Der Mittler der Versöhnung
„In allem den Brüdern gleich“ und „Mitleid habend mit unseren Schwachheiten“

Wer sind „seine Brüder?“ – Worin besteht die Gleichheit? – In welcher Weise ist er „in allem versucht worden?“ – „Wie wir, ausgenommen die Sünde“. – Die Versuchungen in der Wüste. – Ihre Ähnlichkeit mit den unserigen. – Durch deren etliche, „wenn es möglich wäre, selbst die Auserwählten verführt“ werden könnten. – In welcher Weise unser Herr „durch Leiden vollkommen gemacht“ ward. – Wiewohl ein Sohn, lernte er doch den Gehorsam. – Wie er uns in allen Stücken gleich ward „ausgenommen die Sünde“. – „Er hat unsere Leiden getragen“. – Wie er sie empfinden konnte.

Daher musste er in allem den Brüdern gleich werden, auf das er in den Sachen, die Gott betreffen, ein barmherziger und treuer Hohepriester werden möchte, um die Sünden des Volkes zu sühnen.

Hebräer 2:17

Die zwei volkstümlichen aber einander zuwiderlaufenden Ansichten betreffend die Beziehungen unseres Herrn zur Menschheit stehen mit allen diesbezüglichen Schriftstellen im Widerspruch, und nur die dritte, wahrheitsgemäße Ansicht vermag einerseits die verschiedenen Bibelzeugnisse in Einklang zu bringen, und andererseits den geheiligten Verstand zu befriedigen. Eine der ersten Ansichten geht dahin, unser Herr Jesus sei der allmächtige Gott (Jehova) gewesen, der sich in menschliches Fleisch gehüllt, ohne tatsächlich die Prüfungen, Versuchungen und sonstigen Einflüsse, denen die Menschheit ausgesetzt ist, zu empfinden. Der anderen Ansicht gemäß wäre der Herr Jesus ein sündiger Mensch, der Mängel und Gebrechen teilhaftig wie alle anderen, aber im Kampfe und Widerstand gegen die Lockungen der Sünde erfolgreich gewesen, wie außer ihm niemand. Wie wir aber zu beweisen uns bemühen werden, sind diese zwei Ansichten unrichtig, indem die Wahrheit gerade zwischen den beiden liegt. Tatsache ist, dass der Logos, wiewohl in göttlicher Gestalt, also ein Geistwesen, nachdem er Fleisch geworden, in Wirklichkeit ein Mensch, „der Mensch Jesus Christus“ war, aber „abgesondert von den Sündern“, ein vollkommener Mensch, zubereitet als Lösegeld für den ersten vollkommenen Menschen, dessen Fall seine ganze Nachkommenschaft ins Verderben gerissen hat; dessen Loskauf aber die Erlösung der ganzen Menschheit nach sich ziehen wird.

Wir beginnen mit der Untersuchung derjenigen Schriftstellen, aus denen man hat ableiten wollen, unser Herr sei sündig und den gleichen Fehlern unterworfen gewesen, wie die anderen Menschen; lasst uns dabei aber nicht vergessen, dass, wenn dem wirklich so wäre, unser Herr ebenso wenig imstande gewesen wäre, das ganze Gesetz Gottes zu erfüllen, wie wir. Das Halten des Gesetzes Gottes nimmt das ganze Maß des Könnens eines vollkommenen Menschen in Anspruch und geht über das Vermögen eines nicht vollkommenes Menschen hinaus. Wenn nun der Vater an ihm Wohlgefallen hatte und ihn als hinreichendes Lösegeld für Adam und dessen Geschlecht anerkannte, so ist das ein indirekter Beweis seiner Vollkommenheit und Sündlosigkeit, wovon in der Schrift so oft die Rede ist.

Aber die „Brüder“ unseres Herrn waren nicht ohne Fehl, nicht abgesondert von den Sündern; wie konnte er denn „seinen Brüdern gleich“ und doch ohne Sünde sein? Die Antwort auf diese Frage liegt in der Erkenntnis der Tatsache, dass mit dem Ausdruck „seine Brüder“ nicht die ganze Menschheit, die Sünder allzumal gemeint sind. Adam freilich war als Sohn Gottes erschaffen worden; und er blieb es auch bis zu seinem Fall, aber nicht länger; und alle seine Nachkommen werden von der Schrift als „Kinder des Zornes“ bezeichnet. (Epheser 2:3) Einzig die, welche der „Verdammnis, die auf der Welt liegt“, entronnen und durch Christum mit dem Vater wieder in Einklang gekommen sind, dürfen sich schriftgemäß „Kinder Gottes“ und „Brüder“ Jesu Christi nennen. (Joh. 1:12) Von den anderen erklärt unser Herr: „Ihr seid aus dem Vater, dem Teufel, und die Begierden eures Vaters wollt ihr tun.“ (Joh. 8:44) Unser Herr zählte sich aber nie unter die Kinder des Teufels, noch unter die Kinder des Zornes, sondern erklärte, er sei „von Gott ausgegangen und gekommen“. Ebenso wenig erkannte er diejenigen als seine „Brüder“ an, welche noch Kinder des Zorns waren. Als „Brüder“ des Herrn werden nur solche anerkannt, die, nachdem sie der Verdammnis entgangen sind, sich durch das Blut Christi dem Vater wieder nähern; die, welche den Geist der Sohnschaft, der Aufnahme in Gottes Familie und der Verheißung völliger Sohnschaft zur Zeit der Aufrichtung des Königreiches empfangen haben. (Röm. 8:15, 23; Gal. 4:5) Nur weil gerechtfertigt, weil gerechneterweise frei von Adams Schuld und gerechneterweise gerecht gemacht durch das Blut Christi, sind sie unserem Herrn Jesus gleich – seine Brüder, und stehen sie gleich hoch wie er, über der Welt, in ähnlicher Gunst beim himmlischen Vater. Und von den Geweihten dieser Klasse spricht unser Herr: „Sie sind nicht von dieser Welt, gleichwie ich nicht von der Welt bin“; „ich habe euch aus der Welt auserwählt“. (Joh. 15: 19; 17:16) So gesehen, können wir begreifen, dass und inwiefern unser Herr „seinen Brüdern in allem gleichgemacht“ wurde. Nicht zwar, dass seine Brüder zur Zeit seiner Geburt es schon gewesen wären – denn er hatte damals noch keine Brüder, ausgenommen diese Klasse, die dem Vater zum voraus bekannt war. (Eph. 1:5, 11; Röm. 8:9) Gott wusste, dass er gerecht sein und doch diejenigen Sünder, welche die göttliche Gnade in Christo annehmen würden, rechtfertigen könne, dadurch, dass ihre Sünden nicht ihnen, sondern Christo zugerechnet würden, ihm, der am Kreuze unsere Sünden getragen hat. Gott wusste auch und hatte es selbst zuvor verordnet, dass eine Evangeliums-Kirche berufen werden sollte, deren Glieder zu „Miterben Christi“, unseres Herrn, bestimmt sind, zu Miterben eines unverweslichen, unbefleckten und unverwelklichten Erbes, das behalten wird im Himmel (um in der ersten Auferstehung offenbar zu werden. Und weil dies alles von Anbeginn in Gottes Plan bestimmt war, so konnten denn auch die Propheten von dieser Klasse als von „Brüdern Christi“ weissagen. So verstehen wir auch Psalm 22:22, wo der Herr Jesus prophetisch als Sprecher dargestellt ist, indem er zu seinem himmlischen Vater sagt: „Verkündigen will ich deinen Namen meinen Brüdern, inmitten der Versammlung (Herauswahl) will ich dich loben.“ (siehe auch Hebr. 2:12) Da nun gemäß dem göttlichen Plane unser Herr Jesus nicht nur der Erlöser der Menschheit werden sollte, sondern zudem ein Vorbild „seinen Brüdern“, seinen Miterben, so war es nötig, dass er auch in all seinen Versuchungen und Erfahrungen „den Brüdern gleich gemacht würde“. Gehen wir nun an die Betrachtung der entsprechen Schriftstellen.

