Die nationale Verwirrung Babylons vor dem höchsten Gerichtshof

Die bürgerlichen Mächte beunruhigt, da sie das Gericht über sich kommen sehen. – In Furcht und Schrecken streben sie nach Verbündung und schauen vergeblich auf die Kirche um ihre frühere Macht. – Sie vermehren ihre Heere und Flotten. – Kriegsvorbereitungen zu Land und Wasser. – Vollkommene Kriegswerkzeuge, neue Entdeckungen, Erfindungen, Explosivstoffe usw. – Erwecket die Heiden; schmiedet Pflugmesser zu Schwertern usw. – Die Vereinigten Staaten von Amerika von noch größeren Übeln bedroht als die alte Welt. – Der Ruf: Friede, Friede! und da ist doch kein Friede.

„Das sind Tage der Rache, dass alles erfüllt werde, was geschrieben steht … Auf der Erde Bedrängnis der Nationen in Ratlosigkeit bei brausendem Meer und Wasserwogen, indem die Menschen verschmachten vor Furcht und Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis kommen; denn die Kräfte der Himmel werden erschüttert werden. Und dann werden sie den Sohn des Menschen sehen, kommend in einer Wolke mit Macht und großer Herrlichkeit.“ – Luk. 21:22, 25-27

„Noch einmal werde ich nicht allein die Erde bewegen, sondern auch den Himmel. Aber das noch einmal deutet die Verwandlung (Hinwegräumung) der Dinge an, die erschüttert werden, als die, welche gemacht sind, auf dass die, welche nicht erschüttert werden, bleiben … Denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer.“ – Hebr. 12:26, 27, 29

Dass die bürgerlichen Gewalten sehr wohl merken, dass das hereinbrechende Gericht sie treffen wird, und dass sie gar nicht sicher sind, bestehen zu bleiben, sieht jeder. So sprach schon Disraeli, als er englischer Ministerpräsident war, am 2. Juli 1874 (mithin ganz am Anfang der Erntezeit oder des Gerichtstages) im Parlament:

„Die große Weltkrisis ist näher, als manche glauben. Warum ist die christliche Welt so bedroht? Ich fürchte, die Zivilisation ist am Zusammenbrechen … Blicken wir, wohin wir wollen, überall sehen wir Unbehagen herrschen, überall die Völker verzweifeln, überall die Menschen mutlos . . . Niemand kann sich dieser Erkenntnis verschließen. Wer irgendeine Zeitung zur Hand nimmt, sieht, dass der politische Horizont von Sturmwolken umzogen ist … Es muss zu einem fürchterlichen Ausbruch kommen. Jedes Kabinett in Europa ängstigt sich; jeder Fürst, jeder Gewalthaber, steht da mit der Hand am Schwertgriff … Wir stehen vor einer Zeit voll unerhörter Schrecknisse, wir treiben dem Ende zu!“

Sah man schon zu Beginn der Zeit der Ernte so deutlich, wie viel bedeutsamer sind denn die Zeichen jetzt! So lesen wir in einem „Die Beunruhigung Europas“ betitelten Artikel des „Londoner Spectator“:

„Welcher Ursache sollen wir die bestehende Unruhe in Europa zuschreiben? Man kann sie zum Teil der Lage in Italien zuschreiben; aber vorab ist sie doch eine Folge des Pessimismus, der Europa wie eine Flut überschwemmt. Und dieser Pessimismus hat seinen Grund zum Teil in den wirtschaftlichen Kämpfen, zum Teil darin, dass der Anarchismus sich als eine Macht in der Welt ausgewiesen hat. Diese letzte Erscheinung war auf dem Kontinent viel folgenschwerer als in England. Die fremden Regierungen zittern beständig vor der „von unten“ drohenden Gefahr, vor Bombenattentaten. Sie betrachten die Anarchisten als die Vorhut einer Macht, die der Zivilisation den Krieg erklärt hat und die gegenwärtige Ordnung zerschmettern wird, wenn sie nicht besänftigt oder besiegt werden kann. Die Zukunft erscheint ihnen als durchaus unsicher, weil die gegenwärtige Ordnung sich zu ausschließlich auf die Bajonette stütze. Bei der geringsten Hoffnung, die sie auf die innere Lage setzen, flößt ihnen auch die äußere Besorgnis ein; sie halten dieselbe nicht für dauerhaft und sehen jede Veränderung als einen Schritt nach dem Ende zu an. Sie übertragen den Pessimismus, der Literatur und Gesellschaft beherrscht, auf die Politik, und hier wird er durch den dermaligen wirtschaftlichen Niedergang verschärft.“

Am 9. März 1895 schrieb derselbe „Spectator“ unter dem Titel: „Die wahre Gefahr für den Kontinent“:

„Herr Jules Roche hat uns allen eine rechtzeitige Warnung gegeben. Seine Donnerstags-Rede, welche in der französischen Kammer Aufsehen erregt hat, erinnerte Europa noch einmal daran, wie dünn die Kruste ist, welche die vulkanischen Feuer noch bedeckt. Seine These war, dass Frankreich nach allen seinen Opfern – Opfern, welche jede weniger wohlhabende Macht zerschmettert haben würden – noch immer zum Kriege unvorbereitet wäre; dass es mehr tun müsse, und vor allem, dass es mehr darangeben müsse, bevor es sich als sicher oder als bereit betrachten könne. Überhaupt stellt er Deutschland als den schrecklichsten und drohendsten Feind hin, gegen dessen Einfall Frankreich immer vorbereitet sein müsse, und der in diesem Augenblick stärker sei als Frankreich. Mit seinem letzten militärischen Programm ist es dem Kaiser, wie Roche sagt, nicht nur gelungen, das ganze Volk der Rekrutierung zu unterwerfen, sondern er hat auch das aktive, zum Marschieren und Kämpfen bereite Heer auf fünfhundertfünfzigtausend Mann erhöht, mit Offizieren, mit voller Ausrüstung, kunstvoll aufgestellt – binnen kurzem fertig, wenn auch immer seine Lippen die verhängnisvolle Entscheidung aussprechen sollten, welche sein Großvater in die zwei Worte formulierte: „Krieg – Mobil!“ Frankreich dagegen hatte, obwohl das Netz seiner Rekrutierung ebenso ausgedehnt war, nur vierhunderttausend Mann in Bereitschaft, und um Geld zu sparen, setzte es sogar dieses Zahlenverhältnis noch beständig herab. Am Anfang eines Krieges, welcher jetzt gewöhnlich seinen Ausgang entscheidet, würde Frankreich, das mindestens an zwei Grenzen Feinde haben würde, hundertfünfzigtausend Mann weniger haben, und es könnte, bevor seine vollen Hilfsquellen seinen Generälen zur Verfügung stehen würden, schreckliches und sogar verhängnisvolles Unheil erleiden. Obwohl die Abgeordneten dem Herrn Jules Roche keineswegs zugeneigt waren, hörten sie fast von Ehrfurcht ergriffen zu, und Herr Felix Faure hat beschlossen, seit sechs Jahren das erste Mal, ein vergessenes, dem Präsidenten der Republik zustehendes Recht auszuüben, und der Sitzung des Obersten Militärrates vorzustehen, die am 20. März stattfinden soll. Er beabsichtigt augenscheinlich, als geübter Geschäftsmann bezüglich der militärischen Lage „Inventur zu machen“ und sich zu vergewissern, was Frankreich an Kanonen, Pferden und Menschen, die beim ersten Alarm zum Losrücken bereit sind, besitzt, und darauf zu bestehen, dass noch mehr gekauft werden, wenn er den Vorrat als bei der großen Nachfrage zu gering befinden sollte. So reich die Firma auch ist, so mag er ihr Kapital doch als ungenügend finden für dies Unternehmen, da die Sammlungen neuer Vorräte über alle Maßen teuer sind; auf alle Fälle aber will er die genaue Wahrheit wissen.

„Herr Faure ist ein Geschäftsmann, welch offenbarendes Licht wirft aber seine Handlungsweise, die Folge der Worte des Herrn Roche, auf die Lage in Europa. Der Friede soll durch die Furcht vor dem Kriege garantiert sein, und doch wird der Krieg offen erwähnt; man sieht, dass die Vorbereitungen dafür jetzt in demselben Maßstabe vorgenommen werden, wie je seit 1870 – das erste Vorurteil der Staatsmänner. Wir wissen, auf wie wenig Widerstand der deutsche Kaiser im letzten Jahre stieß, als er sich die Änderung sicherte, die Herrn Jules Roche so sehr beunruhigte. Das Volk neigte kaum dazu, trotz der großen Verlockung einer herabgesetzten Dienstzeit, und es neigte nicht dazu, für die Kosten aufzukommen. Es sah jedoch die Notwendigkeit ein; es gab nach, und Deutschland ist jetzt in dem Zeitraum von vierundzwanzig Stunden kriegsbereit. Auch Frankreich wird das neue Programm annehmen, wenn auch verzweifelt, und wir werden sehen, wie Vorbereitungen getroffen und Gelder ausgegeben werden, was mit Widerwillen zurückgewiesen worden wäre, wenn nicht der niederdrückende Gedanke der Gefahr bestünde. Die Franzosen sind noch mehr des Zahlens müde als die Deutschen, doch sie werden für alles zahlen, denn sie denken daran, dass eines Tages eine Armee, die stärker ist als ihre eigene, gegen Paris oder Lyon marschieren könnte.

„Die Gelehrten erklären, die Spannung zwischen Frankreich und Deutschland habe sichtlich abgenommen, die Diplomaten behaupten, es herrsche tiefster Friede, die Zeitungen rühmen den Kaiser ob seinen Höflichkeitsbezeugungen gegenüber Frankreich, dieses bereitet sich vor, an einer Feier zur Verherrlichung der deutschen Marine teilzunehmen, gleichzeitig aber handelt es, als stünde der Krieg vor der Tür. Es könnte nicht empfindsamer, aufgeregter, opferwilliger sein, wenn es den Krieg innerhalb Monatsfrist erwartete. Dabei ist absolut nichts vorgefallen, was die beiden Völker gegeneinander hetzen könnte! Es ist kein Grenzzwischenfall zu verzeichnen; der Kaiser hat niemanden bedroht; es gibt nicht einmal in Paris eine Kriegspartei. Paris scheint sogar seine hasserfüllten und leidenschaftlichen Blicke von Deutschland weg und auf Großbritannien gerichtet zu haben. Endlich besteht auch nicht die geringste Spur von einem Anzeichen dafür, dass der neue Zar den Krieg wünscht und fürchtet und besonders eifrig vorbereitet, und doch wird Deutschland durch die leiseste Anspielung auf einen Krieg veranlasst, sich bis aufs äußerste kriegsbereit zu halten, und Frankreich ängstigt und ärgert sich darüber, dass es nicht in demselben Maße Schritt halten kann. Besondere Anlässe kommen gar nicht in Frage; es ist die allgemeine Lage, welche plötzlich, ganz zufällig, in Frage gestellt werden kann. Das ist es, was die beiden Mächte zwingt, sich so bereit zu halten, dass sie innerhalb 24 Stunden mobil machen können. Die Gefahr ist chronisch, so vollständig erkannt und gründlich als Lebensbedingung betrachtet, dass man sich darob nicht mehr aufregt. Sie ist stets vorhanden und gerät nur deshalb vorübergehend in Vergessenheit, weil man nicht immer wieder das gleiche hören mag. Es herrscht in Frankreich wie in Deutschland ob der Nähe des Krieges nicht mehr Besorgnis als in Torre del Greco ob der Nähe des Vesuvs. Man gewöhnt sich an den Gedanken, dass der Vulkan da ist, immer da war und immer da sein wird, bis endlich ein Ausbruch erfolgt.

