Das Gesetz der Neuen Schöpfung
Der Erlass des Gesetzes setzt die Fähigkeit voraus, es zu halten. – Das ursprüngliche göttliche Gesetz. – Ein Gesetz des Lebens konnte dem gefallenen Geschlechte nicht gegeben werden. – Die Erlösung ist nicht vom Gesetze, sondern aus Gnade. – Der Gesetzesbund gehalten und der Neue Bund besiegelt durch das eine Opfer Christi. – Das Gesetz vom Sinai war nur Israel nach dem Fleische gegeben. – Das Gesetz des Neuen Bundes. – Das Gebot, unter welchem die Heiligen entwickelt werden. – Die Neue Schöpfung steht in ihren Beziehungen zu Gott und in ihrem Bundesverhältnis allein und abgesondert da. – Wachstum in der Wertschätzung des vollkommenen Gesetzes. – Das Laufen nach dem Ziele und das Festhalten bei demselben. – Die goldene Regel. – Das vollkommene Gesetz der Freiheit.
Der Erlass eines Gesetzes durch eine dazu berufene Behörde setzt voraus, dass diejenigen, für den Fall der Übertretungen Maßregeln für das Gutmachen der Vergehen getroffen sind. Der Erlass eines Gesetzes setzt immer die Möglichkeit voraus, dass es übertreten werde, darum enthält ein Gesetz immer Strafbestimmungen. Da Adam, der im Bilde Gottes erschaffen worden war, wegen Ungehorsams gegenüber dem göttlichen Willen bestraft wurde, so schließen wir, dass ihm ein Gesetz gegeben wurde, und dass dasselbe für ihn verständlich genug war, sonst wäre es unbillig gewesen, ihn zu verurteilen. Wir werden ausdrücklich belehrt, dass die Sünde in Eden in der Übertretung eines göttlichen Gebotes bestand. Soll nun das Todesurteil, das gegen Adam ausgesprochen wurde, und das sich auf seine ganze Nachkommenschaft vererbte, gerecht gewesen sein, so muss Adam das Gesetz, unter dem er stand, völlig verstanden und wissentlich übertreten haben, denn sonst wäre der Gesetzgeber im Unrecht. Dass Adam völlig in der Lage war, das göttliche Gesetz zu halten und ihm zu gehorchen, geht aus der Tatsache hervor, dass es keine Vorsehung für die Aussöhnung jenes Gesetzes – keinen Mittler – gab, sondern als Folge seiner Verletzung die volle Strafe auf Adam kam.
Der biblische Bericht sagt keineswegs, dass der Schöpfer unseren ersten Eltern ein auf Stein oder anderswo geschriebenes Gesetzbuch vorgelegt hätte. Da nun heutzutage eine Verbriefung der Gesetze allgemein üblich und wegen unserer Schwachheiten notwendig ist, so können sich manche nicht vorstellen, in welcher Weise der vollkommene Adam im Besitze eines vollkommenen Gesetzes war und durch seine Übertretung verurteilt wurde. Es ist irrig anzunehmen, dass Gesetze einer schriftlichen Abfassung bedürfen. Die Schrift spricht von einer höheren Art zu schreiben, nämlich in die Herzen. Das göttliche Gesetz war – und es soll einst wieder sein, im neuen Zeitalter – dem vollkommenen Menschen in der Weise ins Herz geschrieben, dass er bei seiner Erschaffung gänzlich mit seinem Schöpfer übereinstimmte. Ebenso ist das göttliche Gesetz Gott selbst und allen Engeln gleichsam ins Herz geschrieben. Solange dieser Zustand bei den ersten Menschen herrschte, solange neigten sie auch nicht zur Sünde, sondern vielmehr zur Gerechtigkeit. Sie waren gerecht, umgeben von gerechten und vollkommenen Zuständen, sich ihrer Verpflichtung zum Gehorsam dem Schöpfer gegenüber völlig bewusst, und wussten genau, nicht nur ungefähr, was er geboten hatte. Sie hatten mithin keine Entschuldigung für ihre Übertretung. Mitleid möchte wohl nach Entschuldigungen suchen und darauf verweisen, dass es ihnen an Erfahrung fehlte, dass sie nicht wussten, wie die Strafe sein würde; aber dies verhinderte sie keineswegs, zu wissen, welches der richtige Wandel war. Sie wussten, dass es recht sei, Gott zu gehorchen, und unrecht, ihm ungehorsam zu sein; das wussten sie, auch wenn sie die schrecklichen Folgen des Ungehorsams nicht kannten. Der Apostel sagt ausdrücklich, Adam sei nicht betrogen worden; er beging seine erste Übertretung mit Wissen und Willen und zog sich dadurch die vom Schöpfer angedrohte Todesstrafe zu.
Sehen wir uns heute in der Welt um, so gewahren wir, dass die Menschheit von ihrer Gottähnlichkeit, von der Fähigkeit, zwischen Recht und Unrecht leicht und sicher zu unterscheiden, sehr viel eingebüßt hat. Das einst den vollkommenen Menschen klar und deutlich ins Herz geschriebene göttliche Gesetz ist während der 6000 Jahre der Herrschaft der Sünde und des Todes gar sehr verwischt worden. Gott hat zwar, vermittelst seiner Mitteilungen an einzelne Menschen, in manchen Herzen sein Gesetz neu belebt, die verwischten Schriftzüge mehr oder weniger vertieft; trotzdem traut unter denen, die in der zivilisierten Christenheit am einflussreichsten sind, keiner seinem eigenen Urteile darüber, was in dieser oder jener Frage Recht und Unrecht sei. Wir bedürfen mithin immer der sicheren göttlichen Maßstäbe, zu denen wir unsere Zuflucht nehmen, und an denen wir die Richtigkeit unserer Schätzungen von Recht und Unrecht ermessen können, was uns gestattet, sie zu berichtigen, der göttlichen Schätzung näher zu bringen. Spuren von Gewissen, von der Fähigkeit, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, finden wir freilich selbst bei den heruntergekommensten Völkern; es sind dies armselige Überreste von der ursprünglich den Menschen eigenen Gottähnlichkeit. Der Apostel spricht von diesen Spuren, wenn er von den Nationen sagt, dass ihre Gedanken einander bald anklagen, bald entschuldigen, und dass sie „das Werk des Gesetzes geschrieben zeigen“ in ihren Herzen, – Überbleibsel des ursprünglichen Gesetzes, Bruchstücke, die beweisen, dass das Gesetz den Menschen einst angeboren war. – Röm. 2:15
Unter den menschlichen Gesetzen sind einige für Verbrecher und andere für solche bestimmt, die keine Verbrecher sind. Die letzteren sind im Besitze bürgerlicher Rechte; Leben, Friede und Freiheit ist ihnen garantiert; erstere sind durch das Gesetz der Freiheit beraubt und werden zuweilen als des Anspruches zum Leben verlustig erklärt, d.h. zum Tode verurteilt.
So steht es auch mit dem göttlichen Gesetze, unter dessen Herrschaft Adam einer Prüfung unterworfen war. Er war im Vollbesitze seiner Rechte und Vorzüge, er hatte Leben, Frieden, Glück und alles, was er zu seinem Unterhalte bedurfte. Dies war ihm verheißen, solange er seinem Schöpfer den schuldigen Gehorsam leisten würde, indes auf den Ungehorsam die Todesstrafe – „sterbend wirst du sterben“ – gesetzt war, die er auf natürliche Weise auf seine Nachkommen vererben würde. Vom Augenblicke seines Ungehorsams an war Adam ein Sträfling, der bisherigen Lebensaussichten beraubt, von seiner Heimstätte in Eden und vom Verkehr mit seinem Schöpfer abgeschnitten. Die unfertige Erde war seine Strafanstalt, das Grab seine Gefängniszelle. Er stand hinfort nicht mehr unter dem Gesetze des Lebens; die Strafbestimmungen desselben hatten ihn vom Leben abgeschnitten, zum Tode verurteilt. Seine Kinder wurden nicht mehr unter der Herrschaft des Gesetzes des Lebens geboren; sie hatten keine Aussicht mehr, ewig zu leben; sie waren Sträflingskinder und Gefangene. Die Sünde und der Tod waren, bildlich gesprochen, ihre Häscher und Gefängniswärter.
Wenn aber auch das ursprüngliche Gesetz nicht länger über sie herrschen konnte, sondern seine Strafe gegen sie bereits ausgedrückt hatte, so unterstanden sie dennoch gewissermaßen natürlichen Gesetzen. Sie konnten merken, dass jede Vergewaltigung ihres Gewissens, jedes tiefere Eintauchen in das, was sie als Sünde erkannten, ihnen weitere Erniedrigung und rascheren Tod zuzog, und dass umgekehrt jede Bemühung, das Rechte zu tun, ihr Gefangenleben erträglicher gestaltete, ohne freilich die Befreiung zu bringen.
Der Apostel gibt zu verstehen, dass es Gott nicht möglich war, unserem gefallenen Geschlechte ein Gesetz des Lebens zu geben. Die Menschen waren von Rechts wegen zum Tode verurteilt, und solange das Todesurteil zu Recht bestand, konnte ihnen kein Gesetz gegeben werden, dessen Befolgung ihnen Befreiung vom Tode eingetragen hätte. Bevor dem Menschengeschlechte solch ein Gesetz des Lebens gegeben werden konnte, musste die Forderung des ersten Gesetzes erfüllt und die Strafe desselben aufgehoben werden. Erst dann konnten andere Anordnungen getroffen, konnte den Menschen für den Fall, dass sie bestimmte Bedingungen erfüllten, ewiges Leben angeboten werden. Zuvor aber musste die erste Übertretung gutgemacht und die durch dieselbe entstandene Schuld bezahlt sein. Der Herr deutete sofort seine Absicht an, ein Lösegeld für die Sünde bezahlen zu lassen und so an die Stelle der in Adam verlorenen eine andere Gelegenheit, sich ewigen Lebens würdig zu erweisen, zu setzen. Allein diese Verheißungen waren äußerst undeutlich; sie reichten gerade hin, um auch nur den Anfang einer Hoffnung zu erwecken; darum werden die Menschen, sofern sie Gefangene unter der Herrschaft der Sünde und des Todes sind, als Gefangene auf Hoffnung bezeichnet.
