Der Mensch der Sünde – der Antichrist
Der Antichrist muss vor dem Tag des Herrn entstehen, offenbart und gestürzt werden. – Eine gegenteilige Ansicht über diesen Gegenstand betrachtet. – Prophetische Schilderung desselben. – Die Geburt des Antichristen. – Seine rasche Entwicklung. – Übereinstimmung des geschichtlichen Bildes und der biblischen Beschreibung desselben. – Sein Reich eine fälschende Nachahmung. – Sein auffälliges Haupt und merkwürdiger Mund. – Seine hochklingenden und schwülstigen Worte der Gotteslästerung. – Seine gotteslästerliche Lehre. – Das Aufreiben der Heiligen des Allerhöchsten durch ihn. – Seine tausendjährige Herrschaft. – Der Antichrist durch das Schwert des Geistes geschlagen. – Sein letzter Kampf und Untergang.
Lasst euch von niemandem auf irgendeine Weise verführen, denn dieser Tag kommt nicht, es sei denn, dass zuerst der Abfall komme und geoffenbart worden sei der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens.
2. Thessalonicher 2:3
Im Hinblick auf die angeführten Worte des Apostels Paulus, dass ein Charakter, den er als „Mensch der Sünde“ bezeichnet, dem zukünftigen Tag des Herrn (welcher, wie wir bewiesen haben, bereits anzubrechen begonnen hat) vorhergehen muss, ist es von Wichtigkeit, dass wir uns umsehen, ob ein solcher je erschienen ist. Denn ist ein derartiger Charakter (eine Persönlichkeit), wie Paulus und die anderen Apostel ihn so sorgfältig beschreiben, noch nicht gekommen, so müssen diese Worte des Apostel Paulus als bestimmtes Nein auf die Frage betrachtet werden, ob der Herr jetzt gegenwärtig sei und sein Reich aufrichte; und bis der „Mensch der Sünde“ in jedem Punkt mit der Vorhersagung desselben übereinstimmend erschienen ist, müsste dieses Nein als unwiderlegbares Argument bestehen bleiben.
Deutlich wird uns berichtet, dass dieser Mensch der Sünde nicht nur zuerst entstehen muss, sondern auch, dass er sich entwickeln und gedeihen muss, bevor der Tag des Herrn kommt. Noch vor dem Tag des Herrn würde sein Gedeihen und sein Einfluss den Höhepunkt erreicht haben und beides wieder im Abnehmen begriffen sein; und durch den hellen Schein der Gegenwart des Herrn bei seiner Wiederkunft soll es geschehen, dass dieser Mensch der Sünde gänzlich vernichtet wird. Diese vorherverkündeten Umstände müssen wir beachten, um erkennen zu können, ob die Ermahnung des Apostel Paulus an die damalige Kirche auch noch in unserer Zeit anwendbar ist. Jetzt nach achtzehn Jahrhunderten wird abermals der Anspruch erhoben, dass der Tag Christi gekommen sei, und es entsteht die wichtige Frage: Besteht irgendetwas, das Paulus damals sagte, um den Irrtum der Thessalonicher zu berichtigen, auch jetzt noch als Einwand gegen diese Behauptung zurecht?
Der Apostel ermahnte die Kirche, die Wiederkunft des Herrn sehnsüchtig zu erwarten und auf das „feste prophetische Wort“ zu merken. Aus dieser Ermahnung und aus seiner Sorgfalt, die Zeichen der Gegenwart Christi und die Eigenart seines Werkes zu jener Zeit hervorzuheben usw., geht augenscheinlich hervor, dass er ebenso besorgt war, die Kirche möchte die Gegenwart des Herrn, wenn er gekommen sei, nicht erkennen als auch, dass sie vor der Zeit seiner Gegenwart in den Irrtum verführt werden möchte, er wäre schon gekommen. Wer am Anfang dieses Zeitalters dem letzteren Irrtum anheimfiel, wurde damit dem Betrug des schon damals in Wirksamkeit begriffenen antichristlichen Grundsatzes (die Kirche sei die sichtbare Einrichtung des Heils für die Welt in diesem Zeitalter und habe darum ein Anrecht auf die Herrschaft der Welt) ausgesetzt. Wer dagegen jetzt den Tag des Herrn und seine Gegenwart zur rechten Zeit zu erkennen verfehlt, ist damit der sich fortsetzenden Täuschung und falschen Lehre des Antichristen preisgegeben (dass das Reich Gottes in der irdischen Organisation der Sekten schon vorhanden sei) und wird hierdurch gegen die großen Wahrheiten und besonderen Vorrechte dieses Tages verblendet. Daher des Apostels Besorgnis um die Kirche an beiden Enden des Zeitalters und seine Warnung: „Lasst euch von niemandem auf irgendeine Weise verführen!“ Daher auch die genaue Beschreibung des Menschen der Sünde, damit er zu seiner Zeit erkannt werden könne.
Während die Kirche an diesem Ende des Zeitalters geneigt ist, selbst die Verheißungen des Herrn von des Herrn Wiederkunft zu vergessen, und, wenn sie sich daran erinnert, derselben mit Schrecken zu gedenken, hat die frühere Kirche begierig und mit freudiger Erwartung danach ausgeschaut. Sie sah in ihr die Frucht all ihrer Hoffnungen, den Lohn all ihrer Treue und das Ende all ihres Kummers. Mithin war die frühere Kirche bereit, willig auf irgendwelche Lehre zu hören, die den Tag des Herrn entweder sehr nahe oder als schon gegenwärtig darstellte, und demgemäss war sie in diesem Punkt in Gefahr, verführt zu werden, es sei denn, dass sie die apostolische Lehre über diesen Gegenstand sorgfältig beherzigte.
Die Kirche zu Thessalonich, beeinflusst durch die irrtümliche Lehre etlicher, der Herr sei wiedergekommen, und sie hätten seinen Tag erlebt, glaubte offenbar, diese Idee harmoniere mit der Lehre des Apostel Paulus in seinem ersten Briefe an sie (1. Thess. 5:1-5), dass des Herrn Tag still und unbemerkt heranschleichen würde, wie ein Dieb in der Nacht, dass aber in betreff desselben die Heiligen nicht im Finstern sein würden, obwohl andere sich unversehens darin befänden. Von diesem schädlichen Irrtum hörend, schrieb Paulus seinen zweiten Brief, dessen Hauptgedanke der war, den Irrtum, in den sie gefallen waren, zu berichtigen. Er sagt: „Wir bitten euch, Brüder, um der Ankunft unseres Herrn Jesu willen (in betreff derselben) und unseres Versammeltwerdens zu ihm, dass ihr nicht schnell erschüttert werdet in der Gesinnung, noch erschreckt, weder durch Geist, noch durch Wort, noch durch Brief als durch uns, als ob der Tag des Herrn (enestemi) da wäre. Lasst euch von niemand auf irgendeine Weise verführen, denn dieser Tag kommt nicht, es sei denn, dass zuerst der Abfall komme und geoffenbart worden sei der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens, welcher widersteht und sich selbst erhöht über alles, was Gott (mächtiger Herrscher) heißt, oder ein Gegenstand der Verehrung ist, so dass er sich in den Tempel Gottes setzt und sich selbst darstellt, dass er Gott sei. Erinnert ihr euch nicht, dass ich dieses zu euch sagte, als ich noch bei euch war? Und jetzt wisst ihr, was zurückhält, (auf) dass er (Christus) zu seiner (bestimmten) Zeit geoffenbart werde. Denn schon ist das Geheimnis der Gesetzlosigkeit (gegen Christus) wirksam; nur ist jetzt der, welcher zurückhält, bis er aus dem Wege ist, und dann wird der Gesetzlose geoffenbart werden, den der Herr Jesus verzehren wird durch den Hauch seines Mundes und vernichten durch die Erscheinung seiner Ankunft (parusia – Gegenwart).“ Paulus konnte mit solcher Gewissheit von dem Offenbarwerden des Menschen der Sünde vor dem Tag des Herrn schreiben, weil er Daniels Weissagung studiert hatte, auf die auch unser Herr Bezug nimmt (Matth. 24:15), und wahrscheinlich auch, weil ihm selber in seinen Gesichten und Offenbarungen der große Schaden gezeigt wurde, den dieser Mensch der Sünde in der Kirche anrichten würde.
Man beachte: Paulus gebraucht keine Argumente, wie man heute anzuwenden geneigt sein würde, gegen die Behauptung, dass der Tag des Herrn begonnen habe. Er sagt nicht: O, ihr törichten Thessalonicher, wisset ihr nicht, dass, wenn Christus kommt, eure Augen ihn sehen und eure Ohren den erschreckenden Schall der Posaune Gottes hören werden, und dass sie ferner an den sich wankenden Grabsteinen und an den hervorgehenden Heiligen handgreiflichen Beweis haben würden. Ist es nicht augenscheinlich, dass, wenn das ein richtiger Schluss gewesen wäre, Paulus ein so einfaches und leicht fassliches Argument gar schnell benutzt haben würde? Noch mehr, ist nicht die Tatsache, dass er dieses Argument nicht gebrauchte, ein Beweis, dass es nicht auf Wahrheit beruht, noch beruhen kann?
Aus der Tatsache, dass Paulus in seiner energischen Weise, den Irrtum zu berichtigen, nur den einen Einwand gegen ihre Behauptung erhob, geht offenbar hervor, dass er ihre Gedanken über den Tag des Herrn im allgemeinen guthieß – dass derselbe nämlich angefangen haben könne, während viele nicht darum wussten; dass er kommen könne, ohne dass man es an äußerlichen Zeichen merke. Der alleinige Grund seines Einwandes war der, dass zuerst der Abfall kommen müsse, und infolge des Abfalls die Entstehung des Menschen der Sünde, welcher, was derselbe auch sein möge (ob eine einzelne Person oder ein großes antichristliches System, das er so personifizierte), vor dem Tag des Herrn erst aufkommen, gedeihen und zu verfallen anfangen müsse. Wenn also dieser einzige Einwand, den Paulus erhob, nicht mehr im Wege steht; wenn wir einen Charakter finden, der in allen Stücken der prophetischen Beschreibung vom Menschen der Sünde entspricht und vom Anfang seines Daseins an bis auf unsere Zeit wirklich bestanden hat, dann des Paulus einziger Einwand – obwohl in seinen Tagen am Platz – nicht länger ein triftiger Grund gegen die jetzt aufgestellte Behauptung, dass wir am Tag des Herrn leben, im Tag seiner Gegenwart. Weiter, wenn der Mensch der Sünde leicht erkannt werden kann; wenn seine Entstehung, Entwicklung und Verfall deutlich zu sehen ist, dann wird diese Tatsache ein neuer bestätigender Beweis für die Lehre des vorstehenden Kapitels, welches zeigt, dass wir jetzt im Tage des Herrn sind.
Prophetische Schilderung desselben
Wer die Prophetie studiert, wird finden, dass der Mensch der Sünde die ganze Heilige Schrift hindurch deutlich bemerkbar gemacht wird, nicht nur durch eine klare Beschreibung seines Wesens, sondern auch dadurch, dass Zeit und Ort seines Entstehens, Gedeihens und Verfalls gezeigt werden.
Dieser Charakter wird in eben den Namen, die ihm von den inspirierten Schreibern beigelegt werden, sehr nachdrücklich geschildert. Paulus nennt ihn den Ruchlosen, den Menschen der Gesetzlosigkeit, das Geheimnis der Bosheit, Antichrist, Sohn des Verderbens. Daniel heißt ihn – verwüstenden Greuel (Dan. 11:31; 12:11), und unser Heiland bezieht sich auf denselben Charakter als – Greuel der Verwüstung, von dem durch den Propheten Daniel gesprochen ist (Matth. 24:15), und abermals als ein Tier. (Offb. 13:1-8) Derselbe Charakter ist durch ein kleines Horn, das bedeutet Macht, versinnbildlicht, aus einem greulichen Tier hervorkommend, welches Daniel in einer prophetischen Vision sah, das Augen hatte und ein Maul, das große Dinge redete, und welches zunahm und mit den Heiligen Krieg führte und sie überwältigte. (Dan. 7:8, 21) Auch Johannes sah diesen Charakter und warnte die Kirche davor, indem er sagte: „Ihr habt gehört, dass der Antichrist kommt.“ (1. Joh. 2:18-27) Auch das Buch der Offenbarung ist zum größeren Teil eine eingehende diesen Antichristen betreffende symbolische Prophezeiung, auf die wir hier nur einen Blick werfen, da wir die ausführliche Untersuchung derselben für einen späteren Band aufheben. Alle diese verschiedenen Bemerkungen und kurzen Beschreibungen zeigen einen niederen, listigen, heuchlerischen, trügerischen, tyrannischen Charakter an, der sich inmitten der christlichen Kirche entwickelte; ganz allmählich sich einschleichend, dann aber rasch zu Macht und Einfluss sich emporschwingend, bis er den Gipfel irdischer Macht, Reichtums und Ehre erreicht hat – mittlerweile seinen Einfluss gegen die Heiligen und für seine eigene Vergrößerung geltend machend, und bis zuletzt besondere von Gott verliehene Heiligkeit, Autorität und Macht beanspruchend.
In diesem Kapitel beabsichtigen wir zu zeigen, dass dieser Mensch der Sünde ein System und nicht eine Einzelperson ist, wie viele zu folgern scheinen; dass, wie der Christus aus dem wahren Herrn und der wahren Kirche besteht, so der Antichrist als Trugsystem aus dem falschen Herrn und der abtrünnigen Kirche besteht, welchem System eine Zeitlang zugelassen wird, die Wahrheit zu verdrehen und Betrug zu üben, die Autorität und Herrschaft des wahren Herrn und seiner Kirche nachzuäffen und die Nationen mit seinen falschen Ansprüchen und Anmaßungen trunken zu machen.
Wir hoffen zur Zufriedenheit jedes gewissenhaften Lesers beweisen zu können, dass dieser große Abfall, den Paulus erwähnt, gekommen ist, und dass dieser Mensch der Sünde enthüllt worden ist, dass er im Tempel Gottes (dem wirklichen, nicht vorbildlichen) gesessen hat, dass die sein Wesen und Wirken betreffenden Weissagungen der Apostel und Propheten erfüllt worden sind, dass er geoffenbart worden ist und nun seit dem Jahr 1799 durch den Geist des Mundes des Herrn (durch die Wahrheit) verzehrt wird und während des Tages des Zornes und der Offenbarung des Herrn mit Feuerflammen der Vergeltung, die bereits im Anfang begriffen sind, gänzlich vernichtet werden wird.
Ohne den Wunsch zu hegen, die Meinung anderer leichthin zu behandeln, halten wir es dessen ungeachtet für nötig, dem Leser einige Ungereimtheiten aufzuzeigen, die gewöhnlich mit der Ansicht vom Tag des Herrn verbunden sind, damit dadurch die Würde und das Vernunftvolle der Wahrheit über diesen Gegenstand recht hervortrete, im Gegensatz zu der beschränkten Ansicht, dass alles, was die Schrift über diesen Antichristen vorhergesagt habe, durch einen buchstäblichen Menschen vollbracht würde. Dieser Mensch – so wird behauptet – werde die Welt so bezaubern, dass er sich in wenigen kurzen Jahren die Ehrfurcht und die Anbetung aller Menschen sichern werde. So leicht würden dann alle zu täuschen sein, dass sie diesen Menschen für Gott halten und ihn in einem neu erbauten jüdischen Tempel als den allmächtigen Jehova anbeten würden. Und dies alles soll mit Blitzeseile geschehen – in drei und ein halb Jahren, so sagen sie – indem sie symbolische Zeit, wie auch den symbolischen Menschen missdeuten.
Sagenhafte Dichtungen und weitgehendste Einbildung können keine Parallelen liefern zu diesen übertriebenen Ansichten einiger lieber Gotteskinder, die da über eine buchstäbliche Auslegung der Sprache des Paulus straucheln und damit sich selbst und andere gegen viele kostbare Wahrheiten verblenden, welche sie, um des über diesen Gegenstand verbreiteten Irrtums willen, unfähig sind, in vorurteilsfreiem Licht zu betrachten. Wie groß auch unser Mitgefühl für sie ist, ihr „blinder“ Glaube nötigt uns ein Lächeln auf, wenn sie uns die verschiedenen, von ihnen unverstandenen Symbole der Offenbarung ganz ernsthaft erzählen und so verkehrt auf ihren wunderbaren Menschen anwenden. In dem ungläubigsten aller Zeitalter, das die Welt je gekannt, behaupten sie, werde dieser Mensch in dem kurzen Zeitraum von drei und ein halb Jahren die ganze Welt zu seinen Füßen sehen, ihn anzubeten als einen Gott; während Cäsar, Alexander, Napoleon, Mohammed und andere durch Meere von Blut segelten und vielemale drei und ein halb Jahre brauchten, ohne den tausendsten Teil davon auszurichten, was sie für ihren „Menschen“ beanspruchen.
Und doch hatten jene Welteroberer alle Vorteile einer dichten Unwissenheit und Aberglaubens auf ihrer Seite, während wir heute zur Entwicklung solcher Täuschung und Betrügerei unter höchst ungünstigen Bedingungen leben. In einer Zeit soll alles dies geschehen, da das Verborgene offenbar wird, wie nie zuvor, in einer Zeit, da Betrug, wie der aufgetischte, für irgendwelche Beachtung zu abgeschmackt und lächerlich gehalten wird. Wahrlich, die Neigung unseres Tages geht viel zu sehr auf Mangel an gebührender Achtung vor Menschen, einerlei wie gut, begabt und fähig sie seien, oder welches Vertrauensamt oder welche Vollmacht sie inne haben. In solchem Grade, und wie nie zuvor, ist dies wahr, dass die Welt tausendmal eher leugnen wird, dass es überhaupt einen Gott gibt, als einen Mitmenschen als den allmächtigen Gott anzubeten.
Ein großes Hindernis für viele in dieser Sache ist die beschränkte Idee, die man gewöhnlich von dem Wort „Gott“ hegt. Viele beachten nicht, dass das Wort Theos (Gott) sich nicht immer auf Jehova bezieht. Es bezeichnet einen Mächtigen, einen Herrscher, und besonders einen religiösen oder priesterlichen Herrscher. Im Neuen Testament wird Theos selten gebraucht, außer wenn es auf Jehova angewandt wird, weil die Reden der Apostel sich wenig oder selten auf falsche Religionssysteme und daher auch selten auf ihre priesterlichen Herrscher und Götter bezogen. Doch in den folgenden Texten wird das Wort „Theos“ (Gott) auch auf andere als das eine höchste Wesen bezogen, nämlich: Joh. 10:34, 35; Apg. 7:40, 43; 17:23; 1. Kor. 8:5
Die Mannigfaltigkeit des griechischen Wortes Theos erkennend, wird man sofort sehen, dass die Aussage des Apostels den Antichristen betreffend – dass er sich in den Tempel Gottes setzen und vorgeben werde, er sei ein Gott – nicht notwendigerweise bedeutet, dass der Antichrist versuchen werde, sich über Jehova zu erheben, noch auch, sich an Jehovas Stelle zu setzen. Es bedeutet einfach, dass dieser eine sich als einen religiösen Herrscher darstellen wird, der Autorität beansprucht und in dem Maße über alle anderen religiösen Herrscher ausübt, dass er sich in der Kirche, welche der wahre Tempel Gottes ist, hoch erhebt und daselbst, als ihr Haupt und berechtigter Herrscher, göttliche Autorität beansprucht und ausübt. Wo immer im Griechischen das Wort Theos in einem Satz so gebraucht wird, dass seine Bedeutung zweifelhaft sein würde, dann steht der griechische Artikel davor, wenn es sich auf Jehova bezieht, wie wenn man im Deutschen der Gott sagen würde. Dagegen, in den eben angeführten Stellen, welche sich auf andere Götter beziehen, und hier in dieser Stelle (2. Thess. 2:4), die sich auf den Antichristen bezieht, liegt kein solcher Nachdruck darauf.
Wird dies klar gesehen, so wird ein großer Stein des Anstoßes aus dem Wege geräumt, und unser Verstand ist in der Lage, nach den rechten Dingen als Erfüllung dieser Weissagung zu suchen. Nicht nach einem Antichristen, der da Jehova zu sein beansprucht, und der als solcher Anbetung verlangt, sondern nach einem solchen, der da der oberste, der höchste Lehrer der Kirche zu sein behauptet und so das Ansehen Christi, des göttlich ernannten Hauptes, Herrn und Lehrers sich anzumaßen versucht.
Und sonderbar genug, dass diejenigen, welche diese buchstäbliche Ansicht vom Menschen der Sünde haben, gewöhnlich an ein Kommen des Herrn vor dem Millennium glauben und erwarten, dass der Herr jetzt jeden Augenblick kommen könne. Warum können nicht alle des Apostels Meinung erkennen, wenn er so bestimmt erklärt, dass der Tag des Herrn (der Tag seiner Gegenwart) nicht kommen könne und nicht erwartet werden sollte, bis der Mensch der Sünde offenbar geworden sei. Es waren über vierzig Jahre nötig, um den früheren jüdischen Tempel zu erbauen, und es würde gewiss wenigstens zehn bis zwanzig Jahre erfordern, den neuen Tempel, in dem sie den buchstäblichen Menschen der Sünde eingesetzt und als Gott verehrt zu sehen erwarten, mit größerer als vormaliger Pracht in Jerusalem zu bauen. Wie können denn diejenigen, die dies glauben, erwarten, dass der Herr jetzt jeden Augenblick kommen könne? Solche Ansicht ist außer Harmonie mit der Vernunft wie mit der Prophezeiung des Apostels. Konsequenz erfordert, dass sie entweder aufhören, den Herrn jeden Augenblick zu erwarten, oder aber einen noch zukünftigen Menschen der Sünde zu erwarten; denn der Tag der Gegenwart des Herrn kann nicht kommen, bis der Abfall stattgefunden und der Mensch der Sünde sich in jenem Abfall entwickelt hat und geoffenbart worden ist.
Wenn wir aber eine richtige Ansicht über die Worte des Apostels erlangen und zugleich richtige Gedanken über die Art des Kommens des Herrn hegen, begegnen wir keinen solchen Ungereimtheiten und Widersprüchen, sondern finden überzeugende Harmonie und Einklang. Und solch eine Ansicht wollen wir nun vorlegen. Die Schriftgemäßheit derselben soll der Leser prüfen.
Die verschiedenen Bezeichnungen, die diesem System beigelegt worden sind, sind offenbar symbolisch, bildlich; sie sind nicht Namen, die sich auf einzelne Personen beziehen, sondern Charakterbezeichnungen einer verderbten, religiös-bürgerlichen Verschmelzung, die sich in der nominell-christlichen Kirche entwickelte und durch ihren listigen Widerstand gegen Christum und seine wahre Kirche (seinen Leib) mit Recht den Namen Antichrist verdient hat. Solch ein System konnte alle den Antichristen oder Menschen der Sünde betreffenden Weissagungen erfüllen, was ein einzelner Mensch nicht konnte. Es ist ferner auch augenscheinlich, dass dieses antichristliche System keines der heidnischen Lehrgebäude ist, wie der Mohammedanismus oder Brahmanismus; denn die christliche Kirche ist nie unter der Gewalt irgendeines solchen Systemes gewesen, noch ist auch irgendeines der sogenannten Systeme in der christlichen Kirche entstanden. Sie sind jetzt unabhängig von der christlichen Kirche, und sind es immer gewesen.
Das System, auf welches die durch Inspiration gegebene Beschreibung völlig passt, muss ein anerkannt christliches sein und muss eine große Mehrzahl solcher enthalten, die behaupten, Christen zu sein. Und es muss ein System sein, das seine Entstehung einer Apostasie oder einem Abfall vom wahren christlichen Glauben verdankt – und dazu einem Abfall, der heimlich und verstohlen war, bis Umstände das Ergreifen der Macht begünstigten. Und dieser verstohlene Anfang trat schon in den Tagen der Apostel ein – in dem Streben einiger, der Größte zu sein.
Wir brauchen nicht lange zu suchen, um einen solchen Charakter zu finden, auf den alle Anforderungen vollkommen passen, einen Charakter, dessen Geschichte, von weltlichen Geschichtsschreibern, wie von seinen eigenen betrogenen Dienern verzeichnet, wie wir sehen werden, ganz genau mit den prophetischen Schilderungen stimmt. Aber wenn wir nun aussprechen, dass dieses eine und einzige System, dessen Geschichte auf die Prophezeiungen passt, das Papsttum ist, so verstehe uns niemand so, als meinten wir, jeder römische Katholik sei ein Mensch der Sünde, oder dass die Priester oder gar die Päpste der römischen Kirche der Antichrist seien oder gewesen sind. Nein, kein Mensch ist „der Antichrist“, wie ihn die Prophetie beschreibt. Päpste, Bischöfe und andere sind höchstens nur Glieder des antichristlichen Systems, ebenso wie die einzelnen des königlichen Priestertums nur Glieder des wahren Christus, unter Jesus, ihrem Haupt, sind und auf dieselbe Weise, wie diese in ihrem jetzigen Zustand der gegenbildliche Elias sind, aber keiner derselben einzeln angenommen der verheißene Elias oder der Christus ist. Beachte ferner, dass die römische Kirche nur als kirchliches System nicht der „Mensch der Sünde“ ist und niemals unter dem Bild eines Mannes dargestellt wird. Im Gegenteil, für eine von ihrem Herrn und Haupt getrennte Kirche wird stets nur ein Weib als Symbol gebraucht. Die wahre Kirche wird immer durch eine „keusche Jungfrau“ symbolisiert, während eine abtrünnige Kirche, die von ihrer ursprünglichen Reinheit und Treue gegen ihren Herrn gefallen ist, sinnbildlich „eine Hure“ genannt wird. Wie die wahre Kirche bis ans Ende der Zeitalter „jungfräulich“ bleibt, wann sie mit ihrem Herrn vereinigt werden und seinen Namen – Christus – tragen soll; so war auch die abtrünnige Kirche nicht der Antichrist oder der Mensch der Sünde, bis sie sich mit ihrem Haupt und Herrn, dem Papst, vereinigte und ein religiöses Reich wurde – fälschlich das Christentum (Reich) genannt, was Reich Christi bedeutet.
Papsttum ist der Name dieses falschen Reiches und ist auf eine fälschlich angewandte Wahrheit aufgebaut – auf die Wahrheit nämlich, dass die Kirche Gottes berufen ist, Könige und Priester Gottes zu sein, und auf der Erde zu herrschen. Aber die Zeit zum Herrschen war noch nicht gekommen. Das christliche Zeitalter war nicht für diesen Zweck, sondern für die Auswahl, Erziehung, Demütigung und Aufopferung der Kirche bestimmt. In den Fußstapfen ihres Herrn nachfolgend, sollte sie bis zur fest bestimmten Zeit auf die verheißene Erhöhung und herrliche Herrschaft – auf das Zeitalter des tausendjährigen Reiches – geduldig warten und ausharren.
Der Herr sah voraus, dass die nominelle Christenheit sich weit über die Erde ausbreiten, und, nachdem sie volkstümlich geworden, von vielen der Form nach angenommen werden würde, ohne in den Geist derselben einzudringen. Er sah voraus, dass, sobald sich die Massen dieser Art zur Kirche gehörig erachten würden, ein weltlicher Geist – das Gegenteil von dem Geist der Selbstverleugnung und Selbstaufopferung – mit Eingang finden würde. Der Herr sah, dass einreißende Selbstsucht und das Trachten nach Größe und Herrschaft nicht lange auf Gelegenheit zu ihrer Entfaltung zu warten braucht, und dass somit die Kirche vor der Zeit die Welt zu beherrschen suchen würde; oder besser gesagt: Das weltliche in die Kirche einziehende Element werde seinen Einfluss fühlbar machen und im Namen der wahren Kirche die obrigkeitliche Gewalt der Erde an sich reißen, die doch den Nationen übergeben war, und die nicht vor dem Ende der Heidenzeiten, 1914 n.Chr., völlig in die Hände der wahren Kirche übergehen kann.
