich ihnen in diesem Punkt gleichstellte, denn es erwarb ihm ihr Zutrauen. Im Fall des Titus hingegen, der ein Grieche war, widerstand er aufs kräftigste denen, die ihn aus Missverständnis beschnitten wissen wollten. – Gal. 2:3-5

5. Was in Apg. 21:20-26 von Paulus berichtet wird, wird als mit der von ihm vertretenen Wahrheit in Widerspruch stehend und als Grund dafür bezeichnet, dass so viel Gefangenschaft über Paulus gekommen sei. Da sehe man, dass er sich hinsichtlich seiner Lehren und seines Verhaltens geirrt habe. Aber die Schrift gestattet diese Schlussfolgerung keineswegs. Sie zeigt vielmehr, dass sich Paulus während dieser ganzen Zeit der Zustimmung der anderen Apostel und der Gnade bei Gott erfreute. Was er damals tat, geschah gerade auf Anraten der anderen Apostel. Dass ihn in Jerusalem Bande und Gefängnis erwarteten, war ihm schon vorher geweissagt worden (Apg. 21:10-14), doch aus Überzeugungstreue ging er ohne Zögern den angekündigten Widerwärtigkeiten entgegen. Und mitten in ihnen stand ihm der Herr bei und sprach zu ihm: „Sei guten Mutes! denn wie du von mir in Jerusalem gezeugt hast, so musst du auch in Rom zeugen.“ (Apg. 23:11) Und von einer weiteren Gunstbezeugung Gottes lesen wir (Apg. 27:23, 24): „Ein Engel des Gottes, dessen ich bin und dem ich diene, stand in dieser Nacht bei mir und sprach: Fürchte dich nicht Paulus! du musst vor den Kaiser gestellt werden; und siehe, Gott hat dir alle geschenkt, die mit dir fahren.“

Angesichts dieser Tatsachen müssen wir nach einer Erklärung für Paulus Gelübde suchen, die mit seinem sonstigen mutigen und vornehmen Verhalten vereinbar ist, da Gott selbst dies Gelübde nicht nur nicht tadelte, sondern direkt guthieß. Aus Apostelgeschichte 21:21 erfahren wir, dass Paulus keineswegs gelehrt hatte, gläubig gewordene Juden sollten ihre Kinder nicht beschneiden, dass er das Gesetz Moses keineswegs verwarf, sondern im Gegenteil hochhielt, als er zeigte, welche großen Dinge dadurch vorgeschattet seien. „Das Gesetz ist gerecht und heilig und gut“ sind seine eigenen Worte; aus dem Gesetz lernen wir die Verabscheuungswürdigkeit der Sünde noch besser kennen; das Gesetz war so erhaben, dass kein gefallener Mensch es völlig zu halten vermochte, dass Christus dadurch, dass er es hielt, sich den verheißenen Lohn sicherte. Infolgedessen kann er unter dem Gnadenbund ewiges Leben und Glück als freie Gabe solchen anbieten, die nicht fähig sind, das Gesetz zu halten, aber durch Glauben seinen vollkommenen Gehorsam und seinen Opfertod als Deckung für ihre Unvollkommenheit annehmen und ihm auf dem Pfad der Gerechtigkeit nachzuwandeln suchen.

Einige der jüdischen Zeremonien wie das Fasten, die Beachtung der Neumonde, des Sabbats und des Sabbatjahres, die Feier der Feste, waren Vorbilder von geistigen Wahrheiten des Evangeliums-Zeitalters. Der Apostel zeigt deutlich, dass das Evangelium des Gnadenbundes das Halten dieser Zeremonien weder befiehlt noch verbietet; die einzigen Symbole, die uns das Evangelium zur Pflicht macht, sind die Wassertaufe und das Gedächtnismahl. – Kol. 2:16, 17; Luk. 22:19; Matth. 28:19

Einer dieser jüdischen Bräuche, die „Reinigung“, war es nun, den Paulus und seine vier Gefährten auf sich nahmen. (Apg. 21:20-26) Als Juden hatten sie ein Recht darauf, wenn sie wollten, nicht nur sich selbst Gott in Christo zu weihen, sondern auch das Vorbild dieser Reinigung zu wiederholen. Die vier Gefährten des Paulus fügten noch das Gelübde hinzu, sich vor dem Herrn und den Menschen durch Abschneiden ihrer Haare zu demütigen. Vermutlich waren diese vorbildlichen Maßnahmen mit einigen Kosten verbunden, die den Betrag dessen ausmachten, was jeder zum Unterhalt des Tempels beizusteuern verpflichtet war.

Niemals belehrte Paulus die Juden, sie seien frei vom Gesetz; im Gegenteil: er erklärte, dass das Gesetz Gewalt über einen jeden von ihnen habe, solange er lebe, dass aber, wenn ein Jude Christum annehme und „mit ihm sterbe“, dies der Macht des Gesetzes über ihn ein Ende und ihn selbst zu einem freien Menschen Gottes in Christo mache. (Röm. 7:1-4) Die Gläubigen aus den Nationen aber belehrte er, dass sie nie unter dem jüdischen Gesetzesbund gestanden hätten, dass also Versuche ihrerseits, durch Beobachtung jüdischer Bräuche das Gesetz zu halten, voraussetzen, dass sie auf jene Vorbilder, statt nur auf das Verdienst Christi ihr Vertrauen setzten, um errettet zu werden. Damit waren alle Apostel einverstanden. – Apg. 21:25; 15:20, 23-29

So sind wir also der Überzeugung, dass Gott sich der zwölf Apostel in wunderbarer Weise bediente, dass er sie zu fähigen Dienern der Wahrheit machte, dass er sie bei der Abfassung ihrer Schriften auf übernatürliche Weise leitete, so dass nichts wegfiel, was für den Menschen Gottes nützlich und notwendig war, so dass sie bei der Auswahl ihrer Worte mit einer Weisheit zu Werke gingen, von der sie selbst nichts wussten. Gott sei für die Beschaffung dieses festen Grundes unseres Glaubens gedankt.

Die Apostel nicht Herren über Gottes Erbteil

Sollen die Apostel in irgendeinem Sinne als die Herren der Herauswahl angesehen werden? Mit anderen Worten:

Als der Herr, das Haupt, von ihnen schied, nahm einer von ihnen da die Stelle des Hauptes ein? Oder bildeten sie ein zusammengesetztes Haupt mit der Aufgabe, die Zügel der Regierung zu ergreifen? Oder waren sie oder einige unter ihnen, was die Päpste in Rom zu sein beanspruchen – Stellvertreter Christi in der Kirche, die da ist sein Leib?

Auf solche Fragen antwortet Paulus mit einem deutlichen Nein, wenn er schreibt: „Da ist ein Leib“ und „ein Herr“ (Eph. 4:4, 5); welches daher auch die verhältnismäßige Wichtigkeit einzelner Glieder an diesem einen Leib sein mag, nur einer wird als Haupt anerkannt, nämlich der Herr Jesus. Dies lehrt auch der Herr selbst sehr deutlich, wenn er zu den Jüngern und dem versammelten Volk sagt: „Die Schriftgelehrten und die Pharisäer lieben … von den Menschen Rabbi genannt zu werden. Ihr aber, lasst ihr euch nicht Rabbi nennen; denn einer ist euer Lehrer, ihr alle aber seid Brüder.“ (Matth. 23:1, 2, 6-8) Und an anderer Stelle sagt Jesus zu den Aposteln allein: „Ihr wisset, dass die, welche als Regenten der Nationen gelten, über dieselben herrschen, und ihre Großen Gewalt über sie üben. Aber also ist es nicht unter euch; sondern wer irgend unter euch groß werden will, soll euer Diener sein, und wer irgend von euch der erste sein will, soll aller Knecht sein. Denn auch der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele.“ – Mark. 10:42-45

So haben wir denn auch keine Andeutung davon, dass die erste Kirche jemals die Apostel als ihre Herren angesehen hätte, oder dass die Apostel selbst sich eine solche Stellung angemaßt hätten. Ihr Gebaren war sehr verschieden von dem, was die Päpste später für ihr Recht auf Herrschaft hielten, und von den Anschauungen der hervorragendsten „Geistlichen“ der verschiedenen namenchristlichen Kirchen. Niemals z.B. nannte sich Petrus selbst bei dem ihm von den Päpsten zugedachten Titel „Fürst der Apostel“. Ebenso wenig gaben sich die Apostel überhaupt gegenseitig irgendwelche Titel oder ließen sich solche seitens der Herauswahl geben. Sie nannten sich einfach bei ihrem Namen oder setzten ein „Bruder“ davor, wie sie dies auch den anderen Heiligen gegenüber taten. (Apg. 9:17; 21:20; Röm. 16:23; 1. Kor. 7:15; 8:11; 2. Kor. 8:18; 2. Thess. 3:6, 15; Philemon 7, 16) Auch steht geschrieben, dass sogar der Herr selbst sich nicht schämt, sie alle „Brüder“ zu nennen (Hebr. 2:11), so weit entfernt ist er von einem Geltendmachen seiner doch tatsächlichen und als solche anerkannten Stellung als Herr und Meister.

Auch ging keiner dieser leitenden Diener der ersten Kirche im Priesterornate einher oder mit einem Kruzifix, einem Rosenkranz oder dergleichen in Händen, die Verehrung der Leute herausfordernd. Vielmehr hielten sie es gemäss den Worten des Herrn für eine Folge und ein Vorrecht ihrer hervorragenden Stellung, auch am meisten zu dienen. Als die Verfolgung in Jerusalem die dortige Versammlung zerstreute, blieben die Elf mutig in Jerusalem zurück, bereit, zu tun, was irgend zu tun sein würde, mit dem Gedanken daran, dass in dieser Prüfungszeit die Herauswahl während der Zeit der Zerstörung von den in Jerusalem Zurückgebliebenen Ermutigung und Hilfe erwarten würde. Wären auch sie geflohen, so hätte sich wohl der ganzen ersten Kirche ein Unbehagen, ja, ein lähmender Schrecken bemächtigt. Sie blieben auch, als Jakobus mit dem Schwert getötet, als Petrus ins Gefängnis geworfen und an zwei Soldaten gekettet worden war. (Apg. 12:1-6) Paulus und Silas ihrerseits ertrugen bei ihrem Dienst für die Wahrheit viele Streiche; sie wurden ins Gefängnis geworfen und ihre Füße in den Stock gelegt. Paulus ertrug überhaupt unsägliche Mühsale. – Apg. 16:23, 24; 2. Kor. 11:23-33

Sehen solche Menschen danach aus, als hätten sie die Herren gespielt? Bestimmt nicht!

Petrus ist in diesem Punkt sehr deutlich, wenn er den Ältesten rät, die Herde Gottes zu hüten. Er redet nicht von ihrer Herde, von ihren Leuten, von ihrer Kirche, wie viele „Geistliche“ heutzutage sagen, sondern er redet von der Herde Gottes. Tut es, sagt er, „nicht als Herrschende über ihre Besitztümer, sondern indem ihr Vorbilder der Herde seid“ – Vorbilder in Demut, Treue, Eifer und Gottseligkeit. (1. Petr. 5:1-3) Und Paulus seinerseits sagt: „Mich dünkt, dass Gott uns, die Apostel, als die Letzten dargestellt hat, wie zum Tode bestimmt; denn wir sind der Welt ein Schauspiel geworden, sowohl Engeln als Menschen. Wir sind Narren um Christi willen … wir sind verachtet … wir leiden sowohl Hunger als Durst und sind nackt und werden mit Fäusten geschlagen und haben keine bestimmte Wohnung und mühen uns ab, mit unseren eigenen Händen arbeitend. Geschmäht, segnen wir; verfolgt, dulden wir; gelästert, bitten wir, als Auskehricht der Welt sind wir geworden, ein Auswurf aller bis jetzt.“ (1. Kor. 4:9-13) Nicht wahr, das sieht in keiner Weise nach Herrschaft aus? Und einigen Brüdern widerstehend, die dem Anschein nach über Gottes Erbe zu herrschen suchten, sagt Paulus mit Ironie: „Schon seid ihr gesättigt, schon seid ihr reich geworden; ihr habt ohne uns geherrscht.“ Dann aber ernst werdend, rät er zum rechten Weg, zu dem Weg der Demut: „Ich bitte euch nun, seid meine Nachahmer! Dafür halte man uns: für Diener Christi und Verwalter der Geheimnisse Gottes.“ – 1. Kor. 4:1, 8, 16

Und wiederum schreibt derselbe Apostel: „So wie wir von Gott bewährt worden sind, mit dem Evangelium betraut zu werden, also reden wir, nicht um Menschen zu gefallen, sondern Gott, der unsere Herzen prüft. Denn niemals sind wir mit einschmeichelnder Rede umgegangen, wie ihr wisset, noch mit einem Vorwand für Habsucht, Gott ist Zeuge; noch suchen wir Ehre von Menschen, weder von euch noch von anderen, wiewohl wir als Christi Apostel euch zur Last sein konnten; sondern wir sind in eurer Mitte zart gewesen, wie eine Amme ihre eigenen Kinder pflegt.“ (1. Thess. 2:7) Die Apostel veröffentlichten keine Bullen, taten niemanden in den Bann, sondern: „Gelästert, bitten wir“ (1. Kor. 4:13); und: „Ich bitte dich, mein echter Jochgenosse“ (Phil. 4:3); und: „Einen Ältesten fahre nicht hart an, sondern ermahne ihn.“ – 1. Tim. 5:1

Mit Recht schätzte die erste Kirche die Frömmigkeit und Überlegenheit der Apostel an Weisheit und Erkenntnis der geistlichen Dinge sehr hoch. Sie betrachtete sie als das, was sie tatsächlich waren, nämlich als vom Herrn besonders auserwählte Boten. Darum saß sie auch zu ihren Füssen und lernte. Doch taten dies die ersten Christen nicht gedanken- und kritiklos, sondern vielmehr in der Absicht, die Geister zu prüfen und ihr Zeugnis zu untersuchen. (1. Joh. 4:1; 1. Thess. 5:21; Jes. 8:20) Und die Apostel ermunterten sie bei ihrer Belehrung auch dazu; sie sahen diese Geistesrichtung gern, die nach einer Grundlage ihrer glorreichen Hoffnung forschte; sie waren bereit, auf solche Fragen zu antworten, „nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit (mit menschlichen Vermutungen), sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft“, auf dass der Glaube der Herauswahl „nicht beruhe auf Menschen-Weisheit, sondern auf Gottes-Kraft.“ (1. Kor. 2:4, 5) Sie bildeten nicht eine blinde und abergläubische Verehrung für sich selbst.