Eine dieser Andeutungen lag in den Worten des Herrn, welche das Todesurteil begleiteten, dass nämlich des Weibes Same der Schlange den Kopf zertreten würde. (1. Mose 3:15) In diesen dunklen, bildlichen Worten redete der Herr vom schließlichen Sturze der Macht des Bösen, von einem Siege, bei welchem die Menschenfamilie mitwirken, und der ihr zugute kommen würde. Dieser Same des Weibes ist, wie wir alle wissen, Christus. Viertausend Jahre nach dem Falle sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe (und dadurch ein Glied des verurteilten Geschlechtes, ihm in allem gleich, ausgenommen die Sünde), auf dass er durch die Gnade Gottes den Tod für jedermann schmeckte, die Schuld an Stelle eines jeden Schuldigen bezahlte, dadurch das Todesurteil aufhebe und für jeden Menschen einen Rechtszustand herbeiführe, in welchem ein Gesetz des Lebens erlassen werden könnte, dessen Einhalten ewiges Leben einbringen würde.
Doch bevor die Zeit kam, da Gott seinen Sohn sandte und durch ihn die Erlösung des Geschlechtes von der Todesstrafe bewirken ließ, hatte er besondere Beziehungen zu Abraham und seinem Samen nach dem Fleische, dem Volke Israel. Zunächst verkündete er Abraham, Isaak und Jakob, dass er sämtliche Geschlechter auf Erden segnen werde. Solch eine Botschaft aus dem Munde des großen Richters, der einst das Todesurteil gesprochen hatte, war höchst bedeutsam: entweder bedeutete sie eine Rechtsverletzung durch einfache Aufhebung des Fluches, der Strafe, oder sie bedeutete, dass der oberste Gerichtshof des Weltalls ein Vorgehen kannte, welches ihm gestatten würde, gerecht zu bleiben und dennoch Barmherzigkeit gegen diejenigen Angehörigen des Geschlechtes zu üben, welche sich derselben würdig erweisen würden, indem sie sich mit Gottes gerechten Anordnungen einverstanden erklären würden. Die Patriarchen freuten sich über diese Verheißungen und ahnten mehr oder weniger deutlich ein zukünftiges Leben durch eine Auferstehung aus den Toten, welches nicht nur ihnen selbst und ihren Nachkommen, sondern schließlich einem jeden Gliede des Geschlechtes zugute kommen würde.
Wegen dieser Verheißungen an Abraham unterstellte der Herr das Volk Israel, Abrahams Nachkommen, dem Gesetze vom Sinai. Dieses Gesetz war die Grundlage des mit ihm abgeschlossenen Bundes. Durch das Halten dieses Gesetzes würde es alle Verheißungen ererben. Dieses Gesetz war in allen seinen Teilen vollkommen, gerecht und gut; aber da die Israeliten gefallen, unvollkommen waren, musste ihnen in Moses ein Mittler bestellt und sodann zur jährlich wiederkehrenden vorbildlichen Erlassung von Übertretungen Mittel und Wege gefunden werden, damit von Geschlecht zu Geschlecht, von Jahr zu Jahr der Versuch, das Gesetz zu halten, erneuert werden könne. Diese Vorkehrungen (die Einsetzung des Mittlers und die vorbildlichen Opfer für die Sünde) bezeugten, dass Gott von dem Volke, dem er das Gesetz und den Bund gab, wusste, dass es nicht imstande sei, den Anforderungen absoluten Gehorsams nachzukommen. Da tritt der Gegensatz zum Gesetze in Eden scharf hervor: dort war kein Mittler bestellt und den Schwachheiten des Fleisches nicht Rechnung getragen. Diese Tatsache allein beweist uns, dass der erste Adam ein vollkommenes Bild seines Schöpfers und imstande war, dem Gesetze Gottes vollkommenen Gehorsam zu leisten. In der Zwischenzeit war das Geschlecht schon sehr gefallen, denn die Vorkehrungen des mosaischen Gesetzes sind für gefallene, heruntergekommene Geschöpfe angemessen.
Über dies alles haben wir die Aussage des Apostels, dass kein Jude, unser Herr Jesus allein ausgenommen, das Gesetz je gehalten hat, und dass also Jesus allein der Belohnung hätte teilhaftig werden können, die auf das Halten des Gesetzesbundes gesetzt worden war. Die Worte des Apostels sind: „Aus Gesetzeswerken wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden.“ Jenes Gesetz hatte mithin einen doppelten Zweck: 1. zu zeigen, dass kein Glied des gefallenen Geschlechtes imstande war, das göttliche Gesetz zu halten und vor Gott annehmbar zu erscheinen; 2. zu zeigen, dass unser Herr Jesus vollkommen war, indem er das Gesetz, welches kein unvollkommener Mensch halten konnte, erfüllte. Indem er das Gesetz hielt, wurde er der einzige Erbe des Bundes mit Abraham und als der zuvor verkündete Same Abrahams gekennzeichnet, in welchem alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden sollten. Damit nahm jener Bund, nachdem Christus Jesus ihn erfüllt hatte, insofern, als der verheißene Same der Segnung in Betracht kam, ein Ende. Allein, wenn wir nun die Bundesverheißung genauer ansehen, gewahren wir, dass sie, in gewisser Beziehung wenigstens, gleichsam doppelt, d.h. einer doppelten Erfüllung fähig war, dass sie neben dem irdischen einen geistigen Samen im Auge hatte, wie es in der Verheißung angedeutet war: „Dein Same wird sein wie die Sterne des Himmels und wie der Sand am Ufer des Meeres.“ – 1. Mose 22:17
Unser Herr Jesus ist, nachdem er die Bundesbedingungen erfüllte, vollständig frei in der Wahl der Mittel zur Segnung der Geschlechter auf Erden; da er jedoch mit dem Plane Gottes einverstanden ist, demselben gemäß bisher gehandelt hat und weiter handeln wird, so wird es schließlich sein Wohlgefallen sein, einige Israeliten nach dem Fleische, einige vom Samen Abrahams nach dem Fleische, als seine irdischen Werkzeuge bei der Segnung der Menschen zu verwenden. Darum ist der Bund mit Israel nach dem Fleische nicht gänzlich beseitigt; vielmehr harrt nach der Aufrichtung des Reiches bei der zweiten Gegenwart unseres Herrn dieses Volkes ein besonderer Segen. Des Apostels Aussagen über diesen Punkt sind: „Die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar.“ – „Hinsichtlich der Auswahl sind sie Geliebte, um der Väter willen.“ – „durch eure (der Kirche) Begnadigung mögen auch sie unter die Begnadigung kommen.“ – „Gott hat alle zusammen in den Unglauben eingeschlossen, auf dass er alle begnadige.“ Der Befreier, der aus Zion kommen soll, um die ganze Menschheit zu segnen, wird die Gottlosigkeit zuerst von Jakob (Israel nach dem Fleisch) abwenden, damit es bei der Segnung der Welt mitwirken könne. – Röm. 11:26-32
So gewahren wir denn, dass die Welt bis zur ersten Gegenwart unseres Herrn keinem anderen Gesetze als dem allgemeinen Naturgesetze, dem Gesetze unseres Sträflingszustandes, unterstand, welches ihr wohl gestattete, ihre Mühsale erträglicher zu gestalten, nicht aber, ihnen zu entrinnen, welches zwar gestattete, die Folgen des Fluches hinauszuschieben und weniger fühlbar zu machen, nicht aber dem Vollzuge des Todesurteils auszuweichen. Das einzige andere Gesetz, das Gott gegeben hatte, war dem Volke Israel gegeben, und Mose erklärt ausdrücklich, dass jenes Gesetz für andere Völker und Nationen keine Geltung hatte, indem er sagte: „Nicht mit unseren Vätern hat Jehova diesen Bund gemacht, sondern mit uns, die wir heute hier alle am Leben sind.“ (5. Mose 5:3) Aber das Gesetz konnte Israel nicht gerecht machen, Israel erwarb sich mithin die an die Erfüllung des Gesetzes geknüpften Segnungen nicht; alle fehlten dagegen mit der einzigen Ausnahme des Menschen Christus Jesus, unseres Herrn und Erlösers. Nun lasst uns weitergehen und untersuchen, wie das Gesetz Gottes jetzt wirksam ist.
Unser Herr Jesus hielt, d.h. erfüllte das göttliche Gesetz, wie es am Sinai zum Ausdrucke kam, durch seinen Tod. Die Zusammenfassung des Gesetzes ist: „Du sollst Gott deinen Herrn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt, und ganzer Seele und aus allen deinen Kräften, und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Der Vater im Himmel hatte es so geordnet, dass sein geliebter Sohn, nachdem er die Herrlichkeit seiner geistigen Natur verlassen hatte und inmitten unter unvollkommenen Menschen ein vollkommener Mensch geworden war, vor allem des Vaters Willen schätzen lernte, demgemäss er der Erlöser und Rückkäufer des Menschen werden sollte. Es wurde ihm dies nicht aufgezwungen. Er war ganz frei, wenn er es gewollt hätte, sich selbst zu gefallen; aber alsdann hätte er das Gesetz vom Sinai nicht erfüllt, welches von allen, die ihm unterstellt sind, fordert, dass sie Gott aufs höchste lieben, mehr als sich selbst, und der Wille Gottes ihnen so köstlich ist, dass sie freudig ihren eigenen Willen, ja sich selbst, ihr Leben, darangeben, um ihn zu erfüllen.