Und so ist es tatsächlich geschehen: Als die Namenkirche an Zahl zunahm, fing sie an, unter den Lehren und dem Beispiele ehrgeiziger Männer abzufallen. Ihre Ideen begünstigten mehr und mehr die Macht und den weltlichen Einfluss, den Zahl und Reichtum mit sich brachten. Nach und nach wurde der Geist der Kirche ein weltlicher, und man trachtete nach den Dingen dieser Welt. Die Einflüsterung des Ehrgeizes war: Wenn nun die Kirche das große römische Kaisertum mit seiner Macht und seinem Einfluss hinter sich hätte, wie ehrenhaft, wie erhaben wäre es dann, ein Christ zu sein! Wie geschwind würden die heidnischen Verfolgungen aufhören. Dann würde es in unserer Macht stehen, sie nicht nur in Furcht zu jagen, sondern sie sogar zu zwingen, sich zur Kirche, zum Kreuz und zum Namen Christi zu bekennen. Sie dachte wahrscheinlich weiter: Es ist offenbar nicht Gottes Wille, dass die Kirche der Welt immer untertan sein und von ihr verfolgt werden soll. Die Worte des Apostels: „Wisset ihr nicht, dass die Heiligen die Welt richten werden?“, wie auch die Verheißung des Herrn, dass wir mit ihm regieren werden, und die vielen Prophezeiungen, die sich auf das Herrschen beziehen, zeigen deutlich, dass das wirklich der Plan Gottes ist. Wohl war, der Apostel schrieb, der Herr werde erst zurückkehren und dann seine Kirche (seine verachtete, verfolgte Herauswahl) erhöhen, und ermahnte uns, auf den Herrn zu „warten“; aber (so urteilten sie) etliche Jahrhunderte sind bereits vergangen und noch sehen wir kein Anzeichen von dem Kommen des Herrn! Die Apostel werden sich wohl ein wenig geirrt haben. Uns scheint es klar, dass wir jedes Mittel ergreifen können und sollen, um das weltliche Regiment in die Hand zu bekommen und die Welt für den Herrn zu erobern. Die Kirche (urteilten sie dann weiter) muss auch ein Haupt haben, das den abwesenden Herrn und die Kirche der Welt gegenüber vertritt. Dieses Haupt sollte die Huldigungen der Welt empfangen und Christi Autorität ausüben und die Welt mit eiserner Rute weiden, wie der Prophet David zuvor gesagt hat. So ist nach und nach, durch einen langsamen, über Jahrhunderte sich erstreckenden Denkprozess die Hoffnung der Kirche, erhöht zu werden, um zu regieren – und zwar bei der Wiederkunft des Herrn – verloren gegangen. Eine neue Hoffnung trat an ihre Stelle – die Hoffnung, auch ohne den Herrn unter dem Vortritt und der Leitung einer Reihe von Päpsten Erfolg zu haben. Durch allerlei List, Ränke und Schmeicheleien der Welt wurde die Hoffnung der Kirche verfälscht, und so zu einem trügerischen Fallstrick, an welchem sie der Satan in Lehre wie Praxis von einem Übel und Irrtum zum anderen führte.
Der Punkt, bei welchem der „Abfall“ sich als „Mensch der Sünde“ offenbarte, war da, als die päpstliche Hierarchie unter dem Vortritt einer verordneten Reihe von Päpsten sich selbst erhöhte und unter dem Namen und Vorgeben, das tausendjährige Königreich Christi zu sein, die Herrschaft über die Erde beanspruchte und an sich riss. Es war dies eine falsche, betrügerische Behauptung, gleichviel, wie ernst ihre Unterstützer es glaubten. Es war dies ein täuschendes, nachgefälschtes Reich, einerlei, wie aufrichtig etliche seiner Gründer und Vertreter gewesen sein mögen. Ob einer auch davon behauptete, es sei „das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit“ Christi auf Erden, so war es tatsächlich das Reich Satans und des Antichristen. Es ist ein Irrtum zu meinen, gewissenhaft zu sein heiße stets im Rechten zu sein. Jedes auf Irrtum aufgebaute System hat zweifellos ebenso viele gewissenhafte, wenn auch betrogene Befürworter, als es Verächter hat oder gar mehr. Gewissenhaftigkeit ist sittliche Rechtschaffenheit und hängt nicht vom Wissen ab. Die falsch belehrten Heiden verehrten gewissenhaft ihre Götzen und opferten ihnen; Saulus, falsch belehrt, verfolgte gewissenhaft die Heiligen, und so taten auch viele falsch unterrichtete Papisten den Prophezeiungen Gewalt an, verfolgten die Heiligen und errichteten das große System des Antichristen, welches Jahrhunderte lang die Könige der Erde hinsichtlich seiner Macht und angeblich göttlichen Autorität betrog und über sie herrschte. Aber nicht nur dies. In die Kirche, den Tempel Gottes, wo Christus allein als Haupt und Lehrer anerkannt werden sollte, hat sich das Papsttum gesetzt, mit dem Vorgeben, der alleinige Lehrer und Gesetzgeber zu sein, und hat hierdurch, mit Ausnahme der wenigen, alle durch seinen großartigen Erfolg und seine prahlerischen Behauptungen verführt. „Die ganze Welt verwunderte sich“; alle, deren Namen nicht in dem Lebensbuch des Lammes geschrieben standen, waren erstaunt, betrogen und irregeleitet, und auch viele als Heilige Gottes Eingeschriebenen waren bedauerlich im Unklaren. Und dieser Betrug war um so kräftiger, weil diese ehrgeizigen Ziele sich nur allmählich bildeten und noch allmählicher verwirklichten. Er erstreckte sich über Jahrhunderte und war in Form von Ehrgeiz schon heimlich in Paulus Tagen wirksam. Er war ein Vorgang, in dem nach und nach ein Irrtum zum anderen gefügt wurde – des einen Mannes ehrsüchtige Aussagen wurden durch die eines anderen ergänzt, und so ging es weiter dem Strome der Zeit entlang. So pflanzte und begoss Satan heimtückisch den Samen des Irrtums und brachte hierdurch das größte und einflussreichste System, das die Welt je gesehen – den Antichrist – zustande.
Der Name Antichrist hat eine zweifache Bedeutung. Die erste ist: gegen (das bedeutet im Widerspruch mit) Christus; die zweite: anstatt (das heißt ein Scheinbild) Christi. Im ersten Gebrauch ist der Ausdruck allgemein und passt auf jeden Feind und Gegner Christi. In diesem Sinne war Saulus (später Paulus genannt), jeder Jude, jeder Mohammedaner, alle heidnischen Kaiser und Völker Roms Antichristen – Gegner Christi. (Apg. 9:4) Aber nicht in diesem Sinne gebraucht die Heilige Schrift den Namen Antichrist. Sie übergeht alle solche Feinde Christi und wendet das Wort Antichrist in der oben angeführten zweiten Bedeutung an, nämlich: als gegen – im Sinne von missrepräsentierend, falsch darstellen, nachfälschen, des wahren Christus Stelle nehmen. So bemerkt Johannes: „Ihr habt gehört, dass der Antichrist kommt, so sind auch jetzt viele Antichristen geworden.“ (1. Joh. 2:18, 19) (Das Griechische unterscheidet zwischen dem Antichristen, das bedeutet dem besonderen und den vielen kleineren Antichristen.) Die nachfolgenden Bemerkungen des Johannes zeigen, dass er sich nicht auf alle Gegner Christi und der Kirche bezieht, sondern auf eine besondere Klasse, welche, während sie bekennt, Christi Leib – die Kirche – zu sein, die Grundsätze der Wahrheit verlässt und demgemäss die Wahrheit nicht nur falsch darstellt, sondern auch in den Augen der Welt den Platz und den Namen der wahren Kirche annimmt und somit in der Tat als die wahre Kirche der Heiligen zu erscheinen strebt. Johannes sagt von ihnen: „Sie sind von uns ausgegangen, denn sie waren nicht von uns“; sie sind unsere Vertreter nicht, wenn sie auch sich selbst und die Welt darüber täuschen mögen. In demselben Brief erklärt Johannes, dass diejenigen, die er als die vielen Antichristen erwähnt, den Geist des Antichristen hätten.
Das also ist es, was man erwarten sollte, und was wir im Papsttum wirklich finden: Kein Sichauflehnen gegen den Namen Christi, sondern einen Feind und Gegner Christi, insofern, als er fälschlich seinen Namen trägt, sein Reich und seine Autorität nachmacht und der Welt das Wesen, den Plan und die Lehre Christi falsch darstellt – ein äußerst gefährlicher Feind und Gegner in der Tat, schlimmer als ein offener Widersacher. Und es sei hier erwähnt, dass dies wahr ist, wenn auch die, welche zu diesem System gehören, in guter Meinung irren: sie „verführen und werden verführt“, wie die Schrift sagt.
Nach diesen Andeutungen über das Was und Wie des Menschen der Sünde, und wann und wo und unter welchen Umständen wir nach ihm auszuschauen haben, werden wir nun zur Untersuchung einiger Zeugnisse der Schrift schreiten, die, wie wir glauben, über jede Frage hinaus beweisen, dass jede den Antichrist betreffende Prophezeiung in dem päpstlichen System erfüllt wurde, und zwar in solcher Weise und Ausdehnung, dass es sich angesichts der Aufklärung unserer Zeit unmöglich wiederholen könnte. Der Raum nötigt uns, nur kurze Andeutungen aus der großen Masse Welt – und kirchengeschichtlicher Zeugnisse zu geben. Wir haben uns auch nur auf Geschichtsschreiber von anerkannter Genauigkeit beschränkt, und sind in vielen Fällen zu römisch-katholischen Historikern gegangen, um ihr Zeugnis oder ihre bestätigenden Äußerungen zu haben.
Die Umstände, die den Menschen der Sünde hervorriefen
Der große Abfall. – Wir fragen zuerst, berichtet die Geschichte eine Erfüllung der Weissagungen des Apostel Paulus über einen großen Abfall von der ursprünglichen Einfachheit und Reinheit der christlichen Kirche und über das geheimnisvolle Wirken eines frevelhaften, ehrgeizigen Strebens in der Kirche vor der Entstehung des Papsttums, des Menschen der Sünde, das bedeutet bevor man den Papst als Oberhaupt der Kirche anerkannte?
Jawohl, sehr deutlich. Die päpstliche Hierarchie trat erst einige Jahrhunderte, nachdem der Herr und seine Apostel die Kirche gegründet hatten, ins Leben. Und von der Zwischenzeit lesen wir in Fischers Universalgeschichte, Seite193:
„Als die Kirche an Zahl und Wohlstand wuchs, wurden kostbare Gebäude zur Gottesverehrung errichtet; die Gottesdienste wurden großartiger: Bildschnitzerei und Malerei wurden zur Förderung der Andacht in den Dienst gezogen, Reliquien (Überbleibsel) der Heiligen und Märtyrer wurden als heiligstes Besitztum gehegt und gepflegt; religiöse Vorschriften wurden vervielfältigt, und unter den christlichen Kaisern (im vierten Jahrhundert) eignete sich die Kirche mit ihrer Entfaltung der Geistlichkeit und ihren imposanten Zeremonien viel von dem Prunk und äußeren Glanze der heidnischen Systeme an, die sie verdrängt hatte.“
Ein anderer sagt: (Whites Universalgeschichte, Seite 156) „Gleichzeitig mit der festeren Einrichtung (des Christentums als Staatsreligion im vierten Jahrhundert) riss eine schon zwei Jahrhunderte zuvor entstandene, große und allgemeine Verderbnis ein. Aberglaube und Unwissenheit schrieb den Geistlichen eine Macht zu, die sie zur eigenen Erhöhung verwendeten.“
Rapin bemerkt, dass „die christliche Religion im fünften Jahrhundert durch eine Unmasse menschlicher Einfälle herabgewürdigt worden war. Die Einfachheit der Leitung und der Zucht der Kirche wurde zu einem System geistlicher Gewalt erniedrigt; und ihr Gottesdienst durch von den Heiden entlehnte Zeremonien verunstaltet.“
Mosheim, in seiner „Geschichte des Christentums“, verfolgt den Abfall der Kirche von ihrer ursprünglichen Einfachheit und Reinheit Schritt für Schritt, bis zu ihrer tiefen Erniedrigung, welche in der Ausgeburt des „Menschen der Sünde“ gipfelte. Ob er darin den Antichrist erkannte oder nicht, ist nicht ersichtlich, aber meisterhaft hat er das Wirken des „Geheimnisses der Bosheit“ in der Kirche bis zum Beginn des vierten Jahrhunderts verfolgt, wo seine Arbeit plötzlich durch den Tod unterbrochen wurde. Der Raum gestattet uns nicht, aus seinem ausgezeichneten und umfangreichen Werke Anführungen zu machen, aber wir empfehlen das ganze Werk als über diesen Gegenstand höchst belehrend.
Aus Lords „Die alte römische Welt“ führen wir hier eine kurze und treffende Skizze der Kirchengeschichte während der ersten vier Jahrhunderte an, welche klar und bündig ihren Stufenweisen Niedergang, sowie ihren raschen Verfall, zeigt, nachdem das vom Apostel erwähnte Hindernis beseitigt war. Er sagt:
„Im ersten Jahrhundert waren nicht viele Weise und Edle berufen. Keine Namen von Philosophen, Staatsmännern, Edelleuten, Generälen, Herrschern, Richtern oder Magistratspersonen werden uns überliefert. Im ersten Jahrhundert waren die Christen nicht wichtig genug, um allgemeiner durch die Obrigkeit verfolgt zu werden. Sie hatten noch nicht einmal die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Niemand, selbst die griechischen Philosophen nicht, schrieb gegen sie. Wir lesen auch nichts davon, dass Christen protestiert oder sich verteidigt hätten. Sie hatten in ihren Reihen keine großen Gelehrten, keine Männer von Talent, Reichtum oder gesellschaftlicher Stellung. Kein Zeitabschnitt in der Geschichte ist so dürftig, als die Jahrbücher der Kirche im ersten Jahrhundert, was hohe Namen anbetrifft. Dennoch vermehrten sich in diesem Jahrhundert die Bekehrten in jeder Stadt sehr, und die Überlieferung zeugt von dem Märtyrertum der Hervorragenderen unter ihnen, mit Einschluss fast aller Apostel.“
„Im zweiten Jahrhundert gibt es keine größeren Namen als Polykarp, Ignatius, Justin der Märtyrer, Klemens, Melito und Apollonius, stille, bescheidene Bischöfe (Älteste), oder unerschrockene Märtyrer, die zu ihren Herden in oberen Gemächern redeten, keinen weltlichen Rang hatten, und die nur der Heiligkeit und der Einfachheit ihres Charakters wegen gerühmt und um ihrer Leiden und ihrer Treue willen genannt wurden. Wir hören von Märtyrern, welche wertvolle Abhandlungen und Verteidigungsschriften geschrieben haben, aber Leute von Rang finden wir keine unter ihnen. Ein Christ sein, war in den Augen der Vornehmen und Mächtigen eine Unehre. Die Literatur der ersten Kirche ist vornehmlich verteidigender Art, und der belehrende Charakter derselben ist einfach und praktisch. Innerhalb der Kirche gab es eifrige Verhandlungen, ein reges, religiöses Leben, Entfaltung großer Tätigkeit, große Tugenden, aber keine äußeren Kämpfe, keine Weltgeschichte. Bis dahin hatten sie noch nicht die Obrigkeit oder die großen sozialen Körperschaften des Reiches angegriffen. Es war eine kleine Schar reiner, tadelloser Leute, welche nicht beanspruchten, die menschliche Gesellschaft zu beherrschen. Aber sie hatten die Aufmerksamkeit der Obrigkeit auf sich gelenkt und waren von hinlänglicher Bedeutung, um verfolgt zu werden. Man sah sie als Fanatiker an, welche die Ehrfurcht vor den bestehenden Einrichtungen zu zerstören suchten.“
Organisation, um mächtig zu werden
„In diesem Jahrhundert wurde die Verfassung der Kirche in aller Stille organisiert. Eine organische Verbindung kam unter den Gliedern zustande; die Bischöfe wurden (nicht in der Gesellschaft, sondern unter den Christen) einflussreich; Kirchsprengel und Gemeinden wurden eingerichtet; Unterschiede zwischen Stadt und Landbischöfen gemacht; Gemeinde-Abgeordnete versammelten sich, um Glaubenspunkte zu erörtern oder aufkeimende Irrlehren zu unterdrücken; das Diözesen-System wurde entwickelt und kirchliche Zentralisation (Vereinigung der kirchlichen Gewalt) begonnen; man fing an, die Diakonen unter die höhere Geistlichkeit zu rechnen; die Waffen der Exkommunikation (des Kirchbannes) wurden geschmiedet; Missionsbestrebungen unternommen; die Festzeiten der Kirche ins Leben gerufen; leitende Geister fielen dem Gnostizismus zu (einer übertriebenen Weise, bildliche Sprache der Schrift auszulegen und besondere Offenbarungen beanspruchend); in katechetischen Schulen lehrte man den Glauben systematisch; die Formeln von der Taufe und den Sakramenten wurden von großer Wichtigkeit, und das Mönchstum wurde populär. So legte die Kirche den Grund zu ihrer späteren Verfassung und Macht.“
„Das dritte Jahrhundert sah die Kirche als Institution schon mächtiger. Regelmäßige Synoden hatten sich in den großen Städten des Reiches versammelt; das Metropolitansystem reifte aus; die Kirchengesetze wurden genau aufgezählt; große theologische Schulen zogen forschende Geister an; die Lehren wurden in ein System gebracht (das bedeutet in Glaubensbekenntnissen erklärt, abgegrenzt und zusammengestellt). Das Christentum hatte sich so sehr ausgebreitet, dass es notwendigerweise entweder verfolgt oder anerkannt werden musste; berühmte Bischöfe herrschten in der wachsenden Kirche; große Doktoren (der Gottgelehrtheit) erörterten Fragen über fälschlich sogenannte Philosophie und Wissenschaft, welche die griechischen Schulen beschäftigten; Kirchengebäude wurden vergrößert und Gastmähler zu Ehren der Märtyrer angeordnet. Die Kirche näherte sich rasch einer Stellung, in der sie Beachtung von Seiten der Menschen erzwang.“
„Nicht vor dem vierten Jahrhundert – erst als die Verfolgungen von Seiten der Kaiser aufhörten, (der römische Kaiser) Konstantin bekehrt wurde, die Kirche sich mit dem Staat verband, der ursprüngliche Glaube selbst verderbt wurde, Aberglaube und eitle Philosophie in die Reihen der Gläubigen Eingang fanden, die Bischöfe Höflinge wurden, Mönche ein falsches Prinzip der Tugend aufstellten, Politik und Dogmatik Hand in Hand gingen und die Kaiser den Dekreten der Kirchen-Konzilien Kraft verliehen – geschah es, dass Leute vom Stand der Kirche beitraten. Als das Christentum die Religion des Hofes und der aristokratischen Klasse geworden war, wurde es zur Unterstützung gerade derselben Übel gebraucht, gegen die es ursprünglich protestiert hatte. Die Kirche wurde nicht nur von Irrtümern heidnischer Philosophie erfüllt, sondern nahm auch vieler der umständlichen und imposanten Zeremonien morgenländischen Gottesdienstes an. Im vierten Jahrhundert wurden die Kirchen so prunkvoll wie die alten Götzentempel. Festlichkeiten wurden häufig und großartig, und das Volk hielt darauf, weil sie ihnen Anregung und Erholung von der Arbeit boten. Die Ehrfurcht vor den Märtyrern reifte heran zur Einführung von Bildern, eine Quelle späterer populärer Abgötterei. Das Christentum ging in pompösen Zeremonien auf. Die Verehrung der Heiligen näherte sich mehr und mehr der Vergötterung derselben; und der Aberglaube erhöhte die Mutter unseres Herrn zu einem Gegenstand absoluter Anbetung. Kommunionstische wurden zu imposanten Altären, dem jüdischen Opferdienst nachgeahmt, und die Reliquien der Märtyrer verwahrte man als heilige Amulette (geheime Schutzmittel). Aus dem Mönchsleben entspross ein großartiges System von Bußübungen, und Scharen von Mönchen zogen sich in traurige, einsame Orte zurück und ergaben sich nutzlosen Verbindungen, eitlem Fasten und leerer Selbstbuße. Sie waren verrannte und fanatische Leute, welche die praktischen Ziele des Lebens aus dem Auge ließen.“
„Die ehrsüchtige und weltliche Geistlichkeit trachtete nach Rang und Auszeichnung. Sie drängte sich sogar an die Höfe der Fürsten und erstrebte zeitliche Ehren. Sie wurden nicht mehr durch freiwillige Beiträge der Gläubigen unterhalten, sondern durch Einkünfte, die ihnen die Regierung gewährte, oder die sie aus Eigentum bezogen, das sie von den alten heidnischen Tempeln ererbt hatten. Von den Reichen wurden der Kirche große Legate vermacht, über welche die Geistlichen verfügten. Diese Vermächtnisse wurden die Quelle unerschöpflichen Reichtums. Als der der Geistlichkeit anvertraute Reichtum wuchs, wurden dieselben gegen die Bedürfnisse des Volkes, durch welches sie nicht mehr unterhalten wurden, gleichgültig. Sie wurden träge, anmaßend und unabhängig. Das Volk wurde vom Kirchenregiment ausgeschlossen. Der Bischof wurde eine hohe Persönlichkeit, welche die Geistlichkeit ernannte und beaufsichtigte. Die Kirche war mit dem Staat verbunden, und religiöse Dogmen (Lehrsätze) wurden durch das Schwert der Obrigkeit erzwungen.“
„Eine herrschsüchtige Hierarchie, aus verschiedenen Graden bestehend, wurde hergestellt, welche in dem Bischof von Rom gipfelte“
„In Glaubenssachen entschied der Kaiser, und die Geistlichen wurden von Staatslasten entbunden. Ein großer Zudrang zu den priesterlichen Ämtern fand statt, weil die Geistlichkeit so viel Macht handhabte und so reich wurde; und Männer wurden nicht nur ihrer Frömmigkeit oder Talente wegen auf stolze Bischofssitze erhoben, sondern weil sie bei den Großen Einfluss hatten. Die Mission der Kirche wurde in einem erniedrigenden Bündnis mit dem Staat aus den Augen verloren. Das Christentum wurde zum Gepränge, zum Ritualismus (Formelwesen), zum Arm des Staates, zur eitlen Philosophie, zum Aberglauben und zum Schein.“
Der große vom Apostel Paulus geweissagte Abfall vom Glauben ist somit eine geschichtlich erwiesene Tatsache. Alle Geschichtsschreiber bezeugen es, sogar diejenigen, welche solch Ansichreißen von Macht billigen und deren Lob singen, die bei diesen Bestrebungen am meisten beteiligt waren. Wir bedauern, dass unser Raum unsere Anführungen auf nur einige der bezeichnendsten beschränkt. Der Abfall, der einen Zeitraum von Jahrhunderten umfasst, war so allmählich, dass er den Zeitgenossen viel weniger bemerkbar war, als uns, die wir ihn als ein Ganzes sehen. Auch war derselbe um so täuschender, als jeder Schritt vorwärts in der Organisation, zu Einfluss und Autorität in der Kirche und über die Welt, im Namen Christi getan wurde und, wie man vorgab, zur Verherrlichung seines Namens und zur Verwirklichung des in der Schrift niedergelegten Planes. So entwickelte sich der große Antichrist – der gefährlichste, listigste und beharrlichste Gegner wahren Christentums und feindseligste Verfolger der wahren Heiligen.
Das Hindernis beseitigt
Der Apostel Paulus sagte voraus, dass dieser böse Grundsatz eine Zeitlang heimlich wirken werde, weil etwas ihm Widerstrebendes im Wege stände; und erst dann, wenn das Hindernis beseitigt sei, könne es freien Lauf haben und raschen Fortschritt zur Entwicklung des Antichristen machen. Er sagt: „Nur ist jetzt der, welcher zurückhält (hindert), bis er aus dem Wege (getan) ist.“ (2. Thess. 2:7) Welche Erfüllung dieser Weissagung zeigt uns die Geschichte? Sie zeigt uns, dass das, was die schnelle Entwicklung des Antichristen aufhielt, die Tatsache war, dass bereits ein Anderer den Platz ausfüllte, den er beanspruchte. Das römische Kaisertum hatte nicht nur die Welt besiegt und ihr Verfassung und Gesetze gegeben, sondern erkennend, dass der religiöse Aberglaube die stärkste Kette sei, mit der man ein Volk im Zaume halten könne, nahmen die Römer einen Plan an, der seinen Ursprung in Babylon hatte, zur Zeit seiner Größe als Beherrscherin der Welt. Der Plan war der, dass der Kaiser sowohl in geistlichen als in weltlichen Dingen als Leiter und Herrscher angesehen werden sollte. Um dies zu stützen, behauptete man, der Kaiser sei eine Art Halbgott, der in gewissem Sinne von ihren heidnischen Gottheiten abstamme. Als solcher wurde er verehrt und seine Statue angebetet, und als solcher wurde er betitelt: PONTIFEX MAXIMUS, das bedeutet Oberpriester oder höchster Herrscher in Religionssachen. Und dies ist ganz und gar der Titel, der den Oberpriestern oder Päpsten der römischen Hierarchie gegeben und von ihnen beansprucht wurde, seitdem dieser Antichrist „Macht und Thron und große Gewalt“ der vorigen Herrscher Roms erlangt hatte. – Offb. 13:2
Aber das alte heidnische Rom und Babylon hatten nur ein Gerippe priesterlicher Gewalt im Vergleich mit der zusammengesetzten und mit Fleiß ausgearbeiteten Maschinerie und der Erfindungen in Lehre wie Praxis des päpstlichen Roms, dem erfolgreichen Erben ihres Planes. Jetzt noch, nach jahrhundertlanger Anwendung von Verschlagenheit und Geschicklichkeit, hat Rom seine Macht so verschanzt, dass es sogar heutzutage, wo seine Macht nach außen gebrochen und es seiner politischen Herrschaft entkleidet ist, dennoch die Welt regiert und Königreiche heimlich und versteckt, gründlicher als je römische Kaiser die ihnen unterworfenen Könige, beherrscht.
Zu ihren Gunsten sei es gesagt, dass kein römischer Kaiser als Oberpriester oder Religionshaupt je solche Tyrannei ausübte, wie einige ihrer Nachfolger auf dem päpstlichen Thron. Hierüber sagt Gibbon (Band 2, Seite 85): „Man muss zugestehen, dass die Zahl der in einer einzigen Provinz und unter einer einzelnen Regierung hingerichteten Protestanten die Zahl der ersten Märtyrer in dem langen Zeitraum der ersten drei Jahrhunderte und des ganzen römischen Kaisertums weit übersteigt.“ Nach dem Gebrauch jener Zeit begünstigten die Kaiser die am meisten populären Götter, aber wohin auch immer ihre Heere kamen, die Götter und Gottesdienste der besiegten Völker wurden gewöhnlich mit Achtung verehrt. So war es auch in Palästina. Obgleich es unter römischer Botmäßigkeit stand, die Religions- und Gewissensfreiheit wurde von dem kaiserlichen PONTIFEX MAXIMUS hochgehalten. So bewies er als religiöser Herrscher seine Gnade gegen das Volk und seine Übereinstimmung mit allen Nationalgöttern.
So sehen wir also, dass das, was den Antichristen an einer früheren Entwicklung hinderte, der Umstand war, dass der begehrte Sitz geistlicher Obergewalt von einem Vertreter des mächtigsten Reiches, das die Welt je kannte, besetzt war, und dass, wenn irgend jemand seine Eroberungssucht in dieser Richtung offen an den Tag zu legen versucht hätte, er sich dem Zorn der Herren der Welt ausgesetzt haben würde. Daher wirkte diese schändliche Herrschsucht zuerst insgeheim, irgendwelche Absicht, Gewalt und Autorität zu gewinnen, leugnend, bis eine günstige Gelegenheit sich bot – nachdem nämlich die Namenkirche groß und einflussreich geworden und die kaiserliche Macht durch politische Zwistigkeiten zersplittert und im Verfall begriffen war. Die Macht Roms war in rascher Abnahme begriffen, und seine Stärke und Einheit unter sechs Bewerber um die kaiserlichen Ehren geteilt, als Konstantin Kaiser wurde. Dass er das Christentum annahm, um zum Teil wenigstens sein Reich zu kräftigen und zu einigen, ist eine vernünftige Annahme.
Hierüber sagt die Geschichte: „Ob Konstantin es (das Christentum) aus Überzeugung oder aus Politik annahm, ist die Frage. Gewiss ist, dass diese Religion, obschon sie von der römischen Macht im Stillen verachtet oder tatsächlich verfolgt worden war, sich doch unter dem Volke so sehr verbreitet hatte, dass Konstantin durch die Annahme derselben sich sehr in der Zuneigung seiner Soldaten befestigte. Weltlicher Ehrgeiz wies auf den Weg hin, den der Kaiser einschlug, als er sich als Christ bekannte, und nicht der Geist Christi, der da sagte: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Konstantin machte das Christentum zur Staatsreligion, und von da an finden wir des letzteren Einfluss mit weltlichen Dingen besudelt. Kein besonderer Bischof wurde als das Haupt der ganzen Kirche angesehen, aber der Kaiser war es der Tatsache nach. In dieser Eigenschaft berief er das Konzil zu Nicäa, wo er im Streit zwischen Athanasius und Arius gegen letzteren Partei nahm. Das Konzil stimmte mit dem Kaiser.“ (Willards Universalgeschichte, Seite 163)
„Was für Vorteile aus der Eroberung eines kaiserlichen Proselyten auch abgeleitet werden mochten, so unterschied er sich doch mehr durch den Glanz des Purpurs als durch größere Weisheit oder Tugend von den vielen Tausenden seiner Untertanen, welche die Lehren des Christentums angenommen hatten … Dasselbe Jahr seiner Regierung, in dem er das Konzil zu Nicäa zusammenberief, wurde durch die Hinrichtung seines ältesten Sohnes befleckt. Die Dankbarkeit der Kirche hob die Tugenden eines so großmütigen Schutzherrn, der das Christentum auf den Thron der römischen Welt erhoben hatte, hervor und entschuldigte seine Fehler.“ (Gibbon, Band 2, Seite 269)
Damals also, unter Konstantins Regierung, wandelte sich die Opposition des Reiches gegen das Christentum in Gunst um, und der kaiserliche Pontifex Maximus wurde der Schirmherr der sogenannten, aber tatsächlich abgefallenen Kirche Christi. Indem er ihr die Hand reichte, verhalf er ihr zu einer Stelle des Glanzes und der Volksgunst, von der aus sie später, als die kaiserliche Macht hinzuwelken anfing, ihren eigenen Vertreter als höchsten geistlichen Herrscher – als PONTIFEX MAXIMUS – auf den religiösen Thron der Welt stellte.