Von den Beröern lesen wir, dass sie waren „edler, als die in Thessalonich; sie nahmen mit aller Bereitwilligkeit das Wort auf, indem sie täglich die Schriften untersuchten, ob dies sich also verhielte.“ (Apg. 17:11) Stets bemühten sich die Apostel zu zeigen, dass die gute Botschaft, die sie verkündeten, die gleiche sei, wie die von den alten Propheten in dunklen Worten angekündigte, „welchen es geoffenbart wurde, dass sie nicht für sich selbst, sondern für euch die Dinge bedienten, die euch jetzt verkündigt worden sind durch den vom Himmel gesandten Heiligen Geist.“ (1. Petr. 1:10-12) Sie bemühten sich zu zeigen, dass ihre Botschaft gerade das Evangelium des Lebens und der Unsterblichkeit sei, das der Herr ans Licht gebracht hatte; und dass die größere Ausführlichkeit und Einzelheiten ihrer Botschaft dadurch möglich und mitteilbar geworden seien, dass der Heilige Geist sie anleitet, sei es auf natürliche Weise, sei es durch übernatürliche Mittel: „Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, gekommen ist, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten.“ – Joh. 16:12, 13

Es war also durchaus am Platz, dass die Beröer die Schriften durchforschten, um zu sehen, ob das Zeugnis der Apostel mit dem des Gesetzes und der Propheten übereinstimmt, und auch das war recht, dass sie die Lehre des Herrn mit der Schrift verglichen. Unser Herr hat selbst dazu aufgefordert: „Erforschet die Schriften, … sie sind es, die von mir zeugen.“ Das ganze göttliche Zeugnis muss übereinstimmen, sei es nun durch das Gesetz oder die Propheten, durch den Herrn oder die Apostel verkündigt. Seine vollständige Übereinstimmung ist der Beweis seiner göttlichen Eingebung. Dem Herrn sei Dank! Es stimmt überall, so dass die Schriften des Alten und Neuen Testamentes nach der Bezeichnung des Herrn selbst „die Harfe Gottes“ ausmachen. (Offb. 15:2) Die verschiedenen Zeugnisse des Gesetzes und der Propheten sind die verschiedenen Saiten jener Harfe; werden sie durch den Heiligen Geist, der in unseren Herzen wohnt, abgestimmt und mit dem Finger der aufrichtigen Diener und Forscher angeschlagen, so geben sie die herrlichsten Akkorde, die je ein sterbliches Ohr gehört hat. Gott sei gelobt für diese erhabene Melodie des „Liedes Moses und des Lammes“, das wir durch das Zeugnis der heiligen Apostel und Propheten, deren größter der Herr Jesus selbst ist, lernen!

Doch obwohl die Zeugnisse des Herrn und der Apostel mit dem des Gesetzes und der Propheten stimmen müssen, so müssen wir doch zu finden erwarten, dass sie neben dem Alten auch Neues bezeugen; darauf deuten die Propheten selbst hin. (Psalm 78:2; 5. Mose 18:15, 18; Dan. 12:9; Matth. 13:35, 52) So finden wir denn auch, dass sie nicht nur die verborgenen Wahrheiten der alten Weissagungen erschlossen, sondern auch neue, weitere Wahrheiten offenbarten.

Apostel, Propheten, Evangelisten, Lehrer

Nach den in der Namenchristenheit vorherrschenden Vorstellungen hätte der Herr für die Organisation der Herauswahl Vorschriften hinterlassen, die mit den von ihm verfolgten Zwecken unvereinbar wären, und von seinem Volk erwartet, dass es sich nach eigener Weisheit eine Organisation schaffe. So haben denn viele Köpfe mit vielen Sinnen mehr oder weniger straffe Organisationen geschaffen, so dass nun die Namenchristenheit der ganzen Welt nach verschiedenen Richtungen hin organisiert ist, und dies bald mit mehr, bald mit weniger Steifheit. Eine jede Organisation aber hält sich für besser als die übrigen. Das kommt aber von der unrichtigen, vernunftwidrigen Grundanschauung, als hätte Gott, der doch schon vor Grundlegung der Welt von dieser Neuen Schöpfung gewusst hat, in sträflicher Nachlässigkeit sein eigenes Volk ohne ein klares Verständnis seines Willens und ohne die diesem genau entsprechenden und zur Wohlfahrt der Neuen Schöpfung notwendigen Anleitungen gelassen.

Die Menschen neigen entweder zur Anarchie oder aber entgegengesetzt zu einer allzu festen Organisation. Die göttliche Weisheit vermeidet beide Extreme und bezeichnet für die Neue Schöpfung eine Organisation, die überaus einfach ist und jedem die größte Freiheit lässt. Die Schrift selbst ermahnt auch jeden einzelnen Christen: „Stehet nun fest in der Freiheit, mit welcher euch Christus freigemacht hat, und lasset euch nicht wiederum unter einem Joch der Knechtschaft halten.“ – Gal. 5:1

Um diese göttliche Anordnung klarzulegen, müssen wir uns jedoch auf das Studium des göttlichen Wortes beschränken und die Kirchengeschichte ganz unberücksichtigt lassen. Denn der zuvor verkündigte Abfall begann schon zu der Zeit der Apostel und machte nach deren Abscheiden sehr rasche Fortschritte, die nach wenigen Jahrhunderten zum Papsttum führten. Das Neue Testament soll unter Hinzufügung der Vorbilder des Gesetzes unsere einzige Quelle sein, doch müssen wir bei letzteren uns stets vor Augen halten, dass sie nicht nur Dinge des Evangeliums-Zeitalters, sondern auch solche des Tausendjahrreiches vorschatten. Zum Beispiel: Der Versöhnungstag schattete das Evangeliums-Zeitalter vor. An jenem Tag trug der Hohepriester nicht seine herrlichen Kleider, sondern nur das weiße Priesterkleid. Dies deutet an, dass während des Evangeliums-Zeitalters weder der Herr noch seine Herauswahl eine in den Augen der Menschen hervorragende Rolle zu spielen haben. Ihren Standpunkt, den der Gerechtigkeit, der Reinheit des Herzens (der Wünsche), schattet das weiße Kleid vor, das im Fall der Kirche die Gerechtigkeit unseres Herrn und Hauptes ist. Nach dem Versöhnungstag erst zog der Hohepriester seine herrlichen Kleider an, in denen er nun den herrlich gemachten Christus (Haupt und Leib) in seiner königlichen Würde, die er im Tausendjahrreich bekleiden soll, darstellte; das Haupt ist der Herr, der Leib sind seine Auserwählten, die herrlichen Kleider sind die großen Ehren, die der ganzen königlichen Priesterschaft zuteil werden sollen, wenn sie einmal erhöht ist. Die päpstliche Priesterschaft, die fälschlich beansprucht, dass die Herrschaft Christi durch Priesterherrschaft ausgeführt werde, dass die Päpste die Statthalter und die Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe die Kirche in Herrlichkeit und Macht darstellen, versucht, bürgerliche und religiöse Herrschaft über die Welt auszuüben und ahmt die Herrlichkeit und Würde der auserwählten Neuen Schöpfung durch das Tragen prächtiger Ornate nach. Die wahre königliche Priesterschaft indessen trägt nach wie vor nur das weiße Priesterkleid und harrt des wahren Herrn der Kirche, der die Seinen in Wahrheit und Herrlichkeit, Ehre und Unsterblichkeit kleiden wird, wenn einst das letzte Glied der Herauswahl seinen Anteil am Opferwerk vollendet haben wird.

Im Neuen Testament also müssen wir hauptsächlich nach der Organisation der Herauswahl in den Tagen ihrer Niedrigkeit und ihres Opferdienstes Umschau halten. Dass ihre Regeln nicht aneinander gereiht und nicht in Paragraphen abgeteilt sind, sollte uns nicht davon abhalten zu erwarten, dass das Nötige vollständig vorhanden ist. Wir müssen gegen verkehrte Vorstellungen ankämpfen und uns daran erinnern, dass der aus Söhnen Gottes bestehenden Herauswahl ein „vollkommenes Gesetz der Freiheit“ gegeben ist, weil die, die zu ihr gehören, nicht mehr Knechte sind, sondern Söhne, und als Söhne Gottes lernen müssen, von ihrer Freiheit als Kinder des Hauses richtigen Gebrauch zu machen und dadurch zu zeigen, dass sie dem Gebot und den Anforderungen der Liebe durchaus gehorsam sind und zu entsprechen suchen.

Der Apostel stellt uns ein Bild der Neuen Schöpfung vor das geistige Auge, das den ganzen Gegenstand klar macht. Dieses Bild ist der menschliche Körper. Das Haupt an ihm entspricht dem Herrn, die übrigen Körperteile stellen die Herauswahl dar. Im 12. Kapitel des 1. Korintherbriefes ist dies im einzelnen erläutert und uns einfach die Erklärung gegeben: „Gleichwie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich viele, ein Leib sind: also auch der Christus (eine Körperschaft, bestehend aus vielen Gliedern). Denn auch in einem Geist sind wir alle zu einem Leib getauft worden, es seien Juden oder Griechen, es seien Sklaven oder Freie.“ (Verse 12, 13) Weiter macht der Apostel darauf aufmerksam, dass das Wohlbefinden eines menschlichen Leibes auf dem einheitlichen Zusammenwirken aller Organe beruht. So ist es auch mit der Kirche, dem Leib Christi. Wenn ein Glied Schmerzen, Erniedrigung oder Ungnade leidet, so werden, gewollt oder ungewollt, alle Glieder beeinflusst, und wenn ein Glied besonders gesegnet, getröstet oder erfrischt wird, so werden dementsprechend alle die Segnung teilen. Er zeigt (Vers 23), dass wir versuchen, Schäden und Schwächen unseres natürlichen Körpers zu verbergen, sie zu lindern und zu beseitigen, und dass es so auch mit der Kirche, dem Leib Christi, sein sollte: Die verletzten Glieder sollten um so reichlicher gepflegt und mit dem Mantel der Liebe zugedeckt werden, auf dass keine Spaltung in dem Leibe sei, sondern die Glieder „dieselbe Sorge füreinander haben möchten“ (Vers 25), für die geringsten wie für die am meisten begünstigten Brüder.

Demgemäss ist die Organisation, die der Herr für die Herauswahl bestimmt hat, durchaus vollständig. Aber wie in der Natur, so ist auch in geistiger Beziehung kein Bedürfnis für Stützen und Binden vorhanden, wenn die Organisation vollständig ist. Ein Baum ist ein einheitlicher Organismus von der Wurzel bis zu den letzten Zweigen; aber seine verschiedenen Äste sind nicht durch patentierte Verschlüsse, durch Stricke, Schrauben, Regeln und Gesetze befestigt. In gleicher Weise bedarf auch der Leib Christi keiner äußerlichen Binde- oder Befestigungsmittel, wenn er sorgfältig nach den Richtlinien, die der Herr vorgezeichnet hat, aufgebaut und einheitlich gestaltet worden ist. Er bedarf keiner Vorschriften, keiner Glaubensbekenntnisse, keiner Vergnügungsveranstaltungen, um zusammengehalten zu werden. Der eine Geist ist das Band der Einigkeit, und solange der Geist des Lebens in den Gliedern bleibt, solange bleibt auch die Einheitlichkeit des Leibes bestehen, und das Band der Einigkeit wird in dem Maße stärker oder schwächer sein, als der Geist des Herrn mehr oder weniger reichlich in uns wohnt.

Weiter zeigt der Apostel, dass Gott alle Angelegenheiten dieser Körperschaft der Neuen Schöpfung, die er selbst vorgesehen und ins Dasein gerufen hat, überwacht: „Ihr aber seid Christi Leib, und Glieder insonderheit. Und Gott hat etliche in der Versammlung gesetzt: erstens Apostel, zweitens Propheten, drittens Lehrer, sodann Wunderkräfte, sodann Gnadengaben der Heilungen, Hilfeleistungen, Regierungen, Arten von Sprachen.“ – Verse 27, 28

Das wird für manche, die gewohnt sind, sich selbst oder einander in Ehren- und Dienststellungen in die Kirche zu setzen, etwas Neues sein, zu hören, dass Gott verheißen hat, dies unter denen selbst zu besorgen, die sich nach seiner Führung umsehen und sich von seinem Wort und Geist leiten lassen. Wenn dies erkannt würde, wie wenige würden es dann wagen, nach den ersten Plätzen zu streben und sich nach Art der Politiker wählen zu lassen! Aber um die göttliche Fürsorge für die wahre Kirche zu erkennen, muss man erst die wahre Kirche von den Namenkirchen zu unterscheiden vermögen, und alsdann in ehrfürchtiger und demütiger Haltung den Willen Gottes hinsichtlich aller Einrichtungen, Dienststellungen und Diener in der wahren Kirche zu erkennen suchen.

