Die Notwendigkeit und Gerechtigkeit des Tages der Rache
„Über dieses Geschlecht“, Vorbild und Gegenbild. – Die große Drangsal eine rechtmäßige Folge vorhergegangener Ursachen. – Die Verantwortlichkeit der „Christenheit“ und ihr Verhalten dazu. – Bürgerliche Mächte; religiöse Führer; die verschiedenen Stände. – Die Beziehung der heidnischen Nationen zur „Christenheit“ und zur Drangsal. – Das Gericht Gottes. – „Die Rache ist mein, ich will vergelten.“
Wahrlich, ich sage euch, dies alles wird über dieses Geschlecht kommen.
Matthäus 23:34-36 & Lukas 11:50, 51
Wer nicht gewohnt ist, Grundsätze vom Standpunkt einer gerechten und sittlichen Philosophie aus zu beurteilen, dem mag es sonderbar erscheinen, dass eine Generation der Menschheit büßen soll für alles, was viele vorangegangene Generationen verschuldet haben. Doch da dies das gefällte Urteil Gottes ist, der nicht irren kann, so müssen wir uns die Sache reiflich überlegen. Die Gerechtigkeit des Urteils wird uns dann klar werden.
In den oben zitierten Bibelstellen erklärt der Herr, dass es der Generation des fleischlichen Israels, zu der er sprach am Ende des jüdischen Zeitalters, gerade so gehen werde. „Über euch wird kommen alles gerechte Blut, das auf Erden vergossen ist, vom Blute des gerechten Abel bis zum Blute des Zacharias, den ihr zwischen Tempel und Altar ermordet habt.“ (Matth. 23:35)
Das war eine schreckliche Prophezeiung: sie fand aber taube Ohren und ungläubige Herzen, dennoch ist sie wörtlich genau 37 Jahre später in Erfüllung gegangen, als Bürgerkrieg und feindliche Armeen schreckliche Vergeltung übten. In jener Zeit war, wie wir lesen, das jüdische Volk durch Eifersucht in Parteien gespalten, die einander bekriegten, und das gegenseitige Misstrauen war auf das höchste gesteigert. Freundschaften wurden zerstört, Familien lösten sich auf, und jedermann war voller Argwohn gegen seinen Bruder. Diebstahl, Betrug und Mord war sehr verbreitet, und niemandes Leben war sicher, selbst im Tempel nicht. Der Hohepriester wurde in Ausübung seines Amtes erschlagen. Da trieb das Blutbad in Cäsarea das Volk zur Verzweiflung. Es glaubte sich überall zur Abschlachtung bestimmt und einigte sich nun zu gemeinsamer Abwehr durch einen Aufstand. So empörte sich das kleine Judäa offen gegen Rom und forderte damit die ganze zivilisierte Welt von damals in die Schranken. Vespasian und Titus wurden zu ihrer Züchtigung ausgesandt; eine Stadt nach der anderen fiel in ihre Hände, bis zuletzt Jerusalem an die Reihe kam. Eben waren Tausende zum Passahfest in Jerusalem zusammengeströmt, als Titus (im Frühling 70) die Stadt einschloss. In kurzer Zeit fielen da die Einwohner dem Hunger, dem Bürgerkrieg und dem Schwert des Feindes zum Opfer. Wer bei einem Versuch, sich durch die Belagerungslinien durchzuschleichen, erfasst ward, wurde ans Kreuz geschlagen, und die Hungersnot war so schrecklich, dass Eltern ihre eigenen Kinder schlachteten und verzehrten. Josephus gibt die Zahl der Umgekommenen auf eine Million an, und Stadt und Tempel wurden in Asche gelegt.
So erfüllte sich die Prophezeiung an dem widerspenstigen fleischlichen Israel am Ende des Zeitalters, in dem es sich einer besonderen Gunst als Gottes auserwähltes Volk zu erfreuen hatte. Jetzt, am Ende des Evangeliums-Zeitalters, wird das Gegenbild zu jener Drangsal über das dem Namen nach geistliche Israel kommen, in Erfüllung der weiteren Bedeutung der Prophezeiung. Dieses dem Namen nach geistliche Israel ist die Namenchristenheit, über welche eine Drangsal hereinbrechen wird, wie sie nicht gewesen ist, seit es Völker gab auf Erden, eine Drangsal, die also noch schrecklicher sein wird als die, welche über Judäa und Jerusalem hereinbrach. Etwas Schrecklicheres können wir uns nun kaum vorstellen, es sei denn in dem Sinne, dass diese kommende Drangsal allgemeiner und verbreiteter sein und noch mehr zugrunde richten wird, was man sich denken kann, wenn man sich der gegenwärtigen Kriegswaffen erinnert. Statt nur ein Volk oder Land zu treffen, wird das Verderben die ganze Welt treffen, in erster Linie die zivilisierte Welt, die Namenchristenheit, Babylon. Wir dürfen daher das Gericht, das über das fleischliche Israel erging, als das Vorbild jenes viel größeren und schrecklicheren Gerichtes ansehen, das am Ende des Evangeliums-Zeitalters über die Namenchristenheit hereinbrechen wird. Wer voreilig diese Verfügung des Allmächtigen gegenüber dem jetzt lebenden Geschlecht als ungerecht zu betrachten geneigt ist, hat eben das vollkommene Gesetz der Vergeltung nicht begriffen, welches sicher, wenn auch oft langsam, zu seinem Ziele führt. Die Gerechtigkeit und Notwendigkeit dieses Gerichtes ist hingegen allen klar, die nachdenken, sich beugen und, statt Gott eines Unrechtes zu zeihen, in seinem Worte Aufklärung suchen.
Die große Trübsal – eine notwendige Folge vorausgehender Ursachen
Wir stehen gegenwärtig in einer Zeit, welche den Höhepunkt der Entwicklung darstellt und der ganzen Welt zugute kommen sollte und tatsächlich auch in mancher Beziehung zugute kommt, besonders demjenigen Teil der Welt, welcher den Vorteil der Erleuchtung durch die göttliche Wahrheit genoss, also der Namenchristenheit, deren Verantwortung dadurch jedoch nur um so größer wird. Gott macht die Menschen nicht nur für das verantwortlich, was sie wissen, sondern auch für das, was sie wissen könnten, wenn sie ihre Herzen der Belehrung erschließen wollten, der Belehrung, die sie aus ihrer eigenen Erfahrung und der der anderen schöpfen sollten, und wenn die Menschen diese Belehrung nicht beherzigen, sondern wissentlich in den Wind schlagen, so müssen sie auch die Folgen so törichten Handelns auf sich nehmen. Vor der Namenchristenheit liegt die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte wie ein offenes Buch, und ebenso die auf göttlicher Inspiration beruhende Offenbarung. Wie viel Belehrung lässt sich aus beiden schöpfen! Erfahrung, Klugheit, Kenntnisse, Belohnung und Strafe heißen die Lehrmeister! Gestützt auf die Erkenntnis der vorangegangenen Generationen hat die Welt auf industriellem, volkswirtschaftlichem und noch manchem anderen Gebiet in materieller Beziehung sehr ansehnliche Fortschritte gemacht. Viele Annehmlichkeiten, die unsere gegenwärtige Zivilisation in so reichem Maße bietet, schulden wir den aus den Erfahrungen vergangener Geschlechter geschöpften Lehren. Die Buchdruckerkunst hat diese jedermann erreichbar gemacht. Schon in diesem einzigen Punkt hat die heutige Generation einen großen Vorteil vor den anderen nach jeder Richtung; zu ihren eigenen Erfahrungen hat sie die der Vergangenheit. Aber die sittlichen Lehren, welche die Menschheit auch hätte beachten und befolgen sollen, sind fast allgemein übersehen worden, sogar die, welche sich der öffentlichen Aufmerksamkeit förmlich aufdrängten. Die Geschichte birgt deren viel für diejenigen, deren Herzen Rechtschaffenheit suchen, und die heutige Menschheit hat deren Lehren mehr denn alle früheren Generationen. Von Zeit zu Zeit haben denkende Menschen darauf aufmerksam gemacht. So sagt zum Beispiel Prof. Fischer im Vorwort zu seinem Werk „Entstehung, Entwicklung und Auflösung der Reiche“, ganz richtig: „Dass die Aufeinanderfolge der die Menschheit betreffenden Ereignisse eine gesetzmäßige ist, wird durch gewissenhafte Beobachtung der Tatsachen bezeugt. Die Ereignisse sind stets das Ergebnis derer die vorangingen; sie sind als natürliche Folge der Vergangenheit deutlich erkennbar. Frühere haben die späteren gleichsam abgeschattet.“ Das ist durchaus richtig; das Gesetz von Ursache und Wirkung tritt nirgends so sichtlich in Erscheinung wie in der Geschichte. Nach diesem Gesetz, das göttlich ist, muss die Saat der Vergangenheit aufgehen und Frucht tragen, und eine Ernte ist daher unvermeidlich. Im 2. Band ist gezeigt worden, dass die Erntezeit des Evangeliums-Zeitalters bereits da ist, dass sie 1874 begann, als die Gegenwart des Herrn der Ernte fällig war, und dass wir jetzt, nachdem ein großer Teil des Erntewerkes seit jenem Jahr vollbracht wurde, uns mit schnellen Schritten der Zeit nähern, wo die letzte Verrichtung des Erntewerkes, die Verbrennung der Bündel Scheinweizen und die Einsammlung und das Keltern der ausgereiften Trauben am „Weinstock der Erde“ (Offb. 14:18), das heißt der reifen Früchte des unrechten Weinstocks (im Gegensatz zu Johannes 15:1) an die Reihe kommen muss.