„Aber es ist gut, dass Europa gelegentlich daran erinnert wird, dass weder Fürsten noch Völker den Frieden garantieren, dass die Staatsschiffe gleichsam zwischen Eisbergen hindurchsteuern, und dass man unausgesetzt auf seiner Hut sein muss. Eine Stunde der Unachtsamkeit kann einen Zusammenstoß und den Untergang des Panzerfahrzeuges herbeiführen. Es erscheint als eine schwere Lage für den zivilisierten Teil des Menschengeschlechtes, dass man von ihm immer größere Anstrengungen, größere Auslagen und größere Bereitwilligkeit verlangt, mit zerschmetterten Knochen auf freiem Felde zu liegen; aber wer weiß Abhilfe? Die Völker fänden sie noch so gern, die Regierungen würden ihnen helfen, wenn sie könnten, und die Fürsten denken zum ersten Male in der Geschichte mit Unbehagen an einen Krieg, als wären die guten Aussichten dabei nicht sicher genug, um das große Risiko aufzunehmen. Aber sie alle zusammen vermögen nicht, die Lage günstiger zu gestalten, die ihnen allen nichts anderes bringt als mehr Beschwerde, mehr Unbehagen und mehr Verantwortlichkeit. Der einzige Trost für die Völker besteht darin, dass es ihnen nicht schlimmer geht als ihren Brüdern in Amerika, woselbst man zwar weder allgemeine Wehrpflicht noch Kriegsfurcht noch Grenzschutz kennt, der Staatsschatz aber gleichwohl nicht minder erschöpft ist als irgendeiner in Europa, das Volk unter den Schwankungen des Geldwertes so sehr leidet wie zu Kriegszeiten, und jedermann von Besorgnissen geplagt wird, die der Aussicht, jeden Tag für die Landesverteidigung unter die Waffen gerufen werden zu können, mindestens gleichkommen. Die Geschichte weist etwas, das der Lage Europas gleichkäme, nicht auf, wenigstens nicht, seit das Faustrecht verschwunden ist.

„Wir gehören keinem Friedensverein an, weil wir an Utopia nicht glauben können. Gleichwohl sind wir oft geneigt, die Welt für unheilbar verrückt zu halten, und dass alles besser wäre – selbst der Verzicht Deutschlands oder Frankreichs auf Elsaß-Lothringen – als diese nimmer endende und nutzlose Hypothekierung der Zukunft und diese Furcht, von welcher alle, die damit operieren, einstimmig erklären, sie sei unbegründet. Sie ist nicht unbegründet, und die Regenten sagen nur so aus Höflichkeitsrücksichten; kann aber diese Furcht nicht gebannt werden, bevor sie wirklich zur Katastrophe führt?“

Im „Christlichen Regenten“ finden wir unter dem Titel „Die Verzweiflung der Völker“ folgende getreue Schilderung unserer schweren, trüben Zeit:

„Unser Jahrhundert, das der Kanonendonner von Marengo eröffnet hat, und das unter Kanonendonner im Osten und Westen zu Ende geht, hatte genau genommen kein einziges Friedensjahr. Seit 1800 hat England 54, Frankreich 42, Russland 23, Österreich 14 und Preußen 9 Kriege geführt. Das macht 142 Kriege für fünf Nationen, von denen vier das Christentum als Staatsreligion anerkennen. Zu Beginn der christlichen Zeitrechnung beliefen sich die stehenden Truppen des römischen Reiches auf 400.000 Mann, die zudem über den ganzen Kontinent und Vorderasien verteilt waren, und ein Gebiet, das zwischen Themse und Euphrat lag, zu verteidigen hatten. Heutzutage übersteigt die Zahl der stehenden Truppen Europas 4.000.000 Mann, und hinter diesen stehen weitere 16 Millionen, die in längerer oder kürzerer Zeit das Waffenhandwerk gelernt haben. Ein Zehntel der körperlich gesunden Mannschaft zu Friedenszeiten unter den Waffen, ein Fünftel aller Frauen, die unterdessen des Mannes Arbeit in der Werkstätte oder auf dem Felde besorgen, … ruft man da nicht mit Burke aus: „Das ritterliche Zeitalter ist vorbei! Der Ruhm Europas ist verschwunden!“ In den letzten Jahren hat Europa seine Armeen verdoppelt und seine Schulden, die es vorab zu Kriegszwecken machte, und die es vom Schweiße seiner Völker verzinst, auf die unglaubliche Summe von 23 Milliarden Dollar gebracht. Wenn der Aufwand, den der Mensch macht, einen Maßstab abgibt für das Interesse, das er den Dingen entgegenbringt, so muss man schließen, dass, was dem zivilisierten Europa an der Neige unseres Jahrhunderts am liebsten ist, der Krieg sein muss; denn ein Drittel aller Staatseinkünfte dient zur Verzinsung der aus der Vergangenheit herrührenden Kriegsschuld, ein weiteres Drittel zur Befriedigung aller übrigen Staatsbedürfnisse. Speer, Lanze, Schwert und Streitaxt hat die Menschheit als Kinderspielzeug beiseite gelegt. Sie verfügt jetzt über Feuerwaffen, mit denen man auf große Entfernung töten kann, ja deren vernickelte Spitzgeschosse auf ihrer Bahn drei Menschen töten können, bevor sie zum Stehen kommen. Die Rauchlosigkeit des Pulvers wird zu den Schrecknissen, die schon der Vergangenheit bekannt waren, die Unheimlichkeit hinzufügen, die darin liegt, dass der Mann getroffen wird wie vom Blitz, ohne dass man sieht, woher das Geschoss kommt. Die Treffsicherheit dieser Waffen hat die Kavallerieattacken absolut unmöglich gemacht. Ein „glänzender Angriff“, wie der in der Schlacht bei Balaklava ist fortan ein Mythus; die Helden Picketts würden, falls sie ihre wundervolle Attacke heute wiederholen müssten, hingemäht, noch bevor sie die Emmisburgstraße überschritten hätten. Die Zerstörungskraft der modernen Feuerwaffen übertrifft alle bisherigen Erwartungen. Versuche haben gezeigt, dass die Geschosse die Muskeln zu Brei, die Knochen zu Pulver machen, ein Schuss in das Bein macht dessen Amputation nötig, ein Schuss in den Kopf, in die Brust, ist unfehlbar tödlich. Die moderne Maschinenkanone kann 1860 Schüsse in der Minute, also 31 in der Sekunde abgeben, das macht einen ununterbrochenen Bleistrom aus, dessen Rauschen teuflische Musik ist. Eine wahrhaft titanische Waffe ist das 12-Zoll-Geschütz, das ein Geschoss 13 km weit treibt und 18 Zoll dicke Stahlplatten glatt durchschlägt, auch wenn sie sonst dem feinsten Bohrer widerstehen. Von den heutigen Flotten brauchen wir nicht erst zu reden. Ein einziges Kriegsschiff kostet 4 Millionen Dollar und kann mit seinen 18 Zoll dicken Stahlplatten, dank seiner 11.000pferdigen Maschine 24 Seemeilen in der Stunde zurücklegen. Ein einziges solches Schiff hätte bei Trafalgar die vereinigten spanischen, französischen und englischen Flotten (über 100 Schiffe) wie eine Taubenschar zerstreut, wie ein Habicht im Taubenschlag, und doch sind solche Hochseeungeheuer in einem Augenblick durch ein einziges Torpedo total zerstört worden. Wenn diese Kriegsvorbereitungen irgend etwas bedeuten, so steht die zivilisierte Menschheit am Vorabend einer fürchterlichen Katastrophe, die sie freilich so wenig ahnt, wie die Einwohner Pompejis am letzten Tage des Bestehens ihrer Stadt aus dem Rauch, der dem Vesuv entstieg, auf ihren Untergang schlossen. Noch kein Zeitalter hat eine solche Drachensaat ausgestreut wie das unsere, und die Saat reift einer blutigen Ernte entgegen. Es bedarf nur eines Mannes wie Napoleon, und die Welt steht in Brand. Zu leugnen, dass das die Folge der Kriegsrüstungen sein wird, käme dem Wahne gleich, von Disteln Feigen lesen und von gesätem Wind ununterbrochen Sonnenschein ernten zu wollen. Der japanisch-chinesische Krieg, in welchem nur teilweise moderne Waffen zur Anwendung kamen, und das erst von Leuten, die mit deren Gebrauch nur unvollkommen vertraut waren, kann nicht als Beispiel für das gelten, was uns der Zukunftskrieg bringen wird. Der bekannte Kriegskorrespondent Archibald Forbes sagte jüngst: „Es ist einfach unmöglich, sich von der nächsten großen Schlacht, ob der die Welt staunen und schaudern wird, ein nur annäherndes Bild zu machen. Wir kennen wohl die Kräfte, die zu ihren Greueln beitragen werden, wir kennen dieselben aber nur in der Theorie.“

„In einer der Schlachten um Metz streckte die Mitrailleuse in 10 Minuten 6.000 Deutsche nieder; bei Plewna büßte Skobelew bei einem kurzen Sturmmarsch von einigen 100 Metern 3.000 Mann ein; seither sind aber Handfeuerwaffen und Feldgeschütze fünfmal wirksamer gestaltet worden. Da mag einem bei dem Gedanken an eine zukünftige Schlacht der Verstand und das Herz stille stehen. Es mag genügen, daran zu erinnern, dass die großen Strategen Europas behaupten, die künftigen Schlachten würden so blutig sein, dass es nicht möglich sein wird, alle Verwundeten zu pflegen und alle Toten zu begraben, und dass einzelne dieser Strategen allen Ernstes das Mitfahren eines Feldkrematoriums in Vorschlag gebracht haben.