Dies liegt in der oben angeführten Zusammenfassung des Gesetzes. Eine solche Liebe konnte nicht zögern, Leben, Sein und Kraft freiwillig dem Plane Gottes zu opfern. Das tat Jesus, der, nach des Apostels Worten, in seinen Gebärden als ein Mensch erfunden und über den Plan Gottes völlig im Klaren, sich rückhaltlos als Lösegeld für den Menschen hingab. Ja, er tat dies voller Freude, wie geschrieben steht: „Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust; und dein Gesetz ist im Innern meines Herzens.“ (Psalm 40:8) Liebe zu den Menschen, zu denen er durch seine Geburt in ein Verwandtschaftsverhältnis getreten war, gehörte auch zur Gesetzeserfüllung; aber andere wie sich selbst zu lieben, hätte nicht Selbsthingabe ihrerseits bedeutet. Solch ein Opfer bedeutet größere Liebe für andere als für sich selbst; es wurde aus Gehorsam gegenüber dem ersten Teile des Gesetzes gebracht. Das gehörte alles zum Halten des Gesetzesbundes, unter welchem er geboren, und an dessen Bestimmungen er gebunden war. Er konnte nicht Erbe der Verheißung an Abraham werden, es sei denn durch solchen Gehorsam bis zum Tode.
Allein durch seinen Tod wurde noch etwas anderes als die Erfüllung des Gesetzes vollbracht, durch welche er sich würdig erwies, der verheißene Same Abrahams zu werden, der die Welt segnen soll. Dieses andere ist der Loskauf Adams und seines Geschlechtes von dem über sie verhängten Todesurteile. Nach Gottes Anordnung geschah beides zugleich, durch dasselbe Opfer; es sind aber doch zwei wohl zu unterscheidende Dinge. Unser Herr hielt nicht nur den Gesetzesbund durch seinen Gehorsam bis in den Tod, sondern durch diesen seinen Tod verbürgte er außerdem einen neuen von Gott vorgesehenen Bund. Der Gesetzesbund erwies des Herrn Würdigkeit, der Same Abrahams zu sein; der Neue Bund aber bezieht sich auf die Menschen. Das ganze Geschlecht war dem Todesurteile unterstellt und konnte nicht auf ewig gesegnet werden, es sei denn zuvor den Anforderungen der Gerechtigkeit entsprochen worden. Nicht eher konnte jemand die Menschheit segnen oder berechtigt sein, es zu tun, sie „zurückzuführen aus dem Lande des Feindes“, aus dem Tode, zu neuem Leben; denn solange das Urteil zu Recht bestand, konnte Gott es nicht unter Verletzung seines eigenen Gesetzes aufheben. Wie schön ist doch die Verwaltung Gottes, der zufolge ein und dieselbe große Tat einerseits den Erlöser auf seine Würdigkeit, der Wiederbringer und Segner des Geschlechtes zu sein, prüfte und andererseits zugleich das Lösegeld für Adam und seine Nachkommen, die seine Schuld geerbt, beschuf. Wir verweisen diesbezüglich auf Band 5, Kap. 15, wo dieser Gegenstand schon behandelt wurde.
Wir betrachten hier das göttliche Gesetz. Wir haben gesehen, dass das Gesetz vom Sinai nur für den natürlichen Samen Abrahams galt; dass der Rest der Welt ohne Gott, ohne Hoffnung, ohne Anregung, ohne Ermutigung, ohne Verheißung, gänzlich fremd war. (Eph. 2:12) Wir haben gesehen, dass der Bund vom Sinai seinen Zweck erfüllt hatte, als der Messias ihn erfüllte, die Probe bestand und sich dadurch des daraufgesetzten Preises würdig erzeigte. Wir haben ferner gesehen, dass durch das Blut Christi ein neuer Bund verbürgt (Hebr. 7:22) und verbrieft wurde. Nun wollen wir noch untersuchen, ob dieser Neue Bund in Kraft getreten ist oder nicht, und wenn so, ob ein neues Gesetz ihn begleitet oder nicht, so wie das Gesetz vom Sinai den alten Bund begleitete.
Da bemerken wir denn zuerst, dass, was die Welt anbetrifft, der Neue Bund noch nicht in Kraft getreten ist; sie steht ebenso außerhalb des Neuen Bundes, wie sie einst außerhalb des alten Bundes stand. Er wird für die Welt erst wirksam werden, wenn Christus sein Reich aufgerichtet hat. Alsdann werden die Juden, wie wir oben gesehen haben, unter den ersten Menschen sein, welche vom Neuen Bunde Nutzen haben werden.
Der Neue Bund wird nicht nur eine Friedensbotschaft für die einst Verurteilten sein, indem diesen (in der Auferstehung) verkündigt werden wird, dass der Erlöser ihre Schuld bezahlt hat, dass alle, indem sie durch den Mittler zum Vater kommen, fähig gemacht werden sollen, zu gehorchen (das Gesetz Gottes zu erfüllen), und dass sie, wenn sie nun tatsächlich gehorchen, zu dem Zustande, der vor der Verurteilung bestand, wiederhergestellt werden können, sondern er wird außerdem eine Begnadigung des Volkes Israel bewirken, das nicht unter dem Fluche im Paradiese allein, sondern noch unter einem Richterspruche wegen Nichthaltens des Gesetzesbundes stand. Jedes (vernunftbegabte) Geschöpf wird alsdann lernen, dass nicht nur ein Löse- oder Sühnegeld für die Sünden der Vergangenheit beschafft worden ist, sondern dass mit ihnen hinfort nach dem gehandelt werden wird, was sie tatsächlich sind, und dass ihnen durch die Gesetze des Mittler-Königreiches Christi geholfen werden wird, aus den gegenwärtigen Zuständen geistiger, moralischer und physischer Gesunkenheit zur vollen menschlichen Vollkommenheit aufgerichtet zu werden, in welcher sie fähig sein werden, die Prüfung vor dem Allmächtigen zu bestehen und ihre Würdigkeit für ewiges Leben unter den Gesetzen seines Königreiches zu beweisen. Dieser Neue Bund schließt daher alle Gnade und Gunst Gottes in sich, die er während des Millenniums-Zeitalters der ganzen Menschheit zuzuwenden gedenkt. Er ist der Bund der Vergebung, Segnung und Widerherstellung aller derer, welche, nachdem sie sehend und hörend gemacht worden sind, sich diese Gnade Gottes in Christo Jesu zunutze machen werden.
Das Gesetz des Neuen Bundes
Mit diesem Neuen Bunde wird auch ein Gesetz verbunden sein. Es wird das gleiche Gesetz Gottes sein, welches unabänderlich ist und nur zu verschiedenen Zeiten in verschiedener Weise zum Ausdruck kommt. Es wird nach wie vor Gottes Missfallen an der Sünde und Wohlgefallen an der Gerechtigkeit verkündigen. Diese Richtschnur ist unverrückbar, sie wird während des Tausendjahr-Zeitalters allezeit wahrnehmbar sein, und von jedem wird verlangt werden, dass er seinen Wandel so genau wie möglich nach ihr richte. Wer sich bemühen wird, diese Richtung einzuhalten, bei dem wird auf das ihm noch anhaftende Maß Schwachheit Rücksicht genommen werden, welches unter den köstlichen Wiederherstellungsbedingungen um so geringer werden wird, je mehr der Gehorsam geübt wird; wie geschrieben steht: „Dies ist der Bund, den ich mit dem Hause Israel machen werde nach jenen Tagen, spricht Jehova: Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen und werde es auf ihr Herz schreiben; … und ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nicht mehr gedenken.“ – Hebr. 8:10; Jer. 31:33, 34
Hier haben wir das allmähliche Auslöschen der vergangenen Sünden und Ungerechtigkeiten und die allmähliche Wiederherstellung der das Gesetz Gottes enthaltenden Inschrift in den Herzen derjenigen Menschen, die es wollen: zwei große Aufgaben des Tausendjahrreiches, welches ja zur „Wiederherstellung aller Dinge bestimmt ist, von welchen Gott durch den Mund seiner heiligen Propheten von jeher geredet hat“, und welche an jenem großen Tage der Herrschaft Christi Platz greifen soll. Da wird es aber auch geschehen, dass „jede Seele, die auf jenen Propheten nicht hören (das Gesetz Gottes sich nicht ins Herz schreiben lassen) wird, soll aus dem Volke ausgerottet (vernichtet) werden.“ – Apg 3:19-21
Doch zurück zu unserem Gegenstande. Wir haben eben gesehen, wie das Gesetz des Neuen Bundes im Tausendjahr-Zeitalter wirken wird, da er, der die Welt erkauft hat, seine große Macht und Regierungsgewalt ausüben, die Welt wiederherstellen und das Gesetz in die Menschenherzen schreiben wird. Was geschieht nun vorher, wischen dem Wegtun des Gesetzesbundes durch die Erfüllung desselben durch Jesum Christum und die Einführung des Neuen Bundes im Tausendjahr-Zeitalter? Besteht da auch irgendein Bund, und ist ein Gesetz mit demselben verknüpft? Ja, für das neue auserwählte Volk, dessen Glieder der Herr während des Evangeliums-Zeitalters herauswählt. Um dies zu erkennen, müssen wir uns der Worte des Apostels erinnern, dass das Gesetz (vom Sinai) „der Übertretungen wegen hinzugefügt worden ist, bis der Same käme, dem die Verheißung gemacht war.“ (Gal. 3:19) Es war also ein Nachtrag zu einem früheren Bunde, und sehen wir rückwärts, so gewahren wir diesen: es ist der Bund mit Abraham, der 430 Jahre Bestand bevor die Gesetzgebung hinzugefügt wurde, und den das „430 Jahre danach entstandene Gesetz nicht ungültig machen“ oder abschaffen konnte. – Gal. 3:17
Als mithin unser Herr Jesus den Gesetzesbund erfüllte, blieb der Bund mit Abraham in dem Umfange bestehen, den er hatte, bevor das Gesetz hinzugefügt worden war. Dieser Bund nun ist es, unter dem die Neue Schöpfung steht und zur Entwicklung gebracht wird. Seine Verheißung lautet: „In deinem Samen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden.“ Der Apostel erklärt, dass der Same, von dem die Rede ist, Christus sei – Christus Jesus, unser Herr, und er fügt hinzu: „Wenn ihr aber Christi sein (wenn ihr Glieder seines Leibes werdet), so seid ihr denn Abrahams Same und nach Verheißung (Bundesbestimmung) Erben.“ (Gal. 3:16, 29)
Und wiederum erklärt der Apostel: „Ihr aber, Brüder, seid, gleichwie Isaak, Kinder der Verheißung“, d.h. eben in einem ganz anderen Sinne, als es die Juden unter dem Gesetze waren. Der Apostel macht den Unterschied deutlich klar zwischen dem geistlichen und fleischlichen Israel, indem er ausführt, dass die Nachkommen Jakobs nach dem Fleische nicht der in der Verheißung gemeinte Same Abrahams seien, sondern dass die Kinder des Glaubens als dieser Same gerechnet werden. Er erklärt, dass Abraham ein Vorbild für Gott, Sara, sein Weib, ein Vorbild des alten (abrahamischen) Bundes sei, aus dem einst so viel Segen hervorgehen soll; wie aber Sara, bevor sie den verheißenen Sohn gebar, eine Zeitlang verschlossen gewesen sei, so sei auch der von ihr vorgeschattete Bund fast zweitausend Jahre unfruchtbar geblieben und habe erst seine Erstlingsfrucht gebracht, als Jesus aus den Toten auferstand. Damals wurde das Haupt des Samens Abrahams geboren, und schließlich wird der ganze Leib des Christus, der gegenbildliche Isaak, durch die „Auferstehung aus den Toten“ neu geboren und zur geistigen Natur gebracht werden. Alsdann wird der Same gekommen sein, der Bund oder die Verheißung wird erfüllt werden können, dass alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden sollen.