„Er ist in allem versucht worden in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde“
– Hebr. 4:15 –

Vor allem sollte man beachten, dass diese Stelle nicht besagt, der Herr Jesus sei in allem versucht worden, gleichwie die Welt versucht wird, sondern gleichwie wir, seine Nachfolger. Er wurde nicht von Begierden noch sündhaften Dingen geplagt, denn er hatte keine solchen Begierden von einem irdischen Vater ererbt. Heilig, sündlos, unbefleckt und „abgesondert von den Sündern“, ist er nach der gleichen Richtung versucht worden, wie seine Nachfolger während des ganzen Evangeliums-Zeitalters, die nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste wandeln, und die gerichtet werden, nicht nach den Schwachheiten ihres Fleisches, sondern nach dem Geiste ihrer Gesinnung, gemäß ihrem neuen Willen und Herzen. – Röm. 8:4; 2. Kor. 5:16; Joh. 8:15

Dies ersieht man deutlich aus dem Bericht über seine Versuchung in der Wüste, die unmittelbar nach seiner Weihung, seiner Taufe im Jordan, stattfand. – Matth. 4:1-11

1. Die erste Einflüsterung Satans war, dass unser Herr die ihm bei seiner Taufe gewordene göttliche Kraft für seine eigenen Bedürfnisse gebrauchen solle, indem er aus Steinen Brot mache, um seien Hunger zu stillen. Ein mit Erbsünde belasteter, unvollkommener Mensch hätte nicht in diese Versuchung gestellt werden können, weil ihm die dabei vorausgesetzte Kraft gefehlt hätte. Unser Herr hingegen war 40 Tage ohne Nahrung geblieben, hatte während dieser Zeit den Plan Gottes studiert, hatte unter dem erleuchtenden Einfluss des soeben empfangenen heiligen Geistes zu bestimmen gesucht, auf welche Weise er sich wohl am besten des großen Auftrages, womit er in die Welt gekommen, entledigen, die Welt erlösen könne. Der Vorschlag, er möchte seine göttliche Kraft, in deren Besitz er sich fühlte, zur Befriedigung der Bedürfnisse seines Fleisches gebrauchen, schien auf den ersten Anblick ganz vernünftig zu sein. Aber unser Herr erkannte alsbald, dass ein Gebrauch seiner geistigen Gaben zu diesem Zweck ein Unrecht, ein Missbrauch wäre, wofür sie nicht bestimmt waren, und deshalb wies er den Vorschlag mit den Worten zurück: „Es steht geschrieben, nicht vom Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jedem Wort, das durch den Mund Gottes geht.“ Der Widersacher versucht die „Brüder“ des Herrn manchmal in ähnlicher Weise, indem er ihnen einflüstert, geistige Gaben zur Förderung irdischer Interessen zu gebrauchen. Solche Versuchungen sind gefährlich, und manch ein geweihtes Kind Gottes hat sich darin vom Widersacher zu immer schwererem Missbrauch göttlicher Gnadengaben verleiten lassen.

2. Der zweite Vorschlag des Verführers ging dahin, der Herr möchte durch einen in seiner Macht stehenden „Zauber“ die Aufmerksamkeit des Volkes auf sich und sein Werk lenken. Er sollte sich angesichts einer großen Volksmenge von den Zinnen des Tempels in das tiefe Tal Thyapora stürzen und dort unbeschädigt aufstehen. Das Volk würde darin einen Beweis seiner übermenschlichen Kraft erblicken, ihn sofort als den Messias erkennen und annehmen und, auf seine Seite sich stellend, an der Hinausführung seines Werkes mitzuhelfen begehren. Aber unser Herr sah sofort, dass ein solches Verfahren den göttlichen Anordnungen gänzlich zuwider laufe, und dass sogar die durch Satan falsch angebrachte Schriftstelle (die scheinbar das Unrecht begünstigte) ihn nicht berechtigte, von den Grundsätzen der Gerechtigkeit abzuweichen. Er gab dem Versucher denn auch sofort zu verstehen, dass ein solches Vorgehen seinerseits ein Gottversuchen wäre, ein Fall, wofür die erwähnte Verheißung nicht gegeben sei und darum nie und nimmer in Betracht komme. Wo aber Pflicht ihn rief oder Gefahr, da zögerte der Meister nicht, sondern zählte auf die Macht und Fähigkeit des Vaters, in jeder Lage das Nötige vorzukehren. Wahres Gottvertrauen veranlasst jedoch nicht zu verwegenen und nutzlosem Aufsuchen der Gefahr, ohne dass ein Befehl Gottes vorliegt, bloß um Aufsehen zu erregen, in einem prahlerischen Sinne.

Die Brüder des Herrn werden auch in dieser Richtung versucht und tun deshalb wohl, sich des von dem „Herzog unseres Heils“ gegebenen Beispiels zu erinnern. Wir sollen uns nicht mutwillig in Gefahr stürzen, um dann als „mutige“ Kreuzesstreiter zu gelten. Teufelstrutzige Taten (Taten, wodurch dem Teufel die Stirn geboten werden soll) mögen den Kindern des Teufels am Platze zu sein scheinen, für Kinder Gottes sind sie durchaus unpassend. Letztere haben Kriegsdienste zu leisten, welche noch größeren Mut erfordern. Sie sind zu Dienstleistungen berufen, welchen die Welt nicht Beifall zollt, die sie nicht einmal zu würdigen weiß, sondern eher noch verfolgt. Sie sind berufen, Schmach und den Spott der Welt zu ertragen, ja sie müssen geschehen lassen, dass, die unbeschnittenen Herzens sind, mit Unrecht allerlei Übels über sie reden, um Christi willen. In dieser Hinsicht haben die Nachfolger Christi denselben Weg zu gehen wie er, in seinen Fußstapfen wandelnd. Und es erfordert weit größeren Mut, Schande und den Spott der Welt zu übersehen und in dem verachteten Dienstverhältnis zu Gott zu verharren, als irgend einen großen, „wunderbaren“ Kampf zu kämpfen, der das Staunen und die Bewunderung des natürlichen Menschen erweckt.