Der Apostel fragt: „Sind etwa alle Apostel? alle Propheten? alle Lehrer?“ (Vers 29), was in sich schließt, was jedermann zugeben wird, dass es nicht so ist, und dass jeder, der eine dieser Stellungen einnimmt, irgendeinen Beweis dafür aufweisen sollte, dass er von Gott dahin gesetzt sei, nicht um den Menschen, sondern dem großen Aufseher der Kirche – ihrem Haupt und Herrn – zu gefallen. Der Apostel macht uns darauf aufmerksam, dass diese Verschiedenheit in der Kirche der Verschiedenheit unter den Gliedern des natürlichen Leibes entspreche, deren jedes notwendig und keines zu verachten sei. Das Auge kann nicht zum Fuße sagen: Ich bedarf deiner nicht, noch zum Ohre: Ich bedarf deiner nicht, noch zur Hand: Ich bedarf deiner nicht. „Wenn aber alle ein Glied wären, wo wäre der Leib?“ – Verse 19, 14

Gewiss, in der heutigen Zeit ist die Mannigfaltigkeit der Glieder am Leibe Christi nicht mehr so groß. Denn, wie der Apostel sagt, das „Zungenreden war ein Zeichen nicht für die, welche glauben, sondern für die Nichtglaubenden“. So war es auch mit den Wundern. Nachdem die Apostel, die allein imstande waren, diese Gaben zu verleihen, gestorben waren, nachdem auch die ins Grab gesunken waren, die die Gaben von ihnen erhalten hatten, hörten, wie wir schon sahen, diese Gaben und Wunder in der Herauswahl auf, nicht aber die Gelegenheit für Mann oder Weib, dem Herrn, der Wahrheit und den anderen Gliedern des Leibes Christi nach Möglichkeit zu dienen. An die Stelle der Wunder trat der Unterricht in der Wahrheit, in der Erkenntnis des Herrn und in den Eigenschaften des Geistes. Schon damals, da diese geringeren Gaben des Heilens, Zungenredens, Auslegens und Wundertuns noch vorhanden waren, ermahnte der Apostel die Brüder, ernstlich nach den besten Gaben zu trachten. – Vers 31

Nach der Apostelschaft konnten sie nun nicht trachten, da es nur zwölf Apostel geben sollte; begehren oder wünschen konnten sie, Propheten (Ausleger) oder Lehrer zu sein: „Und einen noch vortrefflicheren Weg zeige ich euch“, leitet der Apostel mit Vers 31 das folgende 13. Kapitel ein, in dem er zeigt, dass die Ehre, ein großes Maß des Geistes der Herrn – Liebe – zu haben, weit größer ist als alle jene Gaben in der Herauswahl. Er hebt hervor, dass das niedrigste Glied der Versammlung, wenn es vollkommene Liebe habe, in den Augen des Herrn höher stehe, als ein Apostel, Prophet oder Lehrer ohne Liebe stehen würde. Er erklärt, dass jede Gabe, auch die höchste, ohne Liebe in den Augen des Herrn hohl und ungenügend sei. Ja, wir können dessen gewiss sein, dass niemand vom Herrn als Apostel, Prophet oder Lehrer anerkannt wird, der nicht den Standpunkt vollkommener Liebe einnimmt oder doch wenigstens zu erreichen trachtet. Sonst würden solche irregehen und Lehrer des Irrtums anstatt der Wahrheit werden – Diener Satans, die Brüder zu sichten.

In seinem Brief an die Epheser wiederholt der Apostel seine Erklärungen hinsichtlich der Einheit der Kirche als eines Leibes von vielen Gliedern unter einem Haupt, das da ist Jesus Christus, und zusammengehalten durch einen Geist, den Geist der Liebe. Er ermahnt alle Glieder, ihrer Berufung würdig zu wandeln in aller Demut und Sanftmut, mit Langmut einander ertragend in Liebe, sich zu befleißigen, die Einheit des Geistes in dem Band des Friedens zu bewahren. (Verse 2 und 3) Dann zählt der Apostel die verschiedenen Glieder an jenem Leibe auf und zeigt uns ihren Zweck: „Er hat die einen gegeben als Apostel und andere als Propheten und andere als Evangelisten und andere als Hirten und Lehrer, zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes (im Tausendjahrreich an den übrigen Menschen), für die Auferbauung des Leibes Christi, bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und zur Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Mann, zu dem Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus; auf dass wir … die Wahrheit festhaltend in Liebe, in allem heranwachsen zu ihm hin, der das Haupt ist, der Christus, aus welchem der ganze Leib, wohl zusammengefügt und verbunden durch jedes Gelenk der Darreichung … für sich das Wachstum des Leibes bewirkt zu seiner Selbstauferbauung in Liebe.“ – Eph. 4:11-16

Wir gewahren das Bild, das der Apostel für uns entwirft: Das Bild von einem kleinen unentwickelten menschlichen Körper. Gottes Wille ist, dass sich alle Glieder voll und kräftig entwickeln. Der „volle Wuchs des Mannes“ bedeutet die Herauswahl in ihrer richtigen voll entwickelten Form. Während der vergangenen Jahrhunderte ist ein Glied nach dem anderen entschlafen, wartend auf die Ausgestaltung des Leibes am Millenniumsmorgen bei der ersten Auferstehung. Doch traten immer wieder an die Stelle der Entschlafenen neue Gläubige, so dass es der Herauswahl nie ganz an Vertretern gebrach, wiewohl bald die Stärke, bald die Schwäche der Glieder vorherrschte. Dennoch musste zu jeder Zeit jedes Glied sich bemühen, alles zu tun, was in seinen Kräften stand, um den Leib aufzuerbauen, die Glieder zu stärken und in den Gnadengaben des Geistes vollkommen zu machen – „bis wir alle zur Einheit des Glaubens kommen.“

Einheit des Glaubens ist wünschenswert; sie ist wert, dass wir uns darum bemühen; aber sie ist nicht das, was von der Namenchristenheit im allgemeinen gesucht wird. Die Einheit, die gesucht werden muss, ist die Übereinstimmung mit dem „einmal den Heiligen überlieferten Glauben“ in seiner Reinheit und Einfachheit, wobei jedes Glied hinsichtlich seiner Auffassung untergeordneter Punkte frei bleibt, frei und unbeengt durch menschliche Lehrsysteme und dergleichen. Die Schrift gründet die Einheit auf die Hauptlinien des Evangeliums: 1. Unsere Erlösung durch das kostbare Blut und unsere Rechtfertigung aus Glauben, 2. unsere Heiligung, unsere Weihung, unseren Eintritt in den Dienst des Herrn und seiner Wahrheit; 3. wo die Einheit in diesen beiden Punkten fehlt, kann von einer Einigkeit, wie die Schrift sie versteht, nicht die Rede sein; in allen anderen Punkten soll jedem größte Freiheit gelassen werden, die aber auch dazu benutzt werden soll, den Plan Gottes in allen seinen Einzelheiten zu erkennen oder zu suchen, ihn anderen zu erklären. So ist jedes Glied am Leibe Christi, bei voller persönlicher Freiheit, dem Haupt und allen anderen Gliedern so ergeben, dass es ihm eine Freude sein wird, sein Alles, ja, sein Leben, in deren Dienst daranzugeben.

Wir haben schon gesehen, dass die Apostel eine besondere Aufgabe hatten, dass ihre Zahl auf zwölf beschränkt war, und dass sie ihren Dienst an der Herauswahl auch jetzt noch verrichten, indem sie als Mundstücke des Herrn durch das Wort der Schrift zu ihr reden. Nun wollen wir die anderen Dienststellungen etwas näher ins Auge fassen, von denen der Apostel als von Gaben redet, die der Herr seinem Leib, seiner Herauswahl, bestimmt hat.

Der Herr trifft Fürsorge für Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer zur Segnung des Leibes im allgemeinen betreffs seiner gegenwärtigen und zukünftigen Wohlfahrt. Jene, die sich ernstlich auf den Herrn als das Haupt, den Unterweiser und Führer der Kirche stützen, müssen seine Gaben in allen diesen Einzelheiten erwarten, nach ihnen ausschauen und sie bemerken; sie müssen sie annehmen und benutzen, wenn sie den verheißenen Segen haben wollen. Aufgezwungen werden sie der Herauswahl nicht, und wer sie gering schätzt, der verliert sie eben. Der Herr setzte sie einst in der ersten Kirche ein und stellte dadurch das Ideal der Organisation der Herauswahl vor unsere Augen; aber sein Volk blieb frei, sich an dieses Vorbild zu halten und dementsprechenden Segen davon zu haben, oder aber sich durch Abweichung von dem Vorbild allerlei Schwierigkeiten und Enttäuschungen zuzuziehen. Lasst uns, so wir anders vom Herrn geleitet und belehrt zu werden wünschen, zu erkennen suchen, wie der Herr ursprünglich die verschiedenen Glieder einsetzte, und welches die entsprechenden Gaben sind, die er seither seinem Volk zukommen ließ, damit wir sehen, was zu unserer Verfügung steht, und damit wir in Zukunft davon einen gewissenhafteren Gebrauch machen.

Der Apostel erklärt, dass es des Herrn Wohlgefallen sei, dass keine Spaltung an seinem Leibe sei. Menschliche Methoden aber führen unwillkürlich zu Spaltungen, und bei starkem Übergewicht der einen über die anderen, wie dies beim päpstlichen System der Fall ist, führt dies zur Verfolgung der nicht Einverstandenen. Dies mag eine Zeitlang äußerliche Einheit erzwingen, aber das war nicht die vom Herrn gewollte Einigkeit der Herzen. Wen der Sohn frei macht, der kann nicht von Herzen an menschlichen Systemen teilnehmen, die die persönliche Freiheit zunichte machen. Die Protestanten kranken in Tat und Wahrheit nicht daran, dass ihre größere Freiheit die Bildung vieler Teilkirchen ermöglichte, sondern daran, dass sie noch viel von dem Geist des Muttersystems behalten haben, aber der Machtmittel entbehren, die es jenem ermöglichten, die Gedankenfreiheit zunichte zu machen. Es wird ohne Zweifel viele überraschen, wenn wir uns auf den Standpunkt stellen, dass der Spaltungen dieser Art nicht zu viele sind, sondern dass die wahre Kirche Christi noch mehr Freiheit bedarf, bis jedes einzelne Glied völlig frei von allen menschlichen Fesseln, Glaubensbekenntnissen usw. dastehen kann. Wenn jeder einzelne Christ in der Freiheit stehen würde, mit der Christus ihn frei gemacht hat (Gal. 5:1; Joh. 8:32), und jeder einzelne Christ dem Herrn und seinem Wort treu verbunden bliebe, so würde die ursprüngliche Einheit, wie die Schrift sie vorgezeichnet hat, sofort bemerkbar werden, und alle wahren Kinder Gottes, alle Glieder der Neuen Schöpfung, würden sich zueinander hingezogen fühlen, vollständig frei und doch miteinander durch das Band der Liebe verbunden, das unendlich stärker ist als alle Fesseln menschlicher Systeme oder Religionsgemeinschaften. „Die Liebe des Christus drängt uns (hält uns zusammen).“ – 2. Kor. 5:14

Alle Glieder der Familie Aarons waren als Priester wählbar, doch gab es gewisse Hindernisse für die Bekleidung der Priesterwürde. So ist es auch im Gegenbild, in der königlichen Priesterschaft. Alle sind Priester, alle sind Glieder der gesalbten Körperschaft, und diese Salbung bedeutet für jeden Einzelnen, der gesalbt ist, das Recht, die frohe Botschaft zu verkündigen und zu lehren, wie geschrieben steht: „Der Geist des Herrn, Jehovas, ist auf mir, weil Jehova mich gesalbt hat, um den Sanftmütigen frohe Botschaft zu bringen, weil er mich gesandt hat, um zu verbinden die zerbrochenen Herzens sind“ usw. (Jes. 61:1) Freilich beziehen sich diese Worte besonders auf das Haupt des Christus, der Neuen Schöpfung, der königlichen Priesterschaft; sie beziehen sich aber auch auf alle Glieder, und daher hat in gewissem Sinne jedes geweihte Kind Gottes durch seine Salbung mit dem Heiligen Geist den Auftrag oder die Berechtigung erhalten, das Wort zu predigen, „die Tugenden dessen zu verkündigen, der euch berufen hat aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht.“ – 1. Petr. 2:9

Aber wie von den vorbildlichen Priestern gefordert wurde, dass sie von gewissen körperlichen Schäden frei sein und ein gewisses Alter erreicht haben mussten, so sind auch unter den Gliedern der königlichen Priesterschaft einige, denen die Eigenschaften für öffentlichen Dienst, die andere besitzen, fehlen. Jeder prüfe sich selbst, um Klarheit darüber zu bekommen, welches das Maß der ihm von Gott gewordenen Gnadengaben und somit, welches sein Dienst und seine Verantwortlichkeit sei. (Röm. 12:2, 3) Gleicherweise sollten auch alle Glieder die natürliche und geistigen Veranlagung eines jeden, und dadurch den Willen Gottes hinsichtlich der Stellung und Aufgabe eines jeden, zu erkennen suchen. Dem Alter im Vorbild entspricht im Gegenbild Erfahrung und Charakterfestigkeit; dem Gebrechen des Schielens ein Mangel an Einsicht und Verständnis geistiger Dinge, was für öffentlichen Dienst in der Herauswahl hinderlich sein würde. Gleicherweise würden andere körperliche Gebrechen verschiedene andere geistige Mängel in der gegenbildlichen Priesterschaft darstellen. Wie aber im Vorbild die körperlich entstellten Priester dennoch Anspruch auf ihren Anteil an den Schaubroten, am Opferfleisch und dergleichen hatten, so auch im Gegenbild. Jene geistigen Mängel, die das eine oder andere Glied des Leibes Christi für den öffentlichen Dienst unfähig machen, schließen es keineswegs von den übrigen Vorrechten aller königlichen Priester aus. Sie haben gleich allen anderen ein volles Recht auf einen Platz am Tische des Herrn, auf den Thron der Gnade, auf Weiterentwicklung ihrer geistigen Eigenschaften und auf Anerkennung seitens der anderen Glieder. Wie keiner im Vorbild Hohepriester werden konnte, er wäre denn körperlich wohlgebildet und hätte ein bestimmtes Altersjahr erreicht, so sollte, wer in Wort und Lehre der Wahrheit dienen möchte, kein Neuling sein, sondern ein Glied am Leibe, das sich durch Charakterreife, Erkenntnis und Früchte des Geistes als für solchen Dienst geeignet ausgewiesen hat. Solche sollten als Älteste anerkannt werden, ohne dass sie deshalb notwendigerweise auch der Zahl der Jahre nach Älteste wären; den Ausschlag sollten ihre Erfahrenheit und Reife in bezug auf die Wahrheit und ihre Fähigkeit, die Brüder gemäss dem Worte des Herrn zu belehren und zu ermahnen, geben.

Wenn wir die Bezeichnung „Älteste“ so verstehen, tritt das Vernunftgemäße der Forderung der Schrift klar zutage, dass alle, die den geistigen Dienst an der Wahrheit versehen, als „Älteste“ bezeichnet werden sollen, ob sie nun ihren Dienst tun als Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten oder Lehrer. Um eine dieser Stellungen zu bekleiden, muss einer zunächst von der Versammlung als Ältester anerkannt werden. So bezeichnen sich auch die Apostel als Älteste. – 1. Petr. 5:1; 2. Joh. 1

Wir kommen nun zu den Bezeichnungen der verschiedenen Ältesten in den verschiedenen Dienststellungen.