Babylon, die Christenheit, hat eine lange Gnaden- und Prüfungszeit gehabt und manche Gelegenheit, das Gute zu lernen und in die Tat umzusetzen, sowie manche Warnung vor dem kommenden Gericht. Durch das ganze Evangeliums-Zeitalter hindurch haben die Heiligen Gottes unter ihr gewohnt, hingebende, opferfreudige, christusähnliche Männer und Frauen, das Salz der Erde. Sie hat die Botschaft von der Erlösung aus dem Mund dieser Zeugen vernommen; sie hat gesehen, wie dieselben der Wahrheit und Rechtschaffenheit durch ihren Wandel Ausdruck gaben, und gehört, wie sie die Welt Rechtschaffenheit lehren und vom kommenden Gericht überzeugen wollten. Aber sie hat diese lebendigen Zeugnisse, diese Sendboten Gottes, missachtet. Daran nicht genug, haben die sogenannten christlichen Völker in ihrer Gewinnsucht den Christennamen vor der Heidenwelt in Unehre gebracht, indem sie den Spuren der Missionare mit dem Handel mit berauschenden Getränken und anderen „zivilisierten“ Übeln folgten, und die Heiligen Gottes in ihrer Mitte, den Keim des Reiches Gottes, Gewalt leiden ließen. Sie hat diese Heiligen gehasst, verfolgt, getötet; ihrer Tausende haben im Laufe der Jahrhunderte ihr Zeugnis mit ihrem Blut besiegelt, und zwar infolge der Maßregeln der Namenchristenheit. Wie ihr Meister, so sind auch sie ohne Grund verhasst gewesen; um ihrer Rechtschaffenheit willen waren sie als der Auswurf der Menschheit verstoßen; immer und immer wieder wurde ihr Licht gelöscht, damit die Finsternis fortdauere und der Namenchristenheit das Unrechttun erleichtere. So düster sieht es in der Geschichte der Namenchristenheit aus! Das Muttersystem ist trunken vom Blut der Heiligen und Blutzeugen Jesu, und es ist samt den noch verblendeten Tochtersystemen auch heute noch bereit, alle die zu verfolgen und zu enthaupten (Offb. 20:4), wenn auch in feinerer Weise, die Gott und seinem Worte glauben und es wagen, wenn auch mit Güte, ihm aus dem Worte Gottes den Beweis, dass es im Unrecht ist, zu bringen. Die bürgerlichen Gewalten in der Namenchristenheit sind ihrerseits oft gewarnt worden, indem von Zeit zu Zeit Reiche und Königshäuser infolge ihrer Verderbtheit zusammenbrachen. Und heute noch könnten diese Gewalten, wenn sie nur wollten, eine letzte Warnung von Gottes Wort vernehmen:
„Seid verständig, ihr Könige, lasset euch zurechtweisen, ihr Richter der Erde! Dienet Jehova mit Furcht, und freuet euch mit Zittern! Küsset den Sohn, auf dass er nicht zürne, und ihr umkommet auf dem Wege, wenn nur ein wenig entbrennt sein Zorn! … Warum toben die Nationen und sinnen Eitles die Völkerschaften? Es treten auf die Könige der Erde, und die Fürsten ratschlagen miteinander wider Jehova und wider seinen Gesalbten: Lasset uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile! Der im Himmel thront, lacht, der Herr spottet ihrer. Dann wird er zu ihnen reden in seinem Zorn, und in seiner Zornglut wird er sie schrecken.“ – Psalm 2
Eine andere Warnung ergeht an die Gewalthaber in Psalm 82:
„Gott steht in der Versammlung der Gewaltigen und ist Richter unter den Göttern (den Herrschern – und spricht zu ihnen): Wie lange wollt ihr unrecht richten und die Person der Gottlosen vorziehen? Schaffet Recht dem Armen und der Waise und helfet dem Elenden und Dürftigen zum Recht. Errettet den Geringen und Armen und erlöset ihn aus der Gewalt der Gottlosen.“
Dass dieser Rat für die Gegenwart von großer Wichtigkeit und sehr zutreffend ist und sich den Inhabern der Gewalt mit Macht aufdrängt, davon liefert uns die Tagespresse manchen Beweis, und es hat auch unter allen Weltleuten, die der Zukunft nur vom Nützlichkeitsstandpunkt aus Aufmerksamkeit schenken, nicht an solchen gefehlt, welche erkannt haben, dass eine Befolgung der Ratschläge der Propheten nützlich und notwendig wäre. Zu diesen ist der alte Kaiser Wilhelm I. zu zählen, von dem einst (1880) der Berliner Korrespondent des „Osservatore Romano“ folgendes schrieb:
„Als der deutsche Kaiser die Nachricht vom Attentat im Speisesaal des Winterpalais zu Petersburg empfing, ward er sehr nachdenklich und bemerkte erst nach Verlauf einiger im tiefsten Schweigen verbrachten Minuten in traurigem Ton, aber mit einer gewissen Entschlossenheit: Wenn wir unserer Politik nicht eine andere Richtung geben, wenn wir nicht ernstlich daran gehen, dem aufwachsenden Geschlecht einen gesunden Unterricht zu geben, wenn wir in demselben nicht der Religion den ersten Platz einräumen, wenn wir nur mit Augenblicksmitteln, deren Wahl sich von Tag zu Tag ändert, zu regieren versuchen – dann werden unsere Throne umgeworfen, und die menschliche Gesellschaft wird die Beute der allerschrecklichsten Heimsuchung werden. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren, und es wird von schwerem Nachteil sein, wenn nicht alle Regierungen sich zu gemeinsamer Bekämpfung des Umsturzes entschließen können.“
In seinem 1895 unter dem Titel „Reform oder Revolution“ in Deutschland erschienenen Buch beschuldigt von Massow, welcher der konservativen Partei angehört und Präsident des Zentralkomitees für Arbeiterkolonien ist, seine Landsleute, sie trieben Vogel-Strauß-Politik, schlössen die Augen vor der nahenden Gefahr und glaubten ihr dadurch zu entrinnen. Er schreibt:
„Wir können Tatsachen ignorieren, aber ändern können wir sie nicht. Es besteht darüber gar kein Zweifel, dass wir am Vorabend einer Revolution stehen. Wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, muss dies zugeben. Nur eine in Egoismus, Selbstgefälligkeit und Vergnügungssucht versunkene Gesellschaft kann es leugnen; nur eine solche Gesellschaft kann fortfahren, über dem grollenden Krater zu tanzen, kann sich weigern, das „Menetekel“ zu sehen, und kann weiter auf die Bajonette vertrauen. Man hat in der großen Menge der Gebildeten und Besitzenden keine Ahnung davon, welcher furchtbare Hass in breiten Schichten des Volkes gärt. Man stellt sich die sozialdemokratische Partei als politische Partei vor wie die übrigen politischen Parteien und vergisst, dass sie eine soziale Partei ist, dass es sich bei ihrer Aktion nicht um politische Bestrebungen, sondern um das brennende Verlangen der unteren Schichten handelt, an dem Glück und Wohlsein der oberen teilzunehmen, einem Glück und Wohlsein, von dem sich die Menschen, die nie einen Hundertmarkschein ihr eigen genannt haben, ein ganz falsches Bild machen … Die Ordnung wird freilich nach einer gewaltsamen Erhebung bald wiederhergestellt sein. Doch in welchem Zustand wird sich alsdann das Land befinden! Ungeheuer wird die Zahl der Krüppel, Witwen und Waisen sein; öffentliche und private Banken werden geplündert, Eisenbahnen, Telegraphen, Straßen, Brücken, Paläste, Fabriken, Denkmäler werden zerstört sein. Wo sollen dann Reich, Einzelstaaten und Kommunen die zur Wiederherstellung des Zerstörten oder auch nur eines Teiles dessen erforderlichen Milliarden aufbringen?