„Nun mag der Leser hoffen, dass diese fürchterliche Heimsuchung das friedfertige Amerika nicht treffen werde, ähnlich wie einst der Engel des Herrn, der die Erstgeburt der Ägypter schlug, die Erstgeburt der Israeliten verschonte. Gebe Gott, dass dem so sei. Aber woher nehmen wir eine Garantie dafür? Dampfkraft und Elektrizität haben die Menschheit so zu einem Ganzen gemacht, ihre Anschauungen, Interessen und Absichten derart miteinander verknüpft, dass ein großer Krieg auf dem Kontinent, in den auch England verwickelt werden müsste, die ganze zivilisierte Welt in ein Flammenmeer verwandeln würde. Doch auch abgesehen davon steigt am Horizont eine kleine Wolke auf, zurzeit nicht größer als eine Hand, die aber einmal den ganzen Himmel bedecken könnte. Im fernen Osten leben zwei Nationen, die Chinesen und Japaner, die zusammen gegen 500 Millionen Seelen zählen. Bis jetzt waren diese Völker ohne Kenntnis der Kriegskunst. Es ist beschämend für uns, dass die Völker, welche seit der Geburt Christi den Spruch „Friede auf Erden!“ am wenigsten Lügen straften, gerade jene gegen alles Fremde sich so abschließenden Völker waren, über denen die Sonne der christlichen Lehre noch nicht geschienen hat. Vor fast vier Jahrzehnten aber erzwang sich eine Handvoll Franzosen und Engländer mit dem Bajonett den Weg nach Peking. Seither ist alles anders geworden. Die zivilisierte Westen hat dem Orient Bibeln und Bleikugeln, Mitren und Mitrailleusen, Gottseligkeit und Gatlingkanonen, Kreuze und Kruppkanonen. St. Peter und Salpeter gebracht. Eines Tages wird dann der Orient zum Westen sagen, wie Schylock: „Die Schlechtigkeit, die ihr mich gelehrt, will ich begehen; es wird zwar schwer sein, doch will ich’s besser lernen!“ Sie haben schon genug gelernt, um eine regelrechte Kanonade zu inszenieren. Sollte der Orient nach seinem jahrhundertlangen Schlaf zu gleicher Kriegslust erwachen wie sie den Okzident auszeichnet, wer garantiert uns dann dafür, dass nicht ein neuer Tschingis-Khan an der Spitze von Millionen wilder Krieger sich wie eine Lawine mit Elementargewalt über Europa ergießt?

„Man kann erwidern, dass die Rüstungen nichts bedeuten, dass sie eher eine Friedensgewähr als eine neue Kriegsgefahr sind, und dass gerade die Fürchterlichkeit der neuen Waffen den Krieg unwahrscheinlich mache. Wiewohl nun dieses Argument seine Richtigkeit hat, so widersprechen doch die Tatsachen den daraus abgeleiteten Folgerungen; denn die Nationen mit den kleinsten Armeen erfreuen sich des gesichertsten Friedens, und die Völker, die über die größten Streitkräfte verfügen, schwanken bereits am Rande des Abgrundes. Die Schweiz, Holland, Belgien, Schweden, Norwegen, die Vereinigten Staaten von Nordamerika unterhalten zur ganzen Welt freundschaftliche Beziehungen; Frankreich, Russland, Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien, die bis an die Zähne bewaffnet sind und unter der Last ihrer Rüstungen fast zusammenbrechen, sehen sich gegenseitig immer mit drohenden Blicken an. Sie häufen Kriegslast und Völkerhass, so dass es nur eines jämmerlichen Vorwandes bedarf, um einen Ausbruch herbeizuführen. Schon der harmlose Besuch der Kaiserin Friedrich in Paris regte die Welt auf, verursachte Kursstürze an den Börsen und ließ jede europäische Regierung sich ernstlich beraten. Eine Beleidigung, deren sich der geringste Pariser der Kaiserin gegenüber schuldig gemacht hätte, würde ihren kaiserlichen Sohn bewogen haben, zum Schwert zu greifen. Es lag mithin damals im Bereich eines müßigen Gassenjungen, das europäische Gleichgewicht zu stören. Welch schreckliche Begleiterscheinung für unsere Zivilisation ist es doch, dass das Wohlergehen, ja das Leben von Millionen unserer Mitmenschen vom Belieben oder der mehr oder weniger großen Friedfertigkeit eines einzelnen Mannes abhängen kann! Nichts ist deutlicher erkennbar, als dass die Menschheit gegenwärtig an einem Scheideweg steht. Die Rüstungen haben ihren Höhepunkt erreicht; in Europa ist ein Mehr nicht mehr denkbar. Italien ist bereits infolge seines Kriegsbudgets dem Bankrott nahe und kann jeden Tag von einer Revolution heimgesucht werden. Viele denkende Publizisten halten dafür, dass die Völker Europas entweder abrüsten oder losschlagen müssen. Wie richtig hat doch unser Herr prophezeit: Auf Erden wird den Leuten bange sein, sie werden zagen, und der Menschen Herzen vergehen vor Furcht und Erwartung der Dinge, die da kommen sollen auf Erden.“ – Luk. 21:26

Die Kundgebungen der Sozialdemokraten des Deutschen Reiches, Belgiens und Frankreichs sind auch keineswegs dazu angetan, die Befürchtungen der Inhaber der Gewalt zu zerstreuen. Die sozialdemokratischen Abgeordneten im Deutschen Reichstag stimmen in das Hoch auf den Kaiser nicht ein und bleiben demonstrativ sitzen; in Belgien beantworteten einmal ihre Parteigenossen in der Kammer ein Hoch auf den König, der auf Seiten der Aristokraten und Plutokraten stehen soll, durch Hochrufe auf das Volk und Pereatrufe für die Kapitalisten, und in Frankreich erklärten einmal die Kollektivisten in der Kammer, als einer ihrer sozialpolitischen Anträge abgelehnt wurde, die Revolution werde vollbringen, was der Gesetzgeber auf friedlichem Wege durchzuführen sich geweigert hat.

Es ist auch von Bedeutung, dass ein Gesetz, welches das Aufhalten der sozialistischen Bewegung in Deutschland bewirken sollte, vom Reichstag, als es dort vorgeschlagen wurde, abgelehnt wurde. Die Presse berichtet, dass die Ablehnung des Gesetzes folgende Ursache hatte:

„Die Ablehnung des gegenrevolutionären Gesetzes, der letzten durch die deutsche Regierung zur Bekämpfung des Sozialismus ausgearbeiteten Maßregeln, macht ein interessantes Kapitel in der Geschichte einer Nation aus, die trotz anderer Sprache und Einrichtungen mit uns selbst so vieles gemein hat.

„Es ist nun schon viele Jahre her, dass die Aufmerksamkeit auf die auffällige Zunahme der sozialistischen Partei gelenkt wurde. Erst im Jahre 1878 aber, als zwei Anschläge auf das Leben des Kaisers gemacht wurden, entschloss sich die Regierung zu Unterdrückungsmaßregeln. Das erste Gesetz gegen die Sozialisten wurde im Jahre 1878 für eine Zeit von zwei Jahren durchgebracht, und es wurde in den Jahren 1880, 1882, 1884 und 1886 erneuert.

„Zu dieser Zeit wurde eine ergänzende Gesetzgebung als notwendig betrachtet, und im Jahre 1887 schlug Bismarck dem Reichstag ein Gesetz vor, welches den Behörden die Macht geben sollte, die sozialistischen Führer auf gewisse Örtlichkeiten zu beschränken, ihnen ihre Rechte als Bürger zu entziehen und sie aus dem Lande auszutreiben. Das Parlament stimmte dem Vorschlage des Kanzlers nicht zu; es begnügte sich mit der Erneuerung des alten Gesetzes.

„Zum Teil hoffte man nun, dass die Veranlassung zu weiteren Unterdrückungsgesetzen aufhören würde. Das fortwährende Wachstum der sozialistischen Partei, die vermehrte Kühnheit ihrer Propaganda, zusammen mit Vorfällen von anarchistischen Gewalttaten in Deutschland und in anderen Teilen Europas trieben die Regierung jedoch zu weiterem Dazwischentreten. Im Dezember 1894 deutete der Kaiser an, dass beabsichtigt sei, mit neuer Gesetzgebung dem Wirken derjenigen entgegenzutreten, die sich bemühten, innere Unruhen hervorzurufen.

„Noch vor Ablauf des Jahres wurde das gegenrevolutionäre Gesetz der Volksversammlung unterbreitet. Es bestand aus einer Reihe von Verbesserungen des allgemeinen Strafgesetzbuches und wurde als bleibender Teil des Strafgesetzes vorgeschlagen. Es wurden darin Geld- und Gefängnisstrafen angedroht für alle, die in einer dem allgemeinen Frieden gefährlichen Weise die Religion, die Monarchie, die Ehe, die Familie oder das Eigentumsrecht mit dem Ausdruck der Beschimpfung öffentlich angegriffen haben, oder die öffentlich Aussagen unterstützt oder verbreitet haben, von welchen sie wussten, oder von denen sie aus den Umständen schließen mussten, dass sie erfunden oder entstellt waren, wenn sie es in der Absicht taten, die Einrichtungen des Staates oder die Anordnungen der Behörden herabzusetzen.

„Das neue Gesetz enthielt auch Vorkehrungen ähnlicher Art, die gegen die sozialistische Propaganda im Heer und in der Marine gerichtet sind.

„Wenn der Widerstand nur vom Sozialismus inner- und außerhalb des Parlaments gekommen wäre, so würde die Regierung mit ihrem Gesetz triumphiert haben. Die Art aber, in welcher die Vergehen einzeln angeführt wurden, zusammen mit dem Umstand, dass die Auslegung des Gesetzes in so weitgehendem Maße den Richtern überlassen war, erweckte das Misstrauen, ja, sogar die Beunruhigung weiter Teile des Volkes, welche in den Bestimmungen eine Bedrohung der Rede-, der Lehr- und der öffentlichen Versammlungsfreiheit erblickten.

„Als der Reichstag die Besprechung der Maßregeln aufnahm, begann demgemäss im Vaterland eine Bewegung einzusetzen, dergleichen man noch niemals gesehen hatte. Petitionen von Autoren, Verlegern, Universitätsprofessoren, Studenten und Bürgern ergossen sich über das Parlament, bis, wie versichert wurde, mehr als 1,5 Millionen Protestunterschriften eingereicht worden waren.