Älteste als „Bischöfe“

Diese Bezeichnung ist infolge ihrer unrichtigen Anwendung in verschiedenen Namenkirchen irreführend. Wir müssen daher zunächst feststellen, dass das griechische Wort für Bischof, episkopos, nichts weiter bedeutet als Aufseher. Jeder bestellte Älteste war als Aufseher eines kleineren oder größeren Werkes anerkannt. Demnach redet auch der Apostel die Ältesten der Versammlung in Ephesus als Aufseher (Bischöfe) an, indem er ihnen zum Abschied sagt: „Habet nun acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in welcher der Heilige Geist euch als Aufseher gesetzt hat.“ – Apg. 20:28

Unter des Herrn Vorsehung nun wurde einigen dieser Ältesten ein größeres Gebiet zur Beaufsichtigung und Beeinflussung zuerkannt; wir könnten sie daher etwa als Oberaufseher bezeichnen. Dazu gehören zunächst alle zwölf Apostel; der Apostel Paulus z.B. hatte die Oberaufsicht über die Versammlungen in Kleinasien und Südeuropa. Aber auf diese Zwölf blieb der Dienst der Oberaufseher nicht beschränkt; der Herr erweckte deren noch andere, der Versammlung zu dienen, „nicht um schnöden Gewinnes willen, sondern bereitwilligen Geistes“, andere, die bereit waren, dem Herrn und den Brüdern zu dienen. Zuerst trat Timotheus solchen Dienst unter der Leitung des Apostels Paulus an, aber teilweise auch als sein Vertreter, und er wurde verschiedenen Versammlungen unter dem Volk Gottes als solcher empfohlen. Der Herr war und ist noch jetzt vollauf berechtigt, ja weise und überhaupt fähig, solche Aufseher zu erwecken, die er aussendet, um seine Herde zu leiten und zu ermahnen. Und das Volk des Herrn sollte durchaus in der Lage sein, den Wert oder Unwert der Leitung solcher Aufseher zu ermessen. Sie sollten sich durch einen gottseligen Wandel, demütiges Auftreten und den Geist der Opferwilligkeit ausweisen, durch Freisein von Ehr- oder Gewinnsucht, durch Belehrung, die vor der schriftgemäßen Erprobung standhalten kann. Die Herde sollte täglich in den Schriften forschen, um zu sehen, ob das, was die Aufseher vorgebracht, denn auch mit dem Buchstaben und Geist des göttlichen Wortes stimme. So wurden, wie wir sahen, die Lehren der Apostel erprobt, und die Apostel sahen es gerne und wiesen zur Nachahmung auf das Beispiel derer hin, die sorgfältig, aber weder hinterlistig noch splitterrichterlich forschten. – Apg. 17:11

Trotz dieser Anleitung trat, soweit uns die Geschichte der Namenkirche belehrt, der Geist der Eifersucht und Ehrliebe bald an die Stelle des Geistes demütiger Dienstbereitschaft und Selbsthingabe, und Aberglaube und Schmeichelgeist trat an die Stelle der Schriftforschung. Dies machte die Aufseher immer herrschsüchtiger; sie forderten mehr und mehr Gleichberechtigung mit den Aposteln. Schließlich fingen sie an, unter sich Ehre voneinander zu nehmen, und denen dies am besten gelang, die wurden dann Erzbischöfe genannt. Die Rangstreitigkeiten unter letzteren führten schließlich zur Erhebung eines unter ihnen zum Papst. Dieser Geist hat seither mehr oder weniger gewaltet, nicht in der Papstkirche allein, sondern auch unter allen denen, die, ohne zu ihr zu gehören, durch ihr Beispiel irregeleitet worden sind, weit weg von der Einfachheit der ursprünglichen Einrichtung. Infolgedessen gilt denn auch heutzutage eine Organisation, wie die der ersten Kirche, ohne Sektennamen und ohne Ehrenstellen, Würden und Beherrschung der vielen durch wenige, ohne Unterscheidung zwischen Geistlichen und Laien, überhaupt nicht als Organisation. Wir aber sind glücklich, uns unter diesen Verachteten zu befinden, dem Beispiel der ersten Kirche möglichst zu folgen und dementsprechend ähnliche Vorteile und Freiheiten zu genießen.

Wie die Ältesten in der Versammlung deren Aufseher, Besorger und Bewahrer sein sollten, bald in größerem, bald in geringerem Umfang, so kann ein jeder für sich, unter Anwendung seiner Fähigkeiten und Gelegenheiten, der Herde dienen; einer als Evangelist, dessen Aufgaben ihm zusagen und gestatten, den Anfängern in der Wahrheit weiterzuhelfen und die zu finden, die hörende Ohren haben; ein anderer als Hirte, wenn er sich durch seine Umgangsformen dazu eignet, für die persönliche, geistige Wohlfahrt der Kinder Gottes zu sorgen durch Hausbesuche, ermutigende, stärkende Worte, sie zusammenhaltend und vor den Wölfen in Schafskleidern schützend, die sie beißen und verschlingen würden.

Auch die „Propheten“ müssen sich zu ihrem besonderen Dienst eignen. Das Wort „Prophet“ wird heutzutage im allgemeinen nicht mehr in seinem weiten Sinne gebraucht, den es im Altertum hatte. Jetzt versteht man unter einem Propheten einen Seher, der die Zukunft voraussagt. Seiner Ableitung nach bezeichnet aber das griechische Wort „Prophet“ einen Redner oder jemand, der öffentlich spricht. Ein Seher, jemand, der Offenbarungen empfängt, kann auch ein Prophet sein, wenn er seine Gesichte verkündet; aber die beiden Begriffe (Seher und Prophet) sind nicht gleichbedeutend und scharf auseinander zu halten. Im Falle Moses und Aarons war Mose, als Gottes Stellvertreter, der bedeutendere; darum sagte ihm auch der Herr: „Siehe, ich habe dich dem Pharao zum Gott (Elohim, zum Mächtigen, Überlegenen) gesetzt, und dein Bruder Aaron soll dein Prophet (Herold, Mundstück) sein.“ (2. Mose 7:1) Dass einige der Apostel in dem Sinne Seher waren, dass ihnen zukünftige Dinge zur Kenntnis gebracht wurden, haben wir schon gesehen; jetzt bemerken wir, dass sie fast alle auch Propheten, d.h. Redner waren, insbesondere Paulus und Petrus. Aber neben ihnen gab es viele andere öffentliche Redner (d.h. Propheten). Barnabas z.B. war einer, und in Apg. 15:32 lesen wir: „Und Judas und Silas, die auch selbst Propheten waren, ermunterten die Brüder mit vielen Worten.“

Nirgends deutet die Schrift an, dass jemand, der sich für einen bestimmten Dienst nicht eignen würde, als von Gott dazu gesetzt gelten solle, wozu ihm die nötigen Eigenschaften fehlen. Es ist vielmehr soviel wie eine Pflicht, dass im Leib Christi ein jedes Glied dem anderen nach seinen Fähigkeiten diene, und jeder sollte bescheiden und demütig genug sein, „nicht mehr von sich zu halten, als sich zu halten gebührt, sondern nüchtern zu sein“, die ihm von Gott gewordenen Pfunde richtig abzuschätzen. Auch sollte die Versammlung solche, die die Größten zu sein wünschen, nicht schon um dieses Wunsches willen als die Größten betrachten; im Gegenteil sollte Niedriggesinntsein (Demut) als Kennzeichen derer gelten, die als Älteste oder sonst zu einem Dienst berufen würden. Wenn also in einer Versammlung zwei Brüder gleich begabt sind, der eine aber ist ein ehrgeiziger Streber, der andere hält sich demütig zurück, dann wird der Geist des Herrn, der der Geist der Weisheit und des gesunden Sinnes ist, das Volk des Herrn treiben, den demütigen Bruder als jenen anzusehen, den der Herr besonders begünstigen wollte, und den Wunsch entstehen lassen, er möchte im Dienst eine hervorragende Stellung einnehmen.

Es scheint weniger verwunderlich, dass „Böcke“ oder bockähnliche Schafe nach der Führerschaft in der Herde des Herrn streben, als dass die wahren Schafe, die die Stimme des Hirten und seinen Geist kennen und seinen Willen zu tun suchen, es zulassen, dass solche Böcke oder bockähnliche Schafe sich zu Führern aufwerfen. Es ist schon recht, dass wir nach Möglichkeit mit allen Menschen Frieden haben; aber wo wir um des Friedens willen das Wort und den Geist des Herrn übersehen, da werden wir sicher größeren oder kleineren Schaden davon haben. Es ist ganz recht, dass alle gelehrig sind und sich wie Schafe führen lassen; aber es ist auch notwendig, dass die Schafe Charakter und Urteil haben, sonst können sie nicht Überwinder werden, und wenn sie Charakter haben, sollten sie sich der Worte des Oberhirten erinnern: „Meine Schafe hören meine Stimme (gehorchen ihr) … und folgen mir. Einem Fremden aber werden sie nicht folgen … weil sie die Stimme der Fremden nicht kennen.“ (Joh. 10:27, 5) Es ist daher die Pflicht aller Schafe, auf die Botschaft und das Gebaren eines jeden Bruders zu achten, bevor sie dazu bereit sind, ihn zu einem Aufseher über eine oder mehrere Versammlungen zu machen. Sie sollten sich zuerst davon überzeugen, ob er auch die Eigenschaften hat, die ein Ältester in der Versammlung haben muss, dass er die Grundlehren des Evangeliums – die Versöhnung, Erkaufung durch das kostbare Blut Christi und die völlige Weihung zum Dienst für ihn, sein Wort und seine Brüder – auch recht erfasst habe. Sie sollten den Schwächsten unter den Lämmlein und allen geistig oder sittlich lahmen Schafen Mitleid und Liebe erzeigen: aber solche „lahmen Schafe“ zu Führern und Ältesten zu erwählen, das wäre der göttlichen Anordnung entgegengehandelt. Sie sollten keine Zuneigung empfinden für Böcke oder Wölfe in Schafskleidern, die in die Versammlung eindringen und Autorität verlangen. Sie sollten erkennen, dass es für die Versammlung vorteilhafter ist, gar keinen öffentlich dienenden Bruder zu haben, als einen glattzüngigen „Bock“ zum Leiter zu machen, der die Herzen nicht zur Liebe zu Gott anleiten, sondern auf Abwege führen würde. Vor solchen warnte der Herr die Versammlung; der Apostel sagt: „Aus euch selbst werden Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden (falsche, irreleitende Lehren vorbringen), um die Jünger abzuziehen hinter sich her“ (sich Anhänger zu gewinnen), Leute, um welcher willen „der Weg der Wahrheit verlästert werden wird.“ – Apg. 20:30; 2. Petr. 2:2

So sehen wir es heute. Viele predigen sich selbst, anstatt die gute Botschaft vom Reich; sie ziehen Jünger hinter sich und ihren „kirchlichen“ Bezeichnungen her, anstatt sie als Glieder des Leibes Christi ihrem Herrn zuzuführen und mit ihm zu verbinden. Sie trachten danach, als Häupter der Versammlungen angesehen zu werden, anstatt alle Glieder anzuweisen, auf den Herrn selbst als auf das Haupt zu sehen. Von allen solchen sollten wir uns wegwenden; die wahren Schafe sollten sie auf ihrem Irrwege nicht ermutigen. Sie sind es, von denen der Apostel (2. Tim. 3:5) sagt, dass sie eine Form der Gottseligkeit haben, aber deren Kraft verleugnen. Sie sind kraftvolle Verfechter für Feiertage, gottesdienstliche Formen und Veranstaltungen, „kirchliche“ Obrigkeiten und dergleichen mehr, und werden dafür von ihren Mitmenschen hoch geehrt, aber dem Herrn sind sie ein Greuel, wie der Apostel sagt. Die wahren Schafe müssen nicht allein alle Sorgfalt anwenden, die Stimme des wahren Hirten zu erkennen und ihm zu folgen, sondern auch darauf Sorgfalt verwenden, denjenigen, die sich selbst suchen, nicht zu folgen, ihnen weder Unterstützung noch Ermutigung zukommen zu lassen. Wer als Ältester in der Versammlung in Frage kommen soll, muss des Zutrauens würdig sein; er darf, wie der Apostel sagt, nicht „ein Neuling“ sein. Ein Neuling kann der Versammlung schaden und selber Schaden leiden, indem er sich aufblähen, vom Herrn und seinem Geist, dem schmalen, zum Reich führenden Pfad abirren könnte.

Der Apostel Paulus (1. Tim. 3:2; 5:17; 1. Thess. 5:12; Jak. 5:14) gibt ausführlich Bescheid auf die Frage, welche von der Versammlung als Älteste anerkannt werden sollen, indem er deren Charakter usw. beschreibt. (1. Tim. 3:1-7 und Titus 1:5-11). Und Petrus schreibt über diesen Gegenstand: „Die Ältesten, die unter euch sind, ermahne ich, der Mitälteste: … Hütet die Herde Gottes, die bei euch ist, indem ihr die Aufsicht führet … nicht um schändlichen Gewinn, sondern bereitwillig, nicht als die da herrschen über ihre Besitztümer, sondern indem ihr Vorbilder der Herde seid.“ – 1. Petr. 5:1-3

Die Ältesten sollen edel denkende Menschen sein, die untadelig wandeln, nicht mehr als ein Weib haben, und wenn sie Kinder haben, so sollte an diesen beobachtet werden, wie viel guten Einfluss sie in ihren eigenen Familien haben. Denn es sollte vernünftigerweise geschlossen werden, dass, wenn es jemand mit seinen Pflichten seinen Kindern gegenüber nicht genau nehme, er auch an den Kindern des Herrn in der Versammlung, der Herauswahl, nachlässig und unklug handeln würde. Er sollte nicht doppelzüngig und streitsüchtig sein und auch von denen, die draußen sind, ein gutes Zeugnis haben; nicht in dem Sinne, dass die Welt die Heiligen je lieben oder richtig schätzen würde, aber doch so, dass sie nicht imstande sei, auf einen Mangel an Ehrenhaftigkeit, Aufrichtigkeit, Sittlichkeit und Wahrhaftigkeit hinzuweisen.