Es ist einfach unglaublich, dass nichts geschieht, um der Gefahr vorzubeugen. Nicht der Wohltätigkeit bedarf es, sondern warmer Herzen, die willig sind, auf die unteren Klassen ein wenig Rücksicht zu nehmen. Liebe, allumfassende Liebe allein, wird viel von dem gärenden Hass überwinden. Viele mögen freilich schon so verirrt sein, dass nichts sie zurückzubringen vermag; daneben sind aber Millionen, die man ganz gut für Gesetz und Ordnung wiedergewinnen kann, wenn man ihnen zu menschenwürdigem Dasein verhilft, wenn man ihnen zeigt, dass sie nicht, wie es jetzt tatsächlich der Fall ist, schlechter dran sein müssen als das Vieh, das wenigstens Obdach und Nahrung hat.“
Aber wissen die heutigen Machthaber die Warnungen und eindringlichen Lehren der gegenwärtigen Stunde zu schätzen? Gewiss nicht, sondern „sie wissen nichts und verstehen nichts, in Finsternis wandeln sie einher: es wanken alle Grundfesten der Erde“ – die Grundlagen der Gesellschaft, die bis jetzt geltenden Grundsätze von Gesetz und Ordnung werden schrecklich erschüttert werden, so erschüttert, dass sie verschwinden. – Psalm 82:5. vergleiche Hebr. 12:26; Jes. 2:19
Der nunmehrige deutsche Kaiser lässt sich durch die Besorgnisse seines Großvaters nicht anfechten. Als er dem Fürsten Bismarck ein prächtiges Schwert in goldener Scheide überreichte, sagte er:
„Vor den Augen dieser Truppen überreiche ich Euer Exzellenz meine Gabe. Ich fand nichts Besseres denn ein Schwert, die edelste Waffe des Deutschen, ein Sinnbild jenes Werkzeugs, das Eure Exzellenz im Dienste meines Großvaters schmieden, schärfen und schwingen half, ein Andenken an jene große Zeit der Aufrichtung des Reiches, da Blut und Eisen als Mörtel dienten, ein Mittel, das nie versagt, und das in der Hand von Kön.n und Fürsten im Notfall die Einheit des Reiches gegen den inneren Feind schützen wird, so gut wie es auf fremder Erde zur Herstellung jener Einheit geführt hat.“
Der Londoner „Spectator“ fügte dieser Ansprache des Kaisers an seinen einstigen Kanzler folgende inhaltsschwere Bemerkungen bei:
„Das sind Worte, die zu allen Befürchtungen berechtigen. Zwei Erklärungen derselben werden in Deutschland dafür gegeben. Nach der einen richtet sich der Ausspruch gegen jeden Staat, der den Anspruch erheben sollte, aus dem Bund ausscheiden zu können. Nach der anderen liegt in diesen Worten der Entschluss des Kaisers und der mit ihm verbündeten Fürsten, die Sozialdemokraten und Anarchisten nötigenfalls mit Waffengewalt zu bekämpfen. In beiden Fällen wäre die Ankündigung unnötig und voreilig. Niemand zweifelt daran, dass das Reich, zu dem auf den Schlachtfeldern von 1866 und 1870 der Grund gelegt ward, die militärische Besetzung eines Bundesgliedes anordnen würde, das sich selbständig machen wollte. Aber irgendeiner Partei, und wäre es die der Sozialdemokraten, mit der Proklamation des Kriegsrechts zu drohen, während sie nur mit dem Stimmzettel in den Kampf zieht, das heißt die Verfassung zugunsten des Belagerungszustandes aufheben. Wir setzen nicht voraus, dass der Kaiser irgendetwas Derartiges im Ernst beabsichtigt; aber seine Worte bezeugen, dass er über die Lage nachgedacht, dabei den Widerstand der Sozialdemokraten als ein Hindernis auf dem Wege, den er sich vorgezeichnet, empfunden hat und so schließlich zu dem Ergebnis gekommen ist: Noch habe ich mein Schwert, und das ist ein Mittel, das nie versagt. Viele Kön. sind vor ihm zu diesem Ergebnis gekommen; aber wenige sind soweit gegangen, darüber laut zu denken; wenn auch in ihrem Herzen derselbe Gedanke aufstieg und als letzte Zuflucht sich ihnen aufzudrängen suchte, so hielten sie es doch nicht für klug, ihn auszusprechen. Die Worte bedeuten, mag man sie so oder anders auslegen, eine Drohung, und kluge Monarchen drohen nicht, bevor die Stunde auch wirklich gekommen ist, dreinzuschlagen. Noch weniger drohen sie, inneren Schwierigkeiten mit dem Schwert als Heilmittel zu begegnen. „Das Schwert ein Heilmittel“ für innere Schwierigkeiten, „ein Mittel, das nie versagt!“ Mit demselben Recht könnte der Chirurg sein Messer als ein unfehlbares Mittel gegen Fieber bezeichnen! Fürst Schwarzenberg hat an der Spitze einer mächtigen Armee das Mittel unter viel günstigeren Umständen anzuwenden gesucht, ist aber nach jahrelanger Erfahrung zu der Überzeugung gekommen, dass man mit Bajonetten alles kann, nur nicht darauf sitzen. Kaiser Wilhelm II. täte wohl daran, sich daran zu erinnern. Was könnte ein römischer Imperator Stärkeres gesagt haben als: „Das Schwert ist ein Heilmittel, das nie versagt?“ In einem solchen Satz liegt die Quintessenz der Willkürherrschaft. Wenn der Kaiser denselben wohlüberlegt ausgesprochen hat, so hat Deutschland nicht einen Regenten in ihm, sondern einen absoluten Herrscher, wie sie die neuere Geschichte nicht mehr erträgt. Es mag ja sein, dass der Kaiser unbedacht gesprochen hat, unter dem Einfluss seines starken Selbstbewusstseins, seiner Hinneigung zur Bildersprache, die man schon früher an ihm bemerkte. Wenn aber seine Worte als ein Manifest an sein Volk gelten sollten, dann kann man nur sagen: „Wie schade, welch schöne Hoffnungen sind zu Wasser geworden!“
Die Erklärung des jungen Zaren, dass er am Absolutismus ebenso stark festgehalten werde wie sein Vater, ist ein Beweis dafür, dass die Fürsten die dringlichen Warnungen der bedeutungsvollen Gegenwart und des Wortes Gottes nicht beachten. Wie ist diese Erklärung von seinen Untertanen begrüßt worden trotz aller Bemühungen, das freie Wort zu knebeln? Ein Manifest wurde von der russischen „Gesellschaft für Volksrechte“ veröffentlicht und im ganzen Reich in Zirkulation gesetzt. Das Manifest war ein offener Brief an den Zaren und zeichnete sich durch deutliche und kräftige Sprache aus. Nachdem es den Ausspruch über den Absolutismus getadelt hatte, fährt es fort:
„Die kühnsten Semstwos haben nur die Redefreiheit und den Schutz der Gesetze gegen die Willkürakte der ausführenden Organe verlangt. Höflinge und Beamte täuschen Sie und erschrecken Sie durch ihre Vorstellungen. Die Gesellschaft merkt sehr wohl, dass das Beamtentum, das eifersüchtig über seine Allmacht wacht, Ihnen diese Worte eingegeben hat. Das Beamtentum, vom Minister abwärts bis zum letzten Gendarm im kleinsten Dorf, hasst jeden Fortschritt, den gesellschaftlichen wie den persönlichen, und verhütet sorgfältig den direkten Verkehr des Monarchen mit Vertretern seines Volkes, es sei denn, dieselben kommen im Galaanzug und bringen Glückwünsche oder Geschenke dar. Ihre Worte beweisen, dass jeder Versuch, selbst in der loyalsten Form, vor dem Thron von den schreienden Notständen zu reden, auf nichts Anderes als eine schroffe Abweisung zu rechnen hat. Die Gesellschaft erhoffte von Ihnen Ermutigung und Unterstützung; stattdessen bekam sie einen Ausspruch zu hören, der Ihre Allmacht ins Gedächtnis rief und dadurch den Schein erweckte, als sei der Zar seinem Volk ganz entfremdet. Damit haben Sie Ihre Popularität verscherzt und sich demjenigen Teil der Gesellschaft entfremdet, der friedlich vorwärts strebt. Es gibt freilich solche, die über Ihre Sprache frohlocken. Sie werden aber deren Machtlosigkeit bald inne werden! In einem anderen Teil der Gesellschaft haben Ihre Worte ein Gefühl des Beleidigt- und Unterdrücktseins geweckt, welches zwar die besten gesellschaftlichen Kräfte bald überwinden werden; dann wird derselbe hartnäckig und planmäßig den friedlichen Kampf für die Freiheit aufnehmen. In einem dritten Teil aber werden Ihre Worte den Entschluss zur Reife bringen, jedes Mittel anzuwenden, das zur Beseitigung des verhassten Zustandes führen kann. Sie haben diesen Kampf heraufbeschworen, Sie werden ihn in kurzem haben!“
So tappen alle Nationen der „Christenheit“ sorglos in der seit langem dem Licht vorgezogenen Finsternis umher. Selbst das auf seine Freiheit so stolze Amerika, dessen Volk in mancher Hinsicht in so reichlichem Maße wie kein anderes begünstigt ist, bildet keine Ausnahme und hat auch seine Warner gehabt. Wir denken dabei an die Worte, die Präsident Lincoln kurz vor seiner Ermordung an einen Freund in Illinois richtete:
„Ja, wir mögen uns allen dazu Glück wünschen, dass dieser blutige Krieg zu Ende geht. Er hat einen großen Aufwand an Gut und Blut gekostet. Das beste Blut der Auslese der amerikanischen Jugend ist freiwillig auf dem Altar des Vaterlandes geopfert worden, um den Fortbestand der Nation zu sichern. Es war für die Vereinigten Staaten eine schwere Prüfungszeit. Aber in nicht ferner Zeit sehe ich eine andere Krisis drohen, welche mich mutlos macht und um das Wohl unseres Staates zittern lässt. Infolge des Krieges ist das Korporationswesen zu Macht und Ansehen gelangt. Das wird die Korruption in den obersten Gesellschaftsklassen herbeiführen, und die Geldmächte im Land werden versuchen, ihre Herrschaft auf die Vorurteile des Volkes zu gründen und so lange zu erhalten, bis aller Besitz in wenigen Händen konzentriert sein wird. Dann wird unsere Republik nicht mehr sein! Im Blick auf diese Zukunft bin ich jetzt um das Wohl des Staates in schwererer Sorge als mitten im Krieg.“
Diesem Ausspruch lassen wir solche aus näherliegender Vergangenheit folgen. Im Jahre 1896 sagte der Abgeordnete Hatch (Missouri) im Kongress bei einer Besprechung finanzieller und sozialer Fragen:
„Geben Sie acht! Wenn das unerbittliche Gesetz von Ursache und Wirkung nicht aus dem Gesetzbuch des Allmächtigen getilgt worden ist, werden sie binnen kurzem, vor Ablauf von zehn Jahren, wenn nicht schleunigst Gegenmaßregeln getroffen werden, die Greuel der französischen Revolution sich in Amerika wiederholen sehen, schrecklicher gemacht durch alle modernen Erfindungen. Das ist nicht nur meine Meinung. Astor, der vor einiger Zeit nach England auswanderte, sich dort ansiedelte und englischer Bürger ward, sah, was kommen wird, so deutlich als ich. Daher ergriff er eine sich bietende Gelegenheit beim Schopf und entwich, und das zu einer Zeit, als der Wettlauf nach einer Prunkkabine noch lange nicht so lebhaft war, wie er es nach einiger Zeit sein wird. Er wusste sehr wohl, dass, wenn die Dinge so bleiben würden, wie wir, Sie und ich, sie in der jüngsten Vergangenheit gesehen haben, die Zeit nicht mehr fern sein könnte, in welcher solche Scharen von Leuten seinesgleichen jeden zur Abfahrt bereiten Ozeandampfer stürmen werden, dass er Gefahr laufen würde, von der Landungsbrücke herabgestoßen zu werden.“
In einer Rede, die er am 30. April 1896 zu Cleveland vor einer Versammlung von Geschäftsleuten hielt, äußerte der Staatssekretär der Unionsmarine, H. R. Herbert, sich wie folgt:
„Wir stehen an der Schwelle einer Zeit, die riesige Unternehmungen hervorbringen wird, Unternehmungen, welche unter Ausschließung aller anderen sämtliche Wege in Beschlag nehmen werden, die zum Fortschritt führen. Der Optimist mag glauben, dass dies zur Hebung der Lebensbedingungen der Menschheit führen wird, dass große Unternehmungen den Preis der Produkte und ihres Verkehrs herabdrücken. Das Riesenmagazin, in welchem Sie alle Bedarfsartikel billig bekommen, taucht überall auf; die mit Millionen-Kapital arbeitende Großindustrie verdrängt den Kleinbetrieb von Gebiet zu Gebiet. Menschlicher Witz scheint nicht imstande zu sein, ohne die Freiheit des einzelnen in bedrohlicher Weise zu beschneiden, diesen Monopolbildungen vorzubeugen, und die unmittelbare Folge davon ist die Anhäufung gewaltigen Reichtums in den Händen weniger, die Erschwerung der Lebensbedingungen der großen Mehrzahl und die Verbreitung der Unzufriedenheit. Daher dürften die Kämpfe zwischen Arbeit und Kapital künftig folgenschwerer sein als bis jetzt. Weitsichtige Männer haben vorausgesagt, dass aus den steten Kämpfen zwischen Kapital und Arbeit schließlich ein Konflikt hervorgehen werde, welcher die republikanische Staatsform in unserem Land mit dem Untergang bedroht, ein Konflikt, der zunächst zu anarchistischen Zuständen, zu greulichem Blutvergießen, hernach aber zur Monarchie führen werde, indem irgendein energischer Mann an der Spitze der bewaffneten Macht die Ordnung wieder wird herstellen können. Oder wir treiben dem Sozialismus zu, der bisweilen als die logische Folge der gegenwärtigen Lage erscheint. Die ersten Versuche in dieser Richtung werden, so sagt man, in den Städten gemacht werden. Die Arbeitgeber, denen unbegrenzte Hilfsmittel zur Verfügung stehen, und die Arbeitnehmer, die neben dem Stimmzettel sich kaum eines Hilfsmittels erfreuen, um weiter zu kommen, werden als geschlossene Körperschaften um die Lokalregierung ringen. Das ist aber nur eine der kommenden Gefahren. Früher hielt man den Farmer für ein Bollwerk, das den gegenwärtigen Stand der Dinge auf immer schützen werde, aber jetzt ist ein anderer Geist über viele Farmer gekommen.“
Auch den kirchlichen Gewalten im Schoße der Christenheit sind Winke und Warnungen zuteil geworden. Sie sind gewarnt worden durch die Heimsuchungen, die Gott seinem Volk in vergangenen Zeiten geschickt hat, und auch von Zeit zu Zeit durch Reformatoren. Doch wenige, sehr wenige nur sind imstande, die Inschrift an der Wand (Daniel 5) zu lesen und die Strömung im Volk zu überwinden oder ihr auch nur standzuhalten. De Witt Talmage scheint das zu sehen und bis zu einem gewissen Grade zu verstehen; denn er sagte kürzlich in einer Rede:
„Es sei denn, dass die Kirche Christi sich aufmache und als Dienerin Gottes sich erweise, als eine, die es mit den Volksmassen gut meint und ihren Verständnis entgegenbringt, jenen Massen, die sich im Kampf um das liebe Brot für sich und die Ihren aufreiben, so wird sie in ihrer gegenwärtigen Gestalt eine nutzlose Einrichtung werden, und Christus wird abermals ans Gestade herabsteigen und einfache, ehrliche Fischer als Apostel, als Verkündiger dessen berufen, was Gott und den Menschen gegenüber recht ist. Die Zeit ist nun da, wo alle Klassen im Volk die gleichen Rechte im Kampf ums Dasein beanspruchen dürfen.“
Doch scheint es der Sprecher dieser Worte, der dank seiner Begabung einen Einfluss ausüben könnte wie wenige, nicht eilig zu haben, seiner eigenen Überzeugung von der Art der Pflichten hochstehender Christen in der Stunde der Gefahr nachzuleben.
Die Warnungen ergehen weiter und die richtige Ansicht darüber, was Pflicht und Gunst der Umstände gebieten, drängt sich manchem auf, aber es ist nutzlos und bleibt unbeachtet. Große Macht lag und liegt noch heutzutage zum Teil in den Händen der Diener der Kirche, aber sie wurde und wird in eigennütziger Weise, wiewohl im Namen Christi und seines Evangeliums, ausgenutzt und missbraucht. „Sie nehmen Ehre voneinander, sie sitzen gern oben an in den Schulen, sie wollen Meister genannt werden“ (oder Doktor oder Hochehrwürden, wie heute die Titel lauten) und suchen Gewinn, jeder in seinem Gebiet (seiner Kirche). (Joh. 5:44; Matth. 23:6-12; Jes. 56:11) Menschenfurcht wird ihnen zum Fallstrick. Dies alles hindert manche, selbst unter den wahren Dienern Gottes, zur Wahrheit durchzudringen. Von den Unterhirten aber suchen viele bei der Besorgung der Herde des Herrn offenbar vorab das goldene Vlies in Sicherheit zu bringen.
Wir erkennen freilich dankbar an, dass viele gründlich gebildete und fromme Männer sich unter den Geistlichen aller möglichen Namenkirchen befunden haben und noch befinden, da dieselben nach Matth. 13:30 das ganze Evangeliums-Zeitalter Weizen und Scheinweizen umschlossen haben. Doch ist nicht zu bestreiten, dass viele, die zur Scheinweizen-Klasse gerechnet werden müssen, Lehrstühle und Kanzeln inne hatten und noch haben. Damit verbundene angesehene Stellung und in vielen Fällen auch die materiellen Vorteile haben eben auf begabte junge Leute eine mächtige Anziehung ausüben müssen. Von allen Berufen hat wohl der geistliche am schnellsten und bequemsten zu gutem Namen geführt.
So ist es denn gekommen, dass so viele „Mietlinge“ (Jes. 56:11; Hes. 34:2-16; Joh. 10:11-14) zu den Lehrstühlen gelangt sind. Ihre Verantwortung aber, wenn sie ihr geistliches Amt im Namen Christi ausüben wollen, ist sehr groß. Sie erscheinen dem Volk als Vertreter Christi, als Ausleger seines Wortes, gleichsam als „Auswäger“ seiner Wahrheit. Sie haben mehr Gelegenheit als andere, diese Wahrheit auch kennen zu lernen. Leider hat weitaus die größte Mehrzahl der Geistlichen diese Vergünstigung nicht auszunützen verstanden! Daher sind sie denn auch heute „blinde Blindenleiter“ und geraten mit ihren Gemeinden auf die Abwege des Skeptizismus („fallen in die Grube“). Sie haben die Wahrheit verborgen gehalten, weil sie nicht gern gehört wird; sie haben Irrtümer an ihrer Statt verkündet, weil dieselben den „Gläubigen“ passten, und Menschensatzungen gelehrt, weil sie dafür bezahlt waren. Sie haben durch ihr ganzes Gebaren und oft auch durch ihre Predigten dem Volk gesagt: „Glaubet, was wir verkündigen, weil wir es wissen“, statt dass sie die ihnen anvertrauten Seelen angeleitet hätten, alles dies an Hand der inspirierten Worte der Apostel und Propheten zu prüfen und das Beste zu behalten. Jahrhunderte lang verbarg die katholische Kirche den Inhalt des Wortes Gottes, indem sie die Übersetzung desselben in die lebendigen Sprachen verhinderte. Was sie dabei leitete, war die Furcht, die Leute möchten in der Schrift forschen und dabei die Unhaltbarkeit der Ansprüche der Geistlichen finden. Allein im Laufe der Zeit erstanden aus ihrer Mitte selbst einige Reformatoren, welche die Bibel der Vergessenheit entrissen und sie den Völkern darboten. Sie gaben damit den Anstoß zu der protestantischen Bewegung, die Protest einlegte gegen die Irrlehren und Missbräuche der Kirche Roms. Aber bald riss die Verderbnis auch im Protestantismus ein, und die Geistlichen, die sich dazu bekannten, stellten Glaubensbekenntnisse auf und lehrten die Völker, an diese zu glauben, als wären sie der Ausfluss der biblischen Lehre und von unumstößlicher Geltung. So lehrten sie, dass die Kinder ganz klein getauft und in einem Alter in der christlichen Lehre unterwiesen werden müssten, wo sie noch nicht denken können; die Erwachsenen aber haben sie eingelullt, indem sie ihnen zu verstehen gaben, dass das Sicherste in Religionssachen sei, alle Fragen der Lehre ihnen, den Geistlichen, zu überlassen und ihrer Anleitung zu folgen, da die Geistlichen allein mit dem Nötigen ausgerüstet seien, um die göttliche Wahrheit zu verstehen, und demnach als Autorität in allen solchen Fragen gelten könnten ohne Zuziehung des Wortes Gottes. Wer die Berechtigung dieses Anspruches in Zweifel zu ziehen und anderer Meinung zu sein sich erdreistete, der wurde als Irrlehrer oder Abtrünniger betrachtet. Die gelehrtesten und hervorragendsten Theologen haben dicke Bände geschrieben über das, was sie systematische Theologie nennen; diese bezwecken ebenso gut wie der Talmud der Juden, das Wort Gottes im Hintergrund verschwinden zu lassen und Menschensatzungen an seine Stelle zu setzen. (Matth. 15:6; Jes. 29:13) Andere haben in der angesehenen und einträglichen Stellung eines Professors der Theologie dem Namen nach junge Leute für den geistlichen Stand, für den Dienst an der christlichen Kirche, herangebildet, in Wahrheit aber denselben nur die Anschauungen der sogenannten systematischen Theologie, noch dazu der verschiedensten Schulen, eingeimpft, dem freien Denken Fesseln angelegt und das aufrichtige, ehrerbietige Forschen in der Schrift, mit der Absicht, an die dort gefundene Wahrheit in Reinheit und ohne Rücksicht auf menschliche Überlieferungen zu glauben, verhindert. So wandelte denn „die Geistlichkeit“ von Geschlecht zu Geschlecht die abgetretenen Pfade überlieferter Irrtümer, und nur hier und da war jemand einsichtig, ehrlich und aufrichtig genug, den Irrtum wahrzunehmen und nach Verbesserung zu rufen. Es war ja so viel bequemer, mit dem großen Haufen zu gehen, zumal wenn große Männer denselben Weg gingen.