Während der Zeit nun, da der alte Bund unfruchtbar war, wurde der jüdische oder sinaitische oder Gesetzesbund hinzugefügt. Derselbe brachte Kinder hervor – einen Samen nach dem Fleische, nicht nach der Verheißung, nicht geeignet, die ursprüngliche Verheißung zu erfüllen. Diesen Gesetzesbund stellt, wie der Apostel ausführt, Hagar dar, und Ismael, ihr Sohn, schattet die Juden unter dem Gesetze vor. Wie nun Gott erklärt hat, dass der Sohn der Magd nicht mit dem Sohne der Freien erben solle, so sollten die Juden unter dem Gesetzesbunde nicht Erben der ursprünglichen, dem Abraham gegebenen Verheißung werden, welch letztere auf den geistigen Samen übergehen würde. Dies ist alles im 4. Kap. des Galaterbriefes bis ins einzelne klar dargelegt, in welchem der Apostel sich bemüht, die Irrlehre zu widerlegen, dass die Glaubenden aus den Nationen erst Juden werden und sich dem mosaischen Gesetze unterwerfen müssten, bevor sie Erben der Verheißung an Abraham werden könnten.
Paulus zeigt, dass im Gegenteile alle, die unter dem Gesetze sind, Sklaven seien, hingegen der geistige Same Abrahams frei sein müsse, wie Isaak es war und Ismael es nicht war, dass ein dem Gesetze nicht unterstellter Heide durch Unterwerfung unter den Bund vom Sinai vom wahren (geistigen) Samen Abrahams sich abschneide und ein gegenbildlicher Ismaelit werde. Wir lesen in Gal. 5:2-4: „Siehe, ich, Paulus, sage euch, dass, wenn ihr beschnitten werdet, Christus euch nichts nützen wird. Ich bezeuge aber wiederum jedem Menschen, der beschnitten wird (und sein Vertrauen auf die Gesetzeserfüllung setzt – d. Übers.), dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. Ihr seid abgetrennt von dem Christus, so viele ihr im Gesetz gerechtfertigt werdet; ihr seid aus der Gnade gefallen.“ Darum ermahnt der Apostel die Juden, die durch den Tod Christi vom Joche des Gesetzesbundes frei geworden waren, und die Nationen, die nie unter diesem Joche gestanden und Christum und den Gnadenbund angenommen haben: „Für die Freiheit hat Christus uns freigemacht; stehet nun fest und lasset euch nicht wiederum unter einem Joche der Knechtschaft halten.“ – Gal. 5:1
So sehen wir denn, dass die Neue Schöpfung mit Jesu als ihrem Haupte der verheißene, im Bunde mit Abraham gemeinte Same Abrahams ist, und dass sie die von ihrem Haupte erkaufte Welt wiederherstellen soll. Es überrascht uns keineswegs, dass im Vorbilde wie in den bildlichen Ausdrücken des Herrn und seiner Apostel die Neue Schöpfung zuweilen als ein Mann von vollem Wuchse dargestellt ist, dessen Haupt Jesum Christum und dessen Glieder die Herauswahl darstellen. (Eph. 4:13; Kol. 1:18.) So „seid ihr, Brüder, gleichwie Isaak, Kinder der Verheißung“ – Glieder des gegenbildlichen Isaak, dessen Haupt Jesus ist. (Gal. 4:28) Unser Herr stellt sich auch als Bräutigam dar, auf den die treue Kirche wartet, um von ihm als Braut zur Hochzeit geführt zu werden. Und der Apostel braucht dasselbe Bild, wenn er schreibt: „Ich habe euch einem Manne verlobt, um euch als eine keusche Jungfrau dem Christus darzustellen.“ (Offb. 21:2; 2. Kor. 11:2) Dieses Bild findet sich auch schon im Vorbilde, denn Abraham sandte seinen Knecht Elieser (vorbildlich für den Heiligen Geist) aus, um für Isaak eine Braut zu suchen. Rebekka nahm den Antrag freudig an und wurde Isaak zugeführt und sein Weib, gerade wie wir zu Erben Gottes und Miterben Christi Jesu, unseres Herrn, berufen werden, Miterben des unvergänglichen, unbefleckten und unverwelklichen Erbes. Welches Vorbild wir auch betrachten mögen, stets finden wir dieselbe Lehre: dass der Christus, Haupt und Leib, (Bräutigam und Braut nach der Hochzeit) Erbe des abrahamischen Bundes und der daran geknüpften Verheißungen ist.
Der Apostel erklärt, dass der Berg Sinai und die Stadt Jerusalem Vorbilder des natürlichen Israels seien, das verfehlte, zu der geistigen Verheißung zu gelangen. Der dieser geistigen Verheißung würdige „Überrest“ wurde von Israel nach dem Fleische getrennt und wurde ein Glied des wahren Israels Gottes, Miterbe mit dem Auferstandenen an den himmlischen Dingen, welche Gott in Bereitschaft hält für die, die ihn lieben. Dieser Überrest Israels und die Herauswahl aus den Nationen, die ihm beigesellt worden ist, haben andere, höhere Vorbilder als Sinai und Jerusalem; nämlich den Berg Zion und das himmlische Jerusalem, dessen bildliche Beschreibung wir in Offenbarung, Kap. 21, finden.
Nachdem uns so klar geworden ist, dass die Neue Schöpfung im Plane und in den Vorkehrungen Gottes neben der Welt und neben Israel nach dem Fleische eine Sonderstellung einnimmt, dass sie mithin nicht dem sinaitischen oder Gesetzesbunde, sondern dem ursprünglichen (abrahamischen) Bunde unterstellt ist, fragen wir nun: Welches Gesetz war an den Bund mit Abraham geknüpft? Die Antwort auf diese Frage wird uns auch sagen, unter welchem Gesetze die Neue Schöpfung steht. Der Apostel gibt diese Antwort: „Ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade.“ Was? Ist es möglich? Sind die Neuen Schöpfungen in Christo Jesu keinen Geboten unterstellt? Sind die zehn Gebote nicht verbindlich für sie? Diesem Einwande begegnen wir mit der Gegenfrage: „Bedurften Abraham und Isaak der auf Stein eingegrabenen zehn Gebote? Waren sie ihnen gegeben?“ Wenn nein, so sind sie auch der Neuen Schöpfung nicht gegeben. Alle, die den Bund mit Abraham geerbt, und die als Glieder der geistigen Klasse, des „Leibes Christi“, als „Neue Schöpfungen in Christo Jesu“ in die Familie Gottes eintreten, sind frei von der Verdammnis, frei von dem Gesetzesbunde.