„Große Zeitungen, wie das Berliner Tageblatt, übersandten dem Reichstage Bittschriften ihrer Leser, die zwanzig- bis hunderttausend Unterschriften enthielten. Inzwischen war der Widerstand von vierhundert deutschen Hochschulen bei einer Hauptversammlung von Delegierten, welche in der Hauptstadt abgehalten wurde, gegen die Gesetzesvorlage gerichtet worden.

„Die Ablehnung einer Vorlage, die in so weiten Kreisen auf Widerstand stieß, war unvermeidlich und die sozialistische Partei trug zweifellos den Hauptteil zu der Niederlage der Regierung bei. Gleichwohl lehnte der Reichstag die Vorlage nicht ab, weil die Sozialisten dies anstrebten, sondern weil man glaubte, dass der Entwurf in beinahe gesetzloser Weise die Rechte des Volkes im allgemeinen gefährde.“

In London soll der Sozialismus beständig Boden gewinnen, während der Anarchismus anscheinend still liegt. Die unabhängige Arbeiterpartei, welche die größte Macht der organisierten Arbeiter in England darstellte, ist jetzt zugestandenermaßen eine sozialistische Organisation. Sie erwartet, dass binnen kurzem ein blutiger Umsturz komme, dessen Folge die Errichtung einer sozialistischen Republik auf den Trümmern der gegenwärtigen Monarchie sein wird.

Diese Erscheinungen veranlassen natürlich Fürsten und Regierungen, besondere Vorkehrungen zu ihrem Schutz und zur Wahrung ihrer Interessen der drohenden Revolution und allgemeinen Anarchie gegenüber zu treffen. Sie suchen sich untereinander zu verbünden; allein sie trauen einander so wenig, dass kein Bündnis ihnen wieder Zuversicht zu geben vermag. Die Völker zürnen und hassen einander und sinnen auf Rache, und wenn sie miteinander verkehren, so tun sie es nur um des eigenen Vorteils willen. Darum werden auch ihre Bündnisse nur so lange Bestand haben, wie ihre selbstsüchtigen Pläne damit vereinbar sind. Zuneigung und Wohlwollen liegt ihnen nicht zugrunde und die Tagespresse lässt erkennen, dass es gar nicht möglich sein wird, eine Politik zu finden, welche alle Nationen unter einen Hut bringt. Die Hoffnung, welche auf die Bündnisses der Mächte abstellt, ist daher eitel!

Die Geistlichkeit nicht länger ein Bollwerk!

Freilich richten sich die Blicke der Mächte, nachdem sie bis zu einem gewissen Grade erkannten, dass sie sich aufeinander nicht verlassen können, angstvoll auf die Kirche, nun aber nicht auf die wahre Kirche, deren wenige Angehörige Gott allein kennt, sondern auf die große Namenkirche, von der allein die Welt weiß. Sie soll ihren moralischen Einfluss, ihre geistliche Autorität in dem Streit zwischen Regierenden und Regierten in den Dienst der ersteren stellen. Die Kirche ist hierzu nur zu gerne bereit. Sie tritt gern in die Bresche und würde gerne freundschaftlichere Beziehungen zwischen den streitenden Parteien herstellen; denn die Vorteile der politisch Mächtigen sind auch die der kirchlich Mächtigen. Aber von daher ist keine Hilfe zu erwarten; die Masse hat keinen Respekt mehr vor Priestertum und Staatsgewalt. Nichtsdestoweniger wird mit diesem Notbehelf wenigstens ein Versuch gemacht. So hat zum Beispiel der Deutsche Reichstag, der seiner Zeit unter dem Einfluss Bismarcks den Jesuitenorden als staatgefährlich vom Reichsgebiet verbannte, das Verbot der Redemptoristen widerrufen, in der Hoffnung, dadurch das Zentrum zu verpflichten und für die Wehrgesetzgebung zu gewinnen. Bei der Debatte, die dem Beschluss voranging, ist die Bemerkung gefallen, dass die Rückkehr der Redemptoristen ungefährlich sei, weil auch diese von der bevorstehenden Flut (der sozialdemokratischen Revolution) hinweggefegt werden würden. Das Haus lachte, die Bemerkung wird sich aber als Prophezeiung erweisen.

Die Furcht vor dem Umsichgreifen der Anarchie und dem sozialen Krieg ist es auch, welche die Versuche der weltlichen Macht in Italien veranlasst haben, sich mit der Kirche auszusöhnen. So ist eine Rede Crispis zu verstehen, worin er sagte, dass die gegenwärtige Gesellschaftsordnung einer Krisis entgegentreibe, dass es Pflicht und geraten sei, dass bürgerliche und kirchliche Gewalt mit vereinten Kräften der infamen gesellschaftsfeindlichen Bande Widerstand leiste, die auf ihre Fahne die Devise: „Kein Gott! Kein König!“ geschrieben habe, dass endlich die Gesellschaft den Kampf mit dem Feldgeschrei: „Für Gott, König und Vaterland!“ aufnehmen müsse.

Diese Furcht ist es, welche alle zivilisierten Nationen bewogen hat, ihren Frieden mit dem Papste zu machen. Dieser gibt sich daher bereits der Hoffnung hin, einen guten Teil seiner verlorenen weltlichen Macht wieder zu gewinnen. Er darf dies um so mehr, als bei seinem Priesterjubiläum alle Staatsoberhäupter der Namenchristenheit, mit Ausnahme des Königs von Schweden, ihm wertvolle Geschenke haben übermitteln lassen. Dieselben fühlen sich eben der furchtbaren Macht der erwachenden Welt nicht gewachsen, und darum appellieren sie verzweifelnd an die einstige Macht des Papstes, des Tyrannen, der seiner Zeit die ganze Namenchristenheit in seiner Gewalt hatte. Zwar hassen sie diesen Tyrannen, doch wenn sie mit seiner Hilfe die unzufriedenen Völker niederzuhalten vermöchten, wären sie zu den weitgehendsten Zugeständnissen bereit.

Viele erkennen die Berechtigung der römischen Kirche an, sich als Bollwerk gegen die steigende Flut des Sozialismus und Anarchismus zu betrachten. Diesen möge dienen, was der zum Protestantismus übergetretene frühere Jesuit Graf Hönsbröch in den „Preußischen Jahrbüchern“ (1895) über die Fortschritte der Sozialdemokratie in dem stockkatholischen Belgien sagt:

„Belgien ist seit Jahrhunderten katholisch und ultramontan bis ins Mark. Unter seinen rund 6 Millionen Einwohnern zählte man nur etwa 15.000 Protestanten und 3.000 Juden. Die katholische Kirche beherrscht in Belgien das öffentliche Leben. Hier feiert sie ihre größten Triumphe und rühmt sich ihrer. Mit ganz wenigen Ausnahmen beherrscht sie den Unterricht, namentlich in den öffentlichen Volksschulen. Nun, wie steht es mit dem Sozialismus in diesem gut katholischen Belgien? Die letzten Wahlen haben ergeben, dass ein Fünftel aller abgegebenen Stimmen auf sozialdemokratische Kandidaten fiel, und dabei muss berücksichtigt werden, dass die nichtsozialistischen Parteien über viel mehr Anhänger mit doppeltem oder dreifachem Stimmrecht verfügen als die sozialdemokratische Partei. Nun beschuldigen freilich die Ultramontanen den Liberalismus, er sei am Wachstum der Sozialdemokratie schuld; das ist bis zu einem gewissen Grade richtig; wo bleibt aber die Schutzwehr, welche die Klerikalen gegen Sozialismus, Religionsfeindlichkeit und sittlichen Verfall sein wollen? Wo kommen die Liberalen her in einem Lande, wo die katholische Kirche der Arzt für alle Übel ist, denen Staat und Gesellschaft ausgesetzt sind? Der Katholizismus kann ebenso wenig vor dem atheistischen Liberalismus wie vor dem Sozialismus schützen. Bei einer Umfrage, die im Jahre 1886 erging, um über die Lage der Arbeiter einiges zu erfahren, lauteten von vier Antworten je drei dahin, dass das religiöse Gefühl beim Volk entweder verkümmert oder ganz abhanden gekommen sei, und dass die katholische Kirche ihren Einfluss immer mehr einbüße. Aus Lüttich, der Stadt mit den 38 Kirchen und 35 Klöstern, lautete der Bescheid ganz hoffnungslos; aus Brüssel wurde berichtet, dass in der Arbeiterklasse neun Kinder von zehn illegitim seien und die sittlichen Begriffe jeder Beschreibung spotten. So sieht es in einem Land aus, wo auch der Sozialdemokrat, wenn er überhaupt in die Schule gegangen ist, dies bei den Ultramontanen getan hat, in einem Land, wo alljährlich mehr als eine halbe Million katholische Predigten und Katechismusstunden gehalten werden! Das Land, das mit Fug und Recht den Namen „Land der Klöster und Pfaffen“ erhalten hat, ist jetzt das Eldorado der sozialen Revolution geworden!“

Außerordentliche Kriegsrüstungen

Gerade die Furcht vor dieser Revolution ist es auch, welche die Nationen der Namenchristenheit zu so außerordentlichen Kriegsvorbereitungen treibt. Ein Londoner Blatt berichtet:

„Fünf Nationen in Europa haben Kriegsfonds im Gesamtbetrag von 6 1/4 Milliarden (Frank) angelegt, um zum männermordenden und länderverwüstenden Kriege stets bereit zu sein. Deutschland ist hier mit seinem Beispiel vorangegangen, indem es 1500 Millionen in einem festen Turm vergraben hat. Frankreich hat 2 Milliarden, Russland trotz seiner Hungersnot 2 1/4 Milliarden, Österreich 3/4 und Italien immerhin noch 1/4 Milliarde zum gleichen Zwecke hinterlegt. Diese riesigen Geldsummen liegen einfach brach. Sie sollen und dürfen nur im Kriegsfall angetastet werden. Kaiser Wilhelm hat sogar gesagt, eher werde Deutschland seinen Verpflichtungen nicht nachkommen, als dass auch nur eine Mark aus seinem Kriegsfond hervorgeholt werde.“

In einer Veröffentlichung des Washingtoner Kriegsdepartements vom Februar 1895 sind die Streitkräfte einiger Staaten wie folgt angegeben:

„Österreich-Ungarn 1.794.175 Mann; Belgien 140.000; England 662.000; Frankreich 3.200.000; Deutschland 3.700.000; Italien 3.155.036; Russland 13.014.865; Spanien (Spezialtruppen) 400.000; Schweiz (mit Landsturm) 486.000. Demgegenüber haben die Vereinigten Staaten 141.846 ausgebildete Truppen; 9.582.806 könnte man bewaffnen.“

Angesichts dieser Zahlen muss man dem „New York Herald“ beistimmen, wenn er sagt:

„Der nächste Krieg in Europa, wann er auch kommen mag, wird von einer vernichtenden Heftigkeit sein, wie dieselbe bis auf den heutigen Tag noch nicht bekannt war. Jede Einnahmequelle ist herangezogen, wenn nicht ausgezehrt worden für den kriegerischen Zweck. Es wäre unnütz zu sagen, dass die Welt dergleichen noch nicht gesehen hat, denn es hat nie zuvor so mörderische Kriegsmittel gegeben. Europa ist ein großes Heerlager. Die Hauptmächte sind bis an die Zähne bewaffnet. Nicht zum Zweck von Paraden und Belustigung werden diese gewaltigen Anstrengungen gemacht. Riesenhafte Armeen mit höchster Disziplin und mit vollendeter Bewaffnung, die sich auf ihre Gewehre lehnen oder die Zügel in der Hand haben, warten im Lager oder auf dem Felde auf das Signal, um gegeneinander loszurücken. Ein Krieg in Europa bringt nur in einer Hinsicht etwas zustande, und das ist die Notwendigkeit eines weiteren Krieges.