So sind Macht und Vorzüge der Geistlichkeit für Gottes Sache unbenutzt geblieben, was freilich nicht hinderte, dass sich in ihren Reihen eine Anzahl ernstgesinnter und frommer Seelen fand und noch findet, die fest daran glaubt, sie diene Gott, wenn sie den Irrtum festhält, in dem sie selbst aufgezogen und durch den sie selbst so stark geblendet worden ist.
Die Hochmütigen und Selbstgefälligen unter den Geistlichen werden nun freilich an diesen Ausführungen Anstoß nehmen, die Sanftmütigen aber werden die Offenheit und Aufrichtigkeit, die in diesen Ausführungen liegen, zu schätzen wissen, die Wahrheit erkennen, sie demütig annehmen, im Lichte Gottes, das von seinem Worte ausgeht, zu wandeln entschlossen sein, alle Menschenfurcht fahren lassen und großen Segen davon haben. Es freut uns, bei der Gelegenheit sagen zu können, dass wir solche gerade in der gegenwärtigen Erntezeit getroffen haben, die, als die nun fällige Wahrheit ihnen erschien, den Irrtum fahren ließen und der Wahrheit dienten. Aber leider gehört die Mehrzahl der Geistlichen nicht zu den Sanftmütigen, was ganz jenem Worte des Herrn entspricht: „Wie schwerlich werden die Reichen ins Reich Gottes kommen!“ – seien sie reich an Ehre, Ruhm, Gelehrsamkeit oder Geld, oder möge es ihnen nur sonst wohl gehen.
Das gewöhnliche Volk darf sich nicht verwundern, wenn die Geistlichkeit als solche für die in der nunmehrigen Erntezeit fällige Wahrheit blind ist. Gerade so erging es in der Erntezeit des jüdischen Zeitalters den anerkannten Meistern und Lehrern des Glaubens, welche sich der damals fälligen Wahrheit ebenfalls widersetzten. Ihre Blindheit ist eine Strafe dafür, dass sie von den ihnen verliehenen Geistesgaben und sonstigen Vergünstigungen nicht den richtigen Gebrauch gemacht haben. Daraus folgt aber, dass wir Wahrheit und Licht nicht von ihnen erwarten dürfen. In der Erntezeit des jüdischen Zeitalters veranlassten die religiösen Führer die Leute zu der Frage: „Glaubt auch einer der Obersten und Pharisäer an ihn?“ (Joh. 7:48) Wer sich daran stieß und blind den Führern folgte, verlor sein Vorrecht und ward der Segnungen der neuen Ordnung nicht teilhaftig. So wird es auch in unseren Tagen des Evangeliums-Zeitalters gehen; wer blindlings der Führung der Geistlichen folgt, wird mit dieser auf Abwege geraten, und nur wer wahrhaft vor Gott wandelt, an seinem Geist Anteil hat und demütig sich auf nichts Anderes stützt als auf alle Zeugnisse seines so unendlich wertvollen Wortes, wird imstande sein, die Spreu des Irrtums, die so lange mit dem Kern der Wahrheit vermengt war, zu erkennen und auszuscheiden und mutig festzustehen im Glauben an das Evangelium und in wahrer Herzenstreue zu Gott, indem die Massen, von der Strömung fortgerissen, in die verschiedensten Irrtümer verfallen, wie die Evolutionslehre, die „höhere“ Kritik, die Theosophie, die „christliche“ Wissenschaft, den Spiritismus und andere Lehrsysteme, welche die Notwendigkeit und Wirksamkeit des Opfers auf Golgatha leugnen. Wer an diesem bösen Tag (Eph. 6:13) fest zu bleiben vermag, wird dadurch erweisen, von welchem Metall sein Christencharakter ist (1. Kor. 3:11-13), da die feindliche Strömung so stark sein wird, dass nur die wahre christliche Gottergebenheit, Eifer, Mut und Tapferkeit bis zum Ende werden auszuharren vermögen. Die steigende Flut des Unglaubens wird alle anderen hinwegschwemmen. Es steht geschrieben: „Tausend fallen zu deiner Rechten, dich aber wird es nicht treffen; denn der Herr ist deine Zuversicht und der Höchste ist deine Zuflucht. Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt (als sein Jünger sich ihm weiht und mit ihm in Gemeinschaft lebt) und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, den wird er mit seinen Fittichen bedecken, und dessen Zuversicht wird unter seinen Flügeln sein. Seine Wahrheit ist ihm Schirm und Schild.“ – Psalm 91:7, 9, 1, 4
Der Christ kann seine persönliche Verantwortlichkeit nicht auf Pastoren, Lehrer, Konzile oder Glaubensbekenntnisse abladen. Wir werden nur nach dem Worte Gottes beurteilt werden (Joh. 12:48-50; Offb. 20:12) und nicht nach den Ansichten oder Vorschriften unserer Mitmenschen, mögen dieselben noch so bedeutend sein. Wir müssen es daher machen wie die von Beröa, welche täglich in der Schrift forschten, um zu kontrollieren, ob es auch wahr sei, was ihnen vorgetragen wurde. (Apg. 17:11) Es ist geradezu unsere Christenpflicht, selbst alles zu prüfen, was uns geboten wird, und nur das Gute festzuhalten. (1. Thess. 5:21) „Zum Gesetz und zum Zeugnis! Wenn sie nicht nach diesem Wort sprechen, so gibt es für sie keine Morgenröte (keine Erleuchtung).“ – Jes. 8:20
In geistlichen wie in weltlichen Dingen ist oft dasselbe Verfahren von Nutzen. Nun, da die verschiedenen Staatsschiffe ihrem Untergang zueilen, können die, welche die vor ihnen liegenden Klippen zwar sehen, aber den Kurs der Schiffe nicht zu ändern vermögen, wenigstens in gewissem Maße sich auf die unausbleibliche Katastrophe gefasst machen und ihr eigenes Verhalten danach einrichten. Sie können gleichsam Rettungsboote und Rettungsringe klar machen, so dass, wenn die Staaten im Strudel der Anarchie untergehen, sie sich über Wasser halten und noch eine Zuflucht finden können. Mit anderen Worten, es ist weise, um von grundsätzlicher Pflicht nicht zu reden, in unseren Tagen gerecht, großmütig und gütig mit allen unseren Nebenmenschen ohne Rücksicht auf ihre Lebensstellung zu verkehren; denn die große Drangsal wird aus dem grimmigen Zorn der geplagten Völker hervorgehen, aus der Unzufriedenheit und Erbitterung der durch gute Schulen gegangenen breiten Volksschichten über die mehr begüterten, vornehmen, herrschenden Kreise. Die Ursachen der Unzufriedenheit werden gegenwärtig überall besprochen, und jetzt, bevor der Sturm der Leidenschaften ausbricht, ist der Moment für jeden, sich zu seinen Grundanschauungen nicht durch Worte, sondern durch sein ganzes Verhalten zu seinen Mitmenschen zu bekennen. Jetzt ist der Moment, der goldenen Regel nachzuforschen und nachzuleben, unseren