Diese Neue Schöpfung steht in einem ganz anderen Verhältnis zu Gott, seinem Gesetze usw. als alle anderen Menschen. Ihres Glaubens wegen rechnet sie Gott, wie wir schon gesehen haben, als gerecht. Diese ihnen auf Grund des Verdienstes Christi zugerechnete Gerechtigkeit macht nicht nur die Übertretungen der Vergangenheit gut, sondern deckt als gerechtmachendes Kleid der Gerechtigkeit alle Mängel in Gedanken, Worten und Werken, die nicht gewollt sind. Als Neue Schöpfungen sind sie alle – bildlich gesprochen – in weiße Kleider gekleidet, in die Gerechtigkeit der Heiligen, in die ihnen zugerechnete Gerechtigkeit ihres Erlösers und Hauptes. Diese Neuen Schöpfungen werden auf Grund ihres Bekenntnisses der Liebe als Glieder des Leibes Christi (der Familie Gottes) angenommen. Ihre Weihungserklärung bedeutet, dass sie Gottes Güte und Gnade, die er im Tode seines Sohnes geoffenbart hat, und die daraus hervorgehende Gerechtmachung aus Glauben so hoch schätzen und den Geber aller dieser Gnaden so sehr lieben, dass es für sie eine Freude ist, ihre Leiber gemäß der göttlichen Aufmunterung als lebendige Opfer darzustellen.
Diese Weihung, diese Darangabe irdischer Vorteile, Aussichten, Bestrebungen und Ziele wird nicht durch Furcht, noch durch eine eigennützige, auf Lohn zählende Liebe hervorgebracht, sondern durch reine Liebe, durch Wertschätzung der Liebe Gottes, durch eine Gegenliebe, welche wünscht, sich Gott durch Teilnahme an seinem ganzen wunderbaren Plane kundzugeben. Nach Annahme dieses Bekenntnisses der Liebe und Hingabe durch den Herrn wird uns sein Geist zuteil; solche werden als Söhne Gottes gerechnet, gezeugt vom Heiligen Geiste. „Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes, und es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden (wie sehr wir werden verändert werden, wenn wir den verheißenen geistigen Auferstehungsleib erhalten); wir wissen (aber), dass, wenn er geoffenbart wird (Elberf. Randglosse), wir ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist (und dieser Gedanke befriedigt uns).“ – 1. Joh. 3:2
Hat der himmlische Vater seine Söhne auf geistiger Stufe, die Engel, dem Gesetz vom Sinai unterstellt? Hat er ihnen verboten, andere Götter zu verehren, sich Bildnisse von Gott zu machen, zu stehlen, zu morden, falsches Zeugnis zu reden, sich gelüsten zu lassen? Gewiss nicht, solch ein Gesetz hatten die Engel nicht nötig; darum gab er es ihnen nicht. Warum sollte es denn den Neuen Schöpfungen gegeben sein? Hat sie der himmlische Vater nicht als Söhne angenommen? Hat er ihnen nicht von seinem Geiste (seiner heiligen Gesinnung) gegeben und bedarf, wer in Ersetzung der eigenliebigen Gesinnung, des Eigenwillens, den Heiligen Geist empfangen hat, bedarf ein solcher eines solchen Gesetzes? Wir können begreifen, dass man Knechte einem Gesetze unterstellt, dass sie möglicherweise nicht so von sich aus an der allgemeinen Wohlfahrt teilnehmen, und vom Geiste ihres Herrn nicht ganz erfüllt sein mögen; setzen wir aber einen vollkommenen Meister und vollkommene Söhne, die des Geistes des Meisters voll sind, voraus, Söhne, deren Freude es ist, des Meisters Willen zu tun, seine Mitarbeiter in all seinem Gnadenwerk zu sein, wie könnte da eine Notwendigkeit für einen solchen Vater bestehen, solchen Söhnen ein Gesetz zu geben?
„Moses zwar war treu in seinem ganzen Hause als Diener“ (Hebr. 3:5) und dieses Haus der Knechte war unter jenem Gesetz ganz am Platz; denn das mosaische Gesetz wurde „hinzugefügt um der Übertretung willen, bis der verheißene Same käme“. Jesus im Fleische strebte nicht nach hohen Dingen, sondern nahm Knechtsgestalt an, unterstellte sich dem Gesetze, auf dass er nicht nur die Gerechtigkeit des Gesetzes, sondern auch seine eigene Vollkommenheit im Fleische erwiese, die ihm ermöglichte, die Welt zu erlösen. Erst als er aus den Toten auferstanden, der Erstgeborene aus den Toten wurde, wurde er der Erstgeborene unter vielen Brüdern, das Haupt der Neuen Schöpfung. Nach dem Fleische stand er unter dem Gesetze, aber die Neue Schöpfung, der auferstandene Herr, steht nicht unter dem Gesetze, und er ist es, welcher das Haupt des neuen Hauses der Söhne geworden ist, „Christus aber als Sohn über sein Haus (das der Söhne), dessen Haus wir sind, wenn wir anders die Freimütigkeit und den Ruhm der Hoffnung bis zum Ende standhaft festhalten.“ (Hebr. 3:6) Und wenn wir auch als Neue Schöpfung noch im Fleische sind, so sind wir doch nicht von dem Fleische und werden nicht behandelt, als wenn wir Fleisch wären, nicht behandelt, wie die übrige Welt behandelt wird, sondern als Neue Schöpfungen, welche eine Zeitlang im Fleische wie in einem Zelte wohnen, erwartend die Sohnschaft, d.h. die Befreiung der gesamten Körperschaft (des Leibes Christi), um unserem herrlich gemachten Haupte gleich und beigesellt zu werden. „Ihr aber seid (von Gott) nicht (angesehen als wäret ihr) im Fleische, sondern im Geiste, wenn anders Gottes Geist in euch wohnt.“ – Röm. 8:8, 9
Niemand kann dies klar erfassen, als wer den Gegenstand von Gottes Standpunkt aus betrachtet. Wer dies aber tut, für den ist es selbstverständlich, dass diesen Neuen Schöpfungen, diesen vom Heiligen Geiste gezeugten Wesen der Gedanke gar nicht kommen kann, andere Götter neben dem Einen zu haben, sich Bilder zu machen und sie anzubeten, Gottes Namen zu missbrauchen, zu stehlen – denn das Geben ist ihnen viel natürlicher als das Nehmen – und falsch Zeugnis zu reden. Vielmehr treibt die Liebe, die in ihnen ist, sie an, die Schäden, nicht nur bei den Brüdern, sondern bei der Welt überhaupt zu bedecken und zu verbergen. Es kann ihnen auch gar nicht in den Sinn kommen, jemanden zu töten, vielmehr möchten sie ihren Mitmenschen Leben geben, und wenn möglich sogar in sehr reichlichem Maße; ja, ihre heilige Gesinnung treibt sie an, ihr Leben für die Brüder zu opfern, gerade wie die gleiche heilige Gesinnung den Anführer unserer Errettung veranlasste, sich selbst als Lösegeld für alle zu geben.
Ist es nach diesem allem nicht klar, dass Gott etwas Unpassendes getan haben würde, wenn er der Neuen Schöpfung, dem Hause der Söhne, ein Gesetz gegeben hätte, gleich demjenigen, das er dem Hause der Knechte gab? Von diesem Gesetze könnten die Glieder des Hauses der Söhne gar nicht betroffen werden, sie hätten denn zuvor die heilige Gesinnung verloren und aufgehört, Neue Schöpfungen zu sein; denn, „wenn jemand Christi Geist (Gesinnung, Charakter) nicht hat, so ist er nicht sein.“ – Röm. 8:9
Wie können nun aber diese Neuen Schöpfungen ohne Gesetz und ohne gewisse Vorschriften sein? Durch die Liebe, die da ist des Gesetzes Erfüllung. Gottes Gebote sind so umfassend, sie prüfen so sehr Herzen und Nieren, dass ihnen gar nicht völlig nachgelebt werden kann, als allein durch Liebe. Ein noch so genaues Beachten der Gebote kann ohne den Beweggrund der Liebe zu Gott nicht als Erfüllung des Gesetzes gelten. Die Liebe aber, die des Gesetzes Erfüllung ist, forscht allen Anforderungen des göttlichen Gesetzes nach und sucht ihnen nach Kräften zu entsprechen, nicht aus Zwang, sondern mit Freude.
Solche Liebe für Gott und seine Gerechtigkeit bekundete die Neue Schöpfung bei der Weihung. Damals wurde die Liebe ihr Gesetz; dieses Gesetz bleibt für sie verbindlich bis in den Tod. Jede Übertretung dieses Gesetzes ist eine Verletzung der übernommenen Vertragspflichten. Wie der Gehorsam gegenüber diesem Gesetze der Liebe, soweit die Erkenntnis und die Kräfte reichen, Selbsthingabe und Überwindung des Geistes dieser Welt, der Schwachheiten des Fleisches und des Widerstandes des Feindes bedeutet, wobei die Gnade des Herrn für unabsichtliche Verfehlungen aufkommt und solche Kämpfer zu Überwindern macht, so bedeutet absichtlicher Ungehorsam, beabsichtigte und fortgesetzte Übertretung des Gesetzes der Liebe den Verlust der Sohnschaft, das Auslöschen des Heiligen Geistes, den Tod der Neuen Schöpfung, den zweiten Tod.
Der Apostel redet in Römer 5 davon, wie die Gnade für unsere Unvollkommenheiten aufkommt, und fährt dann fort: „Sollten wir in der Sünde verharren, auf dass die Gnade überströme? Das sei ferne! Wir, die wir der Sünde gestorben sind, wie sollen wir noch in derselben leben?“ (Röm. 6:1, 2) Durch unsere Annahme der Sündenvergebung in Christo bekunden wir, dass wir der Sünde müde waren, dass unser Wille der Sünde gestorben ist und ein neues Leben in Gerechtigkeit zu führen begonnen hat. Leben wir Gott und seiner Gerechtigkeit in unserer Eigenschaft als Neue Schöpfungen, so sind wir der Sünde gestorben; würden wir aber wieder der Sünde lebendig, in dem Sinne, dass unser Wille, unser Herz, unseres Liebe sich wieder der Sünde und der Ungerechtigkeit zuwendeten, so bedeutet das, dass wir als Neue Schöpfung gestorben, dass wir nicht mehr Glieder der Familie Gottes sind, als Neue Schöpfungen in Christo Jesu, für welche das Alte vergangen und, soweit Wollen und Wünschen in Betracht kommt, alles neu geworden ist.