„Man sagt, dass große stehende Heere für den Frieden garantieren. Dies mag für eine Weile der Fall sein, aber nicht auf die Dauer, denn die bewaffnete Untätigkeit in so großem Maßstabe erfordert zu viele Opfer, und schließlich wird die Welt einen Krieg dem erdrückenden bewaffneten Frieden vorziehen.“

Moderne Kriegswaffen

„Die Kriegsmaterialausstellung im Kriegs- und Marinedepartement in Washington“, sagt ein Pittsburger Blatt, „muss auch dem Sorg- und Gedankenlosesten den bangen Gedanken aufdrängen, wohin uns die stets neuen Erfindungen auf dem Gebiete der Feuerwaffen noch führen werden. Haben es denn die Regenten auf die Vernichtung statt auf die Erhaltung und Vermehrung des Menschengeschlechtes abgesehen? Da sind Erfindungen, die es einem einzelnen Manne möglich machen, 1.000 Mann umzubringen, ohne mit der Wimper zu zucken. Nicht nur Schwert, Speer und Schild, nein alle Waffen, die im amerikanischen Bürgerkrieg noch Verwendung fanden, sind bereits veraltet. Sollte morgen ein innerer oder äußerer Krieg ausbrechen, so könnten wir ebenso gut unternehmen, uns mit Flügeln zu versehen und die Schlachten in der Luft zu schlagen, als mit den Waffen in den Krieg zu ziehen, die ein Vierteljahrhundert alt sind. Einige Geschütze und Schiffe, die am Ende des Bürgerkrieges aufkamen, könnten vielleicht in annähernd genügender Weise für die modernen Kriegsbedürfnisse umgestaltet werden, das meiste aber würde sich neuen, so weit überlegenen Kriegsmaschinen gegenüber sehen, dass es soviel wie wertlos wäre. Man denke nur an die automatische Maxim-Mitrailleuse, das ingeniöseste und fürchterlichste der modernen Geschütze. Man will dieselbe gar in großem Kaliber (6-zöllig) herstellen und so einrichten, dass sie 10 Schüsse in der Sekunde abgeben und von einem einzelnen Manne, ja einer Frau, einem Kinde bedient werden kann. Eine Handfeuerwaffe Maxims ist so leicht konstruiert, dass ein einzelner Schütze neben der Waffe Munition genug zu tragen vermag, um eine ganze Straße von aufrührerischem Pöbel zu säubern. (Es ist auffallend, dass die Erfinder von Feuerwaffen die Straßenkämpfe und Revolutionen als sicher bevorstehend ansehen. Seit wann sind sie Propheten?) Auch diese Handkanone kann 10 Schüsse in der Sekunde abgeben und ihr Träger ist zudem durch einen Schild gegen feindliche Kugeln geschützt. (Es sei denn, dass der Pöbel ihm die Maschine raube. Überhaupt scheinen die Geschützerfinder davon überzeugt zu sein, der Pöbel werde sich widerstandslos niederschießen lassen, als gebe es keine Bombenwerfer und Brandstifter bei einem Aufruhr! Immerhin haben die Erfinder ihr Teil zur Abwehr des Pöbels getan!) Eine Ladung dieses kleinen Geschützes genügt, um eine Straße zu säubern. Dasselbe kann auch oben auf einer Mauer oder in einem Fenster gleich wirksam aufgestellt werden. Eine Kurbeldrehung bringt das Geschützrohr stets in die richtige Lage; nie ist der Schütze selber gefährdet. So vollkommen diese Waffe nun erscheinen mag, so darf man doch nicht wähnen, sie bilde den Schluss der Serie derartiger Erfindungen. Im Gegenteil, sie bildet gerade den Anfang. Umsonst hat man Schutzmittel gegen die vervollkommneten Geschütze zu konstruieren gesucht. Die Herstellung eines Kriegsfahrzeuges, das einem platzenden Torpedo standhalten könnte, ist einfach nicht denkbar. Kein Fort kann fest genug erstellt werden, dass es den neuesten Dynamit-Sprenggeschossen widerstehen könnte. Auch die lenkbaren Luftschiffe werden kommen und mit leichten einfachen Geschützen armiert, mittelst deren ein einzelner Mann einen Hagel von Geschossen auf eine ganze Armee oder eine Festung ausgießen und diese vernichten wird. Der Krieg wird mithin gegenseitiger Vernichtung gleichkommen. Die Armeen, Kriegsschiffe und Kriegsballons werden einander einfach verschwinden lassen.“

Über die obenerwähnten Dynamit-Geschosse (Maxim Schupp­haus) berichtet die „World“:

„Sie können durch eine eigens konstruierte Kanone 10 Meilen weit geschleudert werden und, wo sie platzen, alles im Umkreis von mehreren hundert Fuß vollständig zertrümmern. Die Sprengladung der Kanone ist so eingerichtet, dass der Druck bei deren Entzündung nicht nur wie bisher ein momentaner ist und schon während der Zeit, da das Geschoss im Laufe der Kanone nach vorn rückt, abnimmt, sondern vielmehr während dieser Zeit zunimmt; das wird dadurch erreicht, dass die brennende Zündmasse im Moment, wo das Geschoss die Mündung erreicht, schon 16 mal größer ist als im Moment, wo das Geschütz abgefeuert wurde. So verlässt das Geschoss den Lauf mit der denkbar größten Anfangsgeschwindigkeit. Bei Versuchen mit dieser Ladung, die an 10-Zoll-Strandgeschützen gemacht wurden, sind 571 Pfund schwere Geschosse 13 km weit befördert worden. Hauptvorteil des gleichmäßigen Abbrennens der Ladung ist die Verteilung des Druckes auf das ganze Rohr. Das ermöglicht vorab viel genaueres Zielen, und sodann gestattet es, die Wände des Laufes viel dünner zu halten. So denken sich Maxim und Schupphaus ihr projektiertes 20-Zoll-Strandgeschütz ungefähr 30 Fuß lang, aber mit nur 2 Zoll dicken Laufwänden, während die Mörser eine Laufdocke von 8-10 Zoll aufweisen. Den Rückstoß sollen hydraulische Vorrichtungen aufheben. Mit je einem solchen Geschütz zu beiden Seiten des Hafeneinganges beherrscht New York das Meer vollständig auf einen Umkreis von 16 km. Ein Schiff, das sich in diesen Umkreis wagen würde, wäre rettungslos verloren; das Sprenggeschoss würde das Schiff vollständig zerstören, selbst wenn es auf 50 Fuß Distanz im Wasser platzen würde, und auf 150 Fuß noch würde die Explosion das Schiff schwer genug beschädigen, um es kampfunfähig zu machen.

„Dazu kommt noch das rauchlose Pulver. Von ihm sagt der Kriegstechniker R. J. Gatling, dass die Völker sich noch gar keinen Begriff machen von der Umwälzung, welche das rauchlose Pulver in der Kriegführung herbeiführen muss. Es hat drei bis vier Millionen Gewehre, die für Schwarzpulverpatronen gebaut sind, und ungezählte Millionen Schwarzpulverpatronen wertlos gemacht. Das ist eine Kapitalverschwendung, die beim Fortschritt der Technik nicht zu umgehen ist. Auch die Kanonen müssen dem neuen Sprengstoff angepasst werden, der die Geschosse gerade doppelt so weit befördert wie das Schwarzpulver. Ferner muss die Taktik eine ganz andere werden. Vorrücken geschlossener Truppenmassen unter feindlichem Feuer wäre absolut unmöglich. Der amerikanische Bürgerkrieg hätte, wäre damals rauchloses Pulver zur Anwendung gelangt, keine drei Monate gedauert.“

Ganz richtig bemerkt daher der „Cincinnati Enquirer“:

„Der nächste Krieg wird ganz neue Formen annehmen und wird so fürchterlich sein, dass die zivilisierte Welt auf immer dafür gebrandmarkt bleiben wird. Die ungeheuren Volksheere, das unwiderstehliche rauchlose Pulver, die Magazingewehre und die furchtbare Artillerie, welche ganze Armeen hinmähen wird, wie wenn ein Sturm den Apfelbaum schüttelt, die Beobachtungsballons, die Artillerieluftschiffe, die Städte und Festungen schneller zerstören werden, als ein Bombardement auf fester Erde es vermöchte, die Feldeisenbahn für die schwere Artillerie, das elektrische Licht und das Telephon, alles das wird die Kriegführung ganz und gar umgestalten. Da der Versuch damit noch gar nicht gemacht worden ist, werden wir die entsetzlichsten Überraschungen erleben.

Jede Nation behauptet, sie wappne sich nur zu Verteidigungszwecken; je stärker sie sei, um so weniger werde man wagen, sie anzugreifen. Der Friede wird mithin gerade durch die Fürchterlichkeit der Kriegsrüstungen erhalten. So ironisch das klingen mag, verschlingen aber diese Rüstungen allmählich allen öffentlichen Wohlstand. Sie gleichen einem grundlosen Krater, den man mit Explosivstoffen zu füllen sucht. So erstaunlich es klingt, es ist tatsächlich so: Europa hat sich einen ungeheuren Krater gegraben und ist nun bemüht, ihn wieder auszufüllen; als Füllung aber gebraucht es die feuergefährlichsten Stoffe, ist dann aber ängstlich besorgt, den Feuerbrand vom Krater ferne zu halten. Sollte aber einmal in einem unbewachten Augenblick der Ausbruch erfolgen, dann wird die ganze Welt die Erschütterung verspüren und schaudern. Der Krieg wird dann so entsetzlich sein, dass sich eine Strömung von Volk zu Volk Bahn brechen wird zugunsten neuerer, unserer Zeit würdigerer Mittel, um internationale Fragen zu lösen. Dann wird der Krieg selbst angesichts des angerichteten Zerstörungswerkes auf immer in Acht und Bann erklärt werden.