Es ist aber ein Irrtum anzunehmen, wie es viele tun, dass die Kirche zu jener Zeit eine reine (eine jungfräuliche) Kirche gewesen sei, die plötzlich zu Würde und Macht erhoben wurde, was ihr zum Fallstrick gereichte. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Wie schon gesagt, ein großer Abfall hatte stattgefunden. Aus ihrer ursprünglichen Reinheit, Einfachheit und Freiheit war sie in Bekenntniszwang gefallen und in ehrgeizige Fraktionen zersplittert. Ihre Irrtümer und Gebräuche glichen den heidnischen Philosophien. Ein wenig mit der Wahrheit ausgeschmückt, und durch die Lehre von der ewigen Qual erzwungen, wurde sie das Mittel, ungeheure Scharen in die Kirche herein zuziehen. Zahl und Einfluss war, was Konstantin für seine Zwecke wollte. Kein Weltmann dieser Art hat je ernstlich daran gedacht, die Sache der demütigen, christusähnlichen „kleinen Herde“, – der wahrhaft geweihten Ekklesia (Herauswahl), deren Namen im Himmel geschrieben sind – zu der seinigen zu machen. Ganz etwas anderes ist die Beliebtheit bei seinen Soldaten, von der die Historiker reden, als die Beliebtheit bei den wahren Kreuzesstreitern.
Zum Beweis hierfür lassen wir hier die Geschichte über den Stand der religiösen Gesellschaft unter Diokletian, dem Vorgänger Konstantins, berichten. Gegen das Ende seiner Regierung wurde dieser in seiner Meinung, dass die Christen nach seinem Leben getrachtet hätten, gegen dieselben erbittert und verfolgte sie. Er befahl die Bibeln zu verbrennen, die Bischöfe zu verbannen, und ordnete schließlich den Tod derjenigen an, die diesen Gesetzen widerstreben würden. Gibbon (Band 2, Seite 53 und 57) sagt von dieser Zeit:
„Diokletian und seine Gehilfen übertrugen häufig die wichtigsten Ämter solchen Personen, welche ihren Abscheu vor der Verehrung der Götter bekannten, aber geeignete Fähigkeiten für den Staatsdienst an den Tag legten. Die Bischöfe nahmen in ihren betreffenden Provinzen eine geehrte Stellung ein und wurden nicht nur vom Volk, sondern auch selbst von der Obrigkeit mit Auszeichnung und Achtung behandelt. Fast in jeder Stadt reichten die alten Kirchen nicht mehr hin, die zunehmende Zahl der Neubekehrten zu fassen, und an ihre Stelle wurden für die Gläubigen prachtvollere und geräumigere Gebäude aufgerichtet. Die von Eusebius so heftig beklagte Verderbnis der Sitten und Grundsätze kann nicht nur als eine Folge, sondern auch als ein Beweis dafür gelten, welcher Freiheit sich die Christen unter der Regierung Diokletians erfreuten, sie aber missbrauchten. Der Wohlstand ließ die Strenge der Zucht erschlaffen. Betrug, Missgunst und Bosheit gewann in jeder Gemeinde die Oberhand. Die Proselyten bewarben sich um bischöfliche Ämter, welche täglich ein ihres Ehrgeizes würdigerer Gegenstand wurden. Die Bischöfe, welche miteinander um den kirchlichen Vorrang stritten, zeigten durch ihr Betragen, dass sie weltliche und tyrannische Gewalt in der Kirche beanspruchten, und der lebendige Glaube, der immer noch die Christen vor den Heiden auszeichnete, zeigte sich viel weniger in ihrem Leben, als in ihren Streitschriften.“
„Die Geschichte des Paulus von Samosata, welcher den Metropolitan-Bischofsitz von Antiochien innehatte, während der Osten in den Händen des Danathus und der Zenobia war, kann zur Beleuchtung der Verhältnisse und Zustände jener Zeit (um 270 n.Chr.) dienen. Paulus sah den Kirchendienst als ein sehr einträgliches Gewerbe an. In seiner kirchlichen Verwaltung war er geldgierig und bestechlich; von den wohlhabendsten Gläubigen erpresste er häufig Abgaben und verwandte einen beträchtlichen Teil der öffentlichen Gelder für seinen eigenen Bedarf. (Es wird von Untersuchern der Sache behauptet, sagt Gibbon, dass Paulus das Amt eines kaiserlichen Duzensarius oder Prokurators innehatte, mit einem jährlichen Gehalt von 200 Sistertien = 77.000 Dollars). Durch seinen Stolz und seine Prachtliebe wurde das Christentum in den Augen der Heiden verhasst gemacht. Sein Ratszimmer, sein Thron, die Pracht, mit der er in der Öffentlichkeit erschien, der kriechende Pöbel, welcher um seine Aufmerksamkeit bettelte, die Menge von Briefen und Petitionen, zu welchen er seine Antworten diktierte, die beständige Geschäftseile, in der er begriffen war, waren Zustände, die sich besser für den Stand einer bürgerlichen Magistratsperson als für die Demut eines Bischofs der ersten Zeit schickten. Wenn Paulus das Volk von der Kanzel anredete, ahmte er den bildlichen Stil und die theatralischen Gesten eines asiatischen Sophisten nach, während die Kathedrale von dem schwärmerischen Beifall zum Preise seiner göttlichen Beredsamkeit widerhallte. Gegen diejenigen, welche seiner Macht widerstanden oder sich weigerten, seiner Eitelkeit zu schmeicheln, war der Prälat von Antiochien anmaßend, unerbittlich und unnachgiebig; dagegen aber milderte er die Zucht bei seiner ihm ergebenen Geistlichkeit, an die er die Schätze der Kirche verschleuderte.“
So wurden unter Konstantins Regierung schließlich alle Hindernisse beseitigt, und es gelangte, wie wir finden werden, das Papsttum – das bedeutet die Organisation der Namenkirche unter ihrem Oberhaupt, dem Bischof zu Rom, als Papst – gar schnell zur Verwirklichung.
Die rasche Entwicklung des Antichristen
Die schnelle Entwicklung der päpstlichen Herrschaft seit dem Beitritt Konstantins ist ein bemerkenswerter Zug der Geschichte. „Der Fürst dieser Welt“ hielt sein Versprechen. Für ihm geleistete Anbetung und ihm erwiesenen Gehorsam gab er Macht und Gewalt als Lohn. (Matth. 4:8, 9) Durch das Edikt (Verordnung) von Mailand verlieh Konstantin den Besitztümern der Kirche gesetzliche Sicherheit und vormals entrissene Ländereien wurden von den Christen wiedererlangt. Ein zweites Edikt im Jahre 321 gestattete der Kirche, Eigentum zu vermachen, während Konstantin selbst ein Beispiel von Freigebigkeit gab und die christliche Geistlichkeit mit Reichtümern überschüttete. Dieses Exempel des Kaisers wurde von Tausenden seiner Untertanen, deren Beisteuer im Leben und deren Vermächtnisse in der Todesstunde in den Kirchenschatz flossen, nachgeahmt. White sagt: (Whites Universalgeschichte, Seite 155):
„Die Kirche Roms fing früh an, sich um der Zahl und des Reichtums ihrer Glieder willen über andere (über Kirchen anderer Städte und Länder) Autorität anzueignen. Viele Umstände trafen zusammen, den Einfluss ihres Bischofs zu vergrößern, obgleich seiner ungerechtfertigten Anmaßung und seiner Ehrfurcht eine Zeitlang widerstanden wurde. Durch Verlegung der Hauptstadt (von Rom nach Konstantinopel durch Konstantin im Jahre 334) vermehrte sich die Macht der abendländischen Kirche, durch Übertragung der Hauptmagistratswürde auf den Bischof. Hierzu kommt noch, dass Gratian und Valentinian den Gebrauch, nach Rom zu appellieren, sowie die häufigen Pilgerfahrten zu den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus und anderer Märtyrer guthießen und so beförderten.“
Nach dem Tode Konstantins schien das wechselnde Glück des römischen Kaisertums bei dem Emporkommen der abgefallenen Kirche und bei der Entwicklung des Antichristen mitzuwirken; denn bis dahin war die Kirche noch nicht unter ein Haupt vereinigt worden, das man als Stellvertreter oder Statthalter Christi ansah. Die Nachfolger Konstantins bis herab auf Theodosius fuhren fort, sich als Häupter der Kirche zu betrachten, auf denen göttliche Autorität ruhte. Obwohl keiner der achtzehnhundert Bischöfe des Kaisertums damals schon imstande gewesen war, als das Haupt oder der Papst Anerkennung zu fordern, so hatten doch schon Verschiedene ihre Augen auf diesen Preis gerichtet. Die Hohlheit ihrer Ansprüche auf den Titel PONTIFEX MAXIMUS wurde den Kaisern durch das Argument vorgehalten, dass, wenn sie selbst tote Heilige verehrten, sie doch ihren lebenden Vertretern – den Bischöfen – die gleiche Achtung schuldig seien. Dessen ungeachtet bezogen sich die Kaiser in ihren Erlassen wiederholt auf das Kaisertum als auf eine göttliche oder von Gott gutgeheißene Herrschaft und auf sich selbst als auf göttliche Persönlichkeiten. (siehe Gibbon, Band 2, Seite 108)
Die Macht und das Ansehen des Bischofs von Rom mehrte sich nun zusehends. Innerhalb von vielen Jahren von der Zeit an, da das Christentum gesetzlich eingeführt worden war, wurde sein Reichtum und seine Würde als Bischof der Haupt- und Weltstadt sehr groß. Ammian, ein Geschichtsschreiber aus jener Zeit, sagt von seinem Reichtum und seinen Prahlereien: „Er übertraf Könige an Glanz und Pracht, fuhr in den stattlichsten Karossen, war mit den feinsten Gewändern angetan und seines Luxus und Stolzes wegen allbekannt.“ Die Verlegung des kaiserlichen Regierungssitzes nach Konstantinopel, der Umstand, dass die Stadt Rom dem feindlichen Einfall durch die Barbaren von Norden her ausgesetzt war, der beständige Wechsel der Generäle und Statthalter, ließ in dem nun schnell sinkenden Reiche den Bischof der Kirche Roms als den beständigsten und geehrtesten Beamten daselbst zurück; und sein allmählich zunehmendes Ansehen wurde nur durch die Entfernung des nebenbuhlerischen Glanzes des kaiserlichen Hofes nach Konstantinopel erhöht, sowie auch durch die Ehrfurcht, die bei allen Völkern der Welt mit dem bloßen Namen Roms verknüpft war.
Als Beispiel hierfür führen wir an, dass, als die Stadt Rom im Jahre 455 von den Vandalen überfallen und geplündert wurde, und alles umher voll Elend und Zerstörung war, der Bischof Leo von Rom die Gelegenheit ergriff, sowohl den Barbaren als den Römern sein Anrecht auf geistliche Macht recht einzuprägen. Den rohen und abergläubischen Barbaren, die schon ohnedies von dem, was sie um sich her sahen, einen gewaltigen Eindruck über die Größe Roms bekommen hatten, rief Leo mit seinen priesterlichen Gewändern geschmückt ehrerbietend zu: „Sehet euch wohl vor. Ich bin der Nachfolger des Apostel Petrus, dem Gott selbst die Schlüssel des Himmelreiches gegeben hat, und dessen Kirche selbst die Pforten der Hölle nicht überwältigen können. Ich bin der lebende Stellvertreter göttlicher Macht auf Erden. Ich, ich bin der Kaiser, ein christlicher Kaiser, der in Liebe herrscht, dem alle Christen Treue schulden. In meiner Hand halte ich den Fluch der Hölle und den Segen des Himmels. Ich entbinde alle Untertanen von der Treue gegen Könige. Aus göttlichem Recht verleihe ich alle Throne und Herrschaften der Christenheit und nehme sie wieder hinweg. Hütet euch, dass ihr das Erbe nicht entweiht, das mir euer unsichtbarer König gegeben hat; ja beuget euren Nacken vor mir und bittet, dass Gottes Zorn von euch abgewendet werde.“
Die Ehrfurcht vor Ort und Namen beutelte der Bischof von Rom eifrig zu seinem Vorteile aus und beanspruchte gar bald eine Herrschaft über alle anderen Bischöfe, Herrscher und Regenten. Nicht nur die geistliche Herrschaft der Welt beanspruchte er sehr bald, sondern auch die bürgerliche. Das Recht, alle und jeden Herrscher des alten römischen Reiches zu krönen und zu entthronen, zu ernennen und abzusetzen, sei das Recht und Erbteil der Kirche Roms, welche, wie man behauptete, Gott solcher Gestalt mit der Herrschaft über die Erde bekleidet habe. Diese Forderungen wurden wiederholt gemacht und wiederholt von sich widersetzenden Bischöfen verweigert, sodass ein genaues Datum ihres Anfangs festzusetzen unmöglich sein würde. Was es selbst betrifft, so behauptet das Papsttum, in den Tagen der Apostel aufgerichtet worden zu sein, und dass Petrus der erste Papst gewesen sei; aber dies ist nicht nur gänzlich unbewiesen, sondern dem wird auch von der ganzen Geschichte widersprochen. Dieselbe zeigt, dass, obgleich eine Zeitlang ehrsüchtige Bosheit heimlich wirkte, sie doch daran gehindert wurde, sich in den Antichristen zu entwickeln und solche offenen Ansprüche zu erheben, bis das römische Kaisertum sich aufzulösen anfing.
Von nun an haben wir es mit dem Antichristen zu tun. Seine allmähliche Entwicklung und Organisation, aus heimlich wirkendem Ehrgeiz hervor, ist ein passendes Vorspiel zu dem schrecklichen Charakterbild, als das er sich, nachdem er die begehrte Macht ergriffen hatte – von 539 bis 1799 – 1260 Jahre lang auswies. Die ersten drei Jahrhunderte dieses Zeitraums bezeichnen das Steigen seiner weltlichen Macht, die letzten drei die Abnahme derselben unter dem Einfluss der Reformation und Zivilisation. Die dazwischen liegende Periode von sieben Jahrhunderten umfasst die Glanzperiode des Papsttums und die finsteren Jahrhunderte des Mittelalters, voll Trug und Täuschung, die im Namen Christi und wahrer Religion verübt wurden.
Ein römisch-katholischer Schreiber bestätigt vollständig, was wir über diesen Gegenstand finden, und wir führen seine Worte ohne Rücksichtnahme auf ihre Färbung als bekräftigendes Zeugnis an. Mit glühendem Enthusiasmus eine Beschreibung des Steigens des Papsttums gebend, stellt er es als eine Pflanze himmlischen Ursprungs hin, welchem Umstand es zuzuschreiben sei, dass es so reißend schnell wuchs und so hoch in der Welt emporkam. Er sagt:
„Der Aufschwung der weltlichen Macht des Papsttums vergegenwärtigt eine der außergewöhnlichen Erscheinungen, welche zu unserem Staunen und zu unserer Bewunderung die Geschichte des menschlichen Geschlechtes darbietet. Durch eine seltsame Verkettung der Umstände kam leise und verstohlen eine neue Macht, eine neue Herrschaft, aus den Ruinen jenes alten römischen Kaisertums empor, das in seiner Macht und Glanzperiode seine Herrschaft über fast alle damaligen Nationen, Völker und Geschlechter ausgedehnt und bei ihnen sich Achtung verschafft hatte. Und jene neue Macht geringen Ursprunges schlug tiefere Wurzel und übte bald eine weiter reichende Autorität aus als das Reich, dessen gewaltige Ruinen es in Stücke zerbröckeln und in Staub zerfallen sah. In Rom selbst wuchs die Macht des Nachfolgers von Petrus neben und unter dem schützenden Schatten des Kaisers heran. Der Einfluss der Päpste wuchs in solchem Maße, dass aller Wahrscheinlichkeit nach in nicht zu langer Zeit die Majestät des obersten Bischofs den Glanz des Purpurs verdunkelt haben würde.“
„Die Verlegung des Herrschersitzes durch Konstantin von Westen nach Osten, von den historischen Ufern des Tiber an die schönen Gestade des Bosporus, legte das breite Fundament zu einer in Wirklichkeit mit jenem folgenschweren Wechsel anfangenden Oberherrschaft. Wesentlich von jenem Tag an wurde Rom – das die Geburt, die Jugend, den Glanz und Verfall jenes mächtigen Geschlechtes gesehen hat, durch welches seinem Namen mitsamt seinen Adlern bis in die entferntesten Länder der damals bekannten Welt getragen worden war – von den Erben seines Ruhmes allmählich aufgegeben, und sein Volk sah, von den Kaisern verlassen und eine leichte Beute der plündernden Barbaren, denen zu widerstehen sie nicht mehr den Mut hatten, in dem Bischof von Rom seinen natürlichen Beschützer, seinen Vater. Jahr für Jahr nahm die weltliche Macht des Papstes bestimmtere Gestalt an und gewann an Festigkeit, ohne Gewalt, ohne Blutvergießen, ohne Betrug, allein durch die Macht überwältigender Umstände, als ob von der Hand Gott sichtbar geordnet.“
Während römische Katholiken das Entstehen des Papsttums auf den Trümmern des alten heidnischen Roms als einen Sieg des Christentums darstellen, suchen die, welche mit dem wahren Geist des Christentums bekannt sind, in der Preisgebung der Kirche und in ihrem unheiligen Bündnisse mit der Welt vergeblich nach jenem Geist. Wahre Christen können in den Umständen, die durch Unwissenheit, Aberglauben, Unglücksfälle und verschiedene Zeitverhältnisse hervorgerufen wurden, und welche die Kirche Roms schlau benutzte, keinen Beweis göttlichen Eingreifens zu ihren Gunsten erkennen. Noch auch können sie in der Erhöhung Roms zu irdischer Macht und Herrlichkeit irgendwelche Bewahrheitung der der Kirche vom Herrn gegebenen Verheißung, sie zu seiner Zeit – nachdem der Antichrist gekommen und gegangen sei – zu erhöhen, entdecken. Denn die Erhöhung der wahren Kirche soll nicht auf einen blutbefleckten und durch Verbrechen geschändeten Thron stattfinden, wie es mit dem Papsttum vom ersten Anfang an der Fall gewesen ist; auch wird der wahre Christus nie die irdischen Könige anzugehen nötig haben, damit diese ihn in die Macht einsetzen oder in derselben schützen. Die Zeichen, welche das wahre Königreich Christi von der Nachfälschung unterscheiden, sind denen leicht erkennbar, die durch die Schrift mit dem wahren Christus und seinem Leib, der wahren Kirche, und mit den Grundsätzen, auf denen dieses Königreich, und wozu es errichtet werden soll, bekannt geworden sind.
Aber niemand meine, dass die wahre Kirche, selbst in jener verderbten Zeit nicht, ganz vertilgt oder aus dem Auge gelassen worden sei. „Der Herr kennt die Seinen“ in jedem Zeitalter und unter allen Umständen. Sie durften als Weizen mitten in einem von Unkraut (Lolch oder Scheinweizen) überwucherten Feld wachsen; wie Gold wurden sie in den Schmelztiegel geworfen, um geprüft und geläutert, um geschickt gemacht zu werden „zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Licht.“ Wohl wahr, der Lauf der Menge derer, die sich Christen nannten, nimmt den hervorragendsten Platz auf den Blättern der Geschichte ein, aber unzweifelhaft ist, dass durch alle Verfolgungen hindurch und von all den täuschenden Künsten des Geheimnisses der Bosheit umgeben, einige Aufrichtige ihrer hohen Berufung würdig wandelten. Sie wurden zur Ruhe gelegt und von Gott als Erben der unverwelklichen Krone, welche ihnen im Himmel beigelegt ist, angeschrieben.
Also wird auf den Blättern der Geschichte deutlich nachgewiesen, dass dieser Mensch der Sünde, der Antichrist, in Rom geboren wurde; und obwohl ihm anfänglich widerstanden wurde, schwang er sich doch nach und nach zur Macht empor, oder, wie es in Daniels Prophezeiung heißt: Als „ein kleines Horn“ kam es aus dem Kopf des alten römischen Tieres hervor, jenes „greulichen und schrecklichen Tieres““ für das Daniel keinen Namen finden konnte, und das solche Gewalt hatte zu beschädigen und zu verderben. Und beim Fortfahren werden wir finden, dass die Geschichte desselben nicht nur genau mit der Prophezeiung Daniels, sondern auch mit allen dasselbe betreffenden Weissagungen übereinstimmt.
Das geschichtliche Charakterbild des Antichristen
Nachdem wir festgestellt haben, was und wer der Antichrist ist, fahren wir zunächst fort, das geschichtliche Charakterbild des Papsttums mit den aufgezeichneten Weissagungen zu vergleichen, die das Wesen und das Tun des Antichristen oder des Menschen der Sünde beschreiben.
Mancher möchte hier fragen, ob es wohl richtig sei, an den römischen Kaisern, welche doch die obersten religiösen Herrscher zu sein beanspruchten, vorbeizugehen und nicht deren System Antichrist zu nennen, sondern diese Bezeichnung ganz und gar auf das organisierte päpstliche System anzuwenden? Wir antworten: Gewiss ist dies recht und verweisen den Leser aufs neue auf die in der Schrift gebrauchte Definition vom Antichristen, wie wir sie bereits angegeben haben, nämlich: An Stelle von oder anstatt, was bedeutet, eine Verfälschung und Nachahmung des wahren Christus. Um dies zu sein, muss es ein geistliches Reich zu sein behaupten; es muss vorgeben, die Königreiche der Erde durch diese geistliche Autorität zu regieren; es kann also nicht nur ein Gegner sein, sondern es muss ein Betrug, eine Fälschung sein; es muss vorgeben, das Königreich Christi zu sein. Es muss dasselbe falsch darstellen und das ausrichten wollen, was zu Gottes rechter Zeit die Aufgabe des wahren Christus sein wird, das bedeutet der verherrlichten und vollendeten Kirche unter ihrem einzigen, wahren Haupt und Herrn – dem echten PONTIFEX MAXIMUS.
Das Papsttum beanspruchte nicht nur, das herrliche Königreich Christi zu sein, das von dem Herrn, den Aposteln und Propheten verheißen ist, sondern es bezieht auch auf sich und auf seine aufeinander folgenden Häupter (die Päpste, die, so behauptet es, an Stelle Christi Hohepriester, Häupter oder Könige dieses Reiches seinen) alle die Stellen der Propheten, welche die tausendjährige Herrlichkeit des Christus beschreiben. Und durch ihre falschen Theorien, die sich langsam, Jahrhunderte hindurch, aus ihrem sündlichen Streben nach Größe entwickelten, andere „verführend und selbst verführt“, haben sie nach und nach alle die Titel derer, die zu dieser Hierarchie gehören, erfunden, samt ihren prunkvollen Gewändern, eindrucksvollen Zeremonien und großartigen Kathedralen, mit ihren feierlich, Ehrfurcht einflößenden Gottesdiensten, und das alles auf einem Fuß, der so genau wie möglich ihren Ansprüchen entspräche. Alles, die glänzende Umgebung, die prachtvolle Kleidung und die eindrucksvollen Zeremonien suchte man der Glorie und Erhabenheit, wie sie von den Propheten gezeichnet wurde, so genau wie nur möglich anzupassen.
In Psalm 2:12 heißt es zum Beispiel: „Küsset den Sohn, dass er nicht zürne, und ihr umkommet auf dem Weg“, usw. Dies ist kein Gebot, buchstäblich zu küssen, sondern sich dem Herrn mit williger und fröhlicher Unterwerfung zu ergeben, und gilt der gegenwärtigen Stunde, da als Vorbereitung auf die große und eigentliche Tausendjahrherrschaft des wahren Christus die politischen, gesellschaftlichen, finanziellen und kirchlichen Könige und Großen der Erde, ob ihrer Willigkeit oder Unwilligkeit, sich unter die gerechten Verordnungen zu beugen, welche jetzt in Kraft zu treten an der Zeit sind, geprüft werden.
Wer der Gerechtigkeit widerstrebt, widerstrebt dem Zepter dieses Königs der Herrlichkeit, und alle solche werden in der Zeit der großen Drangsal, welche die tausendjährige Herrschaft des neuen Königs einleitet, gestürzt werden. Alle, die nicht wollen, dass er über sie herrsche, werden umgebracht werden. (Lukas 19:27) „Seine Feinde werden Staub lecken“ – überwunden werden.
Diese Prophezeiung, fälschlich auf sein nachgeahmtes Reich anwendend, hat der Papst, das stellvertretende Haupt des Antichristen, in den siegreichen Tagen seiner Blütezeit Könige und Kaiser veranlasst, sich vor ihm zu beugen, wie vor Christus selbst, und seine große Fußzehe zu küssen; was man als Erfüllung dieser Prophezeiung ansah.
Schriftsteller und Erforscher der Propheten gehen gewöhnlich leicht über solche Behauptungen weg, und suchen besonders nach Unsittlichkeit als Zeichen und Merkmal des Antichristen. Aber hierin irren sie sich sehr. Schlechte Menschen hat es zu jeder Zeit reichlich gegeben, und dafür wäre solch besondere prophetische Schilderung, wie sie vom Antichristen gegeben wird, nicht nötig gewesen. Könnte man beweisen, dass die dem päpstlichen System Angehörigen wahre Muster von Tugend gewesen wären, so würde nichtsdestoweniger das in der Schrift gegebene Charakterbild des großen Antichristen damit stimmen. Es würde doch die Fälschung sein, welche sich die Titel, Rechte, Gewalten und Verehrung angemaßt hat, die dem Gesalbten des Herrn gebühren. Als solche Fälschung hat es auch den Plan Gottes in Bezug auf die Herauswahl einer „kleinen Herde“ gefälscht, und die eigentliche Hoffnung der Kirche und die Verheißung des Herrn, die Welt während der tausendjährigen Regierung Christi zu segnen, ganz beiseite gesetzt. Letztere stellt er als in seinem eigenen Reich erfüllt dar. Die schlimme Wirkung solcher Verdrehung und falscher Darstellung des Planes Gottes kann kaum berechnet werden. Es ist die direkte Quelle gewesen, aus der alle die verderblichen Lehren entsprungen sind, die nacheinander eingeführt wurden, um die Ansprüche des Antichristen zu stützen und seine Würde zu vergrößern. Wohl brach mit der Reformation vor drei Jahrhunderten eine neue Zeit des Bibelstudiums und der Gedankenfreiheit an und führte zur Verwerfung mancher Übel und Irrtümer des Papsttums. Aber die Fälschung, das Trugbild, war auf so vollkommener Stufe angelangt, und in allen seinen Teilen und Einrichtungen so in sich vollendet und hatte die Welt so vollständig irregeleitet, dass, selbst nachdem Luther und viele andere das Papsttum als den Ausfluss des großen Abfalls – als den geweissagten Antichristen – erkannt hatten, sie dennoch, während sie es als ein System verurteilten, an der falschen Theorie festhielten, welche zu den dem Papsttum eigentümlichen Irrtümern in Lehre wie Praxis geführt hatte. Bis auf den heutigen Tag unterstützen die Protestanten aller Konfessionen die Theorie des Antichristen, dass das Reich Christi schon aufgerichtet sei. Einige versuchten wie das Papsttum ihre Kirche unter einer Person, als deren Haupt, zu organisieren, während andere anstelle dieses Hauptes ein Konzil oder eine Synode setzen; alle aber in dem Wahn, der ihnen durch die vom Antichristen begonnene falsche Schriftauslegung beigebracht worden war – dass jetzt, und nicht in der Zukunft, die Zeit der Herrschaft des Reiches Christi sei; und wie der Antichrist, das kommende Zeitalter leugnend, sind sie gegen die Förderung wahrer Heiligkeit unter den Gläubigen gleichgültig und schwärmen vielmehr dafür, das Werk des nächsten Zeitalters (die Bekehrung der Welt) jetzt auszuführen; und das in solchem Maße, dass sie gar oft willens sind, Gottes Plan und Wort zu fälschen und Lehren zu erdichten, um die Welt in ein äußerliches Bekenntnis der Gottseligkeit zu schrecken und zu treiben. Und ebenso sind sie gar willig, ihre Zuflucht zu fraglichen und weltlichen Mitteln zu nehmen, um ihre Anziehungskraft zu erhöhen und die Unbekehrten für ihre mannigfaltigen Abteilungen zu ködern. Wie der Antichrist rechnen sie um des Stolzes willen und, um mit großen Zahlen prangen zu können, alle solche mit ein.
Solchen fällt es schwer, einzusehen, dass das Papsttum der Antichrist ist. Wie können sie, solange ihr Glaube noch nicht frei ist von dem Gift der Irrlehre, und ihre Vernunft noch durch den Erzirrtum des Antichristen verblendet ist? Erst muss man die Größe, die Erhabenheit und die Notwendigkeit des tausendjährigen Königreiches Christi sehen, ehe man die Größe der Fälschung von Seiten des Antichristen erkennen oder die durch ihn angerichtete Verstümmelung der Wahrheit und seinen verderblichen und befleckenden Einfluss in der Namenkirche, die der Tempel Gottes sein soll, recht würdigen und in seiner ganzen Schrecklichkeit begreifen kann.