Wir müssen jedoch hier wohl zwischen einem Fallen aus Schwachheit des Fleisches und einem absichtlichen Abfallen von der Gnade unterscheiden, nachdem wir die Güte des Wortes Gottes und die Kräfte des zukünftigen Zeitalters geschmeckt haben, nachdem wir des Heiligen Geistes teilhaftig geworden sind. Ein solcher Abfall ist unheilbar. (Hebr. 6:4-6; 10:26) Ein Fallen des Fleisches bedeutet nur, dass unsere irdischen Leiber von einem Fehler überrascht worden sind, sei es aus ererbter Schwachheit, sei es infolge Betörung durch den Widersacher; der Wille oder das Herz stimmt dabei gar nicht oder nur teilweise zu. Natürlich ist solches Fallen zu bedauern, und es ist unsere Pflicht, unser Möglichstes zu tun, um es zu verhüten. Aber durch die Gnade Gottes werden solche Sünden zuweilen Mittel zur Entwicklung eines Charakters. Wir lernen dadurch, nicht auf uns selbst zu trauen, auf unsere eigene Kraft zu pochen, sondern dass der Sieg, welcher die Welt überwindet, aus Glauben kommt. Wenn die Neue Schöpfung also bemerkt, dass ihr Fleisch in einem gewissen Stücke gefehlt hat, so muss sie in dem betreffenden Punkte in Zukunft auf der Hut sein und stärker werden im Herrn und in der Macht seiner Stärke, auf dass sie in den betreffenden Fehler weniger leicht hineinverfalle. So lernen wir als Neue Schöpfungen Schritt für Schritt unser Vertrauen nicht auf unser Fleisch zu setzen, sondern auf den Herrn zu sehen, von woher uns in jeder Zeit der Not Hilfe kommt, stets eingedenk des Umstandes, dass wir noch Neue Schöpfungen sind, und dass, solange wir durch Glauben unter dem Verdienste des Sühnopfers Christi verbleiben und uns bemühen, durch Selbsthingabe die Forderungen unseres Liebesbundes zu erfüllen, „der Vater selbst uns liebt“. Lasset uns guten Mutes sein und bedenken, dass die Neue Schöpfung nicht sündigt, dass Sünde nicht der Neuen Schöpfung, sondern dem schwachen Fleisch zur Last gelegt wird; dass also, solange wir wider die Sünde ankämpfen, niemand die Auserwählten Gottes verklagen kann, da Gott es ist, der rechtfertigt, und weil Christus für uns gestorben ist. – Röm. 8:33, 34
Wachstum in der Würdigung des vollkommenen Gesetzes
Wenn auch das Gesetz der Liebe die Grundlage unseres Bundes (Vertrages) mit dem Herrn, unter welchem wir Neue Schöpfungen wurden, war, so erkannten wir doch nicht gleich von Anbeginn den ganzen Umfang dieses Gesetzes. Seit jenem Augenblicke sind wir vielmehr zu Christo in die Schule gegangen. Dort haben wir gelernt, was Liebe alles bedeutet, haben in der Erkenntnis zugenommen, sind in der Gnade gewachsen und haben uns neben dem Glauben die mannigfachen Eigenschaften der Liebe erworben, als da sind: Freundlichkeit, Geduld, brüderliche Liebe usw. Wir werden in dieser Schule immer gründlicher daraufhin geprüft, ob wir uns auch die Liebe angeeignet haben, und nur die, bei denen diese Prüfung befriedigend ausfällt, die sich über vollkommene Liebe ausweisen, Liebe, die sich selbst dahingibt, werden würdig erachtet werden, Glieder der Neuen Schöpfung, des Leibes Christi, zu sein.
Das Laufen nach dem Ziele und das Festhalten bei demselben
Der Apostel stellt in einem weiteren Bilde unsere Erfahrungen als einen Wettlauf dar, in welchem wir jede Bürde und die leicht umstrickende Sünde ablegen, jede Schwachheit des Fleisches bekämpfen und jedes irdische Ziel aus den Augen verlieren sollen, auf dass wir mit Ausharren den uns im Evangelium vorgezeichneten Wettlauf laufen und zum Kampfpreise der himmlischen Berufung hingelangen und, wenn wir alles getan haben, auch an dem erreichten Ziele der Vollkommenheit in Christo feststehen. – Phil. 3:13, 14; Eph. 6:13; Hebr. 12:1
Das sind Anspielungen auf einen Wettlauf in der Rennbahn, wo an verschiedenen Punkten vorbei und über verschiedene Hindernisse und Schwierigkeiten hinweg gekämpft werden muss. An einem solchen Wettlauf nehmen wir mit dem Wunsche teil, das letzte Ziel (die vollkommene Liebe) zu erreichen, wissend, dass, wenn wir es nicht erreichen, wir nicht Gottes geliebtem Sohne ähnlich werden und somit Gott nicht im weitesten Sinne wohlgefallen, nicht Miterben Jesu im Königreiche werden können. Der ganze Wettlauf von Anfang bis zu Ende ist Liebe. Wenn wir in die Rennbahn eintreten, geschieht es durch das Tor dankbarer Liebe zu Gott, der uns in Christo so sehr begnadigt hat, dass er uns unsere Sünden vergab. Diese geschuldete Gegenliebe treibt uns, unsere Leiber als lebendige Opfer darzustellen. Wir sagten uns, dass, wenn Gott soviel für uns getan hat, wir schuldig sind, ihm zu zeigen, dass wir es zu schätzen wissen. Wie Christus sein Leben für uns dahingegeben hat, so sind wir schuldig unser Leben für die Brüder niederzulegen.
Diese Pflichtliebe ist durchaus am Platze, aber sie ist nicht alles. Sie muss die Vorstufe zu einer höheren Liebe sein. Wir sind erst am Anfange unseres Wettlaufes und sind nun daran, nebst der Pflichtliebe noch der auf Würdigung gegründeten Liebe, dem ersten Merkpunkte, zuzustreben. Dies tun wir, nachdem wir anfangen, die Liebe Gottes höher zu schätzen, nachdem wir erkannt haben, dass dieselbe keineswegs selbstsüchtig, sondern der Ausdruck seines erhabenen, edlen Charakters ist. Wir gelangen dazu, ein wenig von der Gerechtigkeit, Weisheit, Allmacht und Liebe Gottes zu würdigen, und nachdem wir sie begriffen haben, fangen wir an, sie zu lieben, und üben alsdann Gerechtigkeit, nicht nur weil dies unsere Pflicht ist, sondern weil wir die Gerechtigkeit lieben.
Nun heißt es, dem zweiten Merkpunkte zuzustreben, indem wir nicht nur die Gerechtigkeit lieben, sondern auch die Sünde hassen, den Plan Gottes, welcher darauf ausgeht, die Flut der Sünde, welche die Welt überschwemmt hat, zurückzuwerfen, billigen und wertschätzen lernen. Dieses Einverständnis mit Gott macht uns lebendig, treibt uns an, zugunsten der Gerechtigkeit und wider die Sünde zu handeln.
Nun wächst die Liebe weiter und drängt uns dem dritten Merkpunkte entgegen, wo wir nicht mehr nur aus Pflicht lieben, wo unsere Liebe zur Gerechtigkeit nicht nur den Charakter Gottes liebt und alles Böse, das der Menschheit Schaden zufügt und dem Plane und Charakter Gottes zuwiderläuft, hasst, sondern wo wir anfangen, Gottes Denkungsart in der Weise zu teilen, dass wir nicht nur der Sünde widerstehen, sondern Liebe und Zuneigung zu allen fassen, die den Pfad der Gerechtigkeit und Heiligkeit zu wandeln suchen. Dies befähigt uns, die Brüder in einem anderen Lichte als zuvor zu betrachten. Wir können nun in ihnen die Neuen Schöpfungen sehen und einen Unterschied zwischen diesen und ihren irdischen Leibern, deren Mängel uns ersichtlich sind, machen. Wir lernen die Brüder als Neue Schöpfungen lieben und ihre verschiedenen Schwächen, falschen Entscheidungen des Fleisches usw. mitempfinden. So lauter wird unsere Liebe für sie, dass wir uns freuen, wenn wir unser Leben täglich, stündlich in ihrem Dienst niederlegen und unsere irdischen Interessen, Freuden oder Bequemlichkeiten darangeben, um unsere Zeit, unseren Einfluss oder sonst etwas dazu verwenden zu können, ihnen zu helfen oder zu dienen.
Aber der letzte Merkpunkt liegt immer noch vor uns; erst dort wird der Preis unser. Was kann das für eine Liebe sein? Was kann größer sein als die Liebe, die sich für die Brüder opfert, in voller Ergebung in Gott und die Forderungen der Gerechtigkeit und Liebe? Es ist die vom Herrn selbst geforderte Liebe zu unseren Feinden. Als wir Feinde waren, von Gott geschieden durch unsere bösen Werke, da liebte Gott die Welt so, dass er seinen eingeborenen Sohn gab. Das ist ein Merkpunkt der vollkommenen Liebe; wir dürfen nicht vor demselben stillstehen. Wer vom Herrn angenommen und ein Glied der Neuen Schöpfung in Herrlichkeit werden will, der muss diese Feindesliebe erreichen.