„Eine kleine Probe mit modernen Kriegsmitteln ist im japanisch-chinesischen Kriege gemacht worden. Ein auf chinesischer Seite stehender Marineoffizier berichtet über seine Erlebnisse an Bord des Panzerkreuzers Chen Yuen: Die Luft in den geschlossenen Räumen war sehr kärglich zugemessen. Der Lärm, den das Aufprallen feindlicher Geschosse gegen die Panzer verursachte, spottet jeder Beschreibung. Ich hatte zwar Baumwolle in die Ohren gestopft, doch bin ich jetzt noch taub infolge jenes Höllenlärms. Die Mannschaft, welche die Maschinen bediente, musste bei Temperaturen bis 200 Grad Fahrenheit arbeiten! Dabei wurde ihr die Haut von den Armen und Händen weggebrannt, und jeder Mann verlor sein Augenlicht! Im Verlauf der Schlacht, als auch mein Haar verbrannt, und meine Augen so blutrünstig waren, dass ich nur noch mit dem einen sehen konnte, und auch mit dem nur, wenn ich das Lid mit dem Finger hob, wollte ich mal den Feind feuern sehen. Wie ich nun um das geschützte Deck herumging, schlug eben ein zentnerschweres Geschoss durch den Panzer, nahe genug, dass ich die Bruchstelle mit der Hand erreichen konnte: ich zog sie schwer verbrannt zurück; die Haut haftete am Panzer! So groß ist die vom Durchschlagen des Panzers erzeugte Hitze! Im Anfang des Gefechts hatte ein Geschoss, das auf die geöffnete Tür der Schießluke gefallen war, seinen Weg in den Schießraum gefunden und dort 7 Mann getötet und 15 verwundet. Die Mannschaft des Maximgeschützes am Vorderbug des Schiffes wurde, wiewohl durch eine Blendung gedeckt, durch einen einzigen Schuss niedergestreckt und grässlich verstümmelt.“

Von diesen Kriegsvorbereitungen schreibt schon der Prophet Joel (3:9-11):

„Rufet dies aus unter den Nationen: heiliget einen Krieg, erwecket die Helden; es sollen herankommen und heraufziehen alle Kriegsmänner. Schmiedet eure Pflugmesser zu Schwertern und eure Winzermesser zu Speeren“ Der Schwache sage: Ich bin ein Held! Eilet und kommet her, alle ihr Nationen ringsum, und versammelt euch!“

Geht nicht heute dieser Ruf durch die ganze Welt? Sind nicht Starke und Schwache gleichmäßig bemüht, sich bis zum kommenden Streit schlagfertig zu machen? Ist nicht sogar die Namenkirche bestrebt, ihren Einfluss auf die Jungmannschaft zur Erweckung kriegerischer Tüchtigkeit zu gebrauchen? Was bedeuten denn die machtvollen Armeen und die maßlosen Kriegsbudgets, die auf allen Völkern lasten, anderes, als dass diese selbst den Krieg, die große Drangsal kommen sehen und dafür gerüstet dastehen wollen?

Ein Blick auf die Vereinigten Staaten

Nun möchte jemand meinen, unter den zivilisierten Staaten nehme die nordamerikanische Union eine gesonderte Stellung ein, dass sie jedenfalls der großen Drangsal entrinnen werde. Dem ist jedoch nicht so, sie ist vielmehr, wie wir in folgendem zu zeigen versuchen werden, von noch schwereren Schlägen bedroht als die alte Welt. Die Annahme, dass sie gleichsam das Schoßkind der göttlichen Vorsehung sei und der die Welt umfassenden Umwälzung entgehen werde, ist unvereinbar mit dem richtigen Verständnis der Zeichen der Zeit und jener Rechtsgrundsätze, nach welchen die Vergeltung an den Nationen geübt werden wird.

Freilich kann kein ehrlicher Denker daran zweifeln, dass die Umstände, unter denen Amerika entdeckt und sein jungfräulicher Boden besiedelt worden ist, eine Entwicklungsstufe im Plane der göttlichen Vorsehung bedeutet. Es war, wie Emerson irgendwo sagt, gleichsam ein letzter Versuch der Vorsehung, dem Menschengeschlecht Gelegenheit zu geben, in der Luft der Freiheit die Hilfsmittel der sichtbaren Welt so recht zu entwickeln. Das Urteil ist richtig, nur dass es nicht der letzte Versuch ist; Emerson hätte dieses Wort weggelassen, wenn er den göttlichen Plan der Zeitalter erkannt hätte; er hätte es noch richtiger als ein Glied in der Kette bezeichnet, deren letzte Glied die Aufrichtung des Reiches Gottes auf Erden bedeutet. In den Vereinigten Staaten schuf die Vorsehung eine Zufluchtsstätte für alle, die anderswo der Tyrannei bürgerlicher und kirchlicher Gewalthaber verfallen waren und entrinnen wollten. Durch den Ozean von den despotischen Systemen der alten Welt getrennt, konnte der Geist der Freiheit hier atmen und ein Versuch der Selbstregierung der Völker gelingen. Diese Umstände haben das große Werk des Evangeliums-Zeitalters, die Auswahl der wahren Kirche, mächtig gefördert; es besteht daher begründete Hoffnung, dass auch hier die Ernte am reichlichsten ausfallen wird. In keinem anderen Lande konnte das Ernte-Evangelium, der Plan der Zeitalter, seine Zeiten Zeitabschnitte und Vorzüge so ungehindert und frei verkündet und verbreitet werden. In keinem anderen Land sind so viele Geister so frei von den Banden des Aberglaubens und der Menschensatzungen, dass sie die jetzt fällige Wahrheit leicht erfassen, gerne annehmen und ihrerseits weiter verbreiten. Das ist, soweit wir sehen, die besondere Mission Amerikas im göttlichen Plane. Es musste etwas geschehen für sein Volk, das anderswo nicht so leicht geschehen konnte. Darum erweckte, als die Hand des Bedrückers den Geist der Freiheit zu erwürgen suchte, die Vorsehung einen Washington, der die zwar armen, aber freiheitsliebenden Bürger der dreizehn Kolonien zur nationalen Unabhängigkeit führte. Als die Zeit erfüllt war, dass vier Millionen Sklaven die Freiheit erhalten sollten, und als die Union auseinander zufallen drohte, da erweckte Gott einen anderen wackeren und energischen Mann in der Person Abraham Lincolns, der die Ketten der Sklaven zerriss und den Staat zusammenzuhalten wusste.

Die Nation aber als solche hat nicht und hatte nie einen Anspruch auf die göttliche Vorsehung. Was die Vorsehung in diesen Ereignissen tat, geschah einzig im Interesse des Volkes Gottes. Die Nation als solche hat keinen Grund und keine Aussicht, auf immer fortzubestehen. Sie wird bleiben, bis Gott durch sie seine Vorsätze mit Bezug auf sein Volk durchgeführt, bis er seine Auserwählten ausgeschieden und beisammen haben wird. Dann werden die Stürme der großen Drangsal auch über sie dahinbrausen, da auch sie eines der Reiche dieser Welt ist, die dem Reiche des eingeborenen und geliebten Sohnes Gottes werden Platz machen müssen.

Die günstigen Verhältnisse, unter denen dort die breiten Volksmassen leben, lassen auch den ärmeren Klassen die Annehmlichkeiten des Lebens und die persönlichen Rechte in anderem Lichte erscheinen. Hier entstammten schon wiederholt hervorragende Männer, Präsidenten, Kongressmitglieder, Rechtsgelehrte usw., den bescheidensten Familienverhältnissen. Freiheitsdrang, Ehrgeiz, Fleiß und Intelligenz hatten sie gehoben. Keine erbliche Aristokratie befindet sich im ausschließlichen Besitz großer Vorzüge; das Kind des Ärmsten kann Ehrenstellen und Reichtum begehren und gewinnen. Welchem Schuljungen in der Union hat man nicht gesagt, dass er einmal Präsident werden könnte? Alle Vorzüge, deren große Männer in allen möglichen Stellungen sich erfreuen, erfüllen die Zukunftsträume der amerikanischen Jugend. Die Staatseinrichtungen, weit entfernt, Hoffnungen dieser Art zu knicken, dienen dazu, sie zu fördern und ihre Erfüllung in den Bereich der Möglichkeit zu rücken. Indem jedem der Weg zu den hohen und höchsten Ämtern und Würden offen steht, ist das ganze Volk auf ein höheres Niveau gehoben, sein Drang nach Bildung und Gesittung verstärkt. Die Schule, durch keine Gesetze gebunden, kam diesem Drange freudig entgegen. Zeitungen, Zeitschriften, Bücher usw. stellten die Verbindung aller Klassen untereinander her und machten es jedem einzelnen möglich, sich über alles ein eigenes Urteil zu bilden und mit dem Stimmzettel es bewusst zu betätigen.