Niemand braucht sich über die Vollständigkeit dieser Fälschung zu wundern. Man bedenke nur, dass es Satans Werk ist, und dass er dasselbe den in der Schrift dargestellten Vorbildern und Erläuterungen nachgebildet hat. Als der große Widersacher sah, dass die Zeit der Auswahl der Kirche gekommen war, und dass die vom Herrn und seinen Aposteln gepflanzte Wahrheit allen heidnischen Religionen gegenüber an Raum gewann und überall, wo sie hinkamen, die Sanftmütigen aussuchte, versuchte er die Reinheit der Kirche zu zerstören und das in andere Kanäle zu leiten, was er nicht mehr aufhalten konnte. So ist also der Triumph des Antichristen, wie auch seine gegenwärtige Macht, der Erfolg des Satans gewesen. Aber gerade hier sehen wir die Weisheit Gottes; denn während Satans Erfolg scheinbar dem Plan Gottes eine Niederlage zu bereiten schien, wirkte er in der Tat, wenn auch unwissentlich, mit, dass der göttliche Plan hinausgeführt wurde. Denn durch keine anderen Mittel konnten die wahrhaft Geweihten so vollständig geprüft und ihre Treue zu Gottes Wort so durch und durch auf die Probe gestellt werden, als nur durch die Zulassung dieses großen gefälschten Christus.
Die beigefügte Tabelle zeigt, wie vollständig die Fälschung des künftig zu errichtenden Königreiches Christi im Papsttum gewesen ist, und wie es dem jüdischen vorbildlichen Priestertum nachgebildet war.
Die Ekklesia, die Herauswahl Gottes – das königliche Priestertum
Das Vorbild | Die Wirklichkeit | Das gefälschte |
während des Millenniums | Gegenbild | |
Aaron, | Christus Jesus, | Die Päpste, |
und seine Nachfolger – Erster oder Hohenpriester, Haupt, Stellvertreter und Sprecher. | unser Herr, Haupt und Stellvertreter; der Hohenpriester unseres Bekenntnisses (unserer Ordnung). | der Reihe nach, Hohenpriester der päpstlichen Hierarchie; deren Herr, Haupt und Sprecher. |
Unterpriester,die ihre Amtswürde, ihre Rechte und ihre gottesdienstlichen Vorrechte durch Aaron empfingen, dessen Leib sie bildeten, schatteten die Kirche Christi ab. | Die verherrlichte Herauswahl, der Leib Christi,Teilhaber seiner Herrlichkeit, seiner Majestät und seines Herrscheramtes. Ihre Stellungen werden sich voneinander unterscheiden wie Stern sich von Stern an Klarheit unterscheidet. | Die Kirche Roms besteht aus Bischöfen und Prälaten, welche die Würden der Hierarchie teilen, jedoch nach Ehrengraden – Kardinälen, Erzbischöfen usw. – sich unterscheiden. |
Unter diesen Hierarchien stehen folgende Gehilfen:
Die Leviten, die Dienstleistungen für die vorbildliche Stiftshütte – Lehren usw. – verrichteten. Eine geringere Priesterordnung, der nicht gestattet war, das Heiligtum (vor- bildlich von der geistigen Natur) zu betreten. | Die irdische Stufe des Königreiches Gottes, durch welche die verherrlichte Kirche direktere Berührung mit der Welt haben, dieselbe unterweisen und regieren; und zwischen ihr und der geistigen Kirche findet die innigste Gemeinschaft statt. | Die Unterpriester des Papsttums, die kein Teil, keine Glieder, der Kirche oder Hierarchie sind, aber „Brüder und Schwestern“ genannt. Aus diesen bestehen die Lehrer, usw., die in direkter Berührung mit dem Volk wie mit der Hierarchie sind. |
Ganz Israel wurde von der oben beschriebenen Hierarchie gelehrt und geleitet. Und in Mose, der ein Vor- bild des ganzen Christus war, hatte es in einem vereinigt, Prophet, Priester und König, die tausendjährige Herrschaft des Christus vorschattend. – Apg. 3:22 | Von oben beschriebenem Königreich Gottes und seinen irdischen Vertretern wird die Welt belehrt, geführt, regiert und ihr geholfen werden. Es wird alle Gewalt besitzen, und ihm muss Gehorsam geleistet werden; und alle, die nicht gehorchen, werden „vertilgt“. – Apg. 3:23 | Das Papsttum fordert seinen Anordnungen und Lehren gegenüber den Gehorsam der Welt, als ob es das Königreich Gottes sei. Die niedere Priesterschaft ist sein Agent. Als es in seiner Macht stand, strebte es, seine Ge- setze zu erzwingen, und Ungehorsame wurden vertilgt. |
Mosheim, der das Entstehen des hierarchischen Systems (der Priesterschaft) erklärt, zeigt diese Nachfälschung sehr klar in folgenden Worten, Band 1:
„Solange die geringste Möglichkeit vorhanden war, dass Jerusalem zu irgendeiner Zeit sein Haupt wieder aus dem Staube erheben könne, legten sich die christlichen Lehrer und Ältesten keine Titel und Würden bei, wenigstens keinen anderen als die bescheidensten und demütigsten; aber als das Schicksal jener Stadt durch Hadrian (im Jahre 135) besiegelt worden war und die Juden nicht die entfernteste Hoffnung mehr unterhalten konnten, ihre alte Herrschaft wiederhergestellt zu sehen, da regte sich bei denselben Hirten und Dienern der Wunsch, ihre Herden glauben zu machen, sie seien die rechtmäßigen Nachfolger der jüdischen Priesterschaft. Die Bischöfe waren daher geschäftig, den Glauben zu erzeugen, dass sie mit einer Würde bekleidet seien, die der des jüdischen Hohenpriesters ähnlich sei, und dass sie folglich alle Rechte besäßen, die einst dem jüdischen Hohenpriester eigen waren. Die Funktionen der gewöhnlichen jüdischen Priester wurden gleicherweise, jedoch in einer vollkommeneren Form, als auf die Presbyter (Ältesten) der Kirche übergegangen dargelegt; und die Diakonen endlich wurden mit den Leviten oder untergeordneten Dienern auf eine Linie gestellt.“
Das Haupt und der Mund des Antichristen
Seine stolzen, schwülstigen Reden
Wie Christus Jesus das Haupt der wahren Kirche ist, die da ist sein Leib, so ist der Papst (das bedeutet jeder Papst der Reihe nach) das Haupt der falschen Kirche, die da ist sein Leib. Da das Haupt der Vertreter des Leibes ist und der Mund für ihn spricht, so finden wir, wie zu erwarten war, dass die Schrift auf diese Beschaffenheit des Antichristen deutlich Bezug nimmt. In folgenden Stellen, Daniel 7:8, 11, 25 und Offb. 13:5, 6 wird der Mund des Antichristen als vornehmste Charakteristik (Eigentümlichkeit) zu unserer Kenntnis gebracht. Daniel sagt: Dieses Horn hatte „Augen wie Menschenaugen“, – symbolisch von Klugheit und politischer Fernsicht; dieses „Horn“ werde von allen anderen Mächten verschieden sein; es werde weiser und schlauer sein als andere Reiche, die eine Weltherrschaft erstrebten; seine Macht werde nicht so sehr eine äußerliche Gewalt als eine des Mundes (seiner Aussprüche oder Lehren) sein, der durch die Augen (durch großen Verstand) geleitet werde. Wer mit der Geschichte des Papsttums vertraut ist, wird kaum leugnen, dass diese Bilder ihn und seine Macht treffend schildern.
„Und es wurde ihm ein Mund gegeben, der große Dinge redete. Und es öffnete seinen Mund zu Lästerungen wider Gott, seinen Namen zu lästern und seine Hütte und die, welche ihre Hütte in dem Himmel haben.“ „Und er wird Worte reden gegen den Höchsten.“ – Offb. 13:5, 6; Dan. 7:8, 25
Man darf nicht vergessen, dass dies bildliche Ausdrücke sind, die das Wesen und die Ansprüche eines sinnbildlichen Tieres (Regierung) oder Hornes (Macht), das aus dem alten römischen Tier oder Reich hervorgegangen ist, beschreiben sollen. In einer Hinsicht war das Papsttum ein neues Reich („Tier“), verschieden von dem alten römischen Reich, und in anderer Hinsicht war es ein Horn oder eine Macht neben anderen aus jenem Reich hervorgehenden, das eine Zeitlang die Oberherrschaft über die anderen Hörner oder Mächte führte. Im Symbol wird es von beiden Standpunkten aus dargestellt, um es desto eingehender zu beschreiben und kenntlich zu machen.
Die stolzen, schwülstigen Reden des Antichristen oder seine Gotteslästerungen ziehen sich durch die ganze Periode seiner langen Laufbahn hindurch. Dem Ausdrucke Gotteslästerung (Blasphemie) wird in unserer Zeit gewöhnlich eine rohe Bedeutung beigelegt, als ob es sich nur auf die gemeinste Form des Fluchens und der Entheiligung bezöge. Aber in seiner eigentlichen Bedeutung ist das Wort auf irgendwelche Unehrerbietigkeiten Gott gegenüber anwendbar. Bouvier erklärt es so: „Blasphemie heißt, Gott beilegen, was seiner Natur entgegen ist und ihm nicht zukommt – und leugnen, was er ist, und was ihm zukommt.“ Und dass dies der Sinn ist, in dem dieses Wort in der Schrift gebraucht wird, beachte man, wie der Herr und die Pharisäer dieses Wort gebrauchen: „Die Juden antworteten: Wegen eines guten Werkes steinigen wir dich nicht, sondern wegen Gotteslästerung, und dass du, der du doch ein Mensch bist, dich selbst zu Gott machst.“ Jesus antwortete ihnen: „Saget ihr zu dem, welchen der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat: Du lästerst Gott? weil ich sagte: Ich bin Gottes Sohn?“ – Joh. 10:33, 36; Mark. 14:61, 64
Diese, die eigentliche Erklärung von Lästerung vor uns, wie handgreiflich muss es selbst dem einfachsten Verstand sein, dass die stolzen, schwülstigen Reden und prahlerischen Behauptungen des Papsttums, eine wie die andere, Blasphemien, Gotteslästerungen gewesen sind. Die Aufrichtung eines gefälschten Scheinreiches Gottes ist eine Schmähung des Reiches Gottes, eine grobe Lästerung und eine greuliche Verunglimpfung des göttlichen Wesens, Planes und Wortes. Gottes Wesen, das bedeutet sein „Name“, wurde durch die lange Reihe derer, die da behaupten, seinen Sohn als dessen Statthalter zu vertreten, in den Tausenden ungeheuerlichen Erlassen, Bullen und Dekreten, die in seinem Namen ausgingen, gelästert. Gottes Hütte, die wahre Kirche, wurde durch das falsche System gelästert, das an ihre Stelle trat und behauptete, dass seine Getreuen die alleinige Hütte oder wahre Kirche Gottes seien. Aber wir müssen die Geschichte von diesen großmäuligen Reden und gotteslästerlichen Anmaßungen berichten lassen, wie die aufeinanderfolgenden Päpste, als Haupt des Antichristen, dieselben äußerten und guthießen.
In einem Werk, betitelt: „Der Papst, der Vikar (Stellvertreter) Christi, das Haupt der Kirche“, von dem berühmten römisch-katholischen Monsignor Capel, findet sich eine Liste von nicht weniger als zweiundsechzig gotteslästerlichen Titeln, die auf den Papst angewandt wurden; und, man beachte, dies sind nicht nur tote Titel, die aus der Vergangenheit stammen, sondern sind von einem ihrer vornehmsten, noch lebenden Schriftsteller zusammengestellt worden. Wir führen aus der Liste folgende 27 an:
„Göttlichstes aller Häupter.“
„Heiliger Vater der Väter.“
„Erhabener Oberpriester über alle Prälaten.“
„Aufseher der christlichen Religion.“
„Oberhirte – Hirte der Hirten.“
„Christus durch Salbung.“
„Abraham durch Patriarchat.“
„Melchisedek in Rang.“
„Mose in Autorität.“
„Samuel gemäß richterlichen Amts.“
„Hoher Priester, Allerhöchster Bischof.“
„Fürst der Bischöfe.“
„Erbe der Apostel; Petrus an Macht.“
„Träger der Schlüssel des Himmelreiches.“
„Mit Machtfülle ernannter Oberpriester.“
„Vikar Christi.“
„Unumschränkter Priester.“
„Haupt aller heiligen Kirchen.“
„Vornehmster der Allgemeinen Kirche.“
„Bischof der Bischöfe, das bedeutet souveräner Bischof.“
„Beherrscher des Hauses des Herrn.“
„Apostolischer Herr und Vater der Väter.“
„Erster Pastor und Lehrer.“
„Seelenarzt.“
„Fels, gegen den die stolzen Pforten der Hölle nichts vermögen.“
„Unfehlbarer Papst.“
„Haupt aller heiligen Priester Gottes.“
In der langen Titelliste, aus welcher obige Beispiele sind, führt der Verfasser Stellen aus einem Brief an, welchen St. Bernhard, Abt von Clairvaux, im Jahre 1150 an Papst Eugenius, den Dritten, schrieb:
„Wer bist du? … Der Hohepriester, der erhabene Bischof. Du bist der Fürst der Bischöfe, du bist der Erbe der Apostel. Du bist Abel nach dem Primat, Noah nach der Herrschaft, Abraham nach dem patriarchalischen Rang, nach der Ordnung Melchisedek, nach der Würde Aaron, nach der Autorität Mose, Samuel nach richterlichem Amt, Petrus an Macht, Christus nach der Salbung. Du bist es, dem die Schlüssel des Himmels gegeben, dem die Schafe anvertraut sind. Es gibt ja noch andere Türhüter des Himmels und andere Hirten der Herde; aber du bist der Herrlichere, denn du hast auf besondere Weise beide Namen von anderen ererbt … Die Macht anderer ist durch bestimmte Grenzen beschränkt; die deinige erstreckt sich auch über diejenigen, welche über andere Autorität haben. Kannst du nicht, wenn gerechte Ursache gegeben ist, den Himmel gegen einen Bischof verschließen, ihn aus seinem bischöflichen Amt entfernen und dem Satan überliefern? Dein Recht aber ist ein unabänderliches, sowohl in den dir übergebenen Schlüsseln als auch den deiner Fürsorge anvertrauten Schafen gegenüber.“
Alle diese lästerlichen Titel sind auf die römischen Oberpriester angewandt und von ihnen mit Wohlgefallen und sichtbarer Genugtuung, als ihnen rechtmäßig zukommend, entgegengenommen worden. Vom Papst Bonifazius, dem Dritten, haben wir folgendes Dekret, welches sich noch in dem Gesetzbuch findet: „Wir erklären, sagen, bestimmen, verkünden, dass es für jedes menschliche Wesen zur Seligkeit notwendig sei, dem römischen Pontifex untertan zu sein.“ Gregor, der Siebente, der im Jahre 1063 anordnete, dass der Papst Vater der Väter genannt werde, leitet zur Stütze päpstlicher Anmaßungen folgendes aus 1. Mose 1:16 her: „Gott machte zwei große Lichter am Firmament des Himmels; das größere Licht, den Tag zu regieren, und das kleinere die Nacht; beide groß, doch eins als größeres. „Am Firmament des Himmels“, das bedeutet, in der allgemeinen Kirche; „machte Gott zwei große Lichter“, das bedeutet, richtete zwei hohe Ämter ein, nämlich die priesterliche und die königliche Macht; aber dasjenige, welches dem Tag, das bedeutet, geistlichen Dingen, vorsteht zum größeren; dagegen dasjenige, welches fleischlichen Dingen vorsteht, zum kleineren: „Denn, wie sich die Sonne vom Mond unterscheidet, so unterscheidet sich der Papst von Königen.“ Andere Päpste haben sich diese Auslegung angeeignet, was viel dazu beitrug, die Idee der päpstlichen Oberherrlichkeit durchzusetzen.
St. Antonius, Erzbischof von Florenz, nachdem er Psalm 8:4-8: „Du hast ihn ein wenig niedriger gemacht als die Engel“ usw. angeführt und auf Christum bezogen hatte, wandte ihn mit folgenden Worten auf den Papst an: „Und weil er uns mit seiner leiblichen Gegenwart verließ, hinterließ er uns seinen Vikar (Stellvertreter) auf Erden, nämlich den Haupt-Oberpriester, welcher Papa genannt wird, welches Vater der Väter bedeutet, so dass diese Worte schicklich vom Papst verstanden werden mögen. Denn der Papst, wie Hostensius sagt, ist größer als ein Mensch, aber kleiner als ein Engel, denn er ist sterblich; dennoch ist er an Ansehen und Macht größer. Denn ein Engel kann den Leib und das Blut unseres Herrn nicht weihen, noch auch absolvieren (freisprechen) oder binden, von welcher Macht dem Papst der höchste Grad gehört; auch kann ein Engel weder ordinieren noch Ablass gewähren. Er ist mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt; mit der Ehre des Lobpreises, weil er nicht nur heilig, sondern der Allerheiligste genannt wird. Wer wird zweifeln, den gesegnet zu nennen, welchen der allerhöchste Grad solch großer Würde erhöht hat? Er ist mit der Ehre der Verehrung gekrönt, so dass der Gläubige seine Füße küssen kann. Eine größere Verehrung kann es nicht geben. „Bete an zum Schemel seiner Füße“. (Psalm 9:9) Er ist mit voller Autoritätsfülle gekrönt, denn er kann jedermann richten, aber von niemand gerichtet werden, es sei denn, er weiche vom Glauben (natürlich vom Glauben des Antichristen) ab. Folglich ist er mit dreifach goldener Krone gekrönt und über alle Werke seiner Hände gesetzt, um über alle Untergebenen zu schalten und zu walten. Er öffnet den Himmel, sendet die Schuldigen zur Hölle, bestätigt Herrschaften, regelt die ganze Geistlichkeit.“
In seiner ersten Sitzung gab das Konzil im Lateran dem Papst die Titulation: „Fürst des Weltalls“. In seiner zweiten Sitzung nannte es ihn: „Priester und König, der von allem Volk anzubeten und sehr gottähnlich ist.“ In seiner fünften Sitzung bezog es in folgenden Ausdrücken auf Leo, den Zehnten, Weissagungen über Christi herrliche Regierung: „Weine nicht, Tochter Zion, denn siehe, den Löwen aus dem Stamme Juda, die Wurzel Davids: Siehe, Gott hat dir einen Heiland erweckt.“
Aus Ferraris kirchlichem Wörterbuch, ein maßgebendes römisch-katholisches Werk, führen wir folgenden gedrängten Umriss der päpstlichen Macht, wie er unter dem Wort Papa, Art. 2, gegeben wird, an:
„Der Papst ist von solcher Würde und Erhabenheit, dass er nicht ein einfacher Mensch, sondern gleichsam Gott ist, und der Vikar (Vertreter) Gottes … Darum ist der Papst mit einer dreifachen Krone, als König des Himmels, der Erde und der Hölle, gekrönt. Ja, des Papstes Hoheit und Gewalt erstreckt sich nicht nur über himmlische, irdische und höllische Dinge; sondern auch über die Engel, und ist höher als sie, so dass, wenn es möglich wäre, dass Engel vom Glauben irren oder ihm Widersprechendes halten könnten, so könnte der Papst sie richten und in den Bann tun … Von solcher Würde und Gewalt ist er, dass er ein und denselben Richterstuhl mit Christo einnimmt, so dass, was immer der Papst tut, aus dem Mund Gottes hervorzugehen scheint … Der Papst ist gleichsam Gott auf Erden, der einzige Fürst der Gläubigen Christi, der größte König aller Könige, die Fülle der Macht besitzend; welchem die Herrschaft des irdischen und himmlischen Königreiches ist.“ Er fügt weiter hinzu: „Der Papst ist von so großer Autorität und Macht, dass er das göttliche Gesetz abändern, erklären und auslegen kann.“ „Der Papst kann manchmal das göttliche Gesetz aufheben, indem er dasselbe beschränkt, erläutert“ usw.
So versuchte der Antichrist nicht nur die Kirche vor der vom Herrn festgesetzten Zeit zur Macht zu bringen, sondern war auch verwegen genug, göttliche Gesetze „aufzuheben“ und „abzuändern“, so dass sie zu seinen eigenen Plänen passten. Wie deutlich hat er damit die Prophezeiung erfüllt, die über tausend Jahre früher über ihn aussagte: „Er wird unterstehen, Zeit und Gesetz zu ändern.“ – Daniel 7:25
In einer Bulle oder einem Edikt macht Sixtus, der Fünfte, bekannt:
„Die Autorität, welche den Apostel Petrus und seinen Nachfolgern durch die unermessliche Kraft des ewigen Königs verliehen ist, übertrifft alle Macht irdischer Könige und Fürsten. Ihr Urteil über alle ist unumschränkt. Und findet sie je welche, die Gottes Ordnung widerstreben, so übt sie strengere Rache an ihnen und stürzt sie von ihren Thronen, wie mächtig sie auch seien, und wirft sie, wie die Diener des sich überhebenden Luzifer, in die untersten Örter der Erde hinab.“
Eine Bulle des Papstes Pius, des Neunten, betitelt: „Verdammung und Verbannung von Elisabeth, der Königin von England, und ihren Anhängern – mit Hinzufügung anderer Strafen“, lautet folgendermaßen:
„Er, der in der Höhe herrscht, dem alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist, übergab die eine heilige, katholische Kirche (außer welcher kein Heil ist) einem allein, nämlich: Petrus, dem Apostelfürsten, dem Nachfolger von Petrus, dem Bischof von Rom, um in der Fülle der Kraft regiert zu werden. Ihn allein machte er zum Fürsten über alle Völker und Königreiche, auszureißen, zu zerstören, zu zerstreuen, zu verzehren, zu pflanzen und zu bauen.“
St. Bernhard versichert: „Niemand außer Gott, weder im Himmel noch auf Erden, sei dem Papst gleich.“
„Der Kaiser Konstantin“, sagt Papst Nikolaus, der Zweite, „verlieh dem Papst die Bezeichnung Gott, der deshalb, weil er Gott ist, von keinem Menschen gerichtet werden kann.“
Papst Innozenz, der Dritte, sagt: „Der Papst steht an Stelle des wahren Gottes“; und das kanonische Gesetz in der Randglosse benennt den Papst – „unseren Herr-Gott“.
Innozenz und Jakobatus sagten: „Der Papst kann beinahe alles tun, was Gott vermag“, während Dezius das Wort beinahe als unnötig zurückweist. Jakobatus und Durandus stellen die Behauptung auf, man dürfe eben sowenig zu ihm wie zu Gott sagen: „Herr, was tust du?“
Und Antonius schrieb: „Ihm (dem Papst) steht es zu, die Dinge anzuordnen, die das öffentliche Wohl betreffen, und das zu beseitigen, was diesen Endzweck hindert, als Laster, Missbräuche, welche die Menschen von Gott entfremden … Und dieses gemäß Jer. 1:10 (hier wiederum eine Prophezeiung, welche von Christi tausendjährigem Reich handelt, auf den Antichristen anwendend): „Siehe, ich bestelle dich an diesem Tag über die Nationen und über die Königreiche, um auszurotten und niederzureißen und zu zerstören und abzubrechen“, das bezieht sich auf Laster; „zu bauen und zu pflanzen“, das bezieht sich auf Tugenden. Was die Gewalt des Papstes über die in der Hölle betrifft, welche durch die Fische im Meer bezeichnet werden (Psalm 8) – weil, wie die Fische beständig von den Wellen des Meeres bewegt werden, so die im Fegefeuer Befindlichen fortwährend durch Erleiden von Strafen in Bewegung gehalten werden – so hat Gott auch die Fische im Meer, das bedeutet die im Fegefeuer Befindlichen, dem Papst unterstellt, damit er sie durch Ablass befreie.
Die Heiden sind dem Papst, der an Christi Statt der Welt vorsteht, unterworfen. Der Papst ist Christi Stellvertreter, und niemand kann sich rechtmäßigerweise seinem Gehorsam entziehen, eben sowenig wie jemand sich rechtmäßig dem Gehorsam gegen Gott entziehen kann … Der Papst kann heidnische und barbarische Völker züchtigen … Und obschon sie nicht mit geistlichen Strafen, mit Bann und dergleichen gezüchtigt werden können, so können sie doch von der Kirche mit Geldstrafen und von den Fürsten mit körperlichen Züchtigungen gestraft werden. Indirekt kann die Kirche die Juden mit geistlichen Strafen züchtigen, indem sie christliche Fürsten in den Bann tut, zu deren Untertanen Juden gehören, wenn jene sich weigern, diese mit zeitlichen Strafen zu belegen, im Falle sie den Christen irgend etwas zuleide tun … Wenn jemandes Bekehrung begehrt wird, so mag er mit Schrecken und Streichen dazu gezwungen werden, nicht eigentlich um Glauben zu erlangen, sondern damit er durch seinen Eigenwillen dem Glauben kein Hindernis in den Weg lege. Der Bekehrung Ungläubiger wegen sollte das Gericht Gottes nachgeahmt werden.“
Hier ist ein Beispiel davon, wie Irrtum in der Lehre Ungerechtigkeit erzeugt. Gar schnell können Leute zu aller Art von Grausamkeit und Bedrückung verleitet werden, wenn sie sich nur erst davon überzeugt haben, dass sie in der Ausübung solcher Schändlichkeiten Gott ähnlicher – Nachahmer Gottes – werden. Es ist nur ein Wunder, dass die Menschen noch so gütig und milde sind, wie sie sind, bei all den schrecklichen Ideen und den falschen Lehren über den Plan Gottes für die Menschheit, womit Satan sie geblendet und getäuscht und durch die päpstliche Quelle des Irrtums in eine ihrer gefallenen Natur so verwandte Bahn gelenkt hat. Derselbe Schriftsteller fährt fort:
„Die Macht des Papstes erstreckt sich über Häretiker (Ketzer) und Schismatiker (die Spaltungen anstiften), die auch mit Ochsen bezeichnet werden, denn sie widerstreben der Wahrheit mit dem Horn des Stolzes. Gott hat diese ebenfalls dem Papst unterworfen, damit sie Vierfacherweise gezüchtigt werden, nämlich: durch Exkommunikation, Absetzung, Verlust zeitlicher Güter und militärische Verfolgung. Aber nur dann sind sie für Häretiker zu halten, wenn sie sich weigern, ihren verderblichen Lehren abzusagen, und dieselben gar noch halsstarrig vertreten.“ … „Der Papst kann den Kaiser erwählen. Der Kaiser ist der Minister (Diener) des Papstes, insofern als er ein Diener Gottes ist, an dessen Stelle der Papst steht; denn Gott hat den Kaiser als Minister des Papstes verordnet Ich setze voraus, dass in Wahrheit gesagt werden muss, dass der Papst, der Vikar Christi, anstatt des lebendigen Gottes, allgemeine Gerichtsbarkeit über geistliche wie weltliche Dinge in der ganzen Welt besitzt.“
Die folgenden, von H. G. Guinness, einem angesehen englischen Schriftsteller, aus Foxs: „Acts and Monuments“ (Taten und Denkmäler) gesammelten Äußerungen der Päpste verdienen hier eine hervorragende Stelle; und wir können in die Bemerkung dieses Schriftstellers über das System, aus dessen Mund solche Äußerungen fließen, herzlich einstimmen, wenn er sagt: „Wenn – wer sich selbst erhöht, soll erniedrigt werden -, welche Erniedrigung kann sich mit solcher Selbstüberhebung messen?“
„Weil man also sieht, dass dem Petrus solche Macht gegeben und mir in Petrus, als seinem Nachfolger, wer denn in aller Welt ist der, der meinen Dekreten nicht untertan sein sollte, die solche Macht im Himmel, in der Hölle, auf Erden, bei den Lebendigen und auch bei den Toten haben. Vermöge dieses Rechtes des Schlüssels ist die Fülle meiner Macht so groß, dass während alle anderen Untertanen sind, ja selbst Kaiser ihre Befehle und deren Vollstreckung mir unterstellen müssen, bin nur ich keiner Kreatur untertan, nicht einmal mir selber. So bleibt meine päpstliche Majestät allezeit unvermindert; höher denn alle Menschen, dem jedermann gehorchen und folgen muss, den kein Mensch richten oder irgendeines Verbrechens zeihen kann, den kein Mensch absetzen kann, als nur ich selber. Niemand kann mich in den Bann tun, selbst dann nicht, wenn ich mit Gebannten kommunizierte; denn kein Kirchengesetz bindet mich. Niemand darf mir lügen: denn wer mir lügt, ist ein Ketzer und eine gebannte Person. Sonach ist also offenbar, dass die Größe des Priestertums, das in Melchisedek angefangen, in Aaron gefeiert, in Christo vervollkommnet, in Apostel Petrus vertreten, zur Universalherrschaft erhöht wurde, im Papst kund und offenbar ist. So dass durch diesen Vorrang meines Priestertums, da alles mir untertan ist, wohl in mir bewahrheitet scheinen mag, was von Christo vorausgesagt wurde: Du hast alle Dinge unter seine Füße getan.“
„Und gleicherweise ist anzunehmen, dass der Bischof solcher Kirche stets gut und heilig ist. Ja, wenn er in Totschlag und Ehebruch fiele, könnte er wohl sündigen, aber angeklagt könnte er nicht werden, vielmehr müsste er durch die Morde des Simson und der Diebstähle der Hebräer usw. entschuldigt werden. Die ganze Erde ist mein Sprengel, und ich bin der geistliche Richter aller Menschen, da ich die Autorität des Königs aller Könige über die Untertanen habe. Ich bin alles in allem und über allen, so dass Gott selbst und ich, der Vikar Gottes, beide ein Konsistorium (Versammlungszimmer) haben, und ich vermag beinahe alles zu tun, was Gott tun kann. In allem, das mich gelüstet, steht mein Wille für Gründe; denn ich vermag durch das Gesetz über Gesetz hinaus zu entbinden und aus Unrecht Recht zu machen, indem ich die Gesetze verändere und umwandele. Wenn daher von den Dingen, die ich tue, gesagt wird, dass ein Mensch sie nicht, sondern nur Gott tun könne – wozu anders kannst du mich machen, als zu Gott? Wiederum, wenn die Prälaten von Konstantin für Götter erklärt und gerechnet wurden, so scheine ich, der ich über den Prälaten stehe, aus diesem Grunde über allen Göttern zu stehen. Darum kein Wunder, dass es in meiner Macht liegt, Feste, Zeiten und Gesetze zu ändern, von allen Dingen, ja sogar von den Vorschriften Christi zu dispensieren (freizusprechen). Denn, wenn Christus dem Petrus gebietet, sein Schwert einzustecken und die Jünger warnt, zur Selbstverteidigung keine äußere Gewalt zu gebrauchen, schreibe nicht ich, Papst Nikolaus, den Bischöfen Frankreichs, und ermahne sie, ihr leibliches Schwert zu ziehen? … Und ob auch Christus auf der Hochzeit zu Kanaan in Galiläa gegenwärtig war, verbiete nicht ich, Papst Martin, den geistlichen Priestern bei Hochzeitsvermählern anwesend zu sein, und selbst zu heiraten? Ferner, wo Christus ohne Gewinn zu leihen gebietet, entbinde nicht ich, Papst Martin, davon? Was soll ich sagen von Mord, wenn ich bewirke, dass, einen Exkommunizierten (mit dem Kirchbann Bestraften) zu töten, kein Mord oder Totschlag sei? Gleicherweise gegen das Gesetz der Natur, ferner gegen die Apostel, auch gegen den Kanon der Apostel kann und tue ich dispensieren (frei sprechen); denn, wenn sie in ihrem Kanon vorschreiben, dass ein Priester wegen Hurerei abzusetzen sei, so ändere ich, durch die Vollmacht des Sylvesters, die Härte jener Verordnung, indem ich erwäge, dass jetzt der Geist und auch der Leib des Menschen schwächer sind als damals … Wenn ihr geneigt seid, in der Kürze alle die Fälle zu hören, die meiner päpstlichen Verfügung zustehen, deren Zahl auf einundfünfzig kommt, und mit welchen kein Mensch sich befassen darf, als nur ich selbst allein, so will ich sie aufzählen. (Hier folgt eine lange Liste.)