Jedoch nicht so sollen wir unsere Feinde lieben, wie wir unsere Brüder lieben. Gott liebte seine Feinde nicht in gleicher Weise wie seine Söhne, seine Freunde. Jesus selbst liebte seine Feinde nicht, wie er seine Jünger liebte. Aber Gott liebte seine Feinde so, dass er bereit war, für sie zu tun, was billigerweise für sie getan werden konnte, und Jesus liebte seine Feinde so, dass er von Herzen bereit war, ihnen Gutes zu tun – er erwidert ihren Hass nicht mit Feindschaft, er trägt ihnen denselben nicht nach, sondern er ist bereit, die Segnungen des Tausendjahrreiches über sie auszuschütten, sie alle zur Erkenntnis der Wahrheit zu bringen, auf dass selbst die, welche ihn durchstochen haben, zu ihm aufsehen und weinen werden, wenn Gott zur zuvor bestimmten Zeit den Geist der Gnade und des Flehens über sie ausgießen wird. (Sach. 12:10) Wir müssen jene Liebe für unsere Feinde haben, von welcher der Herr in der Bergpredigt sagte: „Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, und betet für die, die euch beleidigen und verfolgen.“ (Matth. 5:44) Wir dürfen keine Bitterkeit, kein Übelwollen, keine Rachegedanken in unseren Herzen wohnen lassen; sie müssen vielmehr so voll Liebe sein, dass nicht einmal ein Feind in ihnen einen bösen Gedanken wecken kann.
O, wie viel Langmut und brüderliche Freundlichkeit setzt ein solcher Charakter voraus, den selbst ein Feind nicht zu Bosheit, Hass und Streit anregen kann! Das ist der Merkpunkt, dem wir als Neue Schöpfungen nachjagen müssen. Wir haben den Geist der Liebe zu würdigen vorgegeben; wir haben vorgegeben, dass wir uns ihm geweiht haben; wir haben unseren Wandel mit diesen Grundsätzen in Übereinstimmung gebracht; jetzt will der Herr erproben, wie ernst es uns mit dem allem gewesen ist, ob wir auch aufrichtig gewesen sind. Der Herr ist gütig und gnädig genug, uns zu diesem Wettlauf Zeit zu lassen, diese Sinnesart allmählich zu entwickeln. „Er kennt unser Gebilde, ist eingedenk, dass wir Staub sind.“ (Psalm 103:14) Dennoch müssen wir den uns verordneten Wettlauf zu Ende laufen, wenn wir als Mitglieder der Neuen Schöpfung Miterben mit Gottes geliebtem Sohne werden wollen.
Unser Herr Jesus, der Anführer unseres Heils, bedurfte dieses Wettlaufes nicht erst; er hatte es nicht nötig, diese verschiedenen Stufen der Liebe zur Entwicklung zu bringen. Er war vollkommen und besaß diese Eigenschaften von Anbeginn. Seine Prüfung bestand darin, ob er unter widrigen Umständen bei dem Merkpunkte der vollkommenen Liebe feststehen würde, ob er fortfahren würde, Gott und seine Gerechtigkeit aufs höchste zu lieben, die Brüder zu lieben und sein Leben in ihrem Dienste daranzugeben, seine Feinde zu lieben und sich zu freuen, ihnen Gutes zu tun. Wir wissen, dass er diese Prüfung in allen Stücken bestanden hat, dass er sein Leben hingab, nicht für seine Freunde allein, sondern auch für seine Feinde, welche ihn als Kreuz schlugen. So müssen auch wir bestehen. Wir müssen in unserer Gesinnung den Merkpunkt dieser vollkommenen Liebe erreichen, ungeachtet dessen, dass unser Fleisch nicht imstande ist, ihr vollkommenen Ausdruck zu verleihen.
Die einen mögen diesen Wettlauf rasch durchlaufen, rasch an den verschiedenen Merkpunkten vorbeikommen und den der vollkommenen Liebe erreichen. Andere haben weniger Eifer oder blicken weniger aufmerksam auf den Anfänger unseres Glaubens; solche machen weniger rasche Fortschritte und begnügen sich jahrelang mit Pflichtliebe oder Liebe für den Charakter und die Gerechtigkeit Gottes. Derer, die weiter kamen und die Liebe für die Brüder soweit entwickelt haben, dass es sie freut, sich selbst zu verleugnen, wenn dadurch den Brüdern gedient sein kann, derer sind nur wenige, und noch weniger sind derer, die die vollkommene Liebe erreicht haben, die ihre Feinde so lieben, dass sie vor dem bloßen Gedanken, ihnen durch Wort oder Tat Übles anzutun, zurückschrecken, ja, dass sie sich freuen, ihre Feinde zu segnen. Wenn der Herr mit uns solange Geduld gehabt hat, uns so reichlich Gelegenheit gegeben hat, ans Ziel zu gelangen, dann sollten wir für dieses sein Erbarmen dankbar und in unserem Ringen um den Preis um so eifriger sein, eingedenk, dass wir nur wenig Zeit haben, und dass nur die vollkommene Liebe uns ermöglicht, vom Vater als Neue Schöpfungen angenommen zu werden.
Wie unser Herr auf sein Feststehen an dem Ziele der vollkommenen Liebe hin geprüft wurde, so wird auch ein jeder von uns, nachdem wir es erreicht haben, geprüft werden. Wir dürfen daher nicht erwarten, dieses Ziel erst bei unserem letzten Atemzuge zu erreichen, nein, wir sollten es so schnell wie möglich zu erreichen suchen. Gerade die Eile, mit der wir dem Ziele zustreben, wird für Gott und für die Brüder den Maßstab abgeben, mit dem sie unsere Liebe und unseren Eifer messen.
Des Apostels Worte: „Nachdem ihr alles ausgerichtet habt, stehet!“ (Eph. 6:13) setzen voraus, dass, nachdem wir am Merkpunkte der vollkommenen Liebe angelangt sind, wir an Erprobungen derselben keinen Mangel leiden werden: unser Glaube, unser Ausharren, unsere Liebe in allen Stücken werden auf die mannigfaltigsten Proben gestellt werden. Diese Welt ist nicht derart, dass sie uns in der rechten Richtung weiter helfen würde; Satan bleibt unser Widersacher und wird uns viel Widerstand erwecken, um uns von dem erreichten Ziele zurückzutreiben. Das ist unsere Erprobung. Wir müssen an allem, was wir erreicht haben, festhalten. Wir müssen uns fest an das Ziel anklammern, und wenn es uns unser irdisches Leben kosten sollte, das Niederlegen unseres Lebens im Dienste Gottes, für die Brüder und im Gutestun allen Menschen gegenüber, wie sich Gelegenheit bietet. „Treu ist, der euch ruft“; er hat uns Unterstützung und Hilfe auf diesem unserem Wege verheißen und wird sie uns zuteil werden lassen, sooft wir ihrer bedürfen. Seine Gnade genügt uns. – 1. Thess. 5:24; 2. Kor. 12:9
Das Gesetz der Liebe ist, wie wir schon gesehen haben, auch das Gesetz der Engel. Ihr Gehorsam gegen Gott und ihr Einverständnis untereinander beruhen auf dieser Liebe. Und wenn der Menschheit auch das Tausendjahrreich hindurch mannigfache Gebote gegeben werden, um sie zur Vollkommenheit zurückzuführen, so können wir doch dessen gewiss sein, dass diejenigen, welche am Ende dieses Reiches ewigen Lebens würdig erachtet werden, über den bloßen Gehorsam den Geboten gegenüber hinausgekommen sein werden. Das ursprüngliche Gesetz, Gehorsam, und das Gesetz der Liebe, die ein Teil des göttlichen Charakters ist, wird in ihre Herzen geschrieben sein. Die Söhne der Wiederherstellung, diese Söhne Gottes menschlicher Ordnung, werden alle diesen Geist der Liebe besitzen, ohne welchen es unmöglich ist, Gott zu gefallen, denn er sucht Anbeter, die ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. So sehen wir, dass, während Himmel und Erde ein Gesetz haben müssen, dem nachgelebt werden muss, der geforderte Gehorsam so weit über alle unsere irdischen und unvollkommenen Vorstellungen und Begriffe geht, dass das einzige Wort „Liebe“ das ganze Gesetz ausdrückt, dem alle Söhne Gottes (Neue Schöpfungen, Engel und Menschen) unterworfen sein werden. Wie hoch erhaben und wunderbar ist doch der Charakter und Plan unseres Gottes! Liebe ist die Erfüllung seines Gesetzes, und wir können uns kein höheres Gesetz vorstellen.