Aber ein souveränes Volk, das sich so geachtet fühlt und die Menschenrechte so hoch schätzt, wird auch ganz natürlich allen Versuchen, seinem Streben oder seiner Handlungsfreiheit Fesseln anzulegen, in sehr entschlossener Weise widerstehen. Gerade jetzt beginnen die Massen, trotz der freiheitlichen Staatseinrichtungen und der großen Vorteile, welche diese allen Bevölkerungskreisen verschaffen, zu wittern, dass gewisse Mächte an der Arbeit sind, um sie möglichst bald in Abhängigkeit zu bringen, sie ihrer Rechte als freie Bürger zu berauben und um die Segnungen einer gütigen Natur zu bringen. Aber das Volk sieht die Gefahren, die ihm drohen, nur undeutlich. Klar ist ihm nur, dass die Anhäufung großen Reichtums in den Händen weniger die Masse verarmen lässt, dass die Millionäre alles tun, um die Gesetzgebung zu ihren Gunsten und ihrem Vorteil zu beeinflussen, und dass auf diese Weise eine Geldaristokratie sich herausbildet, welche sich binnen kurzer Zeit als eben so hart und rücksichtslos erweisen wird als irgendeine selbstherrliche Gewalt in der alten Welt. Diese Gefahr besteht leider, das ist nur zu wahr, aber sie ist nicht die einzige Gefahr. Selbst ein kirchlicher Despotismus droht uns, und was das bedeuten will, lehrt uns die Weltgeschichte zur Genüge. Die Kirche, welche die Union zu unterwerfen sich anschickt, ist die päpstliche. Noch sieht man die Gefahr nicht allgemein ein, denn Rom macht seine Eroberungen mittels Verschlagenheit und kriechender Schmeichelei. Es heuchelt große Bewunderung für die freiheitlichen Institutionen der Vereinigten Staaten, das Selbstbestimmungsrecht seines Volkes; es schmeichelt und scharwänzelt den protestantischen Ketzern, welche in dem intelligenten Teil der Bevölkerung die große Mehrzahl sind; es nennt sie abgetrennte Brüder und versichert sie seiner unverbrüchlichen Liebe. Gleichzeitig bemächtigt es sich aber der Schulen, um durch den Jugendunterricht seine Irrlehren zu verbreiten und seinen Einfluss zu verstärken. In politischen und kirchlichen Kreisen macht sich Rom geltend, und zudem sucht es durch Förderung der Auswanderung nach Amerika das katholische Element daselbst zu stärken. Schon Lafayette, der doch Katholik war, hat, nachdem er die Freiheit der Kolonien erkämpfen half, erklärt, wenn die Unabhängigkeit der Völker Amerikas einst Gefahr laufen sollte, so werde es von Seiten der katholischen Kirche sein.

Anhäufung großen Privatreichtums, Klerikalismus und Einwanderung heißen mithin die Gefahren, die den Vereinigten Staaten drohen. Aber die Abhilfe, welche die Massen zu versuchen sich anschicken, wird schlimmer sein als das Übel selbst. Wenn die soziale Revolution auch in den Vereinigten Staaten ausbrechen wird, dann wird sie mit aller Kraft wüten, die amerikanische Energie und Freiheitsliebe ihr verleihen wird. Man hat daher kein Recht anzunehmen, dass die Vereinigten Staaten der großen Drangsal entgehen werden, die über alle Nationen der Namenchristenheit kommen wird. Wie alle anderen werden sie zerfallen und dem Umsturz und der Anarchie preisgegeben werden; denn auch sie sind ein Teil der großen Babel. Der Geist der Freiheit, der hier seit Generationen herrschte, droht bereits mit einer Heftigkeit und Schnelligkeit über die Stränge zu schlagen, von der man im alten Europa nichts weiß, wo die monarchischen Gewalten viel mächtiger sind. Viele Millionäre sehen dies ein und fürchten sogar, dass die nahende Trübsal gerade in Amerika zuerst Platz greifen werde. Daher kommt es, dass Leute wie Gordon Bennet, der steinreiche Besitzer des „New York Herald“, Pulitzer, der Eigentümer der „World“, in Frankreich leben, der Eisenkönig Carnegie sich in Schottland ein Schloss gekauft hat, dass Henry Villard, der Großaktionär der Nordpazifikbahn, seine Liegenschaften verkauft und mit seinen 8 Millionen Dollar nach Europa ausgewandert ist, dass W. Astor seinen Wohnsitz von New York nach London verlegt hat und sich um das englische Bürgerrecht bewirbt, dass sogar ein amerikanischer Gesandter, Van Alan in Rom, sich von seiner alten Heimat losgesagt und dieselbe als für einen Gentleman nicht bewohnbar erklärt hat! Aber die Hoffnung, dass die Königreiche dieser Welt irgendeine Sicherheit bieten, ist eitel. In allen herrscht Angst und Bangen und das unabweisliche Gefühl, man werde mit den mächtigen, jetzt noch im Zaum gehaltenen Gewalten bei der schrecklichen Krisis nicht fertig werden.

„Der Hochmut des Menschen wird gebeugt, und die Hoffart des Mannes erniedrigt werden … An jenem Tage (der nun so nahe ist) wird der Mensch seine Götzen von Silber und seine Götzen von Gold … den Maulwürfen und den Fledermäusen hinwerfen, um sich in die Spalten der Felsen und in die Felsklüfte zu verkriechen vor dem Schrecken Jehovas und vor der Pracht seiner Majestät, wenn er sich aufmacht, die Erde zu schrecken.“

„Alle Hände werden erschlaffen, und alle Knie werden zerfließen wie Wasser. Und sie werden sich Sacktuch umgürten, und Schauder wird sie bedecken, und auf allen Angesichtern wird Scham sein, und Kahlheit auf allen ihren Häuptern. Ihr Silber werden sie auf die Gassen werfen, und ihr Gold wird als Unflat gelten; ihr Silber und ihr Gold wird sie nicht erretten können am Tage des Grimmes Jehovas.“ – Jes. 2:17-21; Hes. 7:17-19

Aber auch die Regierungsgewalten werden sie nicht schützen; denn auch über sie wird kommen das Gericht des Herrn und die böse Frucht ihrer Torheit. Sie haben Zorn aufgehäuft auf den Tag des Zornes; sie haben den Vorteil weniger gefördert und auf das Schreien der Armen und Notleidenden nicht geachtet; der Herr der Heerscharen aber hat es gehört und sich ihrer angenommen, und er erklärt (Jes. 13:11,12):

„Ich werde heimsuchen an dem Erdkreis die Bosheit, an den Gesetzlosen ihre Missetat; und ich werde ein Ende machen dem Hochmut der Stolzen und die Hoffart der Gewalttätigen erniedrigen. Ich will den Sterblichen kostbarer machen, als gediegenes Gold, und den Menschen als Gold von Ophir.“

Daraus sehen wir, dass Gottes alles lenkende Vorsehung bei der Endkatastrophe den Bedrängten Freiheit verschaffen wird. Das Leben der Massen wird ihr nicht zum Opfer fallen, dagegen wird sie mit allen Ungleichheiten der gegenwärtigen Gesellschaft gründlich aufräumen. Wahrlich, das ist die geweissagte Zeit von der Furcht und dem Zittern der Nationen. Die Stimme der unzufriedenen Massen ist vorgeschattet durch das Brausen des Meeres, und den denkenden Menschen entfällt das Herz ob der Furcht vor dem schrecklichen Verhängnis, dessen schnelles Herannahen jedermann sehen kann; denn die „Kräfte des Himmels“ das heißt eben die gegenwärtig herrschenden Gewalten, sind schon stark erschüttert. Einige lassen sich durch die Zeichen der Zeit belehren und erinnern sich des Spruches: „Siehe, er kommt in den Wolken!“ Sie ahnen daher die Gegenwart des Menschensohnes, doch verstehen sie sie nicht recht. Immerhin hat ein Professor Herron unlängst in einem Vortrag über „die christlichen Erweckungen“ in San Francisco ausgerufen:

„Christus ist hier, und jetzt gerade ergeht sein Gericht! Das beste Zeichen dafür ist, dass wir uns als menschliche Gesellschaft für das Unrecht, das einzelne begehen, solidarisch fühlen. Das ist die schwere Hand Gottes, die sich auf unser Gewissen legt. Die Menschheit und alle ihre Einrichtungen werden jetzt im Lichte der Lehre des Herrn beurteilt.“

Aber inmitten der Erschütterung der Erde (der organisierten Gesellschaft) und der Himmel (der kirchlichen Gewalten) sind diejenigen, welche darin die Ausführung des göttlichen Planes erkennen, fröhlich in der festen Zuversicht, dass diese schreckliche Erschütterung das letzte Leid sein wird, das über diese Erde kommt. Denn der Apostel Paulus versichert uns, dass diese Erschütterung die ganze gegenwärtige Ordnung der Dinge beseitigen wird, damit das einzige, das da nicht erschüttert werden kann, das Reich Gottes, das Reich des Lichtes und des Friedens, Raum finde auf Erden, wo es ewiglich bleiben wird. Unser Gott ist ein verzehrendes Feuer; in seinem Zorn wird er alle Systeme der Bosheit und Unterdrückung verzehren und Wahrheit und Gerechtigkeit fest gründen auf Erden.

Der Ruf: „Friede! Friede!“

Doch trotz des sittlichen Gerichtes Gottes über alle Nationen, trotz der Tatsache, dass das Zeugnis einer Wolke von Zeugen sich mit unwiderstehlicher Gewalt und Folgerichtigkeit gegen die ganze jetzige Ordnung der Dinge erhebt, dass schon jetzt das drohende Urteil und die Strafe die ganze Welt erzittern lässt, sucht diese ihre Befürchtungen zu verbergen durch den Ruf: „Friede! Friede!“ da doch kein Friede ist! Dieser Ruf ging aus von der großen Flottenversammlung bei der Eröffnung des Nordostseekanals, an der sich alle zivilisierten Nationen beteiligten. Kaiser Wilhelm II., dessen Großvater den Kanalbau angeordnet, und dessen Vater ihn begonnen hatte, wollte in Übereinstimmung mit seiner Ansicht, dass das Schwert das beste Mittel gegen den Friedensbruch bilde, dass die Eröffnungsfeier einer großen internationalen Friedensproklamation und gleichzeitig einer Ausstellung der Machtfaktoren, auf denen der Friede beruhen müsse, gleichkomme. So entbot er denn die Schlachtschiffe (diese Friedensboten!) aller Nationen auf den 20. Juni 1895 nach Kiel. Und sie kamen, die schwimmenden, stahlgepanzerten Festungen, über 100 an der Zahl, darunter 20 riesige Schlachtschiffe, sämtlich vollständig armiert und mit Maschinen versehen, mit denen sie 17 Seemeilen per Stunde zurücklegen können.