„Nachdem ich nun meine Gewalt im Himmel, auf Erden und im Fegefeuer dargetan habe, wie groß sie ist, und was die Fülle derselben im Binden, Lösen, Befehlen, Erlauben, Erwählen, Bestätigen, Erlassen, Setzen und Entsetzen usw. ist, will ich ein wenig von meinen Reichtümern und großen Besitzungen reden, woran jedermann meinen Wohlstand und Überfluss an allen Dingen – Renten, Zehnten, Tributen, meiner Seide, meinen purpurnen Bischofsmützen, Kronen, Gold, Silber, Perlen und Edelsteinen, Ländern und Herrschaften – sehen kann. Denn mir gehört zuerst die kaiserliche Stadt Rom, der Palast zu Lateran; das Königreich Sizilien ist mein Eigentum; Apua und Capua sind mein. Auch die Königreiche England und Irland, sind sie nicht, oder müssten sie mir nicht zinspflichtig sein? Hierzu füge ich noch, dass außer anderen Provinzen und Ländern, im Morgen- und Abendland, vom Süden bis zum Norden diese Gebiete mit Namen: (hier folgt eine lange Liste.) Was soll ich hier reden von meinen täglichen Einkünften, meinen Erstlingsfrüchten, Annaten, Bischofsmänteln, Ablässen, Bullen, Beichtstühlen, Vergünstigungen und Verfügungen, Vermächtnissen, Erlassungen, Privilegien, Stiftungen, Wahlen, religiösen Häusern und dergleichen, welches alles auf keine kleine Menge Geldes kommt? … welcher Gewinn meiner Schatzkammer zufließt, kann zum Teil vermutet werden … Aber, was soll ich sagen von Deutschland, wenn die ganze Welt mein Kirchsprengel ist, wie meine Kirchenrechtslehrer sagen, und alle Menschen zu glauben verbunden sind? Deshalb, wie ich angefangen, so schließe ich: Ich befehle, tue kund, erkläre, dass jedem menschlichen Wesen zur Seligkeit notwendig sei, mit untertan zu sein.“
Manche meinen heutzutage, diese Prahlereien des Papsttums gehörten nur der fernen Vergangenheit an, und dass in späteren Zeiten eine große Veränderung vor sich gegangen sei; aber ein wenig Überlegung und Beobachtung beweist, dass die Gesinnung des Papsttums noch unverändert dieselbe ist. Wir müssen auch nicht vergessen, dass das Papsttum stets behauptet, seine Lehren seien unveränderlich, die Beschlüsse der Päpste und Konzilien seien unfehlbar, und dass jene Lästerung gegen Gott und die von Verfolgungswut gegen die Heiligen schnaubenden Dekrete noch bis auf den heutigen Tag in der römisch-katholischen Kirche heilig gehalten werden. Das, worin das Papsttum jetzt anders ist, ist nur der Verlust der Gewalt, der durch das Erwachen der Reformation bewerkstelligt wurde. Derselbe Wille ist noch vorhanden, aber die Macht ist durch die wachsende Erkenntnis und Freiheit beschnitten, wobei die Bibel der Hauptfaktor gewesen ist. Der Antichrist wird allmählich – durch den rechten Christus – „durch den Geist seines Mundes“, sein Wort, – machtlos – gemacht. Bald wird der helle Glanz der Gegenwart Immanuels das ruhmsüchtige Nachbild gänzlich vernichten und die Welt aus den Ketten der betrügerischen Behauptungen und Irrtümer desselben völlig befreien.
Als Illustration, wie anmaßend man selbst noch in neuerer Zeit ist, beachte die Tatsache, dass der gegenwärtige Papst bei der Besteigung des päpstlichen Thrones den Titel Leo, der Dreizehnte, annahm, und kurz danach sich unterzeichnete: „Leo de Tribus Juda“, das bedeutet – „Der Löwe aus dem Stamme Juda“ – einer der Titel des wahren Hauptes. In anmaßenden Aussprüchen stand er also denen nicht nach, die dasselbe Amt in dem finsteren Zeitalter inne hatten.
Das Folgende: „Die Adoration“ (Anbetung) genannt, ist noch jetzt ein Teil der Zeremonien, die mit der Einsetzung eines neuen Papstes verbunden sind. Der neue Papst, in weiß gekleidet, mit funkelnden Diamanten behängt, in roten Schuhen, mit goldenen Kreuzen als Schnallen, wird zum Altar geleitet, wo er niederkniet. Dann – „erhebt sich der Papst, und, die Mitra (Bischofsmütze) auf dem Haupt, wird er von den Kardinälen auf den Altarthron gehoben, um da zu sitzen. Einer der Bischöfe kniet, und der Gesang des „Te Deum“ (Großer Gott, wir loben Dich) beginnt. Mittlerweile küssen die Kardinäle Füße, Hände und Gesicht des Papstes.“ Eine in der päpstlichen Münzstätte geprägte Denkmünze, die diese Zeremonie darstellt, trägt diese Worte: „Den sie erschaffen, den beten sie an.“
Kardinal Manning, der Hauptvertreter des Papsttums in England, bestätigt die folgende Klausel des katholischen Glaubens und lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit darauf:
„Wir tun kund, bestätigen, bestimmen und erklären es für jegliche menschliche Kreatur zur Seligkeit notwendig, dem römischen Pontiff untertan zu sein.“ Und in einer öffentlichen Abhandlung lässt er den Papst folgendes sagen: „Ich behaupte, der oberste Richter und Leiter der Gewissen zu sein; des Bauern, der das Feld baut, und des Fürsten, der auf dem Thron sitzt; der Familie, die im Schatten der Zurückgezogenheit lebt; der Legislatur, welche die Gesetze für Königreiche macht. Ich bin der alleinige, letzte und allerhöchste Richter über das, was Recht und Unrecht ist.“
Unter den neuesten Auslassungen solch „großer schwülstiger Reden“ von Seiten des Papsttums dürfen wir gewiss auch das denkwürdige Dekret des allgemeinen Konzils zu Rom, im Jahre 1870, welches die Unfehlbarkeit des Papstes verkündet, nicht übersehen. Allerdings ist von anmaßenden Päpsten früher ab und zu behauptet worden, dass sie unfehlbar seien, und um ihrem Stolz zu schmeicheln, haben Fürsten und Bischöfe sie in der Erklärung: „Du bist ein anderer Gott auf Erden“, tatsächlich so genannt; aber es blieb einem päpstlichen Konzil in dem aufgeklärten neunzehnten Jahrhundert aufgespart, mit kaltem Blut und mit Überlegung der Welt zu sagen, wie groß dieser andere „Gott auf Erden“ sei – dass er fast so vollkommen sei, wie der andere Gott im Himmel, dass er ebenso wenig wie der andere irren könne; dass der Papst in seinen ex Kathedra (aus päpstlicher Vollmacht) Äußerungen unfehlbar, irrtumslos sei.
Die Abstimmung des Konzils erfolgte am 13. Juli 1870, und am 18. wurde das Dekret formell mit gehörigen Zeremonien in der St.-Peters-Kathedrale verkündet. Folgende Beschreibung des Ereignisses von Dr. J. Cummings in London, wird mit Interesse gelesen werden. Er sagt:
„Um eins der imposantesten Schaugepränge zu veranstalten, ließ sich der Papst vor dem östlichen Fenster in der St.-Peters-Kathedrale einen großartigen Thron errichten, hüllte sich in ein vollständiges Lichtmeer köstlicher Edelsteine und war von den Kardinälen, Patriarchen und Bischöfen in pompöser Tracht umgeben. Er hatte die frühe Morgenstunde und das östliche Fenster gewählt – damit die aufgehende Sonne die Fülle ihrer Strahlen auf seine Hoheit ergieße, und sich in seinen Diamanten, Rubinen und Emeralden brechen und widerspiegeln würde, dass es scheine, als ob er nicht ein Mensch, sondern das sei, was das Dekret von ihm verkündete: Einer, der die Herrlichkeit Gottes besitzt … Der Papst stellte sich frühzeitig am östlichen Fenster auf … Die Sonne jedoch versagte ihren … Schein. Der trübe Morgen wurde dunkler und immer dunkler. Die blendende Herrlichkeit konnte nicht erzeugt werden. Die greisen Augen des Gernegott konnten nicht bei Tageslicht zum Lesen sehen. Er musste nach Kerzen schicken. Das Kerzenlicht griff seine Sehnerven zu stark an, und er übertrug das Lesen einem der Kardinäle. Der Kardinal fing unter immer schwärzer werdender Dunkelheit zu lesen an, hatte aber noch nicht weit gelesen, als ein solch blendender Strahl und solch betäubender Krach aus dem tintenähnlichen Himmel fuhr, wie Rom es nie zuvor erlebt hatte. Schrecken fiel auf alle. Das Lesen hörte auf. Ein Kardinal sprang zitternd von seinem Stuhl auf und schrie: „Es ist Gottes Stimme, im Donner Sinais redend.“
Unter den gotteslästerlichen Anmaßungen des Antichristen verdienen mehrere seiner Lehren, sonderlich die Lehre von der Messe, welche wir im folgenden Band behandeln, beachtet zu werden. Die Verehrung der Heiligen und der Maria übergehend, beachten wir einige noch traurigere Irrtümer.
Unfehlbarkeit der Kirche war einer der ersten und bahnte den Weg zur anderen. Sie wurde aufgestellt, ehe noch der Papst als solcher anerkannt war. Sie war eine überaus schädliche Irrlehre und versperrte den Weg zur Berichtigung der Irrtümer, als man sie später einsah. Sie entzog die Beschlüsse der Kirchen-Konzilien allem Widerspruch oder der Untersuchung, sei es durch die Vernunft oder durch die Schrift, und machte statt des Wortes Gottes, der Bibel, die Unwissenheit, die Schwächen und falschen Begriffe der Menschen zur Richtschnur des Glaubens. Denn wird einmal zugegeben, dass die Stimme der Kirchen-Konzilien unfehlbar (irrtumslos) sei, so müsste sich alles vor ihr beugen und nach ihr richten; und jedes Konzil hielt sich gebunden, keine Entscheidung im Widerspruch mit früheren Konzilien zu fällen, und die, welche etwa anders handelten, standen in Gefahr, verworfen zu werden. So konnte ein einmal bestätigter Irrtum nicht umgestoßen und nicht einmal fallen gelassen werden, und Bibel und Vernunft mussten so ausgelegt und gedreht werden, dass sie mit den unfehlbaren Beschlüssen fehlbarer Menschen stimmten. Kein Wunder, dass man meinte, es bedürfe eines sehr geschickten Theologen, die Schrift auszulegen, dass sie mit den sogenannten unfehlbaren Dekreten übereinstimmte. Kein Wunder auch, dass der Antichrist es für ratsam hielt, ein Verbot der Bibel zu erlassen. Die Geschichte des Papsttums zeigt deutlich, dass es die Bibel, die es doch als Gottes Wort hochzuhalten versicherte, in den Hintergrund gedrängt, und seine eigenen unfehlbaren Worte in den Vordergrund gestellt hat. Und nicht nur das, sondern es hat Gottes Wort als ganz und gar unpassend zum Lesen und als für das Volk gefährlich verboten, damit seine eigenen unfehlbaren Worte vollen Schwung haben könnten. Es wusste recht wohl, dass die Bibel seiner Macht gefährlich war und seinen gotteslästerlichen Anmaßungen gegenüber eine beständige Anklage sein würde.
In den Tagen der päpstlichen Macht wurde der Besitz oder das Lesen der Bibel als ein Verbrechen behandelt. Die Buchdruckerkunst und daraus hervorgehendes, allgemeineres Aufleben der Gelehrsamkeit, um das sechzehnte Jahrhundert herum, bewirkte das Wiedererstehen der Bibel aus dem Grabe toter Sprachen, worin der Antichrist sie so lange verborgen gehalten hat, indem er das Übersetzen derselben bei schwerer Strafe verboten hatte. Und als ein Erwachen des Geistes der Unabhängigkeit anfing, die Bibel in lebender Sprache unter dem Volk auszubreiten, war Bibelverbrennen keine ungewöhnliche Sache; und lang und laut waren die herzlosen Flüche aus dem Vatikan gegen die verwegenen Sünder, die das Wort Gottes zu übersetzen, zu veröffentlichen oder zu lesen wagten.
Als Wicliff seine Übersetzung herausgab, schickte Papst Gregor eine Bulle an die Oxforder Universität, worin er den Übersetzer als in eine „verabscheuungswürdige Gottlosigkeit verrannt“ verdammt. Tyndals Übersetzung wurde ebenfalls verdammt, und als Luther seine deutsche Übersetzung veröffentlichte, erließ Papst Leo, der Zehnte, eine Bulle gegen ihn. Dessen ungeachtet ging das Werk herrlich und stetig weiter. Die Bibel sollte eine völlige Auferstehung erleben, und über alle Völker und Zungen ihr helles Licht ergießen. Langsam begriff die römische Kirche dies und beschloss deshalb, die Übersetzung der Schrift in neuere Sprachen durch katholische Übersetzer und mit katholischen Anmerkungen zu gestatten. Diese sollten jedoch nur dann dem Volk gegeben werden, wenn zu befürchten war, dass es die protestantische Bibelübersetzung in die Hand bekäme. Die Rheimsche Übersetzung erklärt dies.
Folgendes zeigt, von welcher Art einige Anmerkungen der Rheimschen Übersetzung sind. Eine über Matthäus 3 heißt: „Ketzer können gestraft und unterdrückt werden und können und sollen durch die bürgerliche Gewalt, geistlich oder körperlich gestraft oder hingerichtet werden.“ Eine über Gal. 1:8 lautet: „Katholiken sollten ihre eigenen Eltern, wenn sie Ketzer sind, nicht verschonen.“ Über Hebr. 5:7 lautet die Anmerkung: „Die Übersetzer der protestantischen Bibeln sollten bis in die Tiefen der Hölle geworfen werden.“ Und zu Offb. 17:6 heißt es: „Aber das Blut der Protestanten wird nicht das Blut der Heiligen genannt, so wenig wie das der Diebe, Mörder und anderer Übeltäter. Für das Vergießen desselben auf Befehl der Gerechtigkeit ist kein Gemeinwesen zu Verantwortung zu ziehen.“
Folgendes sind einige der Beschränkungen, die man machte, wenn man fand, dass das Lesen der Bibel nicht gänzlich verhindert werden konnte. Die vierte Regel des Indes Expurgatoris sagt:
„Wer die Vermessenheit haben sollte, ohne schriftliche Erlaubnis die Bibel zu lesen oder zu besitzen, der soll keine Absolution empfangen, bis er solche Bibel dem Ordinarius (Hauptlehrer) ausgeliefert hat. Buchhändler, welche Bibeln in der Volkssprache an Leute verkaufen oder sonst wie absetzen, die keinen Erlaubnisschein haben, sollen den Wert des Buches verwirken und durch den Bischof solchen Strafen unterworfen werden, als derselbe der Beschaffenheit des Vergehens angemessen findet.“
Das Konzil zu Trient in seiner 1546 gehaltenen Sitzung sagt: „Um verwegene Geister abzuhalten, beschließt das Konzil, dass in Sachen des Glaubens und der Sitte, und in allem, was zur Erhaltung christlicher Lehre gehört, niemand es wagen soll, im Vertrauen auf eigenes Urteil nach seinem Verständnis und dem zuwider die Schrift zu verdrehen, was die heilige Mutterkirche, deren Recht es ist, über die wahre Meinung zu entscheiden, bisher gehalten hat und noch hält.“
Aus der an das Primat von Polen und gegen die Bibelgesellschaften gerichteten Bulle Pius, des Siebten, vom 29. Juni 1816, führen wir an:
„Wir sind wahrhaft erschüttert worden durch den listigen Anschlag, wodurch selbst das Fundament der Religion untergraben wird, und nachdem wir in Anbetracht der Wichtigkeit des Gegenstandes mit unseren ehrwürdigen Brüdern, den Kardinälen der heiligen römischen Kirche, Rats gepflogen, haben wir mit der äußersten Sorgfalt und Aufmerksamkeit überlegt, was für Maßnahmen von unserer päpstlichen Autorität angenommen werden sollten, um dieser Pestilenz entgegen zu wirken, und sie soweit als möglich zu beseitigen … Aus eigenem Antrieb habt Ihr bereits das ernste Verlangen gezeigt, die gottlosen Schliche dieser Neuerer zu entdecken und unschädlich zu machen; doch ermahnen wir Euch kraft unseres Amtes wieder und wieder, dass Ihr täglich mit dem äußersten Ernst erstreben wollet, was Ihr durch Gewalt, durch guten Rat oder Ansehen erreichen könnet … Die von Ketzern gedruckte Bibel ist den Regeln des Index gemäß unter die verbannten Bücher zu zählen.“
Derselbe Papst erließ im Jahre 1819 eine Bulle gegen den Gebrauch der Schrift in den Schulen Irlands. Aus derselben führen wir an:
„Es ist der heiligen Kongregation zu Ohren gekommen, dass durch Mittel von Irrgläubigen in allen Teilen Irlands Bibelschulen errichtet worden sind, in denen Unerfahrenen beiderlei Geschlechtes das verderbliche Gift falscher Lehren beigebracht wird … Alle möglichen Anstrengungen sollten daher gemacht werden, die Jugend von diesen verderblichen Schulen fernzuhalten … Arbeitet mit aller Macht, dass die rechtgläubige Jugend nicht durch dieselben verdorben werde – ein Ziel, das, wie ich hoffe, durch Errichtung von katholischen Schulen in allen euren Sprengeln leicht zu erreichen sein wird.“
Hier wird offen und ehrlich eingeräumt, was der eigentliche Zweck der Errichtung von katholischen Gemeindeschulen in Großbritannien und Nordamerika sei: Nämlich, ihre Grenzlinie zu beschützen. Keinen anderen Zweck kennt der Antichrist, wenn er dem gemeinen Volk Bildung anbietet. Unwissenheit und Aberglauben sind die Bollwerke des Papsttums; und die Jahrhunderte seiner Macht, mit Einschluss derer, die man als „finstere Zeitalter“ kennt, bezeugen das. Die Ausbildung der Geistlichkeit unter gewissen „Beschränkungen“ wurde zwar nicht versäumt, aber dass keine Vorkehrungen zur Bildung des Volkes getroffen wurden, dafür ist die krasse Unwissenheit in allen römisch-katholischen Ländern ein starker Beweis. Schulen und Bibel sind immer die unleidlichsten Feinde des Antichristen gewesen – auf die, um die Existenz, den Bestand des Antichristen zu sichern, ein falsches Licht geworfen werden musste.
Aus der Bulle Leos, des Zwölften, an die römisch-katholische Geistlichkeit Irlands im Jahre 1825 führen wir an:
„Es ist euch kein Geheimnis, ehrwürdige Brüder, dass eine gewisse Gesellschaft, gemeinhin „Bibelgesellschaft“ genannt, sich kühn über die ganze Welt verbreitet. Die Überlieferungen der heiligen Väter verachtend und im Gegensatz zu den wohlbekannten Dekreten des Konzils zu Trient, hat diese Gesellschaft alle ihre Kräfte gesammelt und richtet alle ihre Mittel auf den einzigen Punkt: Auf die Übersetzung oder vielmehr Verdrehung der Bibel in die Landessprachen aller Nationen.“
Sogar der verstorbene Papst Pius, der Neunte, äußerte seine Herzensangst über den allseitigen Triumph dieses großen Feindes des Antichristen – der Bibel. Er sagt: „Verflucht seien jene äußerst listigen und betrügerischen Gesellschaften, Bibelgesellschaften genannt, welche der unerfahrenen Jugend die Bibel in die Hand geben.“
Allerdings wurde auf dem römisch-katholischen Plenar-Konzil zu Baltimore im Jahre 1886 beschlossen, dass eine kirchlich genehmigte Ausgabe der Bibel in den katholischen Schulen der Vereinigten Staaten zuzulassen sei. Dies deutet aber keine Änderung in der wahren Gesinnung des Antichristen an. Es ist nur ein weiterer Streich seiner fernsichtigen Staatsklugheit, die den Geist der Freiheit dieses Landes, der solche Beschränkungen verabscheut, in Rechnung zieht. Sie wussten gar wohl, dass man Freiheit und nicht die Bibel wollte; und fünf Jahre danach angestellte Nachforschungen ergaben, dass die Bibel in den katholischen Schulen Amerika nicht zu finden ist.
Die Lehre von der dem Menschen innewohnenden Unsterblichkeit (dass ein menschliches Dasein, einmal angefangen, nie aufhöre) war ein anderer, von der griechischen Philosophie entlehnter, fruchtbarer Irrtum. Wenn aber zugegeben wurde, dass ein Dasein ewig fortdauern muss, so führte das zu dem natürlichen Schluss, dass alle die Stellen der Bibel, die eine schließliche Vernichtung, den zweiten Tod usw. aller boshafter Sünder ausdrücken, das Gegenteil von dem meinen, was sie sagen, nämlich: Ewiges Leben in irgendeinem Zustand. Nun war es leicht zu beschließen, dass es für die Gottlosen ein Leben von Leiden sein müsse; und die Qualen derselben wurden häufig in Farbengemälden an den Wänden der Kirchen dargestellt, als auch durch die Worte eifriger Priester und Mönche vor Augen gemalt. Dieser Irrtum machte um so mehr auf die neu zu Bekehrenden Eindruck, weil die griechischen Philosophen (von der Welt damals als die Leiter in Sachen der Wissenschaft, Religion und Philosophie angesehen – deren Ideen, wie Josephus zeigt, den Judaismus eben zu färben begannen) schon längst eine Strafe für die Gottlosen im Tode gelehrt hatten. Zu ihren Gunsten muss jedoch gesagt werden, dass sie sich niemals zu der greulichen Lästerung des Wesens und der Oberhoheit Gottes verstiegen, wie sie der Welt vom Antichristen gelehrt wurde. Zunächst war es nun nötig, für diese Qual den Ort zu bestimmen und ihn Hölle zu nennen und Schriftstellen zu finden, die von Sheol und Hades und Gehenna reden und den eigentlichen Lohn der Sünde – den ersten und zweiten Tod – beschreiben, und sie, wie auch die Gleichnisse unseres Herrn und die Symbole (Bilder) der Offenbarung so fein anzuwenden, dass sie die ganze Welt und sich selbst über diese Sache täuschten, und so Wesen und Plan unseres himmlischen Vaters lästerten und demselben höchst empfindlich schadeten.
Das Fegefeuer wurde dann erfunden, um solch schreckliche Lehre zu mildern und erträglicher zu machen und zugleich, um dem Antichristen einen festeren Halt über das Volk zu geben. Er behauptete, die Schlüssel des Himmels wie der Hölle zu haben, und die Macht, die Schmerzen des Fegefeuers zu lindern; nicht nur die adamitische Strafe und die daher ererbten Gebrechen, sondern auch die Strafen vorsätzlicher und vorbedachter Sünden. Welch gewaltigen Hebel dies gab, um ein unwissendes Volk zu drücken, kann man sich leicht vorstellen – besonders, wenn der Kaiser und die Vornehmen der Welt den Betrüger anerkannten und sich vor ihm beugten.
Totenmessen folgten nun; und Reiche und Arme hielten es gleicherweise für Pflicht, dafür freigebig zu zahlen. Messen, behauptete man, vermöchten alles, um die Leiden im Fegefeuer zu mildern, so dass selbst Jehova oder Christus nichts dagegen tun könnten. Dies wurde eine große Einnahmequelle für den Antichristen, denn die Priester waren bei der Hand, Sterbende, wenn sie vermögend waren, daran zu mahnen und zu erinnern, dass sie freigebige Vermächtnisse für ihre eigenen Messen machen sollten; sonst möchten ihre Erben dies versäumen. Und in der Tat, selbst bis zum heutigen Tage erscheinen Ermahnungen ähnlicher Art in römisch-katholischen Ländern. Man sollte weniger Geld für Begräbnisblumen ausgeben, heißt es da, um mehr auf Messen für die Toten verwenden zu können.
Einige Zeit vor den „Kreuzzügen“ kam der Ablass auf. Wir wissen, dass Ablass als Werbegeld angeboten wurde, um Freiwillige für die „Kreuzzüge“ oder „heiligen Kriege“ zu werben. Jeder, der sich für diese heiligen Kriege anwerben ließe, würde vermöge des päpstlichen Ediktes nicht nur Vergebung erlangen, sondern sich auch Verdienst anhäufen, um künftige Sünden zu decken und so eine Garantie gegen gewisse Leiden des Fegefeuers zu besitzen. Diese Ablässe sind, wie Römisch-Katholiken sagen, nicht darauf berechnet, Freiheit zum Sündigen zu geben, sondern nur eine Anerkennung des Verdienstes, wodurch eine gewisse Anzahl von Tagen oder Jahren der Fegefeuerpein erlassen werden: So dass, wenn die Sünden eines Menschen ihn einer tausendjährigen Pein unterwerfen, und er durch Geld oder dem Papsttum geleistete Dienste oder durch Büßungen zu der einen oder der anderen Zeit sich tausend Jahre sicherte, er frei ausgehen würde. Hätte er durch Ablass neunhundert Jahre zugute, so würde er nur hundert Jahre zu leiden haben, und wenn seine Ablässe zusammengerechnet seine Schuld weit übersteigen würden, so würde er wahrscheinlich für einen Heiligen gehalten werden, der besonderen Einfluss im Himmel habe und verehrt und angebetet werde. Von dieser Klasse ist Ludwig, der Kreuzfahrer, König von Frankreich, ein Beispiel. Er wurde kanonisiert (heilig gesprochen) und wird jetzt als der heilige Ludwig verehrt und angebetet.
Es ist allerdings ein Unterschied zwischen dieser Ansicht vom Ablass und einer Erlaubnis zum Sündigen; aber nur ein sehr geringer. Denn das Papsttum setzte ja auf verschiedene gewöhnliche Sünden ein gewisses Maß von Leiden, und nicht nur vergangene Sünden konnten abgetan und getilgt werden, sondern wer zu glauben Ursache hatte, dass er später gewisse Sünden begehen könnte, konnte sich zum voraus das zu ihrer Tilgung nötige Verdienst beschaffen. Außerdem gibt es sogenannte „Plenar (vollständige, gänzliche) Ablässe“, die gewiss so zu verstehen sind, dass sie alle Sünden, vergangene wie zukünftige, decken.