Nächsten wie uns selbst zu lieben und mit ihm in Frieden leben zu lernen. Wenn die Menschen weise genug wären, die unmittelbar bevorstehenden unausbleiblichen Folgen der gegenwärtigen Zeitläufe so recht ins Auge zu fassen, so würden sie das schon aus Klugheit und Berechnung, wenn nicht gewissenshalber tun. Denn es ist vernunftgemäß anzunehmen, dass selbst mitten in der wildesten Verwirrung diejenigen weniger zu leiden haben werden, welche gerecht, großmütig und gütig gewesen sind, während die schrecklichste Rache diejenigen treffen wird, welche die Unterdrückung ihrer Mitmenschen praktiziert oder gutgeheißen haben. So war es wenigstens mitten in den Greueln der französischen Revolution, und dass es wieder so sein wird, geht aus dem Rate des Wortes Gottes hervor, nach Gerechtigkeit und Sanftmut zu trachten, auf dass wir am Tage des Zornes des Herrn geborgen sein mögen (Zeph. 2:3), und (Psalm 34:15-17): „Lass ab vom Bösen und tue Gutes; suche Frieden und jage ihm nach; die Augen des Herrn merken auf die Gerechten, und seine Ohren auf ihr Schreien. Das Antlitz des Herrn aber steht wider die, so Böses tun, dass er ihr Gedächtnis ausrotte von der Erde.“ Diese Worte sind eine Ermahnung zur Klugheit und eine Warnung an alle Welt; den Heiligen aber, der kleinen Herde, den Überwindern, ist hingegen verheißen, dass sie würdig befunden werden, allen diesen schweren Prüfungen zu entgehen, die über die Welt kommen sollen. – Luk. 21:36
Die Beziehung der heidnischen Nationen zur Christenheit und der großen Trübsal
Der schreckliche Grimm des Herrn wird zwar in erster Linie die Nationen der Namenchristenheit treffen, weil diese trotz der ihnen zuteil gewordenen Erleuchtung und Begünstigung gesündigt haben. Doch lehrt die Schrift deutlich, dass auch die Heidenvölker ihre Verantwortung tragen und ihre Strafe erdulden werden. Von Geschlecht zu Geschlecht haben sie jahrhundertlang am Unrecht Gefallen gefunden. Ihre Stammväter in der Urzeit vergaßen Gott, weil es ihnen nicht passte und nicht daran gelegen war, sich seiner gerechten Leitung zu erinnern; sie zogen die Finsternis dem Lichte vor, und wandelten wissentlich und willentlich auf den törichten Wegen ihrer eigenen Wahl, und ihre Nachkommen gingen unentwegt dieselbe abwärts führende Bahn bis auf den heutigen Tag. Der Apostel Paulus sagt uns in Röm. 1:18-32 deutlich, wie Gott diese Verantwortlichkeit der Heidenvölker versteht. Dort lesen wir:
„Denn es wird geoffenbart Gottes Zorn vom Himmel her über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, welche die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten, weil das von Gott Erkennbare unter ihnen offenbar ist, denn Gott hat es ihnen geoffenbart, – denn das Unsichtbare von ihm, sowohl seine ewige Kraft als auch seine Göttlichkeit, die von der Erschaffung der Welt an in dem Gemachten wahrgenommen werden, wird geschaut, – damit (da sie dieses von der Natur stammende Licht, dieses Zeugnis, das die Natur von der Existenz der Macht und der Güte Gottes ablegt, besitzen) sie ohne Entschuldigung seien, weil sie, Gott kennend, (wenigstens in gewisser Hinsicht) ihn weder als Gott verherrlichten, noch ihm Dank darbrachten, sondern in ihren Überlegungen in Torheit verfielen, und ihr unverständiges Herz verfinstert wurde (eine natürliche Folge ihres bösen Wandels): indem sie sich für Weise ausgaben, sind sie zu Narren geworden und haben die Herrlichkeit des unverweslichen Gottes verwandelt in die Gleichheit eines Bildes von einem verweslichen Menschen und von Vögeln und von vierfüßigen und kriechenden Tieren. Darum hat Gott sie auch dahingegeben in den Gelüsten ihrer Herzen in Unreinigkeit, ihre Leiber untereinander zu schänden; welche die Wahrheit Gottes in die Lüge verwandelt und dem Geschöpf mehr Verehrung dargebracht haben als dem Schöpfer, welcher gepriesen ist in Ewigkeit. Amen.“
„Deswegen hat sie Gott auch dahingegeben in schändlichen Leidenschaften (das heißt Gott hat sich ihnen nicht widersetzt, noch versucht, sie zurückzuhalten, sondern hat sie in aller Freiheit ihre bösen Wege wandeln lassen, damit sie durch die üblen Folgen bestraft und durch Erfahrung klug würden), denn sowohl ihre Weiber haben den natürlichen Gebrauch in den unnatürlichen verwandelt, als auch gleicherweise die Männer, den natürlichen Gebrauch des Weibes verlassend, in ihrer Wollust zueinander entbrannt sind, indem sie Männer mit Männern Schande getrieben und den gebührenden Lohn ihrer Verirrung (wie es denn auch sein sollte), an sich selbst empfingen. Und gleichwie sie es nicht für gut fanden, Gott in Erkenntnis zu haben, hat Gott sie dahingegeben in einem verworfenen Sinn, zu tun, was sich nicht geziemt, erfüllt mit aller Ungerechtigkeit, Bosheit, Habsucht, Schlechtigkeit, voll von Neid, Mord, Streit, List, Tücke, Ohrenbläser, Verleumder, Gottverhasste, Gewalttäter, Hochmütige, Prahler, Erfinder böser Dinge, Eltern Ungehorsame, Unverständige, Treulose, ohne natürliche Liebe, Unbarmherzige, die, wiewohl sie Gottes gerechtes Urteil erkennen, dass, die solches tun, des Todes würdig sind, es nicht allein ausüben, sondern auch Wohlgefallen haben an denen, die es tun.“
In diesen Worten zeigt Paulus, dass vor alters die Heidenvölker unterdrückt haben, was sie zu ihrer Zeit Wahres von Gott und seiner Gerechtigkeit wissen konnten. Sie zogen eben die Finsternis dem Lichte vor, weil ihre Taten böse waren, und durch dieses Unrechttun irregeleitet, ersann ihre Einbildungskraft falsche Religionen, vor welchen sie ihre bösen Wege rechtfertigen konnten. Diese Religionen pflanzten sich fort von Geschlecht zu Geschlecht und mit ihnen der böse Wandel, den jede Generation von der vorhergehenden mit übernahm und guthieß. Indem sie aber in der Weise in die Fußstapfen ihrer Väter traten, luden die Heidenvölker die ganze Schuldenlast der Vergangenheit auf sich und werden demnach auch die Strafe dafür zu tragen haben, ganz entsprechend den gegenwärtigen Nationen der Namenchristenheit, welche die Schuld der vorangegangenen Generationen ebenfalls übernommen haben.