„Man kann sich“, erzählte hernach der Londoner „Spectator“, „diese Ansammlung von Machtmitteln kaum vorstellen. Die in Kiel versammelte Flotte hätte genügt, um innerhalb weniger Stunden den mächtigsten Seehafen in einen Trümmerhaufen zu verwandeln und die vereinigten Handelsflotten der Welt in den Grund zu bohren. Keine noch so gut befestigte oder verteidigte Küste könnte einer solchen Macht Widerstand leisten, und Europa kann sich stolz als zur See unbesiegbar und unangreifbar betrachten. Die in Kiel versammelte Flotte kann füglich als die Verkörperung der gewaltigsten Kriegsmittel gelten, vorausgesetzt, die Schlacht dauere nicht länger, als der Schießvorrat vorhält.“

Diese Schiffe haben mit ihrer Ausrüstung Hunderte von Millionen Dollar gekostet. Ein einziger Salutschuss aus den 2.500 vorhandenen Geschützen verbrauchte für mehrere tausend Dollar Schießpulver, und für den Unterhalt der vornehmen Gäste bei jener Feier musste das deutsche Volk 8 Millionen Mark hergeben. Die Tischreden des Kaisers und der Vertreter der fremden Nationen handelten von der neuen Friedenszeit, deren Beginn die Eröffnung des großen Kanals und die Mitwirkung aller Nationen bei dessen Eröffnung bedeute. Aber diese stolzen Reden und der Donner der Kanonen, mit dem Kön. und Fürsten „Friede! Friede!“ riefen und allen gleichzeitig mit Strafe drohten, die den Feind anders verstehen sollten, ward von den Völkern keineswegs als die Erfüllung der Verheißung: „Friede auf Erden und an den Menschen ein Wohlgefallen!“ aufgefasst. Es besänftige nicht die Sozialdemokraten; es offenbarte kein Universalheilmittel gegen alle sozialen Schäden; es stillte keine Sorgen und erleichterte nicht die Lasten, die die Massen der Armen und Unglücklichen zu tragen haben. Es lag darin keine Verheißung des Wohlgefallens an den Menschen, keine Andeutung darüber, wie das Wohlgefallen in den Beziehungen von Volk zu Volk, im Verhältnis von Regierenden zu Regierten zur Herrschaft kommen könne. Es war mithin nichts als nur elendes Blendwerk, eine große, kecke Lüge von Volk zu Volk, und so fassten es auch die Nationen auf. Dafür rufen wir wieder den Londoner „Spectator“ zum Zeugen auf. Er schreibt:

„Die Ironie der Lage liegt klar zutage; es war ein großes Friedensmahl, ein Fest der Bauarbeit! Aber den Glanzpunkt desselben bildete die Gegenwart der Flotten, die mit viel Aufwand an Geld und Kraft einzig den Krieg und die Zerstörung bezwecken. Ein Panzerschiff hat gar keinen Sinn, wenn es nicht als Machtmittel in einer Schlacht gedacht ist. Diese Friedensflotte kann ja in einem Tage jeden Seehafen der Welt zerstören und alle Handelsschiffe der Welt auf den Grund des Meeres versinken lassen. Welche Abgründe des Hasses unter den Menschen verdeckte diese stolze Schaustellung freundschaftlicher Beziehungen! Die Offiziere der französischen Schiffe lechzen ja nach Rache für den Verlust, den ihr Vaterland erlitten hat; die russischen mussten sich sagen, dass die Macht, der sie alle Ehre erwiesen, ihr größter Nebenbuhler und Feind sei; die österreichischen, dass ihr Vaterland von der festgebenden Macht aus der Mitherrschaft über die Gebiete, durch die der Kanal sich windet, und aus dem deutschen Bunde hinausgedrängt worden sei; die dänischen, dass ihnen Preußen einst dies Land entriss; die holländischen, dass sie keinen Augenblick davor sicher seien, dass Deutschland den holländischen Handel vernichte, das holländische Kolonialreich wegnehme und ihrer Laufbahn ein Ende bereite. Der Kaiser sprach von Frieden, die Admiräle hofften auf Frieden, die Zeitungen in aller Welt verkündeten im Chor den Frieden, aber alles und jedes in jener Veranstaltung spricht von kaum vergangenem oder eines schönen Tages kommendem Kriege. Nie hat es in der Welt eine großartigere Feier gegeben; aber auch nie eine solche, welche so durch und durch unaufrichtig war.“

Die „New Yorker Abendpost“ ihrerseits schrieb:

„Schon die Konzentration von Kriegsschiffen beweist das gerade Gegenteil von Friedensliebe. Jede Nation entsandte ihre größten Schiffe und schwersten Geschütze, nicht nur, um dem Gastgeber Ehre anzutun, sondern um den anderen gleichsam die Zähne zu zeigen. Großbritannien hatte zehn seiner mächtigsten Fahrzeuge abgeordnet, um zu zeigen, über welche Machtmittel es verfüge und die anderen Nationen zu warnen, sich ja nicht an der Beherrscherin des Meeres zu vergreifen. Die Geschwader Frankreichs und Russlands ließen gleichsam die giftigsten Blicke schießen, damit ihnen der gastfreie Kaiser Wilhelm nicht gar zu freundlich begegne. Selbst die amerikanischen Offiziere und Seeleute mochten insgeheim den Gedanken haben, den hochmütigen Europäern zu zeigen, dass jenseits des Ozeans eine Seemacht erwachse, die nicht mit sich spaßen lasse. Besonders komisch machte sich die Anwesenheit der Franzosen und Russen als Freunde des Friedens oder gar Deutschlands! In einem großen Teile Frankreichs war man darüber empört. Aber die größte Unaufrichtigkeit liegt in der Eröffnung des Kanals selbst. Er soll dem Welthandel dienen; daher seine internationale Bedeutung, daher soviel des Rühmens und Sich-Freuens! Aber was halten Deutschland und Frankreich und die anderen Mächte des Kontinents in Wirklichkeit vom Welthandel? Warum sind sie heute noch, wie vor 20 Jahren bestrebt, dem freien Austausch unter den Nationen Schwierigkeiten und Hindernisse in den Weg zu legen? Solange die feindliche Absicht im Handel gegeneinander und die allgemeine Missgunst besteht, können sie noch so viele Kanäle von Meer zu Meer ziehen; nie wird man hier Phrasen von den guten Beziehungen von Volk zu Volk und von der Friedensliebe überhaupt ernst nehmen, sondern stets als Worte betrachten, welche die Gedanken verbergen sollen.“

Ganz ähnlich äußerte sich das „Chicago Chronicle“:

„Es war die reinste Heuchelei, dieser Mummenschanz zu Kiel. Veranstaltet zu Ehren eines Friedenswerkes gestaltete er sich zu einer Apotheose des Krieges. Todfeinde trafen sich hier und stellten ihre Waffen zur Schau und taten sich dabei Gewalt an, um sich freundlich zu begegnen. Aus lauter Höflichkeit ließ man die Kriegskanonen donnern. Der Kaiser aber bezeichnete die große Flottenschau im Kieler Hafen als ein Symbol des Friedens und der Gemeinsamkeit der europäischen Bestrebungen für Verbreitung und Erhaltung der Zivilisation. Die Erfahrung lehrt freilich das Gegenteil. Wer ein Gewehr hat, wünscht es abzufeuern. So ist auch für die Völker, die auf den Krieg vorbereitet sind, der Krieg ein Bedürfnis. Die Kriegsbereitschaft der europäischen Mächte ist das einzige, was den Frieden ernstlich bedroht. Mit dem Kanalbau war der Zivilisation ein trefflicher Dienst geleistet; mit der Feier in Kiel wurde der Barbarei wieder Tribut gezollt. Der Kanal sollte den Seehandel erleichtern; seine Vollendung aber feierte man durch die Versammlung von Handelszerstörern!“

Wir müssen dem „St. Paul Globe“ Recht geben, wenn er nach dem Nutzen der Panzerschiffe für die Zivilisation, nach den Seeräuberflotten, von denen es das Meer zu säubern gelte, nach den wilden Völkern, die wir mit elektrischen Scheinwerfern aufklären könnten, fragt und auf die betrübende Tatsache hinweist, dass keine der in Kiel vertretenen Nationen es wagen würde, eine Allianz zur Vertreibung der Türken aus Europa vorzuschlagen. Der wahre Zweck sei eben bei allen Rüstungen die Niederhaltung des eigenen Volkes. Nicht minder hart urteilt die „Times“ von Minneapolis, wenn sie feststellt, dass es einem Anklageakt gegen die Zivilisation gleichkomme, wenn die Eröffnung des Nordostseekanals besonders wegen seiner strategischen Bedeutung und mit dem Donner der Kanonen sämtlicher Flotten der Welt gefeiert wurde. „Denn wenn die sogenannten zivilisierten Nationen solcher Bauten für militärische Zwecke bedürfen und auf Kosten der Steuerzahler so große Flotten unterhalten, dann hat die kaukasische Rasse seit der Zeit des Columbus keine Fortschritte gemacht und sich durch dessen Entdeckung nicht fördern lassen. Mit solcher Kriegsbereitschaft ist die Freiheit unvereinbar und die Staatsgewalt übermächtig.“

Die Repräsentanten der Völker aber fahren fort, „Friede! Friede!“ zu rufen, da doch kein Friede ist. So wird erfüllt, was Jeremia 6:13-15 geschrieben steht:

„Denn von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Größten sind sie insgesamt der Gewinnsucht ergeben; und vom Propheten bis zum Priester üben sie allesamt Falschheit, und sie heilen die Wunden der Tochter meines Volkes leichthin und sprechen Friede! Friede! – und da ist doch kein Friede. Sie werden beschämt werden, weil sie Greuel verübt haben. Ja, sie schämen sich keineswegs, ja, Beschämung kennen sie nicht. Darum werden sie fallen unter den Fallenden; zur Zeit, da ich sie heimsuchen werde, werden sie straucheln, spricht Jehova.“

Der Dichter John G. Whittier hat dieser großen, allgemeinen, aber den Stempel der Unaufrichtigkeit tragenden Verkündigung des Friedens folgenden beredten Ausdruck gegeben:

Vom Tiber bis zu der Donau Gebiet –
In ganz Europa herrscht Ordnung und Fried!
Das ist, was uns Priester und Kön. sagen
Und Lügenpropheten in unseren Tagen.

Geh, leg auf die Erd‘ dich mit lauschendem Ohr
Und höre mit Schaudern den grausigen Chor:
Der Bataillone eisernen Schritt
Und des Gewehrfeuers mörderisch Lied.

Das Roll’n der Geschütze, der „Halt“ – Rufe Schall,
Der Wachen Alarm und Trompeten Signal!
Vom Eismeer bis fern in das Tropenland
Das Seufzen und Stöhn’n derer, die man verbannt‘,
Galeeren und Kerker, von Menschen gefüllt
Und blut’ge Schafotte – welch entsetzlich Bild!
Ordnung – jawohl, weil die Sklaven schweigen!
Friede – wie Kerker und Grab ihn dir zeigen!
Sagt, König, Zar, Priester, sagt insgemein:
Was mag, wenn dies Friede ist, Krieg wohl erst sein?

O ernster Herold von besseren Zeiten,
Um vor dir der Freiheit den Weg zu bereiten,
Musst grau du, vernarbt und im Haargewand
Mit blutenden Füßen durchs Wüstenland.
Ach, dass doch seiner Stimm‘ es möcht gelingen,
Der Fürsten und Priester Ohr zu durchdringen
Mit Johannes‘, des Täufers, Prophetengeschrei:
„Tut Buße, denn Gottes Reich kommt herbei.“