Selbst der Gebrauch der heutigen Zeit scheint kaum glaublich. Die Romanisten haben gewisse Gebete, auf deren Wiederholung Ablass für eine gewisse Zeit steht, und viele zusammen, so meinen sie, schützen auf lange Zeit vor dem Zorn. So zum Beispiel: Denen, die das: „Sei gegrüßt, heilige Königin!“ sagen, wird ein Ablass von vierzig Tagen bewilligt, während auf Hersagen der „Litanei der gesegneten Jungfrau“ ein Ablass von zweihundert Tagen steht, und für die, welche: „Gesegnet sei die heiligste, reinste Empfängnis der Jungfrau Maria!“ sagen, erlangen einen hundertjährigen Ablass usw. Zu welcher Korruption (Verderbnis) diese gotteslästerliche Lehre in den finsteren Zeitaltern geführt haben mag, wo für Geld und für Dienste bei der Verfolgung von Ketzern und Häretikern reichlicher Ablass angeboten wurde, lässt sich leicht denken.
Auf Verbrechen, die gewöhnlich von den Reichen begangen wurden, die gut bezahlen konnten, wurden ungeheure Strafen gesetzt, während die niedrigen Klassen leichter davon kamen. So kostet eine Heirat zwischen Geschwisterkindern 5.000 Dollars, während Frauen- oder Elternmord nur 20 Dollars kostet. Spannheim sagt: „Die Ablasseinrichtung war die Münze, wo das Geld für die römische Kirche geprägt wurde, die Goldmine für die verworfenen Neffen und natürlichen Kinder des Papstes, die Stärke der päpstlichen Kriege, das Mittel, Schulden zu bezahlen und die unerschöpfliche Quelle des päpstlichen Luxus.“
Um diesen Handel zu regulieren, wurde eine Strafliste für verschiedene Sünden festgesetzt – so viele Tage oder Jahre im Fegefeuer für jede, und auch eine entsprechende Preisliste wurde angeordnet, so dass, wer für Mord, Diebstahl, Kindermord, Ehebruch, Meineid oder andere Sünden Ablass verlangte, mit verschiedenen festgesetzten Preisen belastet werden konnte. So wurden die Büßungen aufgehoben und die Qual des Fegefeuers gemildert oder beendet, je nach dem Belieben der Agenten des Antichristen. Man darf sich nicht wundern, dass das Volk bald begriff, dass für soviel Sünde soviel Geld bezahlt wurde.
In solchem Grade hatten sich durch diesen Ablasskram die Verbrechen gemehrt, dass die besseren Klassen sich im Unwillen gegen die Kirche erhoben. Die Augen der Leute fingen an, sich aufzutun. Sie sahen die Geistlichkeit, von den höchsten Würdenträgern der Kirche bis herab zu der niedrigsten Beamtenstufe, in Sünde versunken.
Wie die dunkelste Stunde dem Sturm vorhergeht, so war kurz vor der Reformationsbewegung die dunkelste Stunde der finsteren Regierung des Antichristen. Da erzeugte der offene und schamlose Ablasshandel einen Ekel und führte Luther und andere eifrige Papisten dazu, das ganze System in moralischer Hinsicht und später hinsichtlich der Lehre zu untersuchen und zu prüfen. Schließlich verfiel Luther auf die rechte Idee – dass das Papsttum wahrhaftig der Antichrist sei; und nachdem er dieses entdeckt, wies er furchtlos auf etliche Symbole der Offenbarung hin und wies nach, dass dieselben auf die päpstliche Hierarchie anwendbar und in derselben teilweise ihre Erfüllung gefunden hätten.
Über diesen Gegenstand zitieren wir das Folgende aus der Feder des in Amerika wohlbekannten Geistlichen, Lymann Abott. Er sagt:
„Unter anderen Bedingungen, für welche damals mehr als heute Ablass bewilligt wurde, waren Geldbeiträge an die Kirche. Dieser Handel erreichte seine Höhe am Anfang des 16. Jahrhunderts unter Leo, dem Zehnten, welcher allen denen Ablass ankündigte, die zur Errichtung der St.-Peters-Kirche zu Rom Geld beisteuern würden. Sein Hauptwerkzeug für den Ablasskram in Deutschland war Johann Tetzel. Die notorische Lasterhaftigkeit Tetzels verhinderte nicht, dass man ihn gebrauchte, um solche Gnaden anderen, reineren Seelen zu vermitteln, und keine Übertreibung schien ihm zu groß, wenn sie nur Geld in seinen Kasten brachte. Er erklärte, das rote Kreuz, welches ihn überall hin begleitete, habe so große Wirksamkeit wie das Kreuz Christi – keine Sünde sei so groß, die er nicht vergeben könne. Nicht nur die Lebenden allein, sondern auch die Toten rettet der Ablass. „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer in den Himmel springt.“ Solcher Art waren etliche seiner gotteslästerlichen Ankündigungen. Eine regelmäßige Preisliste wurde angefertigt. Polygamie kostete sechs, Kirchenraub und Meineid neun, Mord acht, und Zauberei zwei Dukaten. Dieser offene und schamlose Handel war es, der mehr als alles andere zur Reformation führte. Ablass wird auch heute gewährt, nicht nur für gottesdienstliche Handlungen, sondern auch für Geldbeträge an die Kirche; aber der allgemeine und öffentliche Handel mit demselben ist aus der römischen Kirche größtenteils abgeschafft.“
Ein anderer Schriftsteller führt Tetzel noch weiter an:
„Kommt her, ich gebe euch richtig versiegelte Briefe, wodurch euch sogar alle Sünden, die ihr später noch begehen werdet, vergeben werden. Keine Sünde ist so groß, die durch Ablass nicht getilgt werden könnte. Zahlt nur, zahlt nur tüchtig, und es wird euch vergeben werden. Ihr Priester, ihr Edelleute, ihr Kaufleute, ihr Weiber, ihr Jungfrauen, ihr jungen Männer, hört, wie eure abgeschiedenen Eltern und Freunde aus der unergründlichen Tiefe euch zurufen: „Wir leiden entsetzliche Qual, ein kleiner Almosen würde uns befreien! Ihr könnt es geben, wollt ihr nicht?‘ Mit zehn Groschen könnt ihr euren Vater aus dem Fegefeuer befreien. Unser Herrgott handelt nicht mehr mit uns als Gott – Alle Gewalt hat er dem Papst übergeben.“
Nachstehend ist ein überliefertes Formular, wie sie Tetzel gebrauchte, das mit dem Namen des Käufers, seinen Sünden usw. ausgefüllt wurde:
„Unser Herr Jesus Christus sei dir, _____________ gnädig und absolviere dich durch das Verdienst seiner allerheiligsten Leiden. Ich, kraft der apostolischen Gewalt, die mir übertragen ist, entbinde ich dich von allen _______________, Übertretungen, Sünden und Verbrechen, die du begangen haben magst, wie groß und ungeheuer, und welcher Art sie auch sein mögen … Ich erlasse dir die Schmerzen, die du im Fegefeuer haben würdest … stelle dich in der Unschuld und Reinheit deiner Taufe wieder her, so dass im Augenblick deines Todes die Pforten des Ortes der Qual sich schließen, die Tore des Paradieses dagegen dir sich öffnen. Und wenn du lange leben solltest, bleibt diese Gnade doch bis an dein Ende unveränderlich. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, Amen! Der Bruder Johann Tetzel, Kommissarius, hat dies eigenhändig unterschrieben. _______________.“
Ob es gerade bis heute noch so sei, können wir nicht sagen, aber wir wissen, dass noch vor wenigen Jahren in großen römisch-katholischen Kirchen in Mexiko und auf Kuba gedruckte Ablässe mit beigefügten Preisen zum Verkauf feil lagen.
„Es wurde ihm gegeben, mit den Heiligen Krieg zu führen und sie zu überwinden“
„Die Heiligen des Höchsten aufzureiben“
Hat das Scheinreich des Papstes über die wahrhaft geweihten Kinder Gottes Gewalt gehabt und geübt? Hat es sie durch eine lange Periode der Unterdrückung und Zermalmung, wie es der hebräische Text zeigt, überwunden oder „aufgerieben“? Wir antworten: Ja! Jedes nur erdenkliche Mittel wurde angewandt, um den Geist wahren Christentums zu dämpfen (Joh. 8:36; Gal. 5:1; 2. Kor. 3:17) und an dessen Stelle den Geist, Lehre und Formenwesen des Antichristen zu setzen. Anfangs war es nicht gerade ein offener Angriff auf die Gläubigen, sondern vielmehr ein langsamer, beständiger, zermalmender Druck, der hauptsächlich gegen die Lehrer angewandt wurde, die am wahren Glauben festhielten; und so wurde die Geduld und auch der Glaube vieler zunichte. Dieses beständige Beunruhigen und Aufreiben wurde hauptsächlich durch die Einrichtung des Beichtstuhles zuwege gebracht. Jedem aufkeimenden Gedanken, jeder Kritik und jedem Einwand gegen dieses falsche System wurde darin vom Antichristen nachgespürt; und durch Androhung künftiger Strafe wurden die Beichtenden eingeschüchtert, jeden widersprechenden Gedanken und jede widersetzliche Tat zu bekennen und zu bereuen. Gar bald fand dies solche Unterstützung von Seiten der weltlichen Macht, dass irgendetwas gegen die Kirche zu sagen so angewendet werden konnte, als sei es Verrat gegen die bürgerliche Obrigkeit, die ja durch päpstliche Autorität getragen wurde.
Im ersten Anlauf der Erhöhung des Papsttums galt das Volk als solches entweder als zur Kirche gehörig, oder es waren noch Heiden. Von denen nun, die Christen zu sein bekannten, wurde erwartet, dass sie sich den Gebräuchen und Regeln der allmählich sich selbst erhöhenden Hierarchie anbequemten. Der Irrtum, der stets populärer ist als die Wahrheit, verfolgte und ächtete ihre Anhänger und brachte sie in Verruf. Das war die Zeit, wo das Weib (die wahre Kirche), wie die Offenbarung (12:6) es schildert, in die Wüste floh – in die Einsamkeit, als eine um ihrer Treue gegen das Haupt der Kirche willen Verbannte. In dieser Zeit, da die Abtrünnigen zu Fürsten erhoben waren, da mussten die wahren, demütigen Heiligen erfahren, was der Herr ihnen und allen, die in dieser gegenwärtigen Zeit gottselig leben wollen, vorhersagte, nämlich, Verfolgung leiden. Die Schwiegermutter war gegen die Schwiegertochter, der Vater gegen den Sohn, Bruder gegen Bruder und eines Menschen Feinde oft seine eigenen Hausgenossen. Lässt sich noch etwas Weiteres erdenken, das die Heiligen des Höchsten völliger und schneller aufgerieben oder zermalmt hätte, als ein solches jahrhundertlang betriebenes Verfahren?
Von der Wildheit und Unerbittlichkeit solcher Verfolgungen eine Idee zu bekommen, müssen wir uns wieder an die Geschichte wenden.
Die Verfolgungen der Christen unter dem heidnischen Rom sind nichts im Vergleich zu denen unter dem päpstlichen Rom. Sie waren weniger häufig und nicht so ausgedehnt und viel weniger bitter. Von Seiten der ersten Christen wird uns berichtet, dass die Mehrzahl der Magistratspersonen, die in den Provinzen die Autorität des Kaisers oder Senats besaßen, und in deren Hand die Entscheidung über Leben und Tod lag, sich wie Männer, fein gebildete und wohlerzogene Männer, benahmen. Sie suchten nach Recht und Gerechtigkeit zu urteilen, lehnten häufig die unliebsame Aufgabe der Verfolgung ab und wiesen Klagen gegen Christen mit Entrüstung von sich, wie Pilatus und Herodes im Fall unseres Herrn zu tun versuchten (Luk. 23:14, 15, 20, 22; Matth. 27:24), oder schlugen angeklagten Christen eine gesetzliche Ausflucht vor. Öfter, wenn irgend möglich, gebrauchten sie ihre Gewalt zur Befreiung als zur Unterdrückung der Christen; und die heidnischen Gerichtshöfe waren oft ihre sicherste Zuflucht gegen die jüdischen Ankläger.(Gibbon, Band 2, Seite 31-33) Die grausame Verfolgung unter dem schrecklichen Tyrannen Nero, welcher, um den Argwohn des Publikums von sich abzulenken, etliche Christen verbrannte, bildet eine der dunkelsten Seiten in der Geschichte des heidnischen Roms; aber seine Opfer waren vergleichsweise nur wenige. Die heidnischen Verfolgungen erstreckten sich in der Regel nicht über ganze Gemeinwesen, sondern betrafen meist hervorragende Personen. Und sogar diese Verfolgungen der leitenden Repräsentanten war nicht so wohl eine im voraus beschlossene, beharrlich durchgeführte Handlungsweise von Seiten der Regierung, als vielmehr die Folge eines durch Aberglauben gereizten, nicht in Schranken zu haltenden Wutausbruches des Volkes, dem die Machthaber im Interesse des Friedens und der Ordnung nachzugeben für nötig hielten. Fälle dieser Art findet man in Paulus und der anderen Apostel Lebenslauf. (siehe Apg. 19:35-41; 25:24-27; 26:2, 3, 28) Selbst die mehr allgemeineren Verfolgungen unter den römischen Kaisern währten nur kurze Zeit, mit Ausnahme der unter Diokletian, welche mit wechselnder Heftigkeit zehn Jahre anhielt. Zwischen diesen Verfolgungen gab es oft lange Friedens- und Ruheperioden. Unter den Kaisern wurden die Christen zwar sehr beunruhigt, aber bei weitem nicht aufgerieben, sondern sie gedieh im Gegenteil, wie wir gesehen haben, ungemein.
Wie verschieden dagegen waren die Verfolgungen des Papsttums. Nicht nur an hervorragendere, sondern an alle Gegner legte es die Hand, und seine Verfolgungen dauerten nicht nur monatelang, sondern waren unaufhörlich. Was unter heidnischen Kaisern nur Ausbrüche von Wut oder Raserei gewesen war, wurde unter den Päpsten geradezu ein regelmäßiges, von religiösem Fanatismus und ehrsüchtigen Plänen getragenes System. Von satanischem Eifer, Energie und Grausamkeit beseelt, findet es in den Jahrbüchern der Geschichte nicht seinesgleichen. Die abtrünnige Kirche legte das Schwert des Geistes beiseite und, den Arm der weltlichen Herrschaft ergreifend, kehrte sie deren fleischliche Waffen mit erbarmungsloser Furie gegen jeden schwächeren Gegner, der ihrem Ehrgeiz im Wege stand, während sie den Machthabern schmeichelte und ihnen den Hof machte und sie betrog, bis sie deren Vertrauen gewann und ihre Stellung und Mach an sich riss.
Heidentum und Ketzerei wurden dann gleichermaßen Zielscheibe der Verfolgung – besonders die letztere. Die sogenannte christliche Geistlichkeit, sagt Edgar, „verwandte die Gesetze der jüdischen Theokratie und die Vorgänge der jüdischen Geschichte zu dem unchristlichen und gemeinen Zweck, den Geist der Verfolgungen gegen die dahinfallenden Reste griechischen und römischen Aberglaubens zu erwecken … Sie lösten das alte Machwerk der Vielgötterei auf und verwandten dessen Einkünfte zum Besten der Kirche, des Staates und der Armee … Das Heidentum wurde aus dem römischen Gebiet verjagt … Zwang trat in der Regel an die Stelle der Überzeugung und Schreckensherrschaft an die Stelle des Evangeliums des Friedens. Die Röte der Scham drängt sich einem ins Gesicht beim Lesen von zwei heidnischen Rednern – Symmachus und Libannius – die bei der Verbreitung der Religion auf Walten der Vernunft und der Überzeugung drangen, während Theodosius und Ambrosius, ein christlicher Kaiser und ein Bischof, auf Gewalt und Zwang drangen.“
Nachdem Konstantin zur Oberherrschaft Roms gelangt war, war er geneigt, alle Religionen zu dulden, wie das berühmte Edikt von Mailand zeigt, welches jedermann im römischen Reich Religionsfreiheit gewährte. Solch Verfahren hätte von der christlichen Kirche mit Freuden begrüßt werden sollen, da sie ja unter den früheren Verfolgungen sich so sehr nach Freiheit gesehnt hatte; aber dies war nicht der Fall. Der echte Geist des Christentums war geschwunden, und das Streben der Kirche war jetzt, sich so rasch als möglich selbst zu erhöhen, indem sie jeden Freiheitsfunken auslöschte und alles sich unterwarf. Hierüber sagt Gibbon (Band 2, Seite 236):
„Seine (Konstantins) geistlichen Diener versuchten die Unparteilichkeit seiner Majestät zu vermindern und in ihm den Eifer eines Proselyten zu erwecken, … und von dem Augenblick an, da er dreihundert Bischöfe in den Mauern seines Palastes versammelte, vernichtete er die Hoffnung auf Frieden und Toleranz.“ Damals war es, dass der Kaiser zu der Erklärung überredet wurde, dass diejenigen, die sich in Glaubenssachen widersetzen würden, sich auf sofortige Verbannung gefasst machen müssten. Dieser Geist der Unduldsamkeit artete bald in bittere und unbarmherzige Verfolgung aus. Konstantin erließ zwei Strafgesetze gegen die Ketzer, die den nachfolgenden Kaisern – Valentinian, Gratian, Theodosius, Arkadius und Honorius – zum Muster dienten. Theodosius veröffentlichte 15, Arkadius 12, und Honorius nicht weniger als 18 dieser Statuten. Diese stehen in den theodosianischen und justinianischen Gesetzbüchern verzeichnet.
Was der Antichrist Ketzerei zu nennen beliebte (wovon vieles Wahrheit und Gerechtigkeit war, die sich aufrecht zu erhalten strebten), wurde als Unglaube gerechnet, und beide wurden von Königen, Kaisern und Theologen bekämpft und besonders erstere durch die Inquisition verfolgt. Als ungefähr am Anfang des dreizehnten Jahrhunderts die Wissenschaft wieder auflebte, und die Menschen aus dem Schlaf und den beunruhigenden Träumen des Finsteren Zeitalters zu erwachen anfingen, wurden diejenigen, aus deren Herzen die Wahrheit nicht gänzlich ausgerottet worden war, angetrieben, die Wahrheit zu erheben und den gröberen Irrtümern des Antichristen Widerstand zu leisten. Da erwachte aber der verfolgungssüchtige Geist des Antichristen erst recht zu voller Furte, um alle Opposition zu zermalmen.
Könige und Fürsten, welche um die Sicherheit ihrer Kronen zitterten, sobald sie irgendwie das Missfallen des Papstes auf sich gezogen hatten, und deren Reiche mit dem gefürchteten Kirchenbann belegt werden konnten, wenn sie oder ihre Untertanen sich weigern sollten, den Befehlen des Papstes absoluten Gehorsam zu leisten, wurden beschworen, die Ketzerei auszurotten, und gewarnt, ihre Gebiete von ketzerischer Widerspenstigkeit zu reinigen; sonst würde ihnen die Herrschaft entzogen. Und diejenigen Edelleute, die es versäumten, am Werk der Verfolgung mitzuhelfen, gingen ihrer Güter verlustig. Könige und Fürsten waren mithin nicht säumig in ihren Anstrengungen, den Befehlen des Papsttums gemäß zu handeln; und die Barone und deren Dienstmannen standen zu Diensten, an dem Werk der Vernichtung zu helfen.
Schon vor diesem Erwachen, bereits im Jahre 630, zwang das Konzil zu Toledo den König von Spanien, vor seiner Thronbesteigung zu schwören, keine ketzerischen Untertanen in den spanischen Besitzungen dulden zu wollen, und erklärte, dass derjenige Herrscher, welcher diesen Eid verletzen würde, „vom Angesicht des ewigen Gottes verflucht sein und zum Brennstoff des ewigen Feuers werden sollte.“ Aber die Tragweite solcher Forderungen wurde viel vollständiger verwirklicht, als das Erwachen eintrat, und der Antichrist den Höhepunkt seiner Macht erreicht hatte.
Das Konzil zu Oxford im Jahre 1160 überwies eine Gesellschaft von Waldensern, die von Gasconien nach England eingewandert waren, dem weltlichen Arm zur Bestrafung. Demzufolge befahl Heinrich, der Zweite, Männer und Frauen öffentlich auszupeitschen, sie an der Wange mit einem glühenden Eisen zu brandmarken und halbnackt aus der Stadt in den eisigen Winter hinaus stoßen; und niemandem wurde gestattet, sich ihrer zu erbarmen und ihnen die geringste Hilfe zu erweisen. Kaiser Friedrich von Deutschland, 1224, verurteilte Ketzer jeder Art zum Feuertod, ihr Eigentum zur Beschlagnahme und ihre Nachkommen, es sei denn, sie wurden selbst Verfolger, zum Ehrverlust. König Ludwig von Frankreich veröffentlichte im Jahre 1228 Gesetze zur Ausrottung der Ketzerei und erzwang ihre Durchführung. Er zwang den Grafen Raimund von Toulouse, die Ausrottung der Irrlehre in seiner Herrschaft vorzunehmen und dabei weder Lehnsmann noch Freund zu verschonen.
Den ersten Machtübergriffen gegenüber, aus denen sich nach und nach das päpstliche System entwickelte, wurde Widerstand geleistet. Aber dieser Widerstand geschah nur von Seiten einiger Treuer, deren Einfluss der überwältigenden Strömung der Verweltlichung gegenüber, die in der Kirche herein fegte, nur wenig ausrichten konnte. Sobald etliche den Irrtum entdeckten, zogen sie sich nach und nach und still von dem großen Abfall zurück, um Gott nach ihrem Gewissen zu verehren, selbst auf die Gefahr der Verfolgung hin. Bedeutender unter diesen waren die, welche man später Waldenser, Albigenser, Wiklifiten und Hugenotten nannte. Sie alle, obwohl mit verschiedenen Namen bezeichnet, hatten doch, soweit wir urteilen können, denselben Ursprung und denselben Glauben. Der „Waldensianismus“, sagt Raimarus (3.4), der berühmte Inquisitor des dreizehnten Jahrhunderts, „ist die älteste Ketzerei und bestand nach Einiger seit der Zeit des Papstes Sylvester, nach Anderen seit der Zeit der Apostel.“ Sylvester war Papst, als Konstantin Kaiser wurde und sich zum Christentum bekannte. Hieraus ist ersichtlich, dass die Wahrheit nie ohne ihre Vertreter war, die, obgleich gering und unpopulär, dennoch mutig dem Papsttum und den päpstlichen Lehren vom Fegefeuer, der Bilderverehrung, der Anrufung der Heiligen, der Anbetung der Jungfrau Maria, der Gebete für die Toten, der Transsubstantiation (Umwandlung von Brot und Wein in den Leib Christi), der Ehelosigkeit der Geistlichen, dem Ablass, der Messe usw. widerstanden. Sie verwarfen Wallfahrten, Festlichkeiten, das Verbrennen von Weihrauch, geweihte Begräbnisse, den Gebrauch von heiligem Wasser, priesterliche Gewänder, Mönchstum usw. Sie hielten dafür, dass man die Lehren der Heiligen Schrift annehmen sollte und nicht die Traditionen und Behauptungen der Kirche Roms. Sie hielten den Papst für das Haupt aller Irrtümer und lehrten, dass Vergebung der Sünden allein durch das Verdienst Jesu Christi erlangt werden könne.
Mit ihrem Glauben und ihrem Tun traten sie für eine Reformation in die Schranken und waren ein beständiger Protest gegen den Irrtum, lange vor Luthers Zeit. Wie alle Gegner des Romanismus wurden auch sie durch päpstliche Kundschafter aufgespürt und gehasst und mit unbarmherziger Wut verfolgt. Die Waldenser und Albigenser waren die zahlreichsten Gemeinschaften, die gegen das Papsttum protestierten, und als das wissenschaftliche Erwachen des dreizehnten Jahrhunderts kam, waren sie es hauptsächlich, von denen die Wahrheit hinaus leuchtete, die in den kräftigen Worten Wiclifs, Huß, Luthers und anderer widerhallte. Und ihre Lehren, durch ihre Einfachheit und Sittlichkeit getragen, leuchteten mit um so größerem Glanz im Gegensatz zu der offenbaren Unsittlichkeit des damaligen Papsttums.
Um diese Zeit war es, dass Päpste, Konzilien, Theologen, Könige, Kreuzritter und Inquisitoren ihre teuflische Macht verbanden, um jeden Gegner auszurotten, die geringsten Strahlen des dämmernden Lichtes zu löschen. Der Papst Innozenz, der Dritte, sandte zuerst Missionare in die Distrikte, in welchen die Lehren der Albigenser Fuß gefasst hatten, um den Romanismus zu predigen, Wunder zu verrichten usw. Als er aber diese Bemühungen vergeblich fand, schrieb er einen Kreuzzug gegen sie aus und bot allen, die sich daran beteiligen würden, Vergebung der Sünden und einen direkten Pass zum Himmel an, ohne dass sie durchs Fegefeuer zu gehen hätten. Voll Vertrauen auf des Papstes Macht, den verheißenen Lohn geben zu können, scharten sich eine halbe Million Menschen – Franzosen, Deutsche und Italiener – um die Kreuzesfahne zur Verteidigung des Katholizismus und zur Vertilgung der Ketzerei. Nun folgte eine Reihe von Kriegen und Belagerungen, die einen Zeitraum von 20 Jahren decken. Die Stadt Beziers wurde im Jahre 1209 erstürmt und, wie verschiedene Historiker berichten, fielen ihre Bürger, sechzigtausend an der Zahl, ohne Unterschied des Geschlechtes und des Alters, dem Schwerte zum Opfer. Das Blut derer, die in die Kirche flüchteten und dort von den heiligen (?) Kreuzrittern gemordet wurden, floss um die Altäre und durch die Straßen.
Die Stadt Lavour wurde im Jahre 1211 belagert. Der Gouverneur wurde gehängt, seine Frau in einen Brunnen gestürzt und von Steinen zerquetscht. Die Bürger wurden ohne Unterschied getötet; vierhundert lebendig verbrannt. Die blühende Landschaft Languedoc wurde verheert, ihre Städte verbrannt und die Einwohner mit Feuer und Schwert hinweg gefegt. Man nimmt an, dass an einem einzigen Tage hunderttausend Albigenser gefallen und ihre Körper zusammengehäuft und verbrannt worden seien.
All dieses Wälzen im Blut und diese Greuel geschahen im Namen der Religion: angeblich zur Ehre Gottes und der Kirche, aber in Wirklichkeit zur Aufrechterhaltung des Antichristen, der sich in den Tempel Gottes (in die Kirche) gesetzt hat und vorgibt, er sei Gott – ein Mächtiger – der seine Feinde überwinden und zerstreuen kann. Die Geistlichkeit dankte Gott für dieses Werk der Zerstörung; und für den herrlichen Sieg zu Lavour wurde zum Preis Gottes ein Lied komponiert und gesungen. Das schreckliche Blutbad zu Beziers hielt man für das „sichtbare Gericht des Himmels“ über die albigensische Ketzerei. Am Morgen wohnten die Kreuzfahrer der Hochmesse bei und den Tag hindurch setzten sie ihr Werk, die Landschaft Languedoc zu verwüsten und die Einwohner umzubringen, fort.
Man beachte jedoch, dass diese offenen Kreuzzüge gegen die Albigenser und Waldenser nur deshalb unternommen wurden, weil die Ketzerei einen zu großen Umfang in diesen Gemeinden erlangt hatte. Es wäre ein großer Irrtum anzunehmen, dass diese Kreuzzüge die einzigen Verfolgungen gewesen seien. Das ruhige, stetige Erdrücken einzelner Persönlichkeiten, das nach Tausenden zählte, ging in dem großen Gebiet des Papsttums stetig vor sich. Wahrlich, die Heiligen des Höchsten wurden aufgerieben.
Karl, der Fünfte, Kaiser von Deutschland und König von Spanien und der Niederlande, verfolgte die Freunde der Reformation in seinem ganzen ausgedehnten Reich. Durch den Reichstag zu Worms unterstützt, tat er Luther und dessen Anhänger und Schriften in die Acht und verurteilte alle, die Luther helfen oder seine Bücher lesen würden, zum Verlust ihrer Güter, zur Reichsacht und zur Strafe des Hochverrats. In den Niederlanden wurden die Männer, welche Luther anhingen, enthauptet und die Frauen lebendig begraben, oder, wenn halsstarrig, den Flammen überliefert. Obgleich dieses ganze Massen dem Tode überliefernde Gesetz nicht ausgeführt wurde, so ging doch das Todeswerk in allen seinen schrecklichen Gestalten immer weiter. Der Herzog von Alba rühmte sich, in sechs Wochen 18.000 Protestanten hingerichtet zu haben. Parlo rechnet die Zahl derer, die ihrer Religion wegen in den Niederlanden hingerichtet wurden, auf 50.000. Grotius gibt die Zahl der belgischen Märtyrer auf 100.000 an. Sterbend ermahnte Karl noch seinen Sohn, Philipp, den Zweiten, das von ihm begonnene Werk der Verfolgung und Ausrottung der Ketzerei zu vollenden, welchen Rat Philipp zu befolgen nicht säumig war. Fürchterlich fachte er den Verfolgungsgeist an und übergab die Protestanten ohne Unterschied und ohne Erbarmen den Flammen.