Einer der schwersten Kämpfe für die, welche auf dem schmalen Pfade wandeln, ist derjenige gegen den Eigenwillen. Es gibt kaum etwas Schwereres, als seinen Willen beständig demjenigen des himmlischen Vaters zu unterwerfen und in dieser Unterwürfigkeit zu erhalten, das eigene Herz zu beherrschen, aufkeimenden Ehrgeiz, der selbst einem vollkommenen Menschen etwas Natürliches ist, zu unterdrücken, als wäre es der Anfang einer Feuersbrunst, und den Leib und alle irdischen Interessen als lebendiges Opfer darzubringen im Dienst des Herrn und seiner Sache. Dies waren die Versuchungen, in welchen unser Meister seinen Sieg errang, wo er sich seine Lorbeeren erwarb, und dieser Art sind auch die Versuchungen, in denen seine Brüder auf die Probe gestellt werden. „Wer seinen Geist beherrscht, ist größer, als wer eine Stadt erobert.“ – Spr. 16:32

Ein solcher ist also größer als einer, der infolge falschen Begriffes vom Glauben von den Zinnen des Tempels herabspränge oder sonst eine tollkühne Tat verübte. Wahrer Glaube an Gott besteht nicht in blindem Aberglauben oder in unverständigen Voraussetzungen bezüglich seiner fürsorgenden Vorsehung; er besteht vielmehr in ruhigem Vertrauen auf die „überaus großen und köstlichen Verheißungen Gottes“, ein Vertrauen, das den Gläubigen befähigt, den verschiedenen „Anläufen“ – welche Welt, Fleisch und Teufel auf ihn machen, um seine Aufmerksamkeit abzulenken – erfolgreich zu widerstehen und genau der im göttlichen Worte verzeichneten Richtschnur des Glaubens und Gehorsams zu folgen.

3. Die dritte Versuchung unseres Herrn bestand darin, dass Satan ihm irdische Herrschaft und raschen Erfolg bei der Aufrichtung seines Reiches anbot, ohne dass er zuvor leiden und sterben müsste: ohne das Kreuz, einfach mittelst eines Vergleiches mit dem Widersacher. Dieser machte geltend, und es wurde ihm nicht in Abrede gestellt, dass ihm die Herrschaft über die Welt gehöre, und dass also bei seiner Mitwirkung das Reich der Gerechtigkeit, welches zu gründen unser Herr gekommen war, um so sehr eher aufgerichtet werden könne. Satan stellte sich, als hätte er es satt, die Menschheit noch ferner in Sünde, Blindheit, Aberglauben und Unwissenheit hineinzuführen, und als hätte er volle Sympathie mit dem Auftrage unseres Herrn, welcher unserem armen, verkommenen Geschlecht wieder aufhelfen wollte. Das einzige, was Satan sich vorbehalten wollte, wäre eine gewisse Oberaufsicht über die Welt gewesen. Er würde also mithelfen, die Welt wieder auf rechtliche Bahnen zu lenken und der Menschheit die durch Christum verheißene Wiederherstellungs-Segnungen zu bringen, aber unter der Bedingung, dass Jesus ihm Huldigung darbringe und ihn auch nach dem vollendeten Wiederherstellungswerke als Herrn der Welt anerkenne.

Wir müssen uns daran erinnern, dass Satans Erhebung gegen die göttlichen Gesetze seinem ehrgeizigen Wunsche entsprungen war, selber ein Alleinherrscher – gleich dem Allerhöchsten – zu sein (Jes. 14:14). Das war auch seine Absicht bei seinem erfolgreichen Angriffen auf unsere ersten Eltern im Paradiese: er wollte sie von Gott entfremden und zu seinen eigenen Untertanen machen. Wir dürfen schon annehmen, dass Satan auch lieber über glückliche, mit ewigem Leben begabte Untertanen herrschen möchte, als über eine seufzende, dem Tode geweihte Kreatur. Fast scheint es, dass er sogar heute noch nicht anerkennen will, dass wahres Glück und ewiges Leben unmöglich sind ohne Übereinstimmung mit dem göttlichen Gesetze; er zeigte sich deshalb willig, sein Reich in allen Stücken zu reformieren, eins ausgenommen: sein Ehrgeiz sollte dabei befriedigt werden; er wollte nichtsdestoweniger der Beherrscher der Menschheit bleiben. Und war er nicht schon der Fürst dieser Welt und von der heiligen Schrift als solcher anerkannt? (Joh. 14:30; 12:31; 16:11; 2. Kor. 4:4) Nicht zwar, dass er von Gott als „Fürst dieser Welt“ eingesetzt worden wäre; sondern er hatte sich dieser Herrschaft selbst bemächtigt, indem er den rechtmäßigen König der Erde, den Menschen, in seine Gewalt brachte. Durch das Mittel der Unwissenheit und durch Verdrehung der Begriffe von falsch und wahr, Finsternis und Licht, Unrecht und Recht, hat er die Menschheit so irregeleitet und verblendet, dass er seine Stellung als „Fürst der Gewalt der Luft, der jetzt wirksam ist unter den Söhnen des Ungehorsams“ (der größten Mehrzahl) behaupten konnte.

Die Versuchung in Satans Vorschlag lag somit darin, dass derselbe unserem Herrn Jesus die Möglichkeit eröffnete, es könne die Frage von der Befreiung der Menschheit aus ihrem sündhaften Zustand auch auf eine andere als der von Gott vorgesehenen Weise gelöst werden. Ja noch mehr, der Vorschlag mochte den Anschein erwecken, als ob Satan selbst teilweise seine Gesinnung geändert hätte und möglicherweise sogar wieder in Pfade der Gerechtigkeit gelenkt werden könnte, wenn nur seinem Ehrgeiz entsprochen und ihm die Herrschaft über innerlich und äußerlich glücklichere Untertannen zuerkannt würde, als es die Opfer seines Betruges, die Knechte der Sünde wirklich sind. Denn so wie er gewaltet, vermag er seine Herrschaft nur so lange zu behaupten, als die Menschheit in den Sklavenketten der Sünde liegen bleibt und sich von ihm täuschen lässt, da der Mensch, je mehr er die Sünde hassen und Gerechtigkeit und Heiligkeit schätzen lernt, desto mehr Gott zu dienen und ihn anzubeten wünscht.

Unser Herr ließ sich aber durch diesen Anschein nicht trügen; bei ihm stand es unerschütterlich fest, dass sein Vater in seiner Weisheit den richtigen und besten Weg gefunden und eingeschlagen habe, um die Menschheit zu erlösen. Darum beriet er sich nicht mit Fleisch und Blut, noch weniger begehrte er Satans Mitwirken bei der Hebung der Welt.

Auch diese dritte Versuchung ist eine von denen, womit der Widersacher ziemlich häufig an die „Brüder“ des Herrn herantritt. Und er hatte bei der Namenkirche auch guten Erfolg, indem er dieselbe schon sehr früh vom Kreuzweg, vom schmalen Pfade ablockte, um sie dafür zu bewegen, sich mit den bürgerlichen Gewalten zu verbinden, damit sie auf diese Weise nach und nach Einfluss auf die „Dinge dieser Welt“ bekäme. Unter Mitwirkung der „Fürsten dieser Welt“, hinter denen der Widersacher sich geschickt zu verbergen wusste, suchte die Namenkirche das Reich Christi auf Erden aufzurichten, durch einen Vertreter, einen Papst, von welchem sie behauptete, er sei Christi Stellvertreter oder Vizekönig. Wir haben gesehen, welch verderblichen Folgen dieses Verfahren nach sich gezogen hat, wie dieses nachgeäffte „Königreich Christi“ in Wirklichkeit ein Königreich des Teufels wurde, dessen Werk es tat. Kein Wunder also, dass es das „finstere Mittelalter“ heraufbeschwor, und dass der Herr in seinem Worte dieses ganze System als den „Antichrist“ brandmarkte! (siehe Band 2, Studie 9)

Und obwohl mit kühnem Mute eine Reformation in Angriff genommen wurde, sehen wir doch, dass der Widersacher die Reformatoren bald wieder in seinem Bann zurück gezaubert hatte, indem er mit denselben Versuchungen an sie herantrat, womit er schon in den ersten Jahrhunderten die Namenkirche zu falle gebracht. Sie widerstanden ihm auch nur teilweise und wahren bereit, einen Teil der Wahrheit fahren zu lassen, um sich dafür den Schutz und die Unterstützung weltlicher Mächte zu sichern, in der Hoffnung, dass diese gewissermaßen sich zum Reiche unseres Herrn um- und ausgestalten würden. Aber wenn die Verbindung des Protestantismus mit irdischen Mächten auch nicht so verderblich ist, wie der Bund des Papsttums mit den Reichen dieser Welt, so ist sie doch allen, die unter ihrem Einfluss stehen, in hohem Grade nachteilig und hinderlich. Die „Brüder“ haben deshalb beständig zu wachen und zu kämpfen, um den Versuchungen des Widersachers erfolgreich widerstehen zu können, um fest zu bleiben in der Freiheit, womit uns Christus frei gemacht – jener Freiheit, die nicht von der Welt ist, sondern im Abgetrenntsein von der Welt besteht.