Die Schrift beschränkt die Ältesten nicht auf eine bestimmte Anzahl in jeder Versammlung, wohl aber verlangt sie, dass der Älteste „fähig sei zu lehren“, d.h. er muss imstande sein, den Plan Gottes darzulegen und zu erklären und dadurch der Herde Gottes in Wort und Lehre behilflich zu sein. Er braucht sich deshalb noch nicht zum öffentlichen Redner („Propheten“) eignen; es können sich in ein und derselben Versammlung mehrere befinden, die fähig sind zu lehren, Hausbesuche zu machen oder sonst Aufgaben eines Ältesten zu erfüllen, und die doch nicht die nötige Fähigkeit haben, den Plan Gottes in öffentlichen Vorträgen zu verkündigen. Jede Versammlung sollte es dem Herrn zutrauen, dass er soviel Diener wie notwendig sind, erwecken werde; da, wo er keine erweckt, sollte an der Notwendigkeit, Propheten zu haben, gezweifelt werden. Wir möchten hier beiläufig bemerken, dass sich solche Versammlungen ohne Propheten gerade unter den blühendsten befinden, was daher kommt, dass in solchen das Bibelforschen Regel und nicht Ausnahme ist. Die Schrift zeigt deutlich, dass es in der ersten Kirche so gehalten wurde. Wenn sie zusammenkamen, wurde jedem eine Gelegenheit geboten, gerade mit seiner Gabe den anderen zu dienen; der eine sprach, andere beteten, und viele, wenn nicht alle, konnten singen. Die Erfahrung scheint zu beweisen, dass die Versammlungen, die sich am genauesten an dieses Vorbild halten, auch am meisten Segen haben und starke Charaktere heranbilden. Wo nur zugehört wird, da macht der Vortrag, auch wenn er noch so gut und formvollendet ist, nicht soviel Eindruck auf das Herz, als wenn der einzelne auch über das Gehörte mitreden darf, wozu er in jeder richtig geleiteten Versammlung die Lust und den Mut finden sollte.

Andere Älteste sind vielleicht weniger geeignet zu lehren, aber um so mehr öffentlich zu beten und Zeugnis abzulegen, was in den verschiedenen Zusammenkünften des Volkes Gottes auch stattfinden sollte. Wer das Ermahnen und Aufmuntern gut versteht, sollte dies üben, anstatt sich auf anderen Gebieten abzumühen, für die er sich nicht besonders eignet. Der Apostel sagt: „Es sei, der da ermahnt, in der Ermahnung“ (Röm. 12:8), d.h. er soll die ihm verliehene Gabe in den Dienst der Versammlung stellen; „der da lehrt, in der Lehre“ (Röm. 12:7), d.h. wer es versteht, die Wahrheit verständlich zu machen, der benutze jede Gelegenheit, es zu tun.

Wie die Bezeichnung „Bischof“ oder Aufseher sehr umfassend ist, so auch die Bezeichnung „Hirte“. Nur ein Ältester ist in der Lage, ein Hirte zu sein. Ein Hirte ist ein Aufseher der Herde; beide Bezeichnungen sind somit soviel als gleichbedeutend. Der Herr Jehova ist unser Hirte im weitesten Sinne des Wortes (Psalm 23:1); und sein eingeborener Sohn, unser Herr Jesus, ist der große Hirte und Bischof (Aufseher) unserer Seelen, aller Schafe der Herde, wo immer sie seien. (1. Petr. 2:25) Die allgemeinen Aufseher (die „Pilgrime“) sind alle Hirten, indem sie die Interessen der Gesamtversammlung wahrnehmen, und jeder Älteste einer örtlichen Versammlung ist ein Hirte für die „Schafe“ seines Wohnortes. So ist leicht zu erkennen, dass bestimmte allgemeine Eigenschaften für die Ältestenstellung erforderlich sind, und dass unter den als Ältesten anerkannten Gliedern der Herde dann die natürlichen Anlagen eines jeden bestimmen sollten, mit welchem Dienst er betraut werden kann, damit die Sache des Herrn den größten Vorteil davon habe. So werden die einen als Evangelisten (Verkündiger der guten Botschaft in der Welt), die anderen als Hirten derer, die die gute Botschaft schon gehört und angenommen haben, sei es für eine oder mehrere Ortsversammlungen, Beschäftigung finden.

Wir lesen: „Die Ältesten, welche wohl vorstehen, lass doppelter Ehre würdig geachtet werden, sonderlich die da arbeiten in Wort und Lehre.“ (1. Tim. 5:17) Gestützt auf diese Worte hat die Namenkirche eine Kaste von Vorstehern eingesetzt und verlangt, dass ihnen mehr oder weniger ausgedehnte Herrscherrechte gegenüber den Brüdern zuerkannt werden. Das „Vorstehen“ so aufzufassen, ist aber durchaus schriftwidrig. Timotheus, der die Stellung eines Oberaufsehers einnahm, wird z.B. von Paulus ermahnt: „Einen Ältesten fahre nicht hart an, sondern ermahne ihn als einen Vater.“ „Ein Knecht des Herrn aber soll nicht streiten, sondern gegen alle milde sein.“ (1. Tim. 5:1; 2. Tim. 2:24) Das sieht nicht nach Ausbeutung von Herrscherrechten aus; Milde, Freundlichkeit, Langmut, brüderliche und allgemeine Liebe müssen an allen wahrgenommen werden, die als Älteste gelten sollen. Sie müssen in jeder Beziehung Vorbilder der Herde sein. Wären sie herrschsüchtig, so gäben sie mithin der ganzen Herde das Beispiel der Herrschsucht; sind sie aber milde, langmütig, geduldig, freundlich und liebevoll, so werden sie eben der Herde diese Eigenschaften vorleben. Die eben angeführte Stelle (1. Tim. 5:17) deutet im griechischen Text an, dass die Ältesten um so größerer Ehre würdig geachtet werden sollen, je treuer sie der von ihnen übernommenen Aufgabe obliegen. Wir dürfen daher die Stelle so umschreiben: Die hervorragenden Ältesten lass doppelter Ehre würdig geachtet werden, besonders jene, die unter der Last des Predigens und Lehrens beinahe erliegen.

Die Diener – Diakone

Das griechische Wort „Diakon“ (Diener) hat eine ähnliche Wandlung seiner Bedeutung erlebt, als das Wort „Episkopos“ (Aufseher). Wie aus diesem „Bischof“ geworden ist, was soviel wie Kirchenfürst bedeutet, so aus jenem „Dekan“, der Titel eines anderen geistlichen Würdenträgers. Die Auffassung des Apostels von der Aufgabe eines „Diakons“ ist wesentlich von dem verschieden, was später von einem Dekan erwartet wurde. Sehen wir uns einige einschlägige Stellen an. In 2. Kor. 6:4 nennt Paulus sich selbst und Timotheus „Diakone (d.h. Diener) Gottes“, in 2. Kor. 3:6 „Diakone (d.h. Diener) des Neuen Bundes“. Wenn das von Paulus und Timotheus gilt, so dürfen wir annehmen, dass alle wahrhaften Ältesten in der Herauswahl solchermaßen Diener waren – Diener Gottes, der Wahrheit und der Herauswahl; sonst wären sie kaum als Älteste anerkannt worden.

Wir möchten indes keineswegs den Anschein erwecken, als hielten wir dafür, es habe in der Urkirche keinen Unterschied hinsichtlich des Dienstes gegeben. Ganz und gar nicht. Aber das ist uns wichtig zu zeigen, dass selbst die Apostel und Propheten, die Älteste der Versammlung waren, sämtlich deren Diener waren, wie unser Herr es zuvor erklärt: „Der Größte aber unter euch soll euer Diener sein.“ (Matth. 23:11) Der Charakter und die Treue eines Diakons sollten den Maßstab dafür abgeben, wie hoch ein jeder in den Versammlungen der Neuen Schöpfung geachtet werden sollte.

Da es nun in den Versammlungen Diener gab, die nicht durch besondere Gaben gekennzeichnet waren, sich wegen Mangel an Lehrfähigkeit oder Erfahrung nicht dazu eigneten, von den Versammlungen als Älteste erwählt zu werden, so fanden sie so Verwendung, dass die Apostel und Propheten (Lehrer) solche zuzeiten als Diener (Gehilfen) heranzogen; so Paulus und Barnabas den Johannes Markus, Paulus und Silas den Lukas usw. Diese Diener betrachteten sich nicht als den Aposteln und anderen Ältesten mit größeren Gaben und Erfahrung ebenbürtig, sondern freuten sich nur des Vorrechtes, Gehilfen derer sein zu dürfen, deren Fähigkeit zu Dienern Gottes und der Wahrheit sie freudig anerkannten. Die Wahl dieser Gehilfen durch die Apostel wurde ebenso wenig von der Versammlung bestätigt, als die Wahl der Ältesten durch die Versammlungen von den Aposteln bestätigt wurde. Auch wurde niemand zu solchem Dienst gezwungen, vielmehr wurde er durchaus freiwillig übernommen. Wir dürfen sicherlich annehmen, dass Johannes Markus und Lukas urteilten, sie würden in dieser Stellung dem Herrn besser dienen können als in irgendeiner anderen ihnen zugänglichen; sie nahmen daher diese Dienststellungen sicher ganz aus freiem Willen und ohne den geringsten Zwang an. Es hätte ihnen ebenso gut freigestanden, diesen Dienst abzulehnen, falls sie geurteilt hätten, dass sie ihre Gaben in anderer Weise noch ausgiebiger verwenden könnten.

Neben diesen Gehilfen gab es nun in der ersten Kirche eine Klasse von Brüdern, die der Versammlung als Diener nützlich und dementsprechend geehrt waren, sich aber nicht als Älteste eigneten. Zu dem speziellen Dienst, der ihnen übertragen wurde, waren sie nur wahlfähig, wenn sie sich über guten Charakter, Festhalten an der Wahrheit und Eifer im Dienst des Herrn und seiner Herde ausgewiesen hatten. So übernahmen z.B. die Apostel zuerst selbst die Verteilung der Lebensmittel usw. unter die Armen der ersten Versammlung in Jerusalem; als aber ein Murren entstand und die Anklage erhoben wurde, dass einige bei der Verteilung zu kurz kämen, beriefen die Apostel die Versammlung und forderten sie auf, für diesen Dienst geeignete Männer auszuerwählen, damit sie selbst (die Apostel) ihre Zeit, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten in den Dienst des Wortes stellen könnten. – Apg. 6:2-5

Unter den sieben so erwählten Männern befand sich Stephanus, der der erste Blutzeuge wurde und die Ehre hatte, der erste zu sein, der bis in den Tod in des Meisters Fußspuren wandeln durfte. Die Wahl des Stephanus zum Diener hinderte ihn keineswegs, das Wort zu predigen, wo immer sich Gelegenheit dazu bot. Da sehen wir wiederum, welch vollständige Freiheit in der Urkirche herrschte. Die ganze Versammlung mochte irgendein Glied, indem sie Gaben wahrzunehmen glaubte, bitten, ihr dementsprechende Dienste zu leisten; aber weder diese Bitte noch der Dienst seitens des Gebetenen bedeuteten eine Fessel, einen Zwang; jeder blieb frei, seine Gaben auf andere Weise zu verwenden, wenn sich dazu Gelegenheit bot. Der Diener Stephanus z.B., wiewohl treu in der Bedienung der Tische, in der Besorgung der Geldgeschäfte der Gesamtheit, fand nebenbei Gelegenheit, seinen Eifer und seine Gaben durch Verkündigung der guten Botschaft in mehr öffentlicher Weise zu verwenden. Seine Laufbahn zeigt, dass der Herr ihn als einen Ältesten anerkannte, bevor die Brüder seine Befähigung dazu bemerkt hatten. Hätte er länger gelebt, so hätten zweifellos die Brüder seine Fähigkeit zum Ältesten und zum Ausleger der Wahrheit ebenfalls bemerkt und ihn ebenfalls anerkannt.

Wir wollen hier recht eindrücklich machen, dass jeder einzelne volle Freiheit hat, seine Gaben nach seiner Befähigung als Evangelist, als Verkünder der guten Botschaft, zu verwenden, sei er nun von der Versammlung der Neuen Schöpfung berufen worden oder nicht. (In der Herauswahl zu lehren, dazu hätte Stephanus freilich des Auftrags der Versammlung bedurft). Diese absolute Freiheit des Gewissens und der Fähigkeit des Einzelnen, das Fehlen jeder Behörde, die zu verbieten berufen gewesen wäre, ist eines der Merkmale der Urkirche, das im Denken und Handeln nachzuahmen wir wohltun würden. Wie die Herauswahl der Ältesten bedarf, die fähig sind zu lehren, und der Evangelisten, die sich zur Verbreitung der guten Botschaft unter denen eignen, die noch draußen sind, so bedarf sie auch der Diener, die ihr in anderer Weise dienen (als Verwalter des Geldes usw.). Auch diese sind Diener Gottes; es ist ein Dienst an der Versammlung, und sie haben Anspruch auf die Hochachtung der Glieder; die Ältesten sind ebenfalls Diener, wenn auch ihr Dienst höherer Ordnung ist; es ist ein Dienst in Wort und Lehre.

Lehrer in der Versammlung

Wie wir eben gesehen haben, ist die Befähigung zum Lehren ein Erfordernis zur Bekleidung einer Ältestenstellung in der Versammlung. Wir könnten viele Stellen anführen, die zeigen, dass der Apostel Paulus sich nicht nur zu den Aposteln, Ältesten und Dienern, sondern auch zu den Lehrern rechnet, „nicht in Worten, gelehrt durch menschliche Weisheit, sondern in Worten, gelehrt durch den Geist.“ (1. Kor. 2:13) Er war nicht Sprach- oder Mathematiklehrer, nicht Professor der Astronomie oder sonst einer Wissenschaft, ausgenommen jene große Wissenschaft, die die Verkündigung der guten Botschaft zum Gegenstand hat. Das ist die Bedeutung der oben angeführten Worte des Apostels, und des Herrn Volk tut wohl, sich dies stets gegenwärtig zu halten. Nicht nur die da lehren und die da predigen, auch die da zuhören, müssen aufs genaueste darauf achten, dass es nicht Menschenweisheit, sondern göttliche Weisheit sei, die verkündigt werde. So ermahnt Paulus den Timotheus: „Predige das Wort“ (2. Tim. 4:2); „dieses gebiete und lehre“ (1. Tim. 4:11); „dieses lehre und ermahne.“ (1. Tim. 6:2) Den Gedanken weiter verfolgend, zeigt der Apostel, dass jedes Glied der Versammlung, nicht die Ältesten allein, darauf acht geben sollten, dass Irrlehrer, Lehrer menschlicher Weisheit, „fälschlich sogenannter Wissenschaft“ nicht als Lehrer in der Herauswahl anerkannt werden. „Wenn jemand anders lehrt“ usw. (1. Tim. 6:3-5; Gal. 1:8), so ziehet euch von solchen zurück, leiht eure Unterstützung nicht einem anderen Evangelium als dem, das ihr empfangen habt, das euch überliefert worden ist von denen, welche euch das Evangelium verkündet haben mit dem Heiligen Geist, der vom Himmel herabgesandt ist.