Franz und Heinrich, die französischen Könige, folgten in ihrem Eifer für den Katholizismus und in der Ausrottung der Ketzerei dem Beispiel Karls und Philipps. Das Gemetzel zu Merindol, Orange und Paris sind gewaltige Beispiele ihres Eifers für die Sache des Antichristen. Das Gemetzel von Merindol, das vom französischen König geplant und vom französischen Senat gutgeheißen worden war, wurde dem Präsidenten Oppeda zur Ausführung übertragen. Der Präsident war angewiesen, die Einwohner zu töten, die Städte zu verbrennen und die Burgen der Waldenser, von denen eine große Anzahl in jener Gegend wohnte, zu zerstören. Römisch-katholische Geschichtsschreiber geben zu, dass infolge dieses Auftrages Tausende von Männern, Weibern und Kindern geschlachtet wurden; vierundzwanzig Städte wurden ruiniert und das Land wüste und öde gemacht. Männer, Weiber und Kinder flohen in die Wälder und auf die Berge, um sich zu retten. Sie wurden verfolgt und vom Schwert ereilt. Viele, die in den Städten geblieben, ereilte dasselbe oder ein noch schlimmeres Schicksal. 500 Frauen wurden in eine Scheune gesperrt, welche sodann angezündet wurde, und die etwa aus den Luken sprangen, wurden mit Speeren aufgefangen. Frauen wurden vergewaltigt und Kinder angesichts ihrer ohnmächtigen Eltern ermordet. Einige wurden über Abhänge gestürzt, andere nackend durch die Straßen geschleift.
Das Blutbad zu Orange im Jahre 1562 war von ähnlicher Art und ist von katholischen Geschichtsschreibern genau beschrieben worden. Die italienische Armee, die Papst Pius, der Vierte, aussandte, hatte Befehl, Männer, Frauen und Kinder zu töten, und der Befehl wurde mit schrecklicher Grausamkeit befolgt. Die verteidigungslosen Ketzer wurden mit dem Schwert erwürgt, von Abhängen gestürzt, auf die Spitzen von Haken und Dolchen geschleudert, gehängt, langsam über Feuer geröstet, der Scham und Folter jeglicher Art preisgegeben.
Die Hinmetzelung in Paris in der St.-Bartholomäus-Nacht am 24. August 1572 glich an Grausamkeit denjenigen von Merindol und Orange, aber übertraf sie beide an Ausdehnung. Auch diese ist von katholischen Historikern umständlich beschrieben worden. Einer derselben, Thuanus, brandmarkt sie als eine „bestialische Grausamkeit, die ohnegleichen in aller Vergangenheit dastehe.“ Das Läuten der Sturmglocke zur Mitternacht des 23. August gab das Signal der Vernichtung, und die schauerlichen Szenen von Merindol und Orange wiederholten sich an den gehassten Hugenotten. Sieben Tage währte dieser Todeskarneval. Die Stadt schwamm im Blut. Im Schloss lagen die Erschlagenen hoch aufgehäuft, und der König und die Königin schauten mit äußerster Genugtuung darauf herab. Die Leiche des Admirals Coligny wurde durch die Straßen geschleift, und die Seine war mit schwimmenden Leichnamen bedeckt. Die Angaben, wie viele getötet worden seien, schwanken zwischen 5.000 und 10.000. Das Vernichtungswerk war auch nicht auf Paris allein beschränkt, sondern erstreckte sich weit über den französischen Staat hin. Am Tag vorher waren nach allen Richtungen hin Boten ausgesandt worden, um die allgemeine Abschlachtung sämtlicher Hugenotten anzuordnen. Dieselben Szenen wurden so in beinahe allen Provinzen ins Werk gesetzt, und die Zahl der Erschlagenen auf 25.000-70.000 geschätzt.
An dieser schauderhaften Menschenschlächterei hatte der Antichrist seine höchste Befriedigung. Der Papst und sein Hof jubelten ob des Sieges des Katholizismus über den Waldensianismus zu Merindol und der gottlose Oppeda wurde „der Verteidiger des Glaubens und der Held der Christenheit“ genannt. Der französische König ging zur Messe und stattete Gott feierlich Dank ab für den Sieg über die Hugenotten in Paris und deren Ermordung. Dieses Blutbad, das vom französischen König, vom Parlament und den römisch-katholischen Untertanen gutgeheißen wurde, geschah wahrscheinlich auf direktes Aufhetzen von Seiten des Papstes und seiner Hierarchie. Dass es von Oben gutgeheißen wurde, erkennt man aus der Tatsache, dass die Nachricht davon am päpstlichen Hof mit großer Freude entgegengenommen wurde. Papst Gregor, der Dreizehnte, ging in großer Prozession zur Kirche des heiligen Ludwig, um Gott für den herrlichen Sieg zu danken. Er verkündigte sofort ein Jubiläum und sandte einen Nuntius (päpstlichen Gesandten) an den französischen Hof, der im Namen des Papstes diese so lang überdachte und so glücklich zum Wohle der Religion ausgeführte Tat pries. Zum Andenken an dieses Blutbad ließ der König eine Denkmünze mit folgender Inschrift prägen: „Pietas excitavit Justitiam“ („Die Frömmigkeit erweckte die Gerechtigkeit“).
Auch in der päpstlichen Münze wurden zum Gedächtnis des Ereignisses Denkmünzen geprägt. Eine derselben ist jetzt in der Antiquitäten-Halle zu Philadelphia in Pennsylvanien zur Schau gestellt. Die Vorderseite stellt eine erhabene Figur des Papstes dar und die abgekürzte Inschrift: „Gregorius, der Dreizehnte, Pontifex Maximus, anno 1“ – das erste Jahr seines Pontifikates – nämlich 1572. Die Kehrseite der Schaumünze stellt einen Würgeengel dar, mit einem Kreuz in der linken und einem Schwert in der rechten Hand, vor welchem, niedergestreckt und fliehend, ein Häuflein Hugenotten, Männer, Weiber und Kinder dargestellt sind, deren Gesichter und Figuren Schrecken und Verzweiflung ausdrücken. Darunter die Worte, „Ugonottorum Strages 1572“, das heißt: „Blutbad der Hugenotten 1572“.
Im Vatikan wurde ein Bild von der St.-Bartholomäus-Metzelei aufgehängt, über welchem in lateinischer Sprache angebracht war: „Der Papst billigt den Tod des Coligny.“ Coligny war einer der angesehensten Führer der Hugenotten und einer der ersten, die fallen mussten. Nachdem er umgebracht war, wurde sein Haupt vom Rumpf getrennt und der Königin gesandt, die dasselbe einbalsamieren und als Trophäe nach Rom schicken ließ, seinen Körper dagegen schleifte der Pöbel durch die Straßen von Paris. Den König erfassten bald darauf die Schrecken der Reue, von denen er sich nie mehr erholte. Man erzählt von ihm, dass er zu seinem Leibarzt gesagt habe: „Ich weiß nicht, was mir ist, aber an Geist und Körper zittere ich wie im Fieber. Jeden Augenblick, ob wachend oder schlafend, scheint es mir, als ob sich mir verstümmelte Körper mit scheußlichen Gesichtern und mit Blut bedeckt, vorstellten.“ Er starb in großer Todesangst, mit blutigem Schweiße bedeckt.
Im Jahre 1641 verkündete der Antichrist in Irland einen Religionskrieg und stachelte das Volk auf, die Protestanten durch jedes zu Gebote stehende Mittel umzubringen. Das betörte Volk folgte dem Befehl als der Stimme Gottes und säumte nicht, diesen Auftrag auszuführen. Reichlich floss der Protestanten Blut durch die Straßen Irlands. Häuser wurden eingeäschert, und Dörfer und Städte nahezu zerstört. Etliche zwang man, ihre eigenen Angehörigen zu morden und dann sich selbst das Leben zu nehmen. Die letzten Worte, welche an ihre Ohren schlugen, waren Zusicherungen der Priester, ihre Todesschmerzen seien nur der Anfang ewiger Qualen. Tausende starben vor Hunger und Kälte, während sie nach anderen Ländern auszuwandern strebten. In Cavan war die Landstraße zwölf Meilen weit mit Blutspuren der Flüchtlinge befleckt. Sechzig Kinder wurden von ihren wütend verfolgten Eltern auf der Flucht preisgegeben; und man machte bekannt, wer diesen Kleinen irgendwie beistehen würde, solle an ihrer Seite begraben werden. Siebzehn Erwachsene wurden zu Fermaugh lebendig begraben, 72 in Kilkenny. In der Provinz Ulster allein wurden über 154.000 niedergemetzelt oder aus Irland vertrieben.
O’Niel, der Primas von Irland, nannte dies „einen heiligen und gerechten Krieg“, und der Papst (Urban, der Siebente) erließ eine Bulle, vom Mai 1643 datiert, wodurch er allen „volle und absolute Vergebung der Sünden“ gewährte, die „ritterlich teilgenommen, den ansteckenden Sauerteig der ketzerischen Seuche mit der Wurzel auszurotten.“
Die Inquisition oder „der heilige Dienst“
Dem Dominikus, dem leitenden Geist in diesem Kreuzzug, wird die Ehre zugeschrieben, die teuflische (höllische) Inquisition erfunden zu haben. Benedikt jedoch, der die Ehre (?), der erste Inquisitionsgeneral gewesen zu sein, mit Eifer dem St. Dominikus zuschreibt, ist darüber im Zweifel, ob die Idee von Papst Innozenz oder von Dominikus ausging. Sie wurde durch Innozenz, den Dritten, im Jahre 1204 eingeführt.
St. Dominikus war ein Scheusal ohne jedes Mitgefühl, das sein höchstes Vergnügen in Szenen der Qual und des Elends zu finden schien. Während des Kreuzzuges gegen die Albigenser führte und feuerte er das Kreuz in der Hand die heiligen(?) Krieger zum Totschlag und zur Zerstörung an. Die Inquisition oder der heilige Dienst ist heutzutage ein Tribunal in der römischen Kirche zur Entdeckung, Unterdrückung und Bestrafung von Irrlehren und anderen Vergehen gegen die Kirche Roms. (Der Stuhl Petri, Seite 589) Aber zu Dominikus Zeit hatte sie noch keinen gesetzlichen Gerichtshof, auch waren die Marterwerkzeuge noch nicht zu der Vervollkommnung späterer Tage gelangt. Dessen ungeachtet erfand Dominikus auch ohne solche Maschinerie reichliche Peinigungsmittel, Gelenke zu verrenken, Nerven auszurupfen und die Gliedmassen seiner Opfer abzureißen und auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, welche durch kein anderes Mittel von ihrer Überzeugung abzubringen waren, noch ihrem Glauben und ihrer Freiheit entsagen wollten.
Von Papst Innozenz beauftragt, die Ketzer, welche sein Evangelium nicht annehmen wollten, mit Verlust des Eigentums, Konfiskation, Verbannung und Tod zu strafen, stachelte Dominikus die weltliche Obrigkeit und das Volk auf, die ketzerischen Waldenser niederzumetzeln; und hundertachtzig Albigenser überlieferte er auf einmal den Flammen. Für solche Treue im Dienst des Antichristen wurde er heilig gesprochen, und noch heute wird er von römischen Katholiken verehrt und angebetet. Das römische Brevier (eine Art Gebetbuch), auf St. Dominikus Bezug nehmend, preist „seine Verdienste und Lehren, welche die Kirche erleuchteten“; lobt seine Geschicklichkeit und seinen Mut, welche die tolosanischen Ketzer überwand; und rühmt seine vielen Wunder, die sich sogar bis zur Erweckung Toter steigerten. Das römische Messbuch (das ein mit der Austeilung des heiligen Abendmahles verbundenes Formular enthält) hebt seine Verdienste hervor und bittet um seine Vermittlung für irdische Beihilfe. So hält der Antichrist seine getreuen Heroen in Ehren.
Es würde unmöglich sein, in kurzen Zügen eine einigermaßen richtige Vorstellung von den Schrecken der Inquisition oder von der entsetzlichen Furcht, die das Volk vor ihr hatte, zu geben. Wer nicht laut das Lob des Antichristen sang oder etwas an ihm zu tadeln wagte, wurde der Ketzerei verdächtigt. Und ohne vorhergehende Warnung oder gesetzlichen Beistand konnten solche Leute auf unbestimmte Zeit bis zum gelegentlichen Verhör eingekerkert werden. Ankläger und Anklage blieben ihnen oft gleich unbekannt. Das Gerichtsverfahren war geheim, und ein Qualverfahren wurde zur Erpressung von Geständnissen angewandt. Die angewandten Quälereien waren fast zu schrecklich, um von uns in unserer Zeit und in diesem Land der Freiheit für damals möglich gehalten zu werden, und doch wird die Wirklichkeit derselben von Zeugen bestätigt, die selbst römisch-katholische Historiker nicht verwerfen können; und ihre fruchtlosen Versuche, dieselben zu verteidigen, dienen nur zur Bekräftigung dieser Zeugnisse. Noch vorhandene Marterwerkzeuge, Reliquien (Überbleibsel) der Inquisition machen Leugnen nutzlos. Der „heilige Dienst“ stellte sogar Ärzte an, um den Fortschritt der Tortur (Qual) zu beobachten und mit derselben einzuhalten, wenn der Tod die Dulder zu erlösen schien. Dann gestattete man dem Opfer, sich teilweise wieder zu erholen, damit die Tortur noch einmal, ja zum drittenmal angewandt werden könnte. Diese Torturen wurden nicht immer als Strafe für das Vergehen der Ketzerei angewandt; für gewöhnlich dienten sie dazu, den Angeschuldigten zum Geständnis, zum Widerruf zu zwingen oder andere zu verwickeln, je nachdem es der Fall war.
Sogar im gegenwärtigen Jahrhundert, nachdem die Inquisition viele ihrer Schrecken verloren hatte, war sie noch entsetzlich genug. Der Geschichtsschreiber der Kriege Napoleons, die Einnahme Toledos durch dessen Armee beschreibend, erwähnt zufällig das Öffnen des Inquisitionskerkers und sagt:
„Es schienen die Gräber sich zu öffnen und bleiche Gestalten, Gespenstern gleich, entstiegen den unterirdischen Kerkern, denen Grabesgeruch entströmte. Über die Brust herabreichende Bärte und Nägel, Vogelkrallen gleich, entstellten die armen Skelette, welche mit keuchender Brust zum erstenmal seit einer langen Reihe von Jahren die frische Luft einatmeten. Ihrer viele waren zu Krüppeln geworden; das Haupt war nach vorn geneigt, die Arme steif und hilflos herabhängend. In so niedrigen Höhlen waren sie eingesperrt gewesen, dass sie darin nicht aufstehen konnten und, trotz aller Vorsicht der (Armee-) Ärzte, verendeten noch viele an demselben Tag. Am folgenden Tag untersuchte General Lasalle, begleitet von verschiedenen Offizieren seines Stabes, jenen Ort ganz genau. Die Anzahl der Martermaschinen machte sogar die an die Schrecken des Schlachtfeldes gewöhnten Männer schaudern.
„In einem an der Untersuchungshalle angrenzenden Seitenwinkel in einem unterirdischen Gewölbe stand eine von Mönchen verfertigte hölzerne Figur, die Jungfrau Maria vorstellend. Ein goldener Heiligenschein umgab ihr Haupt, und in ihrer rechten Hand hielt sie ein Banner. Auf den ersten Blick schöpften alle Verdacht, dass trotz der seidenen Hülle, die in weiten Falten von ihren Schultern hing, sie einen Harnisch anhätte. Bei genauer Untersuchung sah man, dass die Vorderseite der Figur mit äußerst scharfen Nägeln und kleinen, schmalen Messerklingen gespickt war, deren Spitzen dem Beschauer entgegen starrten. Die Arme und Hände waren mit Gelenken versehen, und eine Maschine hinter der Wand setzte die Figur in Bewegung. Einer der Inquisitionsdiener wurde auf Befehl des Generals gezwungen, die Maschinerie, wie er es nannte, arbeiten zu lassen. Als die Figur ihre Arme ausbreitete, wie wenn sie jemand zärtlich ans Herz drücken wollte, ließ man den wohlgefüllten Schnappsack eines polnischen Grenadiers die Stelle eines lebenden Opfers einnehmen. Die Statue umarmte ihn fester und fester, und als der Wärter auf Befehl die Figur ihre Arme öffnen und in ihre vorige Stellung zurückkehren ließ, war der Schnappsack zwei bis drei Zoll tief durchbohrt und blieb an den Spitzen der Nägel und Messerklingen hängen.“
„Folterbänke“ verschiedener Art wurden ersonnen und als Foltermittel angewandt; eine der einfachsten Methoden wird so erklärt: Dem von allen Kleidern entblößten Opfer wurden die Arme mit einem rauen Seil auf den Rücken gebunden, an welchem man es vermittelst eines Flaschenzuges, die Füße mit Gewichten beschwert, vom Boden hob. Dann wurde der Dulder verschiedene Male fallen gelassen und mit einem Ruck wieder in die Höhe geschnellt, wodurch Arme und Beine aus ihren Gelenken gerissen wurden, während das Seil, an dem er hing, ihm bis auf die Knochen ins Fleisch schnitt.
Eine Erinnerung an solche im Namen Jesu begangene Schändlichkeit kam längst zu öffentlicher Notiz. Da das Druckereilokal einer Bibelgesellschaft in Rom nicht mehr geräumig genug war, mietete diese einen großen Raum nahe beim Vatikan. Ein eigentümlicher Ring an der Decke lenkte die Aufmerksamkeit auf sich, und die Nachfrage ergab, dass das Zimmer, in welchem man jetzt beschäftigt ist, die Bibel zu drucken – „das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes“, wodurch der Antichrist machtlos wurde, noch ferner die Heiligen zu unterdrücken und auszumerzen – dasselbe Zimmer ist, das früher der Inquisition als Folterkammer diente. Der Ring ist wahrscheinlich gebraucht worden, um manchen geknebelten Dulder zu foltern.
Die der Ketzerei Überführten wurden manchmal zu dem, was man einen „Glaubensakt“ nannte, verurteilt. Die kirchliche Autorität überlieferte den Verurteilten der weltlichen Macht, und die Geistlichen, Mitleid vorschützend, ersuchten die Obrigkeit, dem Verurteilten Mitleid zu erweisen, und, das Kreuz erhebend, redeten sie auf das Opfer ein, zu widerrufen und so sein gegenwärtiges wie zukünftiges Leben zu retten. Die Obrigkeit kannte ihre Rolle zu gut und erwies keine Gnade, ausgenommen solchen, die widerriefen, und erlangte dafür den Segen und den Titel „Verteidiger des Glaubens“ und „Ausrotter der Ketzerei“. Der verurteilte Ketzer wurde in einen gelben Rock gekleidet, der mit Bildern von Hunden, Schlagen, Flammen und Teufeln bemalt war, und auf den Richtplatz geführt, an den Pfahl gebunden und den Flammen überliefert.
Torquemada, ein anderer berühmter Generalinquisitor, zeigte so recht den antichristlichen Geist. Römisch-katholische Schriftsteller räumen ein, dass er 10.220 Personen, Männer, Weiber und Kinder, lebendig verbrennen ließ. Llorente, welcher drei Jahre lang Generalsekretär der Inquisition gewesen war und Zugang zu allen schriftlichen Belegen hatte, zeigt in seinem im Jahre 1817 (4. Bd.) veröffentlichten Bericht, dass in der Zeit von 1481 bis 1808 auf Befehl dieses „heiligen Dienstes allein“ nicht weniger als 31.912 Personen verbrannt und nahezu 300.000 gepeinigt und zu schweren Strafen verurteilt worden sind. Jedes römisch-katholische Land in Europa, Asien und Amerika hatte seine Inquisition.
Wir können diesem allem hier nicht nachspüren, wie der Antichrist alles, was an Reform heran reifte oder Gewissens- und politischer Freiheit ähnlich sah, verfolgte. Es genüge zu sagen: Diese Verfolgungen erstreckten sich über jedes Land, wo das Papsttum Fuß gefasst hatte – Deutschland, Holland, Polen, Italien, England, Irland, Schottland, Frankreich, Spanien, Portugal, Abessinien, Indien, Kuba, Mexiko und einige südamerikanische Staaten. Aus demselben Grund können wir auch die einzelnen Fälle nicht aufzählen, die dazu dienen würden, zu zeigen, dass viele der Märtyrer wahre Heilige und Helden waren, die unter den entsetzlichsten Leiden höchst begnadigt und oft auch fähig waren, während sie Zoll für Zoll starben, dem wahren Haupt der wahren Kirche Lob- und Danklieder zu singen und gleich ihm, für ihre Feinde zu beten, die sie um seines Namens willen verfolgten, wie er vorhergesagt hatte. (Anmerkung: Solche, die weitere Berichte über diese schrecklichen Zeiten und Schauspiele begehren, erhalten in allen größeren Bücherverlagen Auskunft.)
Und aus demselben Grund wollen wir auch nicht einzelne Fälle von den entsetzlichen und herzzerreißenden Torturen namhaft machen, die einigen der Juwelen des Herrn, um der Treue ihrer Überzeugung willen, auferlegt wurden. Von solchen, die, wie es scheint, die Sache gründlich untersucht haben, wird angenommen, dass das Papsttum während der vergangenen dreizehn Jahrhunderte direkt oder indirekt, den Tod von fünfzig Millionen Menschen veranlasst hat. Und man kann mit Sicherheit sagen, dass menschliche und satanische Geschicklichkeit aufs äußerste angestrengt wurden, um sowohl für politische als auch für religiöse Gegner des Papsttums neue und schreckliche Qualen zu ersinnen. Letztere – die Ketzer – wurden mit zehnfacher Wut verfolgt. Außer der gewöhnlichen Weise der Verfolgung und der Hinrichtung, wie Foltern, Verbrennen, Ertränken, Erdolchen, Verhungern lassen und Erschießen mit Pfeilen und Flinten, haben teuflische Menschen nachgesonnen, wie die zartesten und empfindlichsten und marterfähigsten Körperteile am besten angegriffen werden könnten. Man goss geschmolzenes Blei in die Ohren, riss Zungen aus und goss Blei in den Mund. Räder mit daran befestigten Messerklingen wurden hergerichtet, und das Opfer damit langsam in Stücke zerschnitten; glühende Scheren und Zangen wurden an empfindlichen Teilen des Körpers angewandt; Augen drückte man mit dem Daumen aus; Fingernägel riss man mit heißen Eisen ab; Löcher bohrte man durch die Ferse der Opfer und hing sie daran auf; etliche zwang man, aus einer Höhe herab auf unten angebrachte spitze, eiserne Stäbe zu springen, wo sie vor Schmerzen erzitternd, langsam dahinstarben. Einigen füllte man den Mund mit Schießpulver, das, entzündet, ihre Köpfe in Stücke riss; andere band man an Blasebälge fest und pumpte sie voll Luft, bis sie zerplatzten; andere hat man mit verstümmelten Stücken ihrer eigenen Körper, andere mit Urin, Kot usw. usw. zu Tode gewürgt. Unglaublich müssten einige dieser teuflischen Abscheulichkeiten erscheinen, wenn sie nicht zu wohl beglaubigt wären. Man sieht daraus, bis zu welcher Verderbnis das menschliche Herz sinken kann, und wie blind gegen Recht und jedes bessere Gefühl die Menschen unter dem Einfluss einer falschen After-Religion werden können. Wie der Geist des wahren Christus und die Macht und der Einfluss des wahren Reiches Gottes die Herzen der Menschen und ihre Handlungen erhöht und veredelt haben würde, und wie er es während des Millenniums tun wird, so entwürdigte und erniedrigte der Antichrist die Welt. Dies zeigt sich schon in geringem Grade an dem Fortschritt der Zivilisation und an der Zunahme von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, seitdem die Gewalt des Papsttums zu sinken begann, und man anfing, das Wort Gottes zu hören und, wenn auch nur oberflächlich, darauf zu achten. Solche unerhörten Greuel von Seiten der Obrigkeit wären heute nicht mehr möglich.
Wahrlich, nichts kann man sich erdenken, das besser geeignet gewesen wäre, die Menschheit zu verführen und zu unterdrücken. Jede verderbliche Neigung und Schwäche der gefallenen Menschen ist benutzt worden. Jede niedrige Leidenschaft wurde verwandt und angestachelt und deren Lüste befriedigt. Lasterhafte wurden angelockt und als ergebene Diener geworben, während solche von edlerem Schlag durch andere Mittel bewogen wurden – durch äußerlichen und heuchlerischen Schein von Frömmigkeit, Selbstverleugnung und Wohltätigkeit, wie es in den mönchischen Einrichtungen geschah; was aber nur dazu diente, viele derselben vom Pfad der Tugend abzulenken. Die Lustigen und Leichtfertigen fanden reichlich Genüge in den Aufzügen und in dem Gepränge, in der Pracht und den Zeremonien. Die Tatkräftigen und Ritterlichen fanden es in Missionen und Kreuzzügen, die Lasterhaften im Ablass, und die Grausamscheinheiligen in den Bewerkstelligungen zur Unterdrückung der Gegner.
Mit Staunen und Entsetzen fragen wir uns: Warum haben Könige und Fürsten, warum Kaiser und das ganze Volk solche Abscheulichkeiten geduldet? Warum haben sie sich nicht längst erhoben und den Antichristen gestürzt? Die Antwort findet sich in der Schrift (Offb. 18:3): Die Völker wurden trunken (abgestumpft), sie verloren ihren Verstand beim Trinken des gemischten Weines (der Mischung von falscher und wahrer Lehre), der ihnen von der abgefallenen Kirche gereicht wurde. Das Papsttum täuschte sie mit seinen anmaßenden Behauptungen und, um die Wahrheit zu sagen, nur teilweise sind sie aus ihrer Benebelung aufgewacht. Denn obschon die Gesandten der Könige nicht mehr vor dem Papst niederfallen und, wie in früheren Zeiten, ihn anreden: „Lamm Gottes, welches hinnimmt die Sünden der Welt“, noch auch ihn sich als einen Gott vorstellen, der Macht hat über alles „im Himmel und auf Erden“, so ist man doch noch weit davon entfernt, die Wahrheit zu erkennen – dass das Papsttum Satans Nachäffung des wahren Königreiches war und noch ist.
Wenn Könige und Soldaten solch unmenschlichen Werkes überdrüssig wurden, so war dies nicht bei der heiligen(?) Hierarchie der Fall. Das Generalkonzil von Sienna im Jahre 1423 erklärt, dass die Ausbreitung der Ketzerei in verschiedenen Teilen der Welt der Nachlässigkeit der Inquisitoren zuzumessen sei; zur Beleidigung Gottes, zur Schädigung des Katholizismus und zum Verderben der Seelen. Bei Gottes Barmherzigkeit wurden die Fürsten ermahnt, die Ketzerei auszurotten, wenn sie anders der göttlichen Rache entgehen wollten; und vollständiger Ablass wurde allen denen gewährt, die sich an dem Zerstörungswerk beteiligten oder Waffen zu diesem Zweck lieferten. Jeden Sonntag wurden diese Verfügungen in den Kirchen angekündigt; und der römisch-katholischen Theologen und Geschichtsschreiber sind nicht wenige, die ihre Federn zur Rechtfertigung, zur Empfehlung und zum Preisen der Verfolgung der Ketzerei ergriffen. Belarmy zum Beispiel sagt: „Die Apostel enthielten sich nur deshalb, die weltliche Macht anzurufen, weil es zu ihrer Zeit keine christlichen Fürsten gab.“ Doktor Dens, ein berühmter römisch-katholischer Theologe, veröffentlichte im Jahre 1758 ein Werk über Theologie, das von Papisten als maßgebende Autorität angesehen wird; besonders in ihren Hochschulen, wo es dieselbe Stellung einnimmt wie Blackstone im englischen Zivilgesetz. Durch das ganze Werk weht der Geist der Verfolgung. Es verurteilt die Beschützer der Ketzerei zu Konfiskation ihrer Güter, zur Landesverweisung, zur Einkerkerung, zur Todesstrafe und zum Verlust eines christlichen Begräbnisses.
Eine autorisierte Verfluchung, gegen Protestanten anzuwenden, die im römischen Pontifikat veröffentlicht wurde, lautet:
„Möge Gott und alle seine Heiligen sie mit dem Fluch verfluchen, womit der Teufel und seine Engel verflucht sind. Mögen sie aus dem Land der Lebendigen ausgetilgt werden. Mögen sie des schimpflichsten Todes sterben und hinabfahren in den Abgrund. Möge ihr Same vom Erdboden vertilgt werden. Durch Hunger, Durst und Blöße und alles Elend mögen sie umkommen. Möge sie alles Elend treffen, Pestilenz und Qual sie ereilen. Alles, was sie haben, sei verflucht. Sprechend und schweigend seien sie verflucht. Innen und außen seien sie verflucht. Vom Scheitel bis zur Fußsohle seien sie verflucht. Mögen ihre Augen blind, ihre Ohren taub, ihr Mund stumm werden; mögen ihre Zungen bis zur Kinnlade gespalten werden; mögen ihre Hände nicht hantieren, ihre Füße nicht gehen können. Alle Glieder ihres Leibes seien verflucht. Verflucht seien sie, stehend oder liegend, von nun an bis in Ewigkeit, und ihre Leuchte müsse verlöschen im Angesicht Gottes am Tage des Gerichts. Ihr Begräbnis sei bei den Hunden und Eseln. Hungrige Wölfe mögen ihre Leiber verschlingen; der Teufel und seine Engel immer und ewiglich ihre Gesellschafter sein. Amen, Amen! So sei es, und so möge es sein.“
Dies ist der Geist des Papsttums; und alle, die den Geist des wahren Christus besitzen, sollten sofort eine solche elende Nachäffung erkennen.