Wir bemerken übrigens, dass die gleiche Versuchung an alle „Brüder“ herantritt, wenn auch in von Zeit zu Zeit veränderter Gestalt. Der große Widersacher verfährt dabei zuweilen mit der größten Verschlagenheit; wie beim Herrn, so will er auch bei uns den Schein erwecken, als habe das Werk der Segnung der Welt seine volle Sympathie. Heutzutage versucht er die Brüder mit den Bemühungen um die „soziale Hebung“, und er hat mit seinen bisherigen Vorspiegelungen auch bei vielen Erfolg. Er erweckt jetzt den Gedanken, dass, möge es auch in der Vergangenheit nötig gewesen sein, auf dem schmalen Kreuzesweg zu wandeln, es dessen jetzt nicht bedürfe. Wir hätten es jetzt soweit gebracht, dass die Welt in sozialer, sittlicher und religiöser Hinsicht vergleichsweise rasch und leicht auf ein höheres Niveau gehoben werden könne. Aber die erstrebenswerten Ziele, die er unserer Einbildungskraft vorgaukelt, setzen eine Verbindung mit ihm voraus: und gegenwärtig verlangt er von allen, die an der sozialen Hebung mitwirken wollen, dass sie sich an sozialen und politischen Bewegungen beteiligen, welche zum gewünschten Ziele führen sollen. Und er ist dabei so kek und der Zustimmung der Menschheit so sicher geworden, dass er es nicht mehr für nötig hält, die Lehre der Schrift zu „unterstützen“, welche des einzelnen Bekehrung von der Sünde und Erlösung von der Strafe verlangt, und wonach es erforderlich ist, dass jeder einzelne durch einen persönlichen Glauben und eine persönliche Hingabe an Christum Jesum mit Gott, dem Vater, versöhnt werde, Satan empfiehlt uns vielmehr eine Hebung der Gesellschaft, wobei die Sünden und Verantwortungen des einzelnen aus dem Spiele bleiben, und bloß die gesellschaftlichen Beziehungen und Verhältnisse betroffen werden sollen, damit die menschliche Gesellschaft äußerlich rein würde. Die Lehre unseres Herrn Jesu, wonach nur die, welche durch ihn zum Vater kommen, Gottes Söhne und seine „Brüder“ sind, ist dem Widersacher im Wege, und er sähe es viel lieber, wenn wir glauben wollten, alle Menschen seien Brüder, Gott sei der Vater aller, es gebe keine „Kinder des Zornes“, und es sei sträflich unchristlich und lieblos, an die Worte des Herrn zu glauben, wonach etliche von ihrem Vater dem Teufel sind. Auf diese Weise möchte er, ohne es immer gerade heraus zusagen, uns dazu bringen, den Sündenfall und mithin auch die Lehre vom Lösegeld zu leugnen, oder doch wenigstens unbeachtet zu lassen. Und damit seine Täuschung um so mehr Erfolg erziele, bedient er sich dabei der schönen aber betrügerischen Losungsworte wie „Vaterschaft Gottes und Brüderschaft der Menschen“ und „Liebe deinen Nächsten“.

Durch diese Versuchung, womit der Widersacher heutzutage an die Brüder herantritt, werden viele verführt, sehr wahrscheinlich sogar alle, ausgenommen die „Auserwählten“. (Matth. 24:24) Diese auserwählten Brüder sind es, welche getreulich in den Fußstapfen ihres Meisters wandeln und, statt den Einflüsterungen des Widersachers Gehör zu schenken, auf das Wort Gottes Acht geben. Diese auserwählten „Brüder“ bauen nicht auf ihre eigene Weisheit und auf das Blendwerk Satans, sondern vertrauen auf die erhabene Weisheit Jehovas und seinen göttlichen Plan der Zeitalter. Sie sind deshalb „von Gott gelehrt“ und wissen dabei, dass das Werk des gegenwärtigen Zeitalters die Herauswahl, Prüfung und Erhöhung der Brüder ist, damit dieselben als geistiger Same Abrahams die Welt segnen könne, und dass die Hebung der Welt in geistiger, sittlicher und leiblicher Beziehung Sache des nächsten Zeitalters sein wird. Weil sie das wissen, können die Auserwählten auch den ausgesuchtesten und schön klingenden Phrasen ihres schlauen Gegners erfolgreich widerstehen. Vor diesen Verführungen sind sie außerdem auch ausdrücklich durch das Wort Gottes gewarnt worden. Sie blicken deshalb auf zu Jesum, welcher nicht allein durch die Aufopferung seiner selbst der Anfänger ihres Glaubens ist, sondern auch dessen Vollender sein wird, wenn er sie der ersten Auferstehung teilhaftig machen und ihnen Anteil an seiner überaus großen Herrlichkeit und seiner göttlichen Natur verleihen wird.

Das sind die Punkte, in denen die „Brüder“ versucht werden, und in denen auch ihr Meister versucht wurde. Er wurde in allem versucht, gleichwie wir versucht werden; er weiß daher, wie denen geholfen werden muss, die in Versuchung stehen, und welche bereit sind, die Hilfe in der Weise anzunehmen, wie sie ihnen dargeboten wird, nämlich durch Belehrung aus dem göttlichen Worte mit seinen großen und köstlichen Verheißungen. Die Schwachheiten, die wir von unseren Vätern erbten, haben freilich mit den Versuchungen unseres Herrn nichts zu schaffen. Ihn plagte nicht der Durst des Trinkers, der Hass des Mörders, die Habsucht des Diebes, sondern er war heilig, unbefleckt, abgesondert von den Sündern. Gleicherweise werden auch seine Brüder nicht an solchen Neigungen und Leidenschaft versucht. Diejenigen, welche durch Glauben und Weihung und Zeugung durch den heiligen Geist der Sohnschaft zu Brüdern Jesu Christi geworden sind, haben die Neigung, anderen zu schaden, verloren; und statt dessen haben sie eine neue Gesinnung empfangen, die Gesinnung Christi – den Geist Christi, den Geist eines gesunden Verstandes, den heiligen Geist, den Geist der Liebe, – welche zuerst den Willen des Vaters sucht und zweitens, „nachdem sie Gelegenheit haben, das Gute wirkt gegen alle, am meisten aber gegen die Hausgenossen des Glaubens“. – Gal. 6:10

Eine ererbte Schwäche, eine Neigung zu Leidenschaft oder Streitsucht bleibt freilich im Fleische dieser neuen Kreaturen, in denen der neue Wille, die neue Gesinnung herrscht, zurück; sie müssen deshalb beständig auf ihrer Hut sein; und gelegentlich werden sie trotzdem wider ihren Willen von einem Fehler übereilt; aber diese von ihrem Willen unabhängigen Schwächen und begangenen Fehler werden ihnen nicht als Sünde angerechnet, nicht als Handlungen der neuen Kreatur, sondern als der alten Natur anhängenden Mängel betrachtet, welche, solange die neue Kreatur ihnen widersteht, als durch den Tod Christi gesühnt angesehen werden. Die neue Kreatur allein ist es, welche auf die Probe gestellt, behauen und poliert und zubereitet werden muss auf die Miterbschaft Christi in seinem Reiche, nicht der Leib von Fleisch, der als solcher für tot gerechnet ist.