Es gibt nun solche, die wohl imstande sind, andere zu lehren, ihnen den Plan Gottes im Privatgespräch klarzumachen, aber nicht die Fähigkeit besitzen, als „Propheten“ öffentlich zu reden. Wer befähigt ist, für den Herrn und seine Sache zu reden, soll nicht entmutig, sondern vielmehr ermutigt werden, alle und jede Gelegenheit zu benutzen, solchen, die ein Ohr haben zu hören, zu dienen, das Lob unseres Herrn und Königs zu verkündigen. Wir müssen aber zwischen „lehren“ und „predigen“ unterscheiden. (Apg. 15:35) Letzteres geschieht öffentlich; jenes ist meist im kleinen Kreis wirksamer – in einem Beröerstudium oder im Privatgespräch. Die geschicktesten öffentlichen Redner oder „Propheten“ haben gelegentlich bemerkt, dass ihr öffentliches Werk am besten gedeiht, wenn es durch weniger öffentliche Besprechungen unterstützt wird, durch das Ausbreiten der Tiefen Gottes vor einer kleineren Versammlung. (Anmerkung: Aus diesem Grund befürworten wir, dass bei Pilgrimbesuchen nur eine oder zwei Versammlungen dem „Prophezeien“ oder öffentlichen Predigen gewidmet werden, während die übrige Zeit im kleineren Kreis mit Lehren, Hausversammlungen der tiefer Interessierten, oder, wenn das unmöglich sei, mit privatem Besuch und Lehren ausgefüllt werden soll).

Die Befähigung zum Evangelisten, die Fähigkeit, Herz und Gemüt der Menschen zu bewegen, welche die Wahrheit suchen, ist eine besondere Gabe, die heutzutage ebenso wenig wie in der ersten Kirche alle besitzen. Außerdem haben die veränderten Verhältnisse auf die Art und Weise, wie heute die Evangelisation vor sich gehen kann, mehr oder weniger Einfluss ausgeübt. Die allgemeine Verbreitung der Lesekunst ermöglicht es, durch Drucksachen das Evangelium zu predigen. In der Verbreitung von Schriften sind heutzutage viele beschäftigt; die einen, indem sie Traktate oder Wachttürme versenden, die anderen, indem sie Schriftstudien von Haus zu Haus zum Kauf anbieten. Dagegen, dass diese Evangelisten nach modernen Methoden arbeiten, kann ebenso wenig eingewendet werden als dagegen, dass sie nicht zu Fuß oder auf Kamelen, sondern per Bahn das Land durchqueren. Das Wesentliche an der Evangelisation ist die Verkündigung der Wahrheit, des göttlichen Planes der Zeitalter, der „Botschaft von der großen Freude für alles Volk.“ Soweit wir urteilen können, ist kein Evangelisationswerk wirksamer als die Verbreitung von Drucksachen. Und dabei gibt es noch manche, die die Fähigkeit besäßen, in diese Arbeit einzutreten, die es aber noch nicht getan haben – Arbeiter, die noch nicht in den Weinberg gegangen sind, um deretwillen wir beständig beten, der Herr möchte doch Arbeiter in seine Ernte senden, den Unentschlossenen zeigen, welche Vorrechte und welch einen großen Lohn die Teilnahme an der Verbreitung der guten Botschaft einbringen kann.

Nachdem Philipper, der Evangelist, alles für Samaria getan hatte, was in seinen Kräften stand, wurden Petrus und Johannes hingesandt. (Apg. 8:14) So machen auch unsere Mitarbeiter erst alle unter ihren Zuhörern aufmerksam, die da reinen Herzens sind, und hiernach legen sie ihnen „Schriftstudien“ und „Wachtturm“ mit dem Hinweise vor, dass dies Lehrer seien, auf die sie hören dürfen, und aus denen sie noch mehr über die Wege des Herrn erfahren könnten. Wie Petrus und Paulus, Jakobus und Johannes als des Herrn Boten und Vertreter an den Haushalt des Glaubens Briefe richteten und so seine Herde hüteten und ermutigten, so besucht heutzutage der „Wachtturm“ seine Freunde, jeden Einzelnen oder in der Versammlung, in regelmäßigen Zeitabschnitten, um sie im Glauben zu befestigen und ihren Charakter gemäss der vom Herrn und seinen Aposteln niedergelegten Richtlinien auszubilden.

Viele sollten fähig sein zu lehren

„Der Zeit nach (da ihr die Wahrheit kennt), solltet ihr Lehrer sein; aber (infolge eures Mangels an Eifer für den Herrn und infolge Eindringen des Geistes dieser Welt) bedürfet ihr wiederum, dass man euch lehre, welches die Elemente des Anfangs der Aussprüche Gottes sind“ – schreibt Paulus. (Hebr. 5:12) Dies setzt voraus, dass nach des Apostels Meinung die ganze Herauswahl, die ganze Priesterschaft, alle Glieder der Neuen Schöpfung, wenigstens in allgemeiner Weise, in ihres Vaters Wort so bewandert sein sollten, dass sie „jederzeit bereit wären zur Verantwortung gegen jeden, der Rechenschaft von ihnen fordert über die Hoffnung, die in ihnen ist, aber mit Sanftmut und (Ehr)furcht“. (1. Petr. 3:15) Daraus ersehen wir wiederum, dass nach der Schrift das Lehren nicht ausschließlich Recht eines „geistlichen Standes“ ist, dass vielmehr ein jedes Glied der Neuen Schöpfung ein Glied der königlichen Priesterschaft ist, „gesalbt (mit Heiligem Geist) zu predigen“, mithin voll berechtigt ist, die gute Botschaft denen zu verkündigen, die ein Ohr haben zu hören; und zwar ein jedes Glied, soweit es imstande ist, es in einer verständlichen und wahrhaften Weise zu tun. Wie haben wir nun angesichts dieses allgemeinen Grundsatzes die Ermahnung des Jakobus zu verstehen:

„Seid nicht viele Lehrer, meine Brüder“?
(Jakobus 3:1)

Jakobus gibt die Antwort darauf selbst: „Da ihr wisset, dass wir eine schwereres Gericht empfangen werden“ – d.h. wissend, dass, je wichtiger unsere Aufgaben im Schosse der Herauswahl sind, um so schwerer unsere Verantwortung, um so gefährlicher unsere Versuchungen sind. Der Apostel ermahnt nicht, dass niemand Lehrer werden sollte, sondern er möchte nur, dass ein jeder, der von sich hält, dass er einige Befähigung zum Belehren der anderen habe, dessen eingedenk sei, dass es ein verantwortungsvolles Unterfangen ist, in mehr oder weniger hervorragender Weise ein Mundstück Gottes zu sein, dass ein jeder Lehrer dessen gewiss sein sollte, dass er auch nicht ein Wort äußere, das den Charakter und den Plan Gottes verkehrt darstellen, Gott verunehren und denen schaden würde, die es hören mögen.

Es wäre für die Herauswahl sehr vorteilhaft, wenn alle diesem Rat folgten, ihn als aus Weisheit von oben gegeben anerkennen würden. Vielleicht würde dann bedeutend weniger oft gelehrt, als es jetzt geschieht; aber die Wirkung auf Lehrer und Hörer wäre größer, der Herr und die Wahrheit, sein Wort, würden höher geschätzt und die Kinder Gottes wären freier von verwirrenden Irrtümern. Demgemäss ist auch ein Wort unseres Meister zu verstehen, nach dem einige am Reiche Anteil haben werden, deren Lehre nicht ganz mit dem Plan Gottes übereinstimmte; dass aber ihre Stellung im Reiche eine weniger hohe sein werde, als wenn sie darauf geachtet hätten, nichts anderes zu lehren als die Botschaft (das Wort) Gottes. Wir meinen die Stelle in Matth. 5:19: „Wer irgend nun eines dieser geringsten Gebote auflöst und also die Menschen lehrt, wird der Geringste heißen im Reiche der Himmel.“

„Ihr bedürfet nicht, dass euch jemand belehre“

„Die Salbung, die ihr von ihm empfangen habt, bleibt in euch, und ihr bedürfet nicht, dass euch jemand belehre, sondern wie dieselbe Salbung euch über alles belehrt und wahr ist und keine Lüge ist, und wie sie euch belehrt hat, so werdet ihr in ihm bleiben. Und ihr habt die Salbung von dem Heiligen und wisset alles.“ – 1. Joh. 2:27, 20

Angesichts der vielen Stellen, die die Auserwählten auffordern zu lernen, zu wachsen in Gnade und Erkenntnis, einander aufzuerbauen in dem allerheiligsten Glauben, zu erwarten, dass der Herr Apostel, Propheten, Evangelisten, Lehrer erwecke usw., erscheint die obige Stelle befremdlich, solange sie nicht richtig verstanden wird. Sie ist für einige ein Stein des Anstoßes gewesen; doch sind wir dessen gewiss, dass der Herr es nicht zugelassen hat, dass solche, deren Herzen sich in richtiger Stellung zu ihm befanden, daran Schaden litten. Der Grundton der Schrift sowohl als auch die Erfahrungen im Leben reden eine Sprache, die deutlich genug ist, um einen jeden, der demütig ist, zu überzeugen, dass entweder in obiger Stelle ein sinnstörender Übersetzungsfehler vorliegt, oder aber die daraus gezogenen Schlussfolgerungen irrig sind. Jene, die davon Schaden leiden, sind gewöhnlich selbstbewusste Menschen, deren hohe Meinung von sich selbst sie veranlasst, zu glauben, sie hätten ein Recht darauf, vom Herrn anders als die übrigen Glieder der Neuen Schöpfung behandelt zu werden. Solche Meinung steht aber im schärfsten Widerspruch zu der Lehre der Schrift, der zufolge der Leib einer ist und viele Glieder hat, die miteinander verbunden sind in ihm, und dass dargebotene Nahrung durch einen Teil der Glieder hingeführt werde zu den anderen Gliedern zum Gedeihen und Erstarken aller. Der Herr wollte in dieser Weise die Glieder der Herauswahl voneinander abhängig machen, damit keine Spaltung am Leib (Christi) entstehe. Darum ermahnt er uns auch, durch des Apostels Wort, dass wir unsere Versammlungen nicht versäumen sollen, da er ein besonderes Wohlgefallen daran habe, mit der Versammlung, die da ist sein Leib, zusammenzukommen, wo es auch sei und wenn es auch nur zwei oder drei seien, die sich in seinem Namen versammeln.

Wenn wir obigen Text genauer untersuchen, so gewahren wir, dass der Apostel einen in seinen Tagen herrschenden Irrtum bekämpfen will, einen groben Irrtum, der im Namen der Lehre und Nachfolge Christi wirksam war und die ganze Offenbarung ungültig zu machen trachtete. Er erklärt, dass dieser grobe Irrtum nichts mit der Herauswahl und ihrem Glauben zu tun habe, dass er vielmehr antichristlich, Christo feindlich sei, obwohl er sich selbst als christliche Lehre bezeichne; er segle eben unter falscher Flagge. Von den Vertretern dieses Irrtums sagt er: „Sie sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von uns (sie waren nie wahre Christen oder haben aufgehört, es zu sein); denn wenn sie von uns gewesen wären, so würden sie wohl bei uns geblieben sein.“ Ihr Irrtum bestand nach der Meinung des Apostels darin, dass sie behaupteten, die Weissagungen betreffend einen Messias seien bildlich zu verstehen und niemals durch die Menschheit zu erfüllen; dies sei eine vollständige Verneinung der Lehre der Schrift, der zufolge der Sohn Gottes Fleisch ward, bei seiner Taufe mit dem Heiligen Geist zum Messias gesalbt wurde und unser Lösegeld beschaffte.

Der Gedanke des Apostels ist, dass, wer Christ geworden sei, wer den Plan Gottes wenigstens einigermaßen verstanden habe, darüber im Klaren sein müsse, dass er, wie alle Menschen, ein Sünder sei und eines Erlösers bedürfe, und dass Jesus, der Gesalbte (Christus), ihn um den Preis seines Lebens erkauft habe. Der Apostel erklärt dann weiter, dass solche nicht nötig haben, dass sie irgend jemand über diese Grundlehren der Wahrheit belehre. Wenn sie nicht schon wüssten, dass Christus für ihre Sünden gestorben und für ihre Gerechtmachung auferstanden sei, dass ihre Rechtfertigung, Weihung und Hoffnung auf zukünftige Herrlichkeit auf dem Verdienst des stellvertretenden Opfers Christi beruhe, so wären sie überhaupt keine Christen. Wiewohl es früher, d.h. bevor der Sohn geoffenbart wurde, möglich gewesen sei, an den Vater zu glauben und ihm zu vertrauen, so leugne jetzt, wer den Sohn leugne, auch den Vater; und niemand könne den Sohn Gottes bekennen, ohne zugleich den Vater und dessen Plan zu bekennen, in dem der Sohn die Hauptperson sei.

So können wir denn heute deutlich sehen, was der Apostel meinte: nämlich, dass, wer vom Heiligen Geist gezeugt worden sei, schon zuvor an den Herrn Jesus habe glauben, in ihm den Eingeborenen vom Vater habe sehen und habe glauben müssen, dass der Sohn im Fleisch geoffenbart worden, aber heilig, unbefleckt und getrennt von den Sündern gewesen sei, dass er sich als Lösegeld für uns hingegeben, dass der Vater dieses Opfer angenommen und den Sohn dadurch als glorreichen König und Befreier anerkannt habe, und dass er ihn aus den Toten auferweckte. Ohne diesen Glauben könne niemand den Heiligen Geist, die Salbung, empfangen; wer also die Salbung schon habe, bedürfe nicht erst, dass jemand Zeit damit verliere, mit ihm über die Frage zu reden, ob Jesus der Sohn Gottes, der Erlöser, der Messias, der einzige Hinausführer der köstlichen Verheißungen der Schrift sei oder nicht. Wenn die Salbung, die wir empfangen haben, in uns bleibt, werden wir aller dieser Dinge gewiss sein; „wie dieselbe Salbung euch über alles belehrt hat, so werdet ihr in ihm bleiben.“ Wer nicht in ihm, am Weinstock, bleibt, kann dessen gewiss sein, dass er, wie die abgehauene Rebe, verdorren wird; wer aber in ihm bleibt, kann dessen gewiss sein, dass er auch in seinem Geist bleiben wird und ihn nicht verleugnen kann.