Zu keinen Zeiten war den Heidenvölkern die Möglichkeit genommen, das Licht vorzuziehen. Vor Christi Geburt wussten viele von dem wunderbaren Gott Israels infolge ihres Verkehrs mit diesem Volk, und seit Christi Geburt haben sie nie ganz vergessen, dass durch Jesum Christum ein großes Licht in die Welt gekommen ist, indem zu allen Zeiten des Evangeliums-Zeitalters die Heiligen Gottes die gute Botschaft unter ihnen verkündigt haben. Aber nur hier und da haben einige wenige die Wahrheit beachtet, die Nationen aber als solche haben sie verschmäht und sind in Finsternis weiter gewandelt. Deshalb ist der Herr zornig über alle Nationen. (Jes. 34:2) Die Heidenvölker sind jetzt, abgeschnitten vom Evangelium und den Vorteilen, die es bietet, unwürdig befunden, eine herrschende Rolle zu spielen; die Nationen der Namenchristenheit aber sind dessen unwürdig befunden, weil sie, obwohl sie im Besitz des Lichtes und der damit verbundenen Vorteile waren, desselben unwürdig wandelten.
So ist es recht vor dem Gott der Wahrheit und Gerechtigkeit. Jedermanns Mund ist gestopft, und die ganze Welt steht schuldbeladen vor Gott. Unter allen Nationen gibt es keine, die verständig wäre und nach Gott fragt. Sie sind alle vom Wege abgewichen und allesamt untüchtig. Da ist keiner, der Gutes tue, auch nicht einer. – Psalm 14:2, 3
Die Gerechtigkeit Gottes zeigt sich somit auch in der Bestrafung aller Nationen. Auch in der Zuerkennung größerer oder geringerer Verantwortlichkeit wird sie hervortreten. Die Heidenvölker werden empfangen, was ihre Taten wert sind; die Nationen der Namenchristenheit aber werden sich außerdem dafür zu verantworten haben, da sie, wie einst die Juden im Vergleich zu den Gojim, da jenen anvertraut war, was Gott geredet hat (Röm. 3:2), in jeder Beziehung bevorzugt gewesen sind und vor den Juden noch das voraus gehabt haben, dass ihnen nebst dem Gesetz auch das Evangelium zuteil geworden war. Das darf nicht vergessen werden. Dazu kommt noch, was leider heute auch von der Namenchristenheit gilt, wie in Röm. 2:24 unter Bezugnahme auf Jes. 52:5 und Hes. 36:20 von den Juden gesagt ist, dass der Name Gottes ihrethalben gelästert wird unter den Heiden. Man denke nur daran, dass ja „christliche“ Nationen um schnöden Gewinnes willen den Heidenvölkern den Handel mit Opium und berauschenden Getränken aufgezwungen haben. Ein bedeutender Zeuge, der es selbst gesehen hat, schrieb vor einiger Zeit in der New Yorker „Stimme“:
„Nach meinen Wahrnehmungen am Kongo und an der Westküste von Afrika, sowie nach den Versicherungen vieler Missionare und anderer glaubwürdiger Zeugen, richtet der Trunk unter den dortigen Eingeborenen mehr Schaden an, als es früher der Sklavenhandel tat. Er rafft die Leute hinweg und entvölkert ganze Dorfschaften; Tausende erliegen dem Laster, das ganze Völkerschaften an Leib und Seele entnervt und zugrunde richtet und schon dem Neugeborenen den Stempel der Entnervung aufdrückt. Jeder Arbeiter erhält täglich eine große Quantität Rum zum Mittagsmahl und muss jeden Samstag Abend zwei Flaschen Gin als Zahlung für seine Arbeit annehmen; viele Fabriken zwingen ihre Arbeiter, wenn der auf 1 bis 3 Jahre abgeschlossene Anstellungsvertrag abläuft, ein Fässchen Rum oder Gin mit nach Hause zu nehmen. Eingeborene Kaufleute werden gezwungen, bei Ablieferung ihrer einheimischen Produkte Fässchen gebrannten Wassers an Zahlungs Statt anzunehmen, selbst wenn sie sich dagegen verwahren und schließlich sogar den Inhalt in den Strom laufen lassen. Da heißt es einfach: Der Schwarze muss Rum nehmen; wir können beim Verkauf von Salz und Kleidern nicht Geld genug machen, um das Mutterhaus zufrieden zu stellen. Die Städte erfüllt infolge der Trunksucht jeden Sonntag ein schrecklicher Hexensabbat. Es gibt Dörfer, wo alles, Männer, Weiber und Kinder, blödsinnig geworden ist, und jeder Gottesdienst aufgehört hat. Traurig sagen die Häuptlinge zu den Missionaren: Warum seid ihr Gottesmänner nicht vor der Trunksucht gekommen? Nun sind diese unsere Völker dumm gemacht worden und ihr Herz ist verstockt; sie verstehen nichts, und das Gute ist ihnen gleichgültig.“
Es wird sogar behauptet, dass schon Heiden einem Christen die Bibel vorgehalten und dazu gesagt haben: „Dein Verhalten stimmt nicht mit der Lehre deines heiligen Buches.“ Ein Bramahne soll einmal einem Missionar geschrieben haben: „Wir haben euch durchschaut. Ihr seid nicht so gut wie euer Buch. Wenn eure Volksgenossen nur so gut wären wie euer Buch, würdet ihr ganz Indien in fünf Jahren gewonnen haben.“ – Hes. 22:4
Ebenso sicher wie die Leute von Ninive und die Königin von Scheba auftreten werden im Gericht über die Generation des Volkes Israel, zu der der Herr sprach (Matth. 12:41,42), werden auch Israel und jede frühere Generation und die Heidenvölker auftreten im Gericht, das über die gegenwärtige Generation der Namenchristenheit ergehen wird. Jedem, dem viel gegeben ist, von dem wird man viel fordern. (Luk. 12:48) Gleichwohl werden die Heidenvölker durch den Untergang der Namenchristenheit (Babylon) in Mitleidenschaft gezogen werden. Dank dem Worte Gottes haben die sogenannten christlichen Nationen auf allen Gebieten große Fortschritte gemacht. Die Zivilisation hat ihnen Reichtum, Annehmlichkeiten, Entwicklung der intellektuellen Fähigkeiten, Schulbildung, freiheitliche Regierung gebracht, Wissenschaft, Kunst und Handwerk, Handel und Industrie empor blühen lassen; Vorteile, welche den heidnischen Nationen, die nicht so mit dem zivilisierenden Einfluss des Wortes Gottes begünstigt wurden, vorenthalten geblieben sind. Ja, gewisse Völker sind eigentlich verkommen, so dass sie heute nur noch die Trümmer ihrer einstigen Blüte aufweisen. Das gilt zum Beispiel von Griechenland, das einst der Brennpunkt der gebildeten Welt war, und von Ägypten, das einst das erste Volk der Erde bildete. Infolge dieses Verkommens heidnischer Völker und Aufblühens der christlichen Nationen sind erstere für manches die Schuldner der letzteren geworden, so für die Wohltaten des Handels, des Weltverkehrs, der Erweiterung des Gedankenkreises usw. Zudem hat der Fortschritt der letzten Jahre alle Völker der Erde durch verschiedene gemeinsame Interessen aneinander gekettet, Interessen, die nicht bei einer oder mehreren Nationen verletzt werden können, ohne dass bald alle davon betroffen werden. Daher wird, wenn Babylon, die Namenchristenheit, plötzlich untergeht, der Rückschlag alle mehr oder weniger von ihr abhängigen Völker sehr schwer treffen, was in der Bildersprache der Offenbarung (18:9-19) als das „Beweinen und Beklagen der großen Stadt“ bezeichnet wird. Die tosenden Wogen politischer und sozialer Erschütterungen werden auch diese Völker erreichen, umringen und verschlingen, auf dass die ganze Erde mit dem Besen der Zerstörung gesäubert und der Hochmut der Menschheit gedemütigt werde, denn es steht geschrieben: „Mein ist die Rache, ich will vergelten, spricht der Herr.“ (Röm. 12:19; 5. Mose 23:35) Diese Vergeltung an Heiden- und Christenvölkern wird eine durchaus gerechte in jeder Hinsicht sein.