„Durch Leiden vollkommen gemacht“

„Denn es geziemte ihm (dem Vater), um deswillen alle Dinge und durch den alle Dinge sind, indem er viele Söhne zur Herrlichkeit brachte, den Anführer ihrer Errettung durch Leiden vollkommen zu machen.“
– Hebr. 2:10 –

Bei Betrachtung dieses Textes müssen wir dreierlei Vollkommensein scharf unterscheiden. Zwei Arten des Vollkommseins waren der Zustand unseres Herrn, ohne dass er zuvor gelitten hatte; das Leiden musste somit zur dritten Art führen. Zunächst war unser Herr ein vollkommener Mensch durch seine wunderbare Geburt, er war frei von Erbsünde, abgesondert von Sündern. Zu dieser Vollkommenheit hatten keine Leiden geführt, denn dieselben hätten in seinem früheren Leben als Logos beim Vater Platzgreifen müssen. Auch als Logos war er vollkommen, zur Zeit, da er bei dem Vater war, ehe denn die Welt ward – vollkommen in seinem ganzen Wesen, in Herz und Sinn dem Vater völlig ergeben; und diese von seiner Erschaffung herstammende Vollkommenheit hat er nie eingebüsst; auch da nicht, als er aus freien Stücken sich erniedrigte und Fleisch wurde. Er wurde ein vollkommener Mensch. Jetzt aber ist er vollkommen in seiner hoch erhöhten göttlichen Natur, und es kann unser Text somit nur von diesem letzteren Vollkommensein handeln. Einer so großen Erhöhung zu der Ehre und Unsterblichkeit der göttlichen Natur mussten, der göttlichen Weisheit gemäß, gewisse Proben vorangehen, deren Bestehen den Anspruch des eingeborenen Sohnes Gottes auf Teilnahme an allen Reichtümern der göttlichen Gnade begründen sollte, damit die Menschen mit Recht den Sohn so hoch ehren, wie den Vater.

Damit er nun diese Probe, worin er seinen Gehorsam gegenüber seinem Vater bewähren sollte, um so leichter bestehen könne, wurde ihm eine gewisse Freude bestimmt in Aussicht gestellt, wie geschrieben steht: „Welcher, der Schande nicht achtend, für die vor ihm liegende Freude das Kreuz erduldete.“ (Hebr. 12:2) Wie wir wohl richtig vermuten, bestand diese Freude:

1. darin, einen dem Vater angenehmen Dienst zu leisten;

2. die Menschheit zu versöhnen und damit ihre Erlösung aus Sünde und Tod zu ermöglichen;

3. durch Bezahlung des Lösegeldes vom Vater würdig erachtet zu werden, der machtvolle Beherrscher und Segenspender, der König und Hohepriester der Welt zu sein, damit er derselben den Plan Gottes offenbaren und alle diejenigen aus dem sündigen Zustande zu einem Gott wohl gefällig sein zurückbringen könne, welche die Bedingungen des neuen Bundes annehmen;

4. nicht nur zu der Ehrenstellung, die er als Geistwesen eingenommen, ehe denn die Welt ward, zurückkehren zu dürfen, sondern zu einer noch erhabeneren, alle Engel, Fürstentümer und Gewalten weit überragenden Herrlichkeit erhöht und teilhaftig zu werden der Herrschaft des Vaters über das Weltall, der göttlichen Natur und damit verbundenen Unsterblichkeit.

Diese vor ihm liegende Freude war an die Bedingung vollen Gehorsams, völliger Unterwerfung unter den Willen des Vaters geknüpft. Freilich war er dem Vater immer gehorsam gewesen; stets hatte er Wohlgefallen an des Vaters Wegen; aber auf eine so harte Probe war er noch nie gestellt worden. Bis jetzt war es eine Ehre, eine Freude gewesen, den Willen des Vaters zu tun, nun aber sollte er seine Bereitwilligkeit hierzu unter Verhältnissen bewähren, wo der Gehorsam mit Enttäuschungen, Mühsalen und Demütigungen aller Art verbunden war und ihm schließlich nicht nur den Tod, sondern dazu noch die Schmach eines entehrenden Todes als Missetäter am Kreuze bringen sollte. Er hat aber diese Probe bestanden, ohne Wanken und Schwanken; in allen Lagen bewies er voll und ganz seinen unerschütterlichen Glauben an die Gerechtigkeit, Liebe, Weisheit und Allmacht des Vaters, und erduldete er ohne Zögern nicht nur den Widerspruch und Widerstand der Sünder, sondern auch alle anderen Anfechtungen des Widersachers. In dieser Hinsicht durch Ertragung der Leiden, begründete er seinen Anspruch auf die ihm in Aussicht gestellte Freude und wurde er vollkommen gemacht als Wesen höchster Ordnung, d.h. göttlicher Natur. Darum sagt denn auch die Schrift mit Recht vom Eingeborenen vom Vater:

„Obwohl er Sohn war, lernte er an dem, was er litt, den Gehorsam, und, vollendet worden, ist er allen, die ihm gehorchen, der Urheber ewigen Heils geworden.“
– Hebr. 5:8-10 –

Hiermit erklärt der Apostel unter der Leitung des heiligen Geistes, dass unser Herr, obwohl sündlos und vollkommen, wiewohl ein Sohn und dem Vater unter günstigen Verhältnissen untertan, noch lernen musste, was es heißt, unter höchst ungünstigen Verhältnissen den Gehorsam zu bewähren, dass er aber diese Prüfung bestanden und sich daher der Vollkommenheit als Wesen höchster Ordnung würdig erwiesen habe, dass der Vater ihm diese Vollkommenheit verlieh, als er aus den Toten auferstand, um erst der Erlöser der Herauswahl, „seines Leibes“, hernach aber „zu seiner Zeit“, der Erlöser aller derer zu werden, welche, nachdem sie zur Erkenntnis der Wahrheit gekommen, ihm gehorsam sein werden.