Nachdem wir bis jetzt diesen Gegenstand im allgemeinen behandelt haben, müssen wir noch darüber reden, dass die Neue Schöpfung schon während ihres Wohnens im Fleische, und während sie mehr oder weniger unter der Schwachheit und dem Widerstande desselben zu leiden hat, ihr Verhalten zu den Brüdern und der Welt nach diesem Gesetz der Liebe einrichten muss, nach dem neuen Gebot, das der Herr allen denen gegeben hat, die seine Nachfolger werden. Dies soll geschehen in dem Abschnitt:
Die goldene Lebensregel
Gold ist, wie wir schon sahen, das Vorbild für Göttliches. Die goldene Lebensregel ist also die göttliche Lebensregel, und diese ist, wie wir eben ausgeführt haben, Liebe. Das Höchste, was der natürliche Mensch in der Richtung der Liebe erkennen kann, liegt ausgedrückt in dem Verse:
„Was du nicht willst, dass man dir tu‘,
Das füg‘ auch keinem andern zu.“
Das ist nur negative Güte. Im Gegensatze dazu drückt sich die goldene Lebensregel, welche der Herr der Neuen Schöpfung jetzt gibt, und welche von niemand anders als von der Neuen Schöpfung völlig gewürdigt werden kann, positiv aus: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen.“ Das ist positive Güte, lebendige, werktätige Liebe. Wenn Glieder der Neuen Schöpfung zuweilen verfehlen, dieser oder jener Vorschrift der goldenen Lebensregel, des Gesetzes ihres Wandels, gemäß zu handeln, so muss sie es, es sei denn, sei seien noch kleine Kindlein auf dem neuen Wege, bitter gereuen. Ist dies so, liegt darin der Beweis, dass die Verfehlung nicht absichtlich war, nicht aus dem Herzen kam, nicht ein Abweichen der Neuen Schöpfung von ihrem Gesetze war, sondern ein Nachgeben dem schwachen Fleische gegenüber, welches, mögen die Wünsche und Absichten des Geistes noch so gut sein, strauchelt und uns zu Fall bringt. Je mehr aber die neue Gesinnung Gott lebt und es sich angelegen sein lässt, seinen Willen zu tun, um so rascher und eifriger wird sie bei der Hand sein, um das „irdene Gefäß“, in welchem sie wohnt, zu überwachen. Sie wird die Waffenrüstung Gottes anziehen, damit sie den guten Kampf wider die Schwachheiten des Fleisches zu kämpfen vermag. Sie wird darauf bestehen, dass ein begangener Fehler, in Wort oder Tat, mit hohem Zins gutgemacht werde, und zwar so schnell wie möglich. So wird das „irdene Gefäß“ beschämt und dadurch in seinem Widerstande gegen die neue Gesinnung geschwächt.
Dieses Gesetz der Neuen Schöpfung ist die Grundlage ihrer Beziehung zu Gott. „Du sollst Gott deinen Herrn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüte, von ganzem Wesen und mit allen deinen Kräften.“ Da ist kein Raum mehr für Selbstliebe, es befinde sich denn dieses Selbst mit Gott in völliger Übereinstimmung. Dieses Gesetz ist ferner die Grundlage ihrer Beziehungen zu den Brüdern, denn wie kann jemand Gott lieben, den er nicht sieht (außer mit dem Auge des Glaubens), wenn er nicht die Brüder liebt, welche Gottes Sinnesart haben, und welche er mit den natürlichen Augen sieht? (1. Joh. 4:20, 21) Wenn er auf sein Verhalten den Brüdern gegenüber genau acht haben lernt, für sie und an ihnen tut, was er möchte, dass sie für ihn und an ihm tun möchten, so wird das in seinem Leben eine große Wandlung bedeuten. Er wird gewahren, dass dies keineswegs das Gesetz war, nach welchem sich ehedem sein Leben, sein Denken, Reden und Handeln richtete. Wie er wünscht, dass die Brüder gütig an ihm handeln und freundlich zu ihm sprechen, Geduld haben mit seinen Gebrechen und Schwachheiten, und den Mantel der Liebe über die menschlichen Fehler decken, gerade so, merkt er, sollte er es auch mit ihnen halten. Wie er wünscht, dass sie nicht Übles über ihn aussagen, selbst wenn es der Wahrheit entspräche, so sollte er liebenswürdig und freundlich zu ihnen sein und gegen niemand Böses aussagen, sondern jedermann Gutes tun, insonderheit den Hausgenossen des Glaubens. Er wird nicht mehr von anderen erwarten, als in ihrem Bereiche liegt zu tun, gleichwie er wünscht, dass man auch von ihm nicht Unmögliches erwartet. Nach denselben Grundsätzen wird sich auch sein Verhalten gegenüber der Welt richten. Dies gibt allmählich dem Leben eine ganz neue Richtung, und diese Wandlung vollzieht sich um so mehr, je mehr wir die Herrlichkeit des Herrn anschauen. (2. Kor. 3:18), je stärker der Wunsch in uns wird, Nachahmer der erhabenen göttlichen Sinnesart zu werden, deren Größe eben im Verhalten dieser goldenen Lebensregel, diesem Gesetze der Liebe gemäß, liegt.
Je mehr unsere vom Heiligen Geiste gezeugte neue Gesinnung sich entwickelt, um so mehr werden unsere Herzenseigenschaften „verwandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit“; und wenn wir so im Herzen und im Gemüte verwandelt werden (und soweit dies möglich, auch äußerlich), werden wir reif, gemäß der göttlichen Verheißung, für die große und endgültige Auferstehungs-Verwandlung, wo, was in Schwachheit und Verweslichkeit gesät worden ist, auferstehen wird in Kraft und Herrlichkeit, als Neue Schöpfung auf geistiger Stufe – der Gesalbte (Christus) Gottes. Manche guten und wirksamen Ratschläge, Ermahnungen und Anregungen werden uns von den Aposteln zuteil, und verschiedene Brüder haben dieselben wiederholt, um uns nützlich zu sein; allein das das Gesetz, das ganze Gesetz, dem die Neue Schöpfung von ihrem Haupte unterworfen worden ist, ist das Gesetz der Liebe, die Goldene Regel. Richtig verstanden, wird dieselbe bewirken, dass wir manche Dinge, die wir bisher getan haben, nicht mehr tun, und manchen Dingen, die wir bisher vernachlässigten, viel Beachtung schenken und Zeit und Kraft widmen.
„Das vollkommene Gesetz der Liebe“
Wenn jemand anfangs geneigt ist, zu denken, der Herr habe der Neuen Schöpfung zuviel Freiheit gelassen, zu wenig Regeln und Einschränkungen auferlegt, so ändert sich diese Ansicht in dem Maße, wie die Länge und Breite, der Umfang dieses im Worte „Liebe“ zusammengefassten Gesetzes Gottes erkannt wird. Der Apostel nennt es (Jak. 1:25) „ein Gesetz der Freiheit“; aber Gott wendet dasselbe nur bei den vom Heiligen Geiste gezeugten Neuen Schöpfungen an. Auf andere findet dies Gesetz keine Anwendung. Andere sind entweder als Knechte, welche noch nicht reif sind für „die Freiheit, mit der uns Christus frei macht“, dem Gesetze Moses, oder aber als Fremde, die keinen Gott und keine Hoffnung haben in dieser Welt, dem ursprünglichen Gesetze, dem Todesurteile, unterstellt. Solche wissen nicht einmal etwas von der Gnade Gottes, welche später der ganzen Welt helfen wird, jetzt aber nur wenigen kundgemacht worden ist, während die große Masse vom Widersacher verhindert wird, die Kunde von der Liebe und dem Heile Gottes zu hören. Er verblendet den Sinn der Mehrheit der Menschheit und stopft ihr die Ohren voll mit Lehren der Teufel usw. – 2. Kor. 4:4; 1. Tim. 4:1
Freiheit ist nicht für die Übelgesinnten. Das bezeugt auch die menschliche Gesellschaft, wenn sie dieselben einkerkert. So ist auch „das vollkommene Gesetz der Freiheit“ nicht für Übelgesinnte, sondern nur für göttlich Gesinnte, für die Vollkommenen, passend. Während des Tausendjahrreiches wird die Welt noch nicht unter einem Gesetze der Liebe gelassen, sondern wird unter einem Gesetze des Gehorsams gegenüber den Forderungen des Königreiches mit Gerechtigkeit und Barmherzigkeit regiert werden. Erst am Ende jenes Reiches, wenn alle, die willentlich Böses zu tun fortfahren, vom zweiten Tode dahingerafft worden sind, wird das Menschengeschlecht, nachdem es sich als vollkommen und die Anforderungen Gottes erfüllend ausgewiesen hat, unter das Gesetz der Freiheit gestellt werden, unter die Goldene Regel – die Liebe. Solange die Menschen aber „minderjährig“ sein werden, solange werden sie wie Knechte behandelt werden. (Hebr. 13:17) Die Neue Schöpfung wird anders behandelt, weil für sie „das Alte vergangen und alles neu geworden ist.“ Sie hasst die Sünde und liebt die Gerechtigkeit und braucht ihre Freiheit nicht zur Befriedigung, sondern zur Niederhaltung des Fleisches, nicht um der Sünde zu frönen, sondern um irdische Interessen daranzugeben, damit sie, vereint mit dem Herrn, die leicht umstrickende Sünde ablegen und einst auch die Welt von der Sünde und ihrem Solde, dem Tode, befreien helfen möge. Nur wer wiedergezeugt ist zu dieser neuen Sinnesart der Gesinnung Gottes, nur wer Schüler geworden ist in der Schule Christi und dort in seinen Fußstapfen wandeln lernt, nur der kann ohne Schaden dem „Gesetz der Freiheit“ unterworfen werden. Wer aber alsdann den Geist der Sohnschaft verliert, der hört auf, zu den Söhnen der Familie Gottes zu gehören und steht nicht mehr unter dem „Gesetz der Freiheit“.
Wer jetzt die Freiheit gebrauchen lernt, mit der Christus uns frei macht, wer jetzt durch die Weihung unter das vollkommene Gesetz der Liebe zu stehen kommt, wer sein Leben aus Liebe für die Brüder und für die Wahrheit und Gerechtigkeit in deren Dienst darangibt, wer in diesem Stücke treu bleibt bis in den Tod, der wird würdig erachtet werden, als Gottes Werkzeug und Miterbe des Geliebten Anteil zu erhalten an dem großen Werke der Segnung der Welt. Wie notwendig ist es offenbar, dass diejenigen, welche die Lehrer, Helfer, Richter und Herrscher der Welt, die Segner aller Geschlechter im Tausendjahrreiche werden sollen, die Liebe in sich völlig auswachsen lassen und in derselben erprobt werden, damit Gott sicher sein kann, dass er an ihnen treue und barmherzige königliche Priester haben werde!