Da Irrtum in der Lehre diesen Verirrungen im Wandel zugrunde liegt, so kann man nicht zweifeln, dass, solange die Lehre unverändert bleibt, dieselben bösen Früchte und derselbe böse Geist in ähnlichen Werken der Ungerechtigkeit, der Bedrückung, des Aberglaubens, der Unwissenheit und der Verfolgung wieder zum Vorschein kommen würden. Zu allen und jeden nur erdenkbaren Mitteln würde man greifen, um das nachgefälschte Reich Gottes wiederherzustellen, es aufrecht zu erhalten und es auszubreiten. Zum Beweise hierfür führen wir ein Ereignis an, das wir vor einiger Zeit zu beobachten Gelegenheit hatten.
In Ahuehuetitlan, Guerrero, in Mexiko am 7. August 1887 wurde ein eingeborener, protestantischer Missionar, namens Gomer, nebst zwei Gehilfen auf Anstiften eines römisch-katholischen Priesters von den Eingeborenen kaltblütig ermordet. Tags zuvor bei der Messe hatte derselbe, wie man berichtet, das Volk angetrieben, „an den Dienern Satans“, die unter sie gekommen seien, „ein Exempel zu statuieren“, und fügte hinzu, sie könnten ruhig „töten“ und dabei auf den Schutz des Polizeihauptmanns wie des Priesters rechnen. Dem umnachteten Volk, wie der weltlichen Obrigkeit, waren die Worte des Priesters Gesetz. Der verstümmelte, in Stücke zerschossene und zerhackte Leichnam des armen Missionars wurde durch die Straßen geschleift und aller möglichen Beschimpfung ausgesetzt als Warnung für andere. Nichts konnte man dagegen tun.
Dem „New York Independent“, der auf dieses blutige Gemetzel die Aufmerksamkeit gelenkt hatte, wurde vom „Freeman“, einem einflussreichen römisch-katholischen Blatt, folgende Erwiderung zuteil:
„Sie (die protestantischen Missionare) sehen ehrliche Leute zur Ehre der Verkündigung und Inkarnation (Fleischwerdung) beim Klang des „Angelus“ knien. Die Bibel, sagen sie, wird solchen „Aberglauben“ bald ausfegen. Vor dem Bild der Mutter Gottes brennt ein Licht. „Ha“, schreit der Missionar, „wir werden das verfinsterte Volk bald lehren, dieses Symbol zu brechen!“ usw. Wenn das Töten einiger Missionare dieser Sorte bewirken würde, dass andere ihresgleichen zu Hause blieben, wären wir fast geneigt – wir Papisten sind so gottlos – zu sagen: „Vorwärts mit dem Tanz; lasst den Spaß fortgehen!“
Ein Prediger namens C. G. Moule erzählt eine traurige Geschichte, die in der Presse die Runde machte, über die Verfolgung von Robert Kalloy und den durch seine Arbeit Bekehrten in Madeira, welche, zur Strafe dafür, dass sie ein Körnlein Wahrheit empfangen hatten, mitsamt ihren Kindern, im ganzen etwa 1.000 Personen, des Landes verwiesen wurden.
Im sogenannten „protestantischen Preußen“ wurde Pastor Thümmel wegen „Beleidigung der römisch-katholischen Kirche“ eingesperrt. Er hatte in einem von ihm herausgegebenen Büchlein das Papsttum kritisiert und eine der darin enthaltenen „beleidigenden“ Bemerkungen ging dahin, dass das Papsttum „ein auf Aberglauben und Abgötterei erbauter Abfall sei“.
Unlängst entstand ein Streit zwischen Preußen und Spanien betreffs der Karolineninseln, und der Papst ließ sich zum Schiedsrichter ernennen, um den Streit zu schlichten. (Hierbei erinnert einen vieles an seine frühere Gewalt und Politik als Schiedsrichter oder Oberster Richter der Völker.) Der Papst entschied zugunsten Spaniens. Sofort wurde ein Kriegsschiff mit fünfzig Soldaten und sechs Priestern von Spanien abgeschickt. Bei ihrer Ankunft wurde Herr Duane, ein amerikanischer Missionar, ins Gefängnis gesteckt und von allem Verkehr mit seinen Neubekehrten abgeschnitten. Es geschah dies ohne alle Ursache, nur weil er sich weigerte, sein Missionswerk und sein Eigentum den Priestern auszuliefern; denn da die Inseln jetzt Spanien gehörten, und Spanien dem Papst gehörte, so könne keine andere Religion als die des Papstes geduldet werden.
Ein Herr, ein vormalig römischer Katholik und ein Freund des Verfassers, berichtet, dass, als er unlängst in Südamerika reiste, er mit Steinen angegriffen wurde und für sein Leben fliehen musste, weil er weder sein Haupt entblößen, noch niederknien wollte, als der römische Priester mit Kreuz und Hostie die Straße entlang ging. Und ein ähnlicher Fall, in dem drei Amerikaner von den Priestern geschlagen, vom Pöbel misshandelt und wegen eines ähnlichen Vergehens von der Polizei in Madrid arretiert wurden, ist ohne Zweifel noch frisch im Gedächtnis vieler, die die Tagesblätter lesen.
„Der bekehrte Katholik“ zitierte dem „Watchman“, einem römisch-katholischen, in St. Louis, Mo., erscheinenden Blatt:
„Protestantismus! Wir würden ihn ausweiden und vierteilen. Wir würden ihn pfählen und als Krähennest aufhängen. Wir würden ihn mit Zangen zerreißen und ihn mit heißen Eisen brennen. Mit geschmolzenem Blei würden wir ihn füllen und hundert Klafter tief im höllischen Feuer versenken.“
Bei solchem Geist wäre es im Licht der Vergangenheit sehr wahrscheinlich, dass der Herausgeber des „Watchman“, wenn er die Macht dazu hätte, seine Drohungen gegen den Protestantismus sehr bald auf die Anhänger des Protestantismus ausdehnen würde.
In Barcelona, in Spanien, wurde jüngst auf Befehl der Regierung eine große Anzahl Bibeln verbrannt – natürlich auf Anstiften der Kirche Roms. Das Folgende aus dem katholischen Banner, dem dortigen päpstlichen Organ, übersetzt, zeigt, dass sie diese Tat guthießen und wohl zufrieden damit waren. Es sagt:
„Gott sei Dank, endlich wenden wir uns der Zeit wieder zu, da die, welche ketzerische Lehren verbreiten, mit exemplarischen Strafen gestraft werden. Die Wiedereinsetzung des heiligen Tribunals der Inquisition muss bald wieder stattfinden. Herrlicher wird ihre Herrschaft sein und mehr Resultate erzielen als in der Vergangenheit. Unser katholisches Herz fließt von Glauben und Enthusiasmus über, und die unermessliche Freude, die wir empfinden, wenn wir die Frucht unseres gegenwärtigen Feldzuges zu ernten beginnen, übersteigt alle Vorstellung. Welch Freudentag wird das für uns sein, wenn wir die Antiklerikalen in den Flammen der Inquisition sich krümmen sehen werden!“
Einen neuen Kreuzzug ermutigend, sagt dasselbe Blatt: „Wir halten es für billig, die Namen jener heiligen Männer zu veröffentlichen, unter deren Hände so viele Sünder litten, damit gute Katholiken ihr Andenken ehren können:
Von Torquemado: | |
Männer und Frauen lebendig verbrannt | 10.220 |
Im Bilde verbrannt | 6.840 |
Zu anderen Strafen verurteilt | 97.371 |
Von Diego Deza: | |
Männer und Frauen lebendig verbrannt | 2.592 |
Im Bilde verbrannt | 829 |
Zu anderen Strafen verurteilt | 32.952 |
Von Kardinal Jiminez de Cisneros: | |
Männer und Frauen lebendig verbrannt | 3.564 |
Im Bilde verbrannt | 2.232 |
Zu anderen Strafen verurteilt | 48.059 |
Von Adrian de Florenzia: | |
Männer und Frauen lebendig verbrannt | 1.620 |
Im Bilde verbrannt | 560 |
Zu anderen Strafen verurteilt | 21.835 |
Gesamtzahl aller Männer und Frauen, die unter der Leitung 45 heiliger Inquisitionsgeneräle lebendig verbrannt wurden | 35.534 |
Gesamtzahl aller im Bilde Verbrannten | 18.637 |
Gesamtzahl derer, die zu anderen Strafen verurteilt wurden | 293.533 |
Die große Summe: | 347.704 |
Das päpstliche Millennium
Wie das wahre Reich des wahren Christus tausend Jahre bestehen soll, so blickt das päpstliche Afterreich als Erfüllung der tausendjährigen Herrschaft, die in Offb. 20 geweissagt ist, auf den Zeitraum zurück, der mit dem Jahr 800 begann, und mit dem Anbruch des jetzigen Jahrhunderts endete – die Periode seines größten Wohlstandes. Die hierauf folgende Periode, in welcher das Papsttum allmählich von Seiten der Völker, die vormals seine besten Stützen waren, alle seine weltliche Macht verlor, manche schimpfliche Behandlung erfuhr und lang beanspruchter und in Besitz gehabter Gebiete, Einkünfte und Freiheiten beraubt wurde, wird von den Römlingen als die „kleine Zeit“ (Offb. 20:3, 6, 7) angesehen, in welcher der Satan – am Schluss des Millenniums – losgelassen werden sollte.
Und die Daten, welche den Anfang und das Ende des päpstlichen Tausendjahrreiches der Unwissenheit, des Aberglaubens und des Betruges markierten, sind in der Geschichte angemerkt. Ein römisch-katholischer Verfasser (Der Stuhl des heiligen Petrus) weist folgendermaßen auf seinen Anfang hin: „Die Krönung Karls des Großen als Kaiser des Westens durch Papst Leo im Jahr 800 war tatsächlich der Anfang des Heiligen Römischen Reiches.“ (Anmerkung: „Das Heilige Römische Reich“ war der Titel der großartigen, politischen Anstalt des Mittelalters. Seinen Anfang nahm es mit Karl, dem Großen. Fischers Universalgeschichte beschreibt es auf Seite 262 so: „In der Theorie war es die Vereinigung des Weltstaates mit der Weltkirche – eine ungeteilte Gemeinschaft zwischen Kaiser und Papst, den von oben eingesetzten (?) weltlichen und geistlichen Häuptern.“ Und da die Päpste die Kaiser salbten, so folgt, dass sie wirklich die eigentlichen Häupter derselben waren.)
Obgleich das Papsttum schon früher organisiert worden war, und obgleich es schon im Jahre 539 in Macht „aufgerichtet“ war, so war es doch Karl der Große, der dem Papst in der Tat zuerst weltliche Macht verlieh und dieselbe formell anerkannte. Wie Karl der Große im Jahr 800 der erste Kaiser des „Heiligen Römischen Reiches“ gewesen ist, so war Franz, der Zweite, der letzte desselben, und freiwillig gab er im Jahre 1806 seinen Titel auf. (Anmerkung: „Durch die Schlachten von Marengo, 1800, und die bei Austerlitz, 1805, lag Deutschland zweimal zu den Füßen Napoleons. Das Hauptergebnis dieser zweiten Niederlage war die Errichtung des Rheinbundes unter dem Schutz des französischen Herrschers. Dieses Ergebnis machte nach einer Dauer von eintausend Jahren dem alten Deutschland oder (Heiligen) Römischen Reich ein Ende.“ – Whites Universalgeschichte, Seite 508)
Gleichwie das Papsttum durch das römische „Tier“ (Volk) und seine Hörner (Macht) gestützt, vor dem Jahr 800 emporstieg, so ist es seit 1800 aus aller weltlichen Macht über Könige und Völker gestürzt und von denen zerzaust und geplündert worden, die es früher unterstützten. (Offb. 17:16) Und wenn das Papsttum auch heutzutage noch Ehren genießt und einen weitgehenden Einfluss über die Gewissen der Leute besitzt, so beklagt es doch den Verlust von allem dem, was weltlicher Herrschaft ähnlich sieht.
Der aufmerksame Forscher wird vier in der Entwicklung und Erhöhung des Papsttums genau markierte Perioden wahrnehmen; und die gleiche Anzahl ist es, die ebenso genau seinen Fall bezeichnen. In seiner Entwicklung sind diese vier Daten diese:
- In den Tagen des Apostel Paulus, ungefähr um das Jahr 50, trat der Anfang ein, ein beginnendes, heimliches Regen der schändlichen Herrschsucht.
- Das Papsttum, „der Mensch der Sünde“, wurde als Hierarchie organisiert von ungefähr 300 bis 494. Das heißt, die Kirche wurde in eine Organisation umgewandelt, an deren Spitze als Stellvertreter Christi die Päpste traten, die so in der Kirche und über die Nationen nach und nach zu herrschen begannen. (Anmerkung: Lange dauerte das Ringen des Papsttums um die Oberhand als Haupt der Kirche und allmählich nur erlangte es Anerkennung und Herrschaft. Dass aber diese Herrschaft wenigstens im Jahr 494 allgemein anerkannt wurde, wird von dem römischen Verfasser von „Der Stuhl St. Petri“, S. 128, klar nachgewiesen. Nachdem er im einzelnen angegeben hat, wie der römische Bischof von den verschiedenen Konzilien, Bischöfen, Kaisern usw., als Pontifex Maximus anerkannt worden sei, fährt er fort: „Diese Worte sind weit zurück, sogar schon im Jahr 464 geschrieben worden … So geht also überhaupt aus den vorhergehenden authentischen Zeugnissen klar hervor, dass der Stuhl St. Petri (der Bischofssitz Roms) sich schon im fünften Jahrhundert so weit entwickelt hatte, dass der Papst als das Zentrum christlicher Einheit galt, als der oberste Leiter und Lehrer der Kirche Gottes, als der Fürst der Bischöfe, als der letztentscheidende Schiedsrichter über alle Berufungen in kirchlichen Sachen aus allen Teilen der Welt, und als der Richter und Vermittler der General-Konzilien, über welche er durch seine Abgesandten den Vorsitz führt.“)
- Die Periode, da die Päpste anfingen, weltliche Autorität und Gewalt auszuüben, welches, wie später gezeigt werden wird, im Jahre 539 der Fall war. (Band 3, Studie 3)
- Die Periode der Erhöhung, im Jahre 800, wo, wie schon angezeigt worden ist, das „Heilige Römische Reich“ gebildet, und der Papst, der den Kaiser krönte, selbst als Kaiser der Kaiser, als „ein anderer Gott auf Erden“, anerkannt wurde.
Die vier Perioden des Falles des päpstlichen Einflusses sind folgende:
- Die Periode der Reformation nahm, wie man sagen mag, ihren Anfang ungefähr um das Jahr 1400, mit den Schriften Wiklifs, welchem Huß, Luther und andere folgten.
- Die Periode der Erfolge Napoleons, der Erniedrigung der Päpste und der schließlichen Beseitigung des Titels: Kaiser des Heiligen Römischen Reiches durch Franz, den Zweiten, im Jahr 1800-1806.
- Die endliche Verwerfung des Papstes als Herrscher über Rom und die sogenannten Kirchenstaaten Italiens durch die Untertanen des Papstes und den König von Italien, im Jahre 1870, wodurch der Antichrist ohne die geringste weltliche Macht gelassen wurde.
- Die schließliche Vernichtung dieser nachgefälschten Hierarchie, nahe am Schlusse des „Tages des Zorns“ und des Gerichts, der bereits angefangen hat – welcher, wie durch „die Zeiten der Nationen“ nachgewiesen wurde, im Jahr des Herrn 1914 zu Ende gehen wird.
Gibt es noch Raum für Zweifel?
Wir haben das Entstehen des Antichristen verfolgt, wie er aus dem „Abfall“ in der christlichen Kirche hervorging. Wir haben seine gotteslästerliche Behauptung, dass das Papsttum das Reich Christi, und dass der Papst Christi Statthalter, „ein anderer Gott auf Erden“ sei, gehört. Wir vernahmen seine gotteslästerlichen Prahlereien, wie er sich Titel und Gewalt anmaßte, die dem wahren Herrn aller Herren, dem wahren König aller Könige, zukommen. Wir sahen, wie schrecklich er die Weissagung erfüllte: „Er wird die Heiligen aufreiben.“ Wir sahen, dass die unterdrückte und entstellte Wahrheit noch gänzlich unter Irrtum, Aberglauben und Priestertum begraben worden sein würde, wenn es der Herr nicht im rechten Moment verhindert hätte, indem er Reformatoren erweckte und so den Heiligen half, wie geschrieben steht: „Und die Verständigen des Volkes werden die Vielen unterweisen, aber sie werden fallen durch Schwert und Flammen, durch Gefangenschaft und Raub, eine Zeitlang. Und wenn sie fallen, wird ihnen mit einer kleinen Hilfe geholfen werden.“ – Dan. 11:33, 34
Kann man angesichts aller dieser Zeugnisse noch zweifeln, dass das, was den Propheten und Aposteln zu schreiben eingegeben war, und was sie so genau und mit seinen hervorstechenden Charakterzügen schilderten, das Papsttum war? Wir meinen, keinem unbefangenen Gemüt könnte noch ein Zweifel übrig bleiben, dass das Papsttum der Antichrist, der Mensch der Sünde, ist, und dass nicht ein einzelner Mensch diese Weissagung erfüllen könnte. Der unvergleichliche Erfolg des Papsttums als nachgeahmter Christus, der die ganze Welt verführte, hat die Weissagung unseres Meisters völlig erfüllt, als er, von seiner Verwerfung redend, sagte: „Wenn aber ein anderer (prahlerisch) in seinem eigenen Namen kommen wird, den werdet ihr annehmen.“ – Joh. 5:43
Man wird ohne Zweifel mit Verwunderung wahrgenommen haben, dass wir bei der Untersuchung unseres Gegenstandes im ganzen unterlassen haben, auf die Niederträchtigkeit und schändlichen Unsittlichkeiten der Päpste und anderer geistlicher Beamte hinzuweisen, und auf die schwarzen, auf die Theorie hin, dass der Zweck das Mittel heilige, vollbrachten Taten der Jesuiten und anderer geheimer Orden, welche alle Arten von Geheimpolizeidienst für das Papsttum verrichteten. Wir haben dies absichtlich übergangen, nicht weil sie unwahr sind – denn selbst römisch-katholische Schreiber erkennen viele davon an – sondern weil unsere Beweisführung diese Zeugnisse nicht erfordert. Wir haben gezeigt, dass die päpstliche Hierarchie (selbst wenn sie aus den sittlichsten und aufrichtigsten Männern bestanden hätte – was nicht der Fall ist, wie die ganze Geschichte bezeugt) der Mensch der Sünde, der Antichrist, das Gegenreich oder die gefälschte Vorausdarstellung des Tausendjährigen Königreiches Christi ist: so geschickt eingerichtet, dass es täuschen musste.
Die Worte des englischen Geschichtsschreibers Macaulay beweisen, dass einige, selbst ohne besonderes prophetisches Licht, das wunderbare System des Papsttums als das Zerrbild des wundervollsten aller Systeme, des noch zukünftigen Königreiches Gottes, erkennen können. Er sagt:
„Man kann unmöglich leugnen, dass die Verfassung der Kirche Roms ein wahres Meisterstück menschlicher (wir würden sagen: satanischer) Weisheit ist. In Wahrheit, nur eine solche Verfassung konnte solche Lehren gegen solche Angriffe aufrecht erhalten. Die Erfahrung zwölfhundert ereignisreicher Jahre, die Erfindungskraft und geduldige Mühe von vierzig Generationen Staatsmännern haben diese Verfassung zu einer solchen Vollkommenheit gebracht, dass sie unter den Entwürfen, die man zur Täuschung und Bedrückung der Menschheit ersonnen hat, den höchsten Rang einnimmt.“
Das schließliche Ende des Antichristen
Wir haben das Papsttum bis in die gegenwärtige Zeit – den Tag des Herrn, die Zeit der Gegenwart Immanuels – verfolgt. Dieser Mensch der Sünde ist offenbart worden, hat sein schreckliches Werk vollbracht, ist von dem Schwert des Geistes – dem Wort Gottes – getroffen worden. Der Hauch des Mundes Christi hat ihn ohnmächtig gemacht, offen und allgemein die Heiligen zu verfolgen, wie groß auch sein Verlangen dazu sein möchte. Und nun, so fragen wir: Was wird folgen? Was sagt der Apostel in Bezug auf das Ende des Antichristen?
In 2. Thess. 2:8-12 erklärt der Apostel hinsichtlich des Antichristen: „Den der Herr verzehren wird durch den Hauch seines Mundes und vernichten durch die Erscheinung seiner Ankunft (Parousia – Gegenwart).“ (Das Licht der Wahrheit soll alles durchdringen. Durch die Bloßstellung von Recht und Unrecht entsteht der Kampf zwischen diesen Prinzipien und den Vertretern beider Seiten – wodurch die große Drangsal und der Tag des Zornes herbeigeführt wird. In diesem Kampf werden Unrecht und Übel unterliegen, Recht und Wahrheit dagegen siegen. Unter anderen Übeln, die schließlich und gänzlich beseitigt werden, befindet sich der Antichrist, mit dem beinahe jedes Übel, in Lehre wie Praxis, mehr oder weniger verknüpft ist. Und der helle Glanz des Sonnenlichtes der Gegenwart des Herrn wird es sein, der den „Tag der Drangsal“ verursachen wird, weil darin der Antichrist mitsamt jedem bösen System vernichtet werden wird). „Dessen Ankunft (Gegenwart) nach (begleitet von) der Wirksamkeit des Satans ist, in aller Macht (satanischer Kraft und Wirkung) und Zeichen und Wundern der Lüge und in allem Betrug der Ungerechtigkeit denen, die verloren gehen, darum, dass sie die Liebe zur Wahrheit nicht annahmen, damit sie errettet würden. Und deshalb sendet ihnen Gott eine wirksame Kraft des Irrtums, dass sie der Lüge glauben, auf dass alle gerichtet werden, die der Wahrheit nicht geglaubt, sondern Wohlgefallen gefunden haben an der Ungerechtigkeit“ – sie werden „gerichtet“, als unwürdig befunden, als Miterben Christi am tausendjährigen Königreich teilzunehmen.
Wie wir verstehen, bedeuten diese Worte, dass in der Zeit der Gegenwart des Herrn (die jetzige Zeit – seit 1874) durch dieses antichristliche System sowohl (eines der Hauptmittel Satans, um die Welt zu täuschen und unter seiner Botmäßigkeit zu halten), als auch durch alle seine anderen Mittel, der Teufel der neuen Ordnung, die im Begriff ist, eingeführt zu werden, einen äußerst verzweifelten Widerstand entgegenbringen wird. Er wird aus jedem kleinen Umstand, aus allen den angeerbten Schwächen und der Selbstsucht der menschlichen Familie Vorteil ziehen, um ihre Herzen, ihre Hände und ihre Federn in diesem letzten Kampf gegen volles Aufkommen von Freiheit und Wahrheit für seinen Dienst zu gewinnen. Vorurteile werden entzündet, wo, wenn die Wahrheit deutlich gesehen würde, keine sein könnten. Leidenschaften werden hervorgerufen, Parteiungen gebildet, die viele täuschen und irreleiten werden. Und dies wird so sein, nicht weil Gott die Wahrheit nicht klar genug gemacht hätte, um alle seine völlig ihm Geweihten zu leiten, sondern weil diejenigen, die betrogen sein wollten, nicht mit genügendem Ernst die Wahrheit gesucht und benutzt haben, die für sie als „Speise zu rechter Zeit“ bereitet war. Und so wird es offenbar werden, dass die verführte Klasse die Wahrheit nicht aus Liebe zu ihr, sondern vielmehr aus Gewohnheit, aus Formalität oder Furcht annahm. Und die Versicherung des Apostels scheint die zu sein, dass in diesem schließlichen Todeskampf des Antichristen, ungeachtet seines scheinbaren Gewinnes an (vermehrter) Macht in der Welt, durch erneute Kriegslist, weitere Täuschungen und Verbindungen, dennoch der wahre Herr zur Zeit seiner Gegenwart obsiegen und während der Zeit dieser großen Drangsal den Antichristen gänzlich vernichten und seine Macht und Täuschereien zerstreuen wird.
Über die Art und Weise, wie dieser Schlusskampf zu erwarten sei, kann man nur Mutmaßungen aufstellen, welche sich großenteils auf die in der Offenbarung gegebenen symbolischen Gesichte gründen. Wir erwarten die Bildung zweier großer Parteien über die ganze Welt hin, von welchen beiden sich die treuen überwindenden Heiligen fern halten werden. Diese beiden großen Parteien werden auf der einen Seite aus Sozialisten, Freidenkern, Ungläubigen, Unzufriedenen und echten Liebhabern der Freiheit zusammengesetzt sein, deren Augen sich in Bezug auf politische und religiöse Missverwaltung und politischen und religiösen Despotismus zu öffnen anfangen; auf der anderen Seite werden sich nach und nach die Gegner der menschlichen Freiheit und Gleichheit verbinden: Kaiser, Könige und Aristokraten; und in enger Sympathie mit diesen wird das Afterbild des Königreiches Gottes, der Antichrist, stehen. Die Herrscher der Erde wird er unterstützen und von ihnen unterstützt werden. Wir erwarten ebenso, dass die Politik des Antichristen einigermaßen gemäßigt und gemildert werden wird, um die Extremisten, die Fernstehendsten, in allen protestantischen Konfessionen, die gerade jetzt eine nominelle Vereinigung untereinander und mit Rom erstreben, zur Sympathie und Mitwirkung (nicht wirklicher Vereinigung) zurück zu gewinnen. Sie vergessen aber, dass die wahre Einigkeit die ist, die durch Wahrheit und nicht durch Glaubenssätze, Konventionen und Gesetze bewirkt und unterhalten wird. So unwahrscheinlich dieses Zusammengehen von Protestanten und Katholiken manchen auch scheinen mag, sehen wir doch schon unverkennbare Anzeichen von der raschen Annäherung derselben. Sie wird durch das geheime Wirken des Papsttums unter seinen Leuten beschleunigt werden, wodurch solchen Politikern, die mit dem Papsttum zusammenzuwirken willens sind, zu hervorragenden Stellungen in Regierungssachen verholfen wird.
Bald wird man Gesetze erwarten dürfen, durch welche die persönliche Freiheit allmählich unter dem Vorwand der Notwendigkeit für die öffentliche Wohlfahrt beschnitten werden wird. Wenn so ein Schritt nach dem anderen getan ist, wird es schließlich nötig sein, ein „einfaches Religionsgesetz“ zu machen. Auf diese Weise mögen Kirche und Staat in der Kontrolle der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika einigermaßen vereinigt werden. Diese Gesetze, so einfach wie sie nur gemacht werden können, um allen sogenannten „orthodoxen“ (das bedeutet volkstümlichen) Religionsansichten zu passen, werden darauf berechnet sein, ferneres Wachsen in der Gnade und Erkenntnis, die jetzt „Speise zu rechter Zeit“ ist, zu verhindern. Die Ausrede wird wahrscheinlich sein, dass man Sozialismus, Unglauben und politische Ausbrüche der niederen und abhängigen Klassen verhindern wolle.
Augenscheinlich wird in naher Zukunft, als Teil dieser Drangsal, und selbst ehe die Heftigkeit der großen Drangsal dieses Tages des Zornes über die Welt hereingebrochen ist und das ganze soziale Gebäude der Erde zertrümmert hat (als Vorbereitung auf die neue und bessere Ordnung, die unter dem wahren Christus verheißen ist) – augenscheinlich wird eine Stunde der Versuchung und Prüfung der wahrhaft Geweihten der Kirche stattfinden, fast wie in den Tagen, da das Papsttum triumphierte; nur dass die Methoden der Verfolgung verfeinerte sein werden; den mehr zivilisierten Methoden der Jetztzeit entsprechend: Die Spieße und Zangen und Folterbänke werden mehr die Form von beißendem Spott, öffentlichen Drohungen, Freiheitsbeschränkungen und gesellschaftlicher und politischer Entrechtung annehmen. Hierüber und über die neuen Verbindungen, die der Antichrist in diesem Schlusskampf gegen die Errichtung des wahren Tausendjährigen Reiches bilden wird, soll weiterhin gehandelt werden.
Indem wir nun dieses Kapitel beschließen, möchten wir unseren Lesern nochmals recht eindrücklich machen, dass das Papsttum nicht wegen seiner moralischen Verirrung der Antichrist ist, sondern wegen seiner Verfälschung und Nachahmung des eigentlichen Christus und des wahren Königreiches Gottes. Weil viele Protestanten diese Tatsache zu erkennen verfehlen, werden sie verführt werden, gegen den Herrn der Herrlichkeit mit dem Papsttum gemeinsame Sache zu machen.