Mit obiger Schriftstelle stimmt auch das Zeugnis Petrus überein, das er vor dem hohen Rat ablegte: „Der Gott unserer Väter hat Jesum auferweckt. … Diesen hat Gott durch seine Rechte zum Fürsten und Heiland erhöht.“ – Apg. 5:30, 31

So hat unser Herr Jesus vor dem Vater, den Engeln und vor uns (seinen Brüdern) seine völlige Ergebung in den Willen des Vaters und jede einzelne seiner Verfügungen erwiesen. So hat er des Vaters Gesetz herrlich gemacht und gezeigt, dass dasselbe nicht zu streng oder übertrieben war, sondern dass ein vollkommenes Wesen imstande sei, es zu halten, und zwar selbst unter den schwierigsten Verhältnissen. Darum dürfen wir, seine Nachfolger, wohl mit einstimmen in den Lobgesang aller gehorsamen und intelligenten Geschöpfe Gottes. „Würdig ist das Lamm, das geschlachtet wurde, zu empfangen die Macht und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Herrlichkeit und Segnung.“ – Offb. 5:12

Und wie unser verherrlichter Herr der Herzog unserer Seligkeit ist, so müssen auch alle seine Soldaten, die als Kreuzesstreiter ihrem Hauptmanne nachfolgen und Miterben seiner königlichen Herrschaft werden wollen, als „neue Kreaturen“ gleicherweise durch Leiden und Prüfungen vollkommen gemacht werden. Und wie die Leiden, durch die unser Hauptmann als neue Kreatur vollkommen gemacht wurde, darin bestanden, dass Welt, Fleisch und Teufel ihm widerstanden, und darin, dass er in voller Ergebung in den Willen des Vaters diesen Widerstand geduldig und ohne Murren ertrug, so verhält es sich auch mit uns. Die Leiden, durch welche unsere neue Kreatur vollkommen gemacht werden soll, sind nicht diejenigen, welche wir mit der übrigen seufzenden Kreatur gemein haben, als Glieder der Menschheit, sondern es ist die willige, freudige Ertragung dessen, was wir um des Herrn, seines Wortes und seiner Brüder willen erdulden: das Ungemach, das uns begegnet, wenn wir als gute Streiter Jesu Christi unseren eigenen Willen demjenigen unseres Hauptmannes und unseres himmlischen Vaters zu unterwerfen und dadurch in den Besitz eines vollkommenen, gerechten Willens zu gelangen suchen. Das haben wir zu tun, wenn wir tatsächlich in seinen Fußstapfen wandeln wollen – in ruhigem Vertrauen auf seine Fürsorge vor dem himmlischen Gnadenthron uns Schritt für Schritt seine Hilfe erbittend; im vollen Vertrauen auch auf seine Verheißung, dass alle Dinge zu unserem Besten dienen, und dass er uns nicht über unser Vermögen versuchen lässt, sondern uns vielmehr in jeder Versuchung einen Ausweg zeigen und uns in jeder Prüfung die nötige Gnade, und rechtzeitige Hilfe in jeder Not zu teil werden lassen will. Dies ist die Prüfung, welche „seine Brüder“ zu bestehen haben, und durch welche sie als neue Kreaturen in Christo vollkommen gemacht werden – „fähig zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Lichte.“ – Kol. 1:12

„In Gleichheit des Fleisches der Sünde“

„Denn das dem Gesetz Unmögliche, weil es durch das Fleisch kraftlos war (indem durch den Sündenfall alles Fleisch verdorben und deshalb unfähig war, dem Gesetze unbedingten Gehorsam zu leisten), das tat Gott, indem er, seinen eigenen Sohn in Gleichheit des Fleisches der Sünde und für die Sünde sendend, die Sünde im Fleische verurteilte (und durch das Blut den Neuen Bund versiegelte, auf dass unter demselben) das Recht des Gesetzes erfüllt würde in uns, die wir nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste wandeln. Für solche also, ist jetzt keine Verdammnis, denn das Gesetz des Geistes des Lebens in Christo Jesus (unter dem Neuen Bunde) hat uns frei gemacht vom Gesetz, welches alle Unvollkommenen als Sünder verurteilte und zum Tode verdammte.“ – Röm. 8:1-4

Wer mehr oder weniger der Ansicht zuneigt, dass unser Herr ein Sünder, ein Glied unseres gefallenen Geschlechtes gewesen sei, stützt sich zur Begründung seiner Ansicht auf diese Stelle und sucht dieselbe so zu drehen, dass sie in Widerspruch mit der Vernunft und mit anderen Schriftstellen gerät, um damit zu beweisen, dass Christus ganz genau dem sündlichen Fleische gleich gemacht worden sei, und nicht dem Fleische, das nicht gesündigt hatte – nämlich Adam vor dem Falle. Wir haben aber durch obige Umschreibung des Textes (unter Beifügung nützlicher Erläuterungen) den Gedanken des Apostels ohne Zweideutigkeit wiederzugeben versucht. Die Stelle will nämlich sagen, dass unser Herr die Herrlichkeit seiner geistigen Natur verließ und Fleisch wurde, d.h. derselben Natur teilhaftig, wie das Geschlecht, welches zu erkaufen er herabkam, weil es in die Bande der Sünde geraten, unter die Sünde verkauft war durch den Ungehorsam seines Stammvaters, Adam. Es ist also nicht der Urtext, sondern zweideutige Übersetzung dieser Schriftstelle schuld, wenn mit derselben scheinbar bewiesen werden kann, dass Christus ein sündiger Mensch geworden sei. Nein, so etwas Vernunftwidriges lehrt die Schrift nicht; denn, wäre unser Herr Jesus ein Sünder gewesen, oder auch nur im geringsten mit dem Fluche behaftet, der auf der ganzen Menschheit lastet, so hätte er nimmer unser Sühnopfer werden können, indem kein Sünder sich als Sühnopfer für einen anderen Sünder darbieten kann. Nach dem göttlichen Gesetz ist der „Tod der Sünde Sold“. Wäre unser Herr auch nur im geringsten sündig gewesen, so hätte er sein Leben schon verwirkt gehabt, und das selbe wäre also wertlos gewesen und hätte kein Lösegeld für Adam oder irgend einen anderen Sünder sein können.

„Er selbst nahm unsere Schwachheiten und trug unsere Krankheiten.“

„Fürwahr, er hat unsere Leiden getragen, und unsere Schmerzen hat er auf sich geladen. Und wir, wir hielten ihn für bestraft, von Gott geschlagen und niedergebeugt; doch um unserer Übertretungen willen war er verwundet, um unserer Missetaten willen zerschlagen. Die Strafe zu unserem Frieden lag auf ihm, und durch seine Striemen ist uns Heilung geworden.“ – Matth. 8;17; Jes. 53: 4, 5

Vollkommenheit ist das Gegenteil von Schwachheit. Die Tatsache, dass unser Herr an körperlichen Schwachheiten litt, die doch mit dem Begriffe Vollkommenheit unvereinbar sind, muss also hier eingehend betrachtet werden, denn sie könnte als ein Beweis dafür in Anspruch genommen werden, dass er nicht vollkommen, sondern mit einigen von den Schäden unseres gefallenen Geschlechtes behaftet gewesen sei. Wir erinnern daran, dass unser Herr in seinen höchsten Leiden, in seinem furchtbaren Todeskampf in Gethsemane Blut geschwitzt hat („Es wurde aber sein Schweiß wie große Blutstropfen, die zur Erde fielen.“ – Luk. 22:44), und dies wird von hervorragenden Ärzten als eine Krankheit bezeichnet, die, obwohl sehr selten, auch schon bei anderen Menschen konstatiert worden sei. Es sei dies eine Folge größter nervöser Anstrengungen und daraus sich ergebender Schwäche. Auf seinem Gang nach Golgatha brach er unter der Last des Kreuzes ohnmächtig zusammen, so dass Simon von Kyrene gezwungen werden musste, ihm das Kreuz zu tragen. Am Kreuze erfolgte sein Tod auch viel rascher als es sonst bei Gekreuzigten der Fall war, weil ihm, wie behauptet wird, buchstäblich der Fall war, weil ihm, wie behauptet wird, buchstäblich das Herz gebrochen, d.h. seine Herzmuskeln zerrissen seien, was aus dem Umstand geschlossen wird, dass Blut und Wasser zugleich aus der Speerwunde floss. Aus all diesen Tatsachen sehen wir, dass unser Herr nicht jene Kraftfülle offenbarte, wie wir sie in Adam, dem ersten vollkommenen Menschen, finden, dessen Lebenskraft so groß war, dass er 930 Jahre zu leben vermochte. So entsteht denn die Frage: Sind diese unleugbaren Zeichen von Schwäche nicht ein Beweis, dass unser Herr entweder infolge erblicher Belastung oder irgend einer anderen Ursache nicht die volle Kraft eines vollkommenen Menschen besaß, das er mithin ein unvollkommener Mensch war?