„Ihr habt die Salbung von dem Heiligen und wisset es alle.“ (1. Joh. 2:20, Diaglott-Übers.) Das Vorbild des Heiligen Geistes im jüdischen Zeitalter war das heilige Öl, das auf das Haupt des Hohenpriesters ausgegossen wurde und von da über den ganzen Leib hinab rann. So ist auch ein jedes Glied des Leibes Christi unter der Salbung, unter dem Einfluss des Geistes, und wo der Geist des Herrn ist, da ist es lieblich und freundlich. Da besteht die Neigung, mit allen Menschen Frieden zu haben, soweit dies möglich ist, und soweit das Festhalten an den Grundsätzen göttlicher Gerechtigkeit es gestattet; da besteht Abneigung gegen Reibereien, Zorn, Bosheit, Hass und Streit; da besteht dankbares Annehmen der Belehrung durch den Herrn. Solche nörgeln nicht an seinem Plan und seiner Offenbarung herum, sondern nehmen sie gerne an und haben auch den Vorteil davon: Salbung, Freundlichkeit, Frieden, Freude und Heiligkeit der Gesinnung.

Wer in dieser Weise den Geist des Herrn empfangen und daher Friede, Freude und Einvernehmen mit Gott im Herzen hat, der weis, dass dies eine Frucht des Verfahrens des Herrn mit ihm ist, und dass er diese Gaben empfangen hat, seit er an den Herrn Jesum geglaubt und ihn als seinen Heiland angenommen hat. Diese Salbung ist mithin nicht nur für jeden einzelnen Gesalbten ein Beweis, sondern in hohem Grade auch für die anderen, dass er ein Glied am Leib Christi ist, indes der Mangel an Friede und Freudigkeit, ein Herz voll Bosheit, Hass und Streit, voll Kritik und Nörgelei ein Beweis dafür ist, dass der Geist des Herrn, die Salbung, die alle diese Härten aufweicht, fehlt. Gewiss, wir sind nicht alle gleich, und bei dem einen mag es länger gehen als bei dem anderen, ehe sich die Milde in den äußerlichen Dingen zeigt: aber gleich zu Beginn der Schulung durch Christum sollte wenigstens die Milde im Herzen als ein Zeichen dafür angestrebt werden, dass wir tatsächlich bei dem Herrn gewesen, von ihm gelernt und seinen Geist empfangen haben, und dann sollte es auch gar nicht lange dauern, bis sich diese Milde in den Dingen des täglichen Lebens zeigt.

So sehen wir denn, dass keine Stelle dem Grundton der Schrift widerspricht, demzufolge Lehrer notwendig sind, durch die der Wille des Herrn zum Ausdruck gebracht werden muss. Wir meinen nicht, dass Gott von diesen Lehrern abhängig, und damit keine Spaltung am Leib sei und jedes Glied lerne, mit den anderen im Einvernehmen zu leben, den anderen Dienste und Hilfe zu leisten, nicht imstande wäre, die Glieder der Neuen Schöpfung auf andere Weise zu belehren und aufzuerbauen.

Wir haben schon gesehen, dass diese Lehrer nicht als unfehlbar betrachtet werden sollen, sondern dass ihre Worte auf der Wage und am Maßstab der Worte Gottes, des Herrn, seiner Apostel und der heiligen Propheten früherer Zeiten geprüft werden sollten; denn auch die Propheten des Alten Bundes redeten und schrieben, wie sie vom Heiligen Geist getrieben wurden, zu unserer Ermahnung, auf welche die Enden des Zeitalters gekommen sind.

Wer „unterwiesen wird“ und wer „unterweist“

„Wer in dem Worte unterwiesen wird, teile aber von allerlei Gutem dem mit, der ihn unterweist.“ – Gal. 6:6

Diese Stelle zeigt in Übereinstimmung mit allen anderen, dass Gott eine gegenseitige Belehrung inmitten seines Volkes beabsichtigt hat. Selbst der Geringste der Herde soll selber denken, um so einen eigenen Glauben und eine eigene Sinnesart herauszubilden. Wie schade, dass dieser so wichtige Punkt unter den Namenchristen gänzlich außer acht gelassen worden ist. Obige Stelle unterscheidet freilich Lehrer und Schüler; aber letztere sollen sich frei fühlen, den Lehrern alles und jedes mitzuteilen, zur Kenntnis zu bringen, was zu ihrer Kenntnis kam und ein weiteres Licht auf den behandelten Gegenstand zu werfen geeignet ist, ohne dabei den Anspruch zu erheben, selbst Lehrer zu sein; vielmehr nur wie ein begabter Schüler, der mit seinem älteren Bruder, der auch Schüler ist, reden würde. Die Hörer sollen nicht Maschinen sein, sollen sich nicht scheuen, ihre Gedanken mitzuteilen; durch das Stellen von Fragen, die die Aufmerksamkeit auf etwas richten, was ihnen als irrige Auslegung erscheint, sollen sie das ihrige dazu beitragen, die Herauswahl und ihre Glaubenslehre rein zu erhalten. In dieser Weise sollen sie Kritiker sein; auch soll sie niemand davon abzubringen suchen, zu fragen, den Lehrer zu kritisieren und seine Darlegungen in Frage zu stellen; vielmehr sollen sie hierzu aufgefordert und ermuntert werden.

Nicht zwar, als ob der Herr gewünscht hätte, dass wir Splitterrichter seien, oder darauf ausgingen, Fehler der anderen herauszufinden. Eine solche Gesinnung ist mit dem Heiligen Geist nicht vereinbar und wäre sehr gefährlich. Denn wer, nur um einen Lehrer zu verwirren oder Gelegenheit zu einer Debatte zu erhalten, eine Frage aufwirft, an deren wahrheitsgemäßer Beantwortung ihm gar nicht gelegen ist, der wird sicherlich Schaden davon haben, und dieses bedeutet auch für die anderen eine Gefahr. Man muss es mit der Wahrheit ernst nehmen, wenn man Fortschritte darin machen will; dem, was man für wahr hält, selbst zu widersprechen und zum Schein oder zum Scherz einen Irrtum zu verfechten, ist wie eine Beleidigung des Herrn und wird dem Betreffenden sicherlich eine Vergeltung zuziehen. Ach, wie viele haben sich schon unterfangen, zu versuchen, wie viel gegen eine Lehre gesagt werden könne, an deren Richtigkeit sie selber doch glaubten; und wie sind sie dann bei der Verfolgung dieses Laufes auf Abwege geraten, völlig gefesselt und verblendet worden! Nächst dem Herrn ist die Wahrheit das Köstlichste auf der Welt; sie ist kein Spielzeug zum Zeitvertreib, und wer sich in dieser Beziehung nicht in Acht nimmt, wird Schaden erleiden. ( 2. Thess. 2:10, 11)

Das Wort „mitteilen“ in unserem Text (Gal. 6:6) ist ein vieldeutiges; es meint nicht nur das Mitteilen von Gedanken, Meinungen usw., sondern es kann auch bedeuten, dass, wer belehrt wird und geistige Güter empfängt, bereit sein sollte, in irgendeiner Weise zum Unterhalt derer beizutragen, die lehren, indem er für den Herrn, für die Brüder, für die Wahrheit von der Frucht seiner Arbeit und seiner Fähigkeiten darangibt. Dies ist der Kern der heiligen Gesinnung der Neuen Schöpfung. Schon zu Beginn seines Wandels als Neue Schöpfung erfährt ein jeder die Richtigkeit des Wortes unseres Heilandes: „Geben ist seliger als Nehmen.“ Darum freuen sich alle, die des Geistes sind, irdische Dinge in den Dienst der Wahrheit zu stellen, und zwar um so mehr, je mehr geistige Güter sie mit aufrichtigem, geradem Herzen angenommen haben. Die Frage, wie gegeben werden soll, welche Weisheit beim Geben walten soll, behalten wir für ein späteres Studium auf.

Die Frau in der Versammlung

Dieser Gegenstand könnte in gewisser Beziehung besser untersucht werden, nachdem wir das Verhältnis zwischen Mann und Frau nach Gottes Ordnung behandelt haben; aber ein Punkt in diesem Gegenstand scheint uns hierzu zu gehören, und was später über den Gegenstand überhaupt gesagt werden wird, wird dazu dienen, zu bestätigen, was wir hier sagen möchten.

Nichts ist klarer, als dass der Herr bei der Auserwählung der Neuen Schöpfung keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern macht. Männer und Frauen werden in den einen Leib getauft, dessen Haupt Jesus ist. Beide sind somit gleicherweise zu einem Anteil an der ersten Auferstehung, Herrlichkeit, Ehre und Unsterblichkeit, zu der sie führt, „so wir anders mitleiden, damit wir auch mit ihm herrschen können“, auserwählbar. Von Frauen sprechen der Herr und die Apostel mit ebenso großer und warmer Anerkennung als von Männern. Daher müssen die Einschränkungen, die der Frau hinsichtlich der Art und des Bereiches, in denen sie dem Evangelium dienen kann, sich nur auf die gegenwärtige Zeit, auf das Leben im Fleisch, beziehen, und es muss für sie eine Erklärung gefunden werden. Denn eine Bevorzugung der Männer von Seiten Gottes ist sicher nicht beabsichtigt. Wir werden zu zeigen versuchen, dass die Unterschiede, die hinsichtlich des Geschlechtes gemacht werden, die Bedeutung von Vorbildern haben, indem der Mann Christum Jesum, das Haupt der Versammlung, darstellt, das Weib aber die Herauswahl, die Braut, unter dem von Gott eingesetzten Haupt.

Der Evangeliumsbericht zeigt deutlich, dass unser Herr seine Mutter, Maria, Martha und andere ehrbare Frauen, die ihm mit ihrer Habe dienten, liebte; es steht übrigens in Joh. 11:5 ausdrücklich geschrieben. Dennoch überging er sie bei der Auserwählung der zwölf Apostel und der späteren Siebenzig. Wir können nicht annehmen, dass dies ein Versehen war, so wenig wie es in den 16 Jahrhunderten des levitischen Vorbildes ein Versehen war, dass die Frauen aus dem Stamm Levi an den öffentlichen Diensten der Leviten keinen Anteil hatten. Noch können wir den Gegenstand durch die Annahme erklären, dass es den Frauen an der nötigen Bildung gefehlt hätte, um dem Herrn zu dienen, denn von den erwählten Männern heißt es, dass man ihnen gleich angesehen hätte, dass sie ungelehrte Leute waren. Wir müssen also schließen, dass es Gottes Absicht war, nur Männer zu öffentlichem Dienst am Evangelium, zur Verkündigung der guten Botschaft, zu verwenden. Und hier bemerke man, dass die göttliche Einrichtung das Gegenstück der Methode des großen Widersachers ist, der zwar seine Werkzeuge nimmt, wo er sie findet, aber eine Vorliebe für Frauen hat. Schon das erste Weib war Satans erstes Werkzeug, durch das er den ersten Menschen zu Fall brachte. Die Hexen der Vergangenheit, die Medien der Spiritisten und Scientisten sind weitere Beispiele dafür, dass Satans Propaganda sich mit der gleichen Vorliebe der Frau bedient, wie Gott des Mannes. Das Weibliche wird vom natürlichen Menschen überhaupt auf religiösem Gebiet höher geschätzt, wie dies aus der Verbreitung des Kultus der „Göttinnen“ Isis, Astarte, Diana, Venus usw., wie auch des Marienkultus, dem heutzutage noch zwei Drittel der sogenannten Christenheit huldigen, erhellt. Dem steht der deutlich hervortretende Zug im Plan Gottes schroff gegenüber, dass Männer als Mundstücke und Vertreter des Herrn in der Versammlung gesetzt worden sind.

Abgesehen von der vorbildlichen Bedeutung der Frau gibt das Wort Gottes für den Unterschied, der in dieser Weise zwischen den beiden Geschlechtern gemacht wird, keinen Grund an. Unsere Vermutungen in dieser Beziehung können daher ebenso unrichtig wie richtig sein; dennoch wollen wir sie hier äußern. Unseres Erachtens machen nämlich gerade jene Eigenschaften des Geistes und Gemütes, die sich in den edelsten Frauen vereinigt finden, die Frau für öffentlichen Dienst in der Versammlung untüchtig. Z.B. ist jede Frau von Natur, glücklicherweise, von dem Wunsch erfüllt zu gefallen, gebilligt und gepriesen zu werden. Diese Eigenschaft ist ein großer Segen für jedes Heim und macht dieses soviel wohnlicher als eine Junggesellen- oder Altjungfernwohnung. Das wahre Weib ist in seinem Bemühen, die Familie glücklich zu machen, selbst glücklich, und freut sich, wenn diese ihre Befriedigung über das bereitete Mahl usw. äußert; niemals sollte ihr diese kleine Lobpreisung verweigert werden; man ist sie ihr schuldig, und sie hungert danach, und sie bedarf ihrer, um gesund zu bleiben und Fortschritte zu machen.

Wenn jedoch eine Frau aus ihrem naturgemäßen Wirkungskreis heraustritt, der schon so groß und wichtig ist, dass der Dichter sagt:

„Die Hand, die die Wiege schaukelt,
Regieret auch die Welt“,

wenn sie mit Vorträgen oder Schriftstellerei in die Öffentlichkeit tritt, dann befindet sie sich in einer für sie sehr gefährlichen Stellung. Denn einige ihrer Eigenschaften (deren eine wir eben angeführt), die sie zum echten Weib und sie selbst allen echten Männern wohlannehmlich machen, werden ihr unter den ihrer Natur nicht angemessenen Verhältnissen die Weiblichkeit rauben und sie „männlich“ machen. Die Natur hat jedem Geschlecht das seinige zugemessen, nicht nur in der äußeren Erscheinung, der Haartracht usw., sondern auch in der Eigenschaft des Geistes und des Gemütes, und es ist so eingerichtet, dass eines das andere ergänzt, eines am anderen Gefallen findet. Die Gesetze der Natur zu übersehen oder zu durchkreuzen, führt schließlich zu Schaden, wenn es auch anfangs gar nicht danach aussieht.