Oberflächlich betrachtet, scheint es in der Tat so zu sein; und einzig im Worte Gottes können wir eine für uns selbst und die, welche wir belehren können, genügende Erklärung finden für diese scheinbare Ungereimtheit, dass nämlich unser Herr trotz der auf ihm ruhenden Schwäche und Krankheiten dennoch heilig, schuldlos, unbefleckt und von den Sündern abgesondert war. Den Schlüssel zu dieser Erklärung gibt uns besonders die oben angeführte Stelle aus Jesaja 53 in die Hand. Der Prophet schildert uns, wie der Messias scheinbar wie alle übrigen Glieder des Menschengeschlechtes von Gott geschlagen und unter den Fluch des Todes gestellt sein werde, er geht aber weiter und beweist, dass das nur so scheinen werde, indem derselbe für unsere und nicht für seine eigenen Sünden leide. Seine Schwachheiten kamen daher, dass er unsere Schmerzen auf sich genommen und die Last unserer Sorgen getragen hat; und sein Tod war die Folge davon, dass er sich an unserer Statt unter die Strafe des göttlichen Gesetzes stellte, er, „der Gerechte, für die Ungerechten“, damit er uns zu Gott zurückbringen möchte. Den Standpunkt des fleischlichen Israel am ersten Advent einnehmend, sagt der Prophet: Wir hielten ihn aber für einen, der von Gott geschlagen, bestraft und niedergebeugt worden. Doch verurteilt er diese Ansicht als unrichtig, indem er verbessernd beifügt: „Doch um unserer Übertretungen ward er verwundet, um unserer Sünden willen ward er geschlagen.“ Und dadurch, dass die Strafe unserer Sünden auf ihm lag, verschaffte er uns Frieden mit Gott; und unsere Heilung verdanken wir seinen Wunden.

Matthäus 8:16, 17 macht uns aufmerksam auf die Erfüllung gerade dieser Verheißung, indem es da heißt: „Sie brachten viele Besessene zu ihm, und er trieb die Geister aus mit einem Worte, und er heilte alle Leidenden, damit erfüllt würde, was durch Jesaja den Propheten geredet ist, welcher spricht: Er selbst nahm unsere Schwachheiten und trug unsere Krankheiten.“

Der Zusammenhang zwischen den Krankenheilungen unseres Herrn und dem Aufsichnehmen unserer Schwachheiten wird von den meisten, die diese Stelle lesen, kaum bemerkt. Meist wird angenommen, unser Herr habe einfach eine Macht zu heilen ausgeübt, die ihm gar nichts gekostet; er habe aus einer geistigen, unsichtbaren Quelle eine unerschöpfliche Kraft bezogen, Kraft derer er alle möglichen Wunder zu tun vermochte, ohne dass dabei seine eigene Lebenskraft in Anspruch oder Mitleidenschaft gezogen worden wäre.

Wir stellen durchaus nicht in Abrede, dass die in reichstem Maße auf unserem Erlöser ruhende „Kraft des Höchsten“ denselben befähigt hat, manche übernatürlichen Dinge zu tun, und zwar ohne, dass das ihn in irgend einer Weise angegriffen hätte. Wir bezweifeln auch gar nicht, dass er von dieser übernatürlichen Kraft gelegentlich Gebrauch machte, wie z.B. an der Hochzeit zu Kanaa, wo er Wasser in Wein verwandelte, oder an den Speisungen der 4 und 5 Tausend. Was aber die Krankenheilungen anbetrifft, so gibt uns die Schrift deutlich zu verstehen, dass dieselben nicht durch eine ihm zu Gebote stehende übermenschliche Kraft zustande gekommen seien, sondern im Gegenteil dadurch, dass ein Teil seiner eigenen Lebenskraft auf die Kranken übertragen wurde. Je größer also die Zahl derer war, die er heilte, um so größer war auch sein Verlust an eigener Lebenskraft. Zum Beweis hierfür lies die Erzählung vom blutflüssigen Weibe (Mark. 5:25-34), welches 12 Jahre an Blutverlust gelitten und manches von den vielen Ärzten ertragen und dafür ihre ganze Habe hergegeben hatte, ohne jedoch Besserung zu finden; im Gegenteil, schlimmer war es geworden. Da drängte sie sich glaubensvoll an den Herrn Jesum heran, indem sie sich sagt: „Wenn ich nur seine Kleider anrühre, so werde ich geheilt werden.“ Und weiter lesen wir: „Und alsbald vertrocknete der Quell ihres Blutes, und sie erkannte an ihrem Leibe, dass sie von der Plage geheilt war. Und alsbald erkannte Jesus in sich selbst die Kraft, die von ihm gegangen war, wandte sich um in der Volksmenge und sprach: Wer hat meine Kleider berührt? Und seine Jünger sprachen zu ihm: Du siehst, dass die Volksmenge dich drängt, und du sprichst: Wer hat mich berührt? Und er blickte umher, um sie zu sehen, die dieses getan hatte, und er sprach zu ihr: Tochter, dein Glaube hat dich geheilt, gehe hin in Frieden und sei gesund von deiner Plage.“

Und ganz allgemein berichtet Lukas (6:19): „Und die ganze Volksmenge suchte ihn anzurühren, denn es ging Kraft von ihm aus, und er heilte sie alle.“ In diesem Sinne also hat unser lieber Heiland die Schwachheiten der Menschheit auf sich geladen, in diesem Sinne trug er unsere Krankheiten. Und die Folge dieses täglichen Abgebens eigener Lebenskraft zur Heilung anderer war die allmähliche Aufzehrung seiner Lebenskraft, wozu das beständige Reisen und Predigen während den 3½ Jahren auch das ihrige beitrugen. Dieses Tragen fremden Leidens erscheint uns weniger seltsam, wenn wir an unsere eigenen Erfahrungen denken. Wer unter uns, der mit der Gabe des Mitleides gesegnet ist, hat nicht zu Zeiten an sich selbst empfunden, wenigstens in beschränktem Maße, dass es einem Freunde möglich ist, die Leiden eines Freundes mit zutragen, durch dieses Mitgefühl dem Leidenden einige Erleichterung zu verschaffen, bis zu einem gewissen Grade Lebenskraft auf ihn zu übertragen und die auf sein Gemüt drückende Last leichter erscheinen zu lassen? Solch ein hilfreicher Einfluss, solch ein Mitgefühl der Leiden anderer hängt aber sehr viel von dem Zutrauen, der Zuneigung ab, welche die Kranken und Betrübten den sie Besuchenden entgegen bringen.

Ja noch mehr, wir wissen, dass gewisse Tiere sogar mehr oder weniger dem Menschen zugetan sind. Die Taube ist es z.B. in sehr hohem Grade und galt, als eines der sanftesten Tiere, schon in der mosaischen Heilsordnung als ein Vorbild unseres treuen Erlösers. Es ist nun schon öfters beobachtet worden, dass Kranke eine gewisse Erleichterung ihres Leidens verspürten, wenn Tauben in ihr Zimmer gebracht wurden. Dieselben nehmen, vielleicht wegen ihrer mitfühlenden Natur, einen Teil des betreffenden Leidens auf sich und geben dafür einen Teil ihrer Lebenskraft den Leidenden ab. Dies erkennt man nämlich daran, dass die Tauben selber Krankheitserscheinungen aufweisen (z.B. Rheumatismus), während der Kranke sich erleichtert fühlt. Bedenken wir nun, dass unsere Fähigkeit zu lieben und mitzufühlen nur ein Rest ist, der uns nach 6000-jährigen Dauer des Falles der Menschheit noch geblieben ist, dass unser Heiland dagegen vollkommen war und deshalb ein unbeschränktes Mitgefühl, eine unbegrenzte Liebe besitzen und ausüben konnte, dann begreifen wir ungefähr, wie, d.h. auf welche Weise er unsere Schwachheiten empfinden konnte. Sein liebendes Herz wurde gerührt, weil seine Natur fein, vollkommen und gefühlvoll – nicht durch Sünde und ererbte oder eigene Selbstsucht verhärtet war. Darum lesen wir von ihm: „Er ward innerlich (von Mitleid) bewegt“; und wiederum: „Es jammerte ihn des Volkes“; und am Grabe des Lazarus „gingen ihm selbst die Augen über“, als er Maria, Martha und die Juden weinen sah. Das waren nicht Zeichen von Schwäche; im Gegenteil! Denn der wahre Charakter des zum Ebenbild Gottes erschaffenen, vollkommenen Menschen ist nicht hart, herzlos und rau, sondern freundlich, liebevoll, teilnehmend. Aus all diesen Zügen aus dem Leben Jesu geht hervor, dass der, welcher redete, „wie nie ein Mensch geredet hat“, auch die Trübsal und Leiden, die der Sündenfall uns gebracht, mitzufühlen vermochte, wie kein Glied unseres gefallenen Geschlechtes es vermag.

Das ist indessen nicht alles; beim bloßen Mitgefühl blieb es nicht. Unser Herr kam nicht in diese Welt, um bloß eine Macht oder Kraft auszuüben, die ihn selbst nichts kostete, sondern, wie er selbst erklärt: „Dass er diene und gebe sein Leben zum Lösegeld für viele.“ Freilich, der Sünde Sold ist nicht Leiden, sondern der Tod. Folglich hätte unser Herr durch bloßes Leiden unsere Rechnung nicht ausgeglichen. Es war also unbedingt notwendig, dass „Christus Jesus den Tod schmeckte für jedermann“, und so lesen wir denn auch: „Christus ist gestorben für unsere Sünden nach den Schriften.“ (1. Kor. 15:3) Wenn er also die Stelle des Sünders annahm, so musste er folgerichtig auch alles durchkosten, was der Fluch über den Sünder gebracht hat – die Todesstrafe. Und in dem Maße, wie die Menschheit durch fortwährenden Verlust an Lebenskraft (infolge von Schwachheit und vererbter Krankheit) dahin stirbt, musste auch unser Herr all diese Vorboten des Todes über sich gehen lassen. Da er aber nun kein Sünder war, so müssen die von ihm erlittenen Strafen offenbar um der anderen Menschen willen auf ihm gelegen haben, weil er an den Platz der Sünder getreten ist, um für uns die Streiche gerechter Strafe zu tragen.

Was das Tragen unserer Schwächen, Schmerzen und Krankheiten anbetrifft, das hat unser Herr in einer Weise getan, wie es den Lebenden nicht besser hätte zugute kommen können, indem er während den 3½ Jahren seiner Amtsdauer Tag für Tag von seiner Lebenskraft abgab, und zwar an solche, die seine Beweggründe, seine Liebe und Gnade erst nicht zu würdigen wussten. So lesen wir: „Dadurch, dass er seine Seele ausgeschüttet hat in den Tod“, hat „seine Seele das Schuldopfer gestellt“ (Jes. 53:10, 12). Und wir können deutlich sehen, wie unser Herr von der Zeit seiner Weihung an (als er 30 Jahre alt, im Jordan von Johannes getauft wurde) bis hinab nach Golgatha beständig „seine Seele ausgeschüttet“ hat, indem er fortwährend Lebenskraft von sich auf diejenigen ausgehen ließ, welchen er helfen, welche er heilen wollte. Und wenn dies alles für das Lösegeld auch nicht hätte genügen können, so war es doch ein Teil des Sterbens, durch das unser Erretter hatte gehen müssen, und das am Kreuz auf Golgatha seinen Endpunkt erreichte, als er ausrief, „Es ist vollbracht“, und der letzte Lebensfunke von ihm ausging.

Fast möchte es scheinen, als sei es für unseren Herrn ebenso nötig gewesen, gleichermaßen seine Lebenskraft zu opfern, unser allmähliches Dahinsterben zu kosten, als dass es für ihn nötig war, einmal am Kreuze, wenn auch nur einige Augenblicke, die vollständige Trennung des Sünders vom himmlischen Vater und die Entziehung aller übermenschlichen Hilfe zu schmecken, als er ausrief: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“ Als des Sünders Stellvertreter musste er des Sünders Strafe in allen ihren Einzelheiten erdulden, und nicht ehe dies geschehen, war der im Opfer bestehende Teil seiner Aufgabe gelöst; nicht bevor er das alles im Glauben ertragen hatte, waren die verschiedenen Prüfungen erfolgreich bestanden, wodurch er sich nach des Vaters Willen würdig erweisen sollte, zum „Herzog unserer Seligkeit“ erhoben zu werden, hoch erhöht über alle Engel, Fürstentümer und Gewalten, als Mitteilhaber an des Vaters Herrschaft über das Weltall.

All diese Erfahrungen, durch die der himmlische Vater seinen geliebten Sohn gehen ließ, ehe er ihn zur Rechten seiner Majestät erhöhte und ihm das große Werk der Segnung aller Geschlechter auf Erden anvertraute, waren aber nicht bloß dazu geeignet, den eingeborenen Sohn, den Logos, in seiner Treue zu prüfen, sondern sie waren auch, wie die Schrift uns lehrt, notwendig, um unseren Herrn zu befähigen, das Elend derer mitzuempfinden, welche er so erkauft hatte – Mitgefühl zu beweisen und Hilfe darzubieten allen denen, die durch ihn zu voller Gemeinschaft mit Gott zurückzukehren begehren: die Herauswahl im gegenwärtigen, die Welt im Millenniums-Zeitalter, „auf dass er in den Sachen mit Gott ein barmherziger und treuer Hohepriester sein möchte“ – „der in allem versucht worden ist in gleicher Weise (wie wir)“ – „der Nachsicht zu haben vermag mit den Unwissenden und Irrenden, indem auch er selbst mit Schwachheiten umgeben ist“. „Daher vermag er auch völlig zu erretten, die durch ihn zu Gott kommen.“ Wahrlich: „Ein solcher Hohepriester geziemte uns: heilig, unschuldig, unbefleckt, abgesondert von den Sündern und höher als die Himmel.“ – Hebr. 2:17, 18; 4:15, 16; 5:2; 7:25, 26