Das Bedürfnis, gebilligt zu werden, das die Natur dem Weib in so hohem Grade verliehen, und das ihm in seiner Aufgabe, die Familie glücklich zu machen, so nützlich ist, ist ein Fallstrick, sobald die Frau öffentlich wirkt; denn in der Öffentlichkeit sucht sie dann ebenfalls zu gefallen, sei es der Versammlung oder der Welt. Der Wunsch, weiser und geschickter als andere zu erscheinen oder größere Weisheit und Geschicklichkeit möglichst ins Licht zu rücken, ist eine Gefahr, die immer mit dem öffentlichen Auftreten verbunden ist; dieser Gefahr sind schon viele Männer erlegen, die sich in diesem Bestreben aufblähten und in die Fallen gerieten, die ihnen der Widersacher legte. Viel gefährlicher ist es für die Frau, deren echte Weiblichkeit sie gerade der Gefallsucht anheimfallen lässt, so dass sie strauchelt und andere straucheln macht. Aus ihren eigenen Bahnen heraus und in fremde Bahnen geworfen, wird sie vom Widersacher eine unechte Salbung erhalten, deren trügerischer Schein andere von den Wegen des Herrn ablenken kann. Darum ist die Warnung des Apostels: „Seid nicht viele Lehrer, meine Brüder, da ihr wisset, dass wir in schwereres Urteil empfangen werden“ (Jak. 3:1) – für die Schwestern noch viel wichtiger. Ja, für sie ist dies so gefährlich, dass überhaupt keine Frau als Lehrer bestellt wurde, wie geschrieben steht: „Ich erlaube aber einem Weibe nicht, zu lehren, noch über den Mann zu herrschen, sondern stille zu sein; ein Weib lerne in der Stille in aller Unterwürfigkeit.“ – 1. Tim. 2:12, 11

Dies kann jedoch nicht so verstanden werden, als hätten die Schwestern der Neuen Schöpfung nie Gelegenheit, durch Verkündigung des Evangeliums eines Segens teilhaftig zu werden. Der Apostel erwähnt im Gegenteil voller Anerkennung mehrere Frauen als Mitarbeiter, die ihn im Dienst unterstützt hatten, z.B. Aquila und Priscilla. (Röm. 16:3) Dies bedeutet mehr, als dass sie ihn in ihr Haus aufnahmen und für seinen Unterhalt sorgten: es bedeutet, dass sie mit ihm arbeiteten, nicht nur im Teppichwirken, sondern bei seinem Hauptberuf als Diener der guten Botschaft. Den gleichen Ausdruck braucht der Apostel später (Vers 9) von Urbanus; und dass im dritten Verse Priscilla vor Aquila erwähnt wird, gestattet den Schluss, dass sie eifriger als ihr Gatte mitarbeitete. In Vers 12 werden ferner Tryphöna und Tryphosa anerkennend erwähnt, sowie Persis, und in anderer Hinsicht (Vers 6) eine Maria.

Jede Schlussfolgerung aus den Worten des Apostels, wonach den Schwestern eine Gelegenheit, für den Herrn zu arbeiten, genommen wäre, würde mithin irrig sein. Nur in der Versammlung der Herauswahl (ob es zwei oder drei oder mehr seien) zum Zweck der Lobpreisung, des Gebetes und der gegenseitigen Auferbauung sollten die Schwestern einen untergeordneten Platz einnehmen und nicht versuchen, Leiter oder Lehrer zu sein. Dies würde einen Versuch bedeuten, über den Mann zu herrschen, den der Herr von Natur und durch Vorschrift für die Stellen bestimmt hat, die eine Verantwortlichkeit in sich schließen. Gewiss hatte der Herr hierfür gute Gründe, ob wir nun damit einverstanden sein können oder nicht.

Des Apostels Einschränkungen beziehen sich sicherlich auf Versammlungen, wie die in 1. Korinther 14 beschriebenen. An diesen Versammlungen nahmen die Schwestern teil, und sie hatten gewiss viel Segen davon. Sie stimmten in die Lieder, Lobgesänge und geistlichen Lieder ein und beteten mit.

Der Apostel wollte nur betonen, dass in diesen Versammlungen eine gewisse Ordnung herrschen müsse, damit alle um so mehr Nutzen davon hätten. Er empfiehlt, dass nicht mehr als ein Redner auf einmal weissagen, und dass alle anderen Acht geben sollen; dass nicht mehr als zwei oder drei Redner in der gleichen Versammlung auftreten, damit nicht zuviel untereinander vermischte Gedanken vorgebracht werden, und dass, wer die Gabe des Sprachenredens habe, schweigen solle, es sei denn jemand anwesend, der auslegen könne.

In solchen Versammlungen sollten Frauen überhaupt nicht reden, sondern vor oder nach der Versammlung oder zu Hause sollten sie ihre eigenen Männer (Gatten, Brüder oder Söhne) fragen, und was sie zu sagen hätten, sollten sie diesen oder ihnen sonst näher bekannten Brüdern auf dem Nachhauseweg oder sonst wie mitteilen. Das für „zu Hause“ stehende griechische Wort bedeutet „im Bekanntenkreis“. Dort mag die Frau ihre Fragen stellen oder ihre Gedanken vorbringen. Der Apostel sagt ausdrücklich: „Es ist ihnen nicht erlaubt zu reden, sondern unterworfen zu sein, wie auch das Gesetz sagt.“ – 1. Kor. 14:34

Offenbar gab es in der Versammlung zu Korinth „Frauenrechtlerinnen“, die sich auf den Standpunkt stellten, in der Versammlung seien die Rechte beider Geschlechter gleich. Der Apostel begnügt sich nicht damit, dies zu verneinen, sondern er tadelt es an den Korinthern, dass sie es wagten, Neuerungen einzuführen, die anderen vom Volk Gottes unberechtigt erschienen. „Oder ist das Wort Gottes von euch ausgegangen? oder ist es zu euch allein gelangt? Wenn jemand sich dünkt, ein Prophet zu sein oder geistlich, so erkenne er, was ich euch schreibe, dass es ein Gebot des Herrn ist“ (1. Kor. 14:36, 37), nicht meine persönliche Meinung oder Eigenheit. So sollen denn auch wir nicht, ebenso wenig wie die Korinther, nach unserem eigenen Belieben handeln, sondern des Apostels Vorschriften als Gottes Gebote annehmen. Und wenn jemand des Apostels Leitung in diesem Punkt verwirft, dann möge er der Konsequenz wegen gleich das Apostelamt des Paulus bestreiten.

Es ist angebracht, die Aufmerksamkeit hier auf die Worte des Apostels zu lenken, die er in Bezug auf die Gaben des Herrn an die Herauswahl seit Pfingsten spricht. Der Apostel sagt hierüber: „Er hat die einen gegeben als Apostel und andere als Propheten und andere als Evangelisten und andere als Hirten und Lehrer, zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes Christi.“ (Eph. 4:11, 12) Da das Griechische das Geschlecht durch den Artikel unterscheidet und hier, ausgenommen vor dem Worte „Lehrer“ (vielleicht gleichbedeutend mit „Gehilfe“, siehe auch in 1. Kor. 12:28), der männliche Artikel steht, so wird klar, dass uns der Heilige Geist durch das geschriebene Wort eine sichere Anleitung hinsichtlich der Frage der Stellung der Frau geben wollte. Möglich auch, dass das Fehlen des Artikels vor dem Wort „Lehrer“ nur andeuten sollte, dass Gott die Apostel, Propheten, Evangelisten und Hirten als Lehrer gegeben habe.

Lasst uns hier aber beifügen, dass es nicht als Lehren bezeichnet werden kann, wenn eine Schwester die Aufmerksamkeit der Versammlung auf Worte des Herrn oder der Apostel richtet, die die in Behandlung befindliche Frage beleuchten; wenn sie dabei nicht ihre eigene Meinung vorträgt, ist das kein Herrschen über den Mann, sondern eine Berufung auf anerkannte Lehrer. So wäre es auch keine Belehrung durch die Frau, wenn sie die Schriftstudien anderen vorlesen würde, vielmehr wäre dies eine Belehrung durch deren Verfasser. Daraus geht hervor, dass der Herr seine Herde hütet und bewahrt und gleichzeitig reichlich für ihre Bedürfnisse sorgt. Alle können dem Gebot Gottes gehorchen, aber begreifen werden es nur die, die sich dessen bewusst sind, dass in der Bildersprache der Bibel das Weib die Herauswahl und der Mann den Herrn, das Haupt oder den Meister der Herauswahl, vorschattet. (Eph. 5:23; 1. Kor. 11:3) Wie sich die Herauswahl nicht anmaßen soll, den Herrn zu belehren, so soll sich auch die Frau nicht zum Beherrscher des Mannes aufwerfen. Angesichts der angeführten symbolischen Bedeutung kann sich kein Weib zurückgesetzt fühlen und kein Mann sich wegen dieser Anordnung der Schrift aufblähen; vielmehr wird ein jedes dessen eingedenk sein, dass der Herr der einzige Lehrer ist, und dass die Brüder nicht ihre eigene Weisheit hervorzubringen suchen, sondern nur den Geschwistern das vorlegen sollen, was ihr Haupt als Wahrheit bezeichnet hat. Lasst uns 1. Tim. 2:11, 12 auf unser Verhältnis zum Haupt anwenden und deshalb lesen: „Eine Versammlung lerne in der Stille, in aller Unterwürfigkeit. Ich erlaube aber einer Versammlung nicht zu lehren, noch über Christum zu herrschen, sondern stille zu sein.“

„Lass sie sich bedecken“

Wir haben schon in der „Stiftshütte“ gezeigt, dass der Hohepriester, der Christum, den Hohenpriester unseres Bekenntnisses, vorschattete, allein unbedeckten Hauptes blieb, wenn er im Ornate seines Amtes waltete, indes die Unterpriester, die die Herauswahl, die königliche Priesterschaft vorschatteten, eine Kopfbedeckung trugen. Dieses Vorbild ist in voller Harmonie mit dem, was wir eben gesehen haben; denn in den Versammlungen der Herauswahl schatten die Brüder den gegenbildlichen Hohenpriester vor, die Schwestern aber die Herauswahl. Deshalb sollen letztere zum Zeichen der Unterwerfung der Herauswahl unter ihr Haupt Christus eine Kopfbedeckung tragen. Die Einzelheiten finden wir in 1. Kor. 11:4-7, 10-15

Der Annahme, dass der Apostel unter dieser Bedeckung das lange Haar verstehe, widerspricht Vers 5, wo ausdrücklich verlangt wird, dass sich die Frau außer mit dem langen Haar auch sonst wie das Haupt bedecken soll. Diese Kopfbedeckung wird in Vers 10 als ein Zeichen der Unterwerfung unter den Mann bezeichnet, was die Unterwerfung der ganzen Herauswahl unter das Gesetz des Christus vorschattet.

Vers 5 scheint auf den ersten Blick im Widerspruch zu der Forderung zu stehen, dass das Weib in den Versammlungen schweigen soll. Wir denken, dass es so zu verstehen ist, dass in allgemeinen Versammlungen das Weib wegen des öffentlichen Charakters dieser Versammlungen nicht auftreten solle, dass aber der Apostel nichts dagegen einzuwenden habe, wenn Frauen bedeckten Hauptes in Hausversammlungen für gemeinsames Gebet und Zeugnisablegen, nicht aber zum Lehren, das Wort ergreifen.

Doch beachte man, dass der Apostel die Forderung der vorbildlichen Bedeckung der Frau in der Versammlung nicht als ein göttliches Gebot aufstellt, sondern es nur dringend empfiehlt. Im Gegenteil, er fügt hinzu (1. Kor. 11:16): „Wenn es aber jemanden gutdünkt, streitsüchtig zu sein (das eben Gesagte zu bestreiten), so haben wir solche Gewohnheit (Sitte, bestimmtes Gesetz in der Herauswahl) nicht, noch die Versammlungen Gottes.“ Es sollte nicht als wesentlicher Punkt betrachtet werden, obwohl alle, welche des Herrn Willen zu tun suchen, auch in diesem Stück alle Sorgfalt anwenden würden, sobald sie dessen symbolische Bedeutung erkannt haben. Die Worte „um der Engel willen“ (1. Kor. 11:10) scheinen sich auf die erwählten Ältesten in der Herauswahl zu beziehen, welche in besonderer Weise den Herrn, das Haupt der Herauswahl, vorschatten. – Offb. 2:1

Das Gesagte noch einmal zusammenfassend, raten wir, den inspirierten Worten des Apostels in Bezug auf die Freiheit der Schwestern in den Angelegenheiten der Herauswahl eine möglichst weite Erklärung zu geben. Unsere Ansicht darüber würde folgendermaßen sein:

1. Die Schwestern haben hinsichtlich der Erwählung der Diener der Herauswahl, der Ältesten und Diakone, dieselbe Freiheit wie die Brüder.

2. Die Schwestern können in der Herauswahl nicht als Älteste oder Lehrer dienen, weil der Apostel sagt: „Ich erlaube aber einem Weibe nicht zu lehren.“ (1. Tim. 2:12) Dies sollte jedoch nicht so verstanden werden, als ob es die Schwestern daran hinderte, sich an Versammlungen, die den Charakter des Lehrens und Predigens tragen, zu beteiligen, ebenso wie an Gebets- und Zeugnisversammlungen, Beröer-Bibelstudien usw., obgleich der Apostel sagt, dass, wenn sie betet oder weissagt (spricht), sie ihr Haupt bedecken sollte, was ihre Erkenntnis der Tatsache vorschattet, dass der Herr, der große Lehrer, besonders durch die Brüder vorgeschattet wird. (1. Kor. 11:5, 7, 10) Solche Teilnahme braucht nicht als Lehren aufgefasst zu werden; auch nicht alle Brüder sind Lehrer, wie der Apostel sagt: „Sind etwa alle Lehrer?“ Nein, die Lehrer und Ältesten werden besonders gewählt, allerdings nur aus der Mitte der Brüder. – Eph. 4:11; 2. Tim. 2:24; 1. Kor. 